Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Christian Lehmann

Kameramann

* 20. Juli 1934 in Halbau, Schlesien (heute Ilowa, Polen); † 4. November 2023 in Berlin

Biografie

Christian Lehmann

bei der 15. Preisverleihung der DEFA-Stiftung (Foto: Reinhardt & Sommer)

An mehr als 200 Filmen ist der Kameramann Christian Lehmann beteiligt. Im DEFA-Studio für Dokumentarfilme arbeitet er mit den wichtigsten Regisseuren zusammen und entwickelt einen ganz eigenen Kamerastil. Er zeichnet sich durch ein besonderes Gespür für das Optische im Dokumentarischen aus. Vielen seiner Filme gemeinsam ist ihr subjektiver Zugang auf die Menschen und Landschaften, ideologiefrei zeigen sie den Alltag in der DDR und erzählen ganz individuelle Geschichten. Mehrfach spricht sich der Kameramann für einen persönlichen Zugang der Dokumentaristen zu ihrem Gegenstand aus.

Christian Lehmann wird am 20. Juli 1934 in Halbau, Schlesien (heute Ilowa, Polen) geboren. Sein Vater arbeitet als Lehrer. Seine Schulausbildung schließt er 1953 mit dem Abitur ab. Danach beginnt er ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, will Fotograf und Grafiker werden. Nach drei Semestern bricht er ab und wechselt 1955 an die Deutsche Hochschule für Filmkunst Potsdam-Babelsberg. Hier studiert er bis 1959 im Fachbereich Kamera. Von 1959 bis 1961 arbeitet er im DEFA-Studio für Dokumentarfilme als Assistent des Kameramanns Wolfgang Randel bei Filmen des Regisseurs  Joop Huiskens mit. Ab 1961 ist er dort selbständiger Kameramann und arbeitet mit den wichtigsten Dokumentarfilm-Regisseuren der DEFA zusammen.

Während seiner Studienzeit lernt Christian Lehmann den späteren Regisseur  Jürgen Böttcher kennen. An dessen Hochschulfilmen DER JUNGE MIT DER LAMPE (1957) und DRESDEN, WENIGE JAHRE DANACH (1958) er mitwirkt. Dabei entwickelt sich sein spezielles Interesse für den Dokumentarfilm. Auch später wird zwischen den beiden Künstlern eine enge Arbeitsbeziehung bestehen. Im Auftrag des Ministeriums für Ausländische Angelegenheiten entsteht IM PERGAMONMUSEUM (1962). Ein Ort, an dem antike Plastiken lebendig gemacht werden. Besondere nationale und internationale Aufmerksamkeit erlangt OFENBAUER (1962). Der Film protokolliert die 18-Meter-Verschiebung eines 65 Meter hohen und 2000 Tonnen schweren Hochofens im Eisenhüttenkombinat. Christian Lehmann ist einer der fünf Kameramänner, die in nüchternen Bildern die Leistung des Kollektivs schildern. In beiden und einigen folgenden Filmen nutzen Böttcher und Lehmann die jeweiligen Orte und Situationen, um ihren Dokumentarstil, der sich am cinéma vérité orientiert, zu verfeinern. Dazu gehören unter anderem, dass die Kamera mit Sympathie auf die Figuren blickt, die porträtiert werden, dass sie undogmatisch das Lebensumfeld beobachtet und den Protagonisten viel Freiraum lässt. Außerdem wird mit viel filmischen Gespür für die Menschen, die Umgebung und die Landschaft gearbeitet. In den besten Fällen ordnet sich die Kamera ganz der vorgefundenen Realität unter. Dadurch soll das Wahrhaftige im Leben und bei den Menschen durch die Bilder zutage gefördert werden.

Filmstill zu "Im Pergamon-Museum"

IM PERGAMONMUSEUM (R: Jürgen Böttcher, 1962) Fotograf: Christian Lehmann

Filmstill zu "Ofenbauer"

OFENBAUER (R: Jürgen Böttcher, 1962) Fotografen: Christian Lehmann, Gerhard Münch, Helmut Gerstmann, Walter Roßkopf, Hans Dumke

Mehrfach arbeitet Christian Lehmann mit dem Dokumentaristen Karlheinz Mund zusammen. Für CANTO DE FÈ (1965) werden spanische Emigranten porträtiert; die Kamera filtert eindrucksvoll das erlittene Leid der Franco-Gegner heraus; in OXI - NEIN (1970) ist der griechische Widerstand Thema. In SEILFAHRT 69 (1969) sind es Arbeiter eines Kupferschieferbaus, die genau und präzise beobachtet werden. Ihr gemeinsamer Film EINE SOMMERREISE (1969) führt sie in die Ukraine, wo sie authentische Bilder von der Situation in der Sowjetunion finden. Der Dokumentarfilm findet keinen Gefallen bei den Verantwortlichen im DEFA-Studio und im Ministerium. Er kommt völlig verändert in die Kinos.

An der Zusammenarbeit mit Joop Huisken in SCHWEISSERBRIGADE (1962) wird exemplarisch die Arbeitsweise des Kameramanns deutlich. Schon Wochen vor Drehbeginn reist Christian Lehmann, der auch an dem Drehbuch mitarbeitet, zu den Arbeitern auf die Warnowwerft in Rostock, um sich mit deren Arbeits- und Lebensbedingungen bekanntzumachen. Trotz der ideologischen Einfärbung des Films gelingen dem Kameramann reizvolle Bilder. Realistische Details und interessante Farbgebungen bereichern den Film.

Die Kamera führt Christian Lehmann auch bei  Winfried Junge. AUF DER ODER (1969) beobachtet deutsche und polnische Eisbrecher auf dem zugefrorenen Grenzfluss. Regisseur Heinz Müller holt Christian Lehmann ebenfalls mehrfach hinter die Kamera. SPIELPLATZ (1965) ist ein impressionistischer Film über das Leben am Berliner Helmholtz-Platz. HERBSTZUG DER KRANICHE (1968) findet Bilder von der landschaftlichen Schönheit der Insel Rügen; FRÜHLING AN DER MÜRITZ (1968) von der Mecklenburgischen Seenplatte. Mit  Richard Cohn-Vossen arbeitet er bei MATHEMATIKER (1971) zusammen. Der mit Bildern asketisch umgehende Film zeigt Anspruch und Wirklichkeit ostdeutscher Intellektueller.

Filmstill zu "Auf der Oder"

AUF DER ODER (R: Winfried Junge, 1969) Fotografen: Christian Lehmann, Hans-Eberhard Leupold

Filmstill zu "Das weite Feld"

DAS WEITE FELD (R: Volker Koepp, 1976) Fotograf: Christian Lehmann

Mit Regisseur  Volker Koepp beginnt die Zusammenarbeit Anfang der 1970er-Jahre. Bei GUSTAV J. (1973), einem Porträt über einen 80-jährigen Arbeiter, schaut die Kamera ganz behutsam und natürlich, ruhig und langsam auf den alten Mann. Sie bringt gleichsam sein Wesen zum Vorschein. Seit 1976 dreht Lehmann mit dem Regisseur eine Reihe von Landschaftsfilmen, die Menschen in ihrer Umgebung zeigen. Das Filmteam nähert sich in DAS WEITE FELD (1976) behutsam dem märkischen Dorf Häsen und seinen Bewohnern, dreht HÜTES-FILM (1977) in der Rhön und fährt DIE F 96 (1986) entlang. Allen Filmen gemeinsam ist ihr subjektiver Zugang auf die Menschen und Landschaften, ideologiefrei zeigen sie den Alltag in der DDR und erzählen ganz individuelle Geschichten. Der Kameramann selbst spricht sich mehrfach für einen persönlichen Zugang der Dokumentaristen zu ihrem Gegenstand aus. Auch an den WITTSTOCK-Filmen Volker Koepps arbeitet Christian Lehmann mit. Zwar erzählen die Filme vom alltäglichen Leben der Arbeiterfrauen, aber wieder findet der Kameramann überaus poetische Bilder. Erneut ist es die ruhige, sich auf die Beobachteten einlassende Bildführung, die die Filme auszeichnet.

Ab den 1990er-Jahren ist es der Regisseur  Peter Voigt, für den Christian Lehmann mehrmals die Kamera führt. In KNABENJAHRE (1989) porträtieren sie vier Männer, die sich an ihre Kinder- und Jugendjahre im Hitlerreich erinnern. In METANOIA – BERICHTE DEUTSCHER MÄNNER (1991) führen sie die Gespräche mit den vier Personen fort, fragen was aus den damaligen Hitlerjungen wurde. DÄMMERUNG - OSTBERLINER BOHEME DER 50ER JAHRE (1993) bietet erneut einen subjektiven Blick auf einen Zeitzustand. Aus Anlass des 20. Todestages geht das Filmteam in ICH BIN ERNST BUSCH (2000) auf Spurensuche. Ihr bisher letzter Film ist BERTOLT BRECHT - BILD UND MODELL (2006). Hier rekonstruieren sie mit zahlreichen Materialien Facetten des Werkes von Bertolt Brecht, die man so oder ähnlich noch nie gesehen hat.

Christian Lehmann ist mit der Schnittmeisterin Bärbel Lehmann verheiratet. Christian Lehmann stirbt im November 2023 nach schwerer Krankheit im Alter von 89 Jahren in Berlin.

Verfasst von Ines Walk.

Auszeichnungen

  • 1974: WER DIE ERDE LIEBT - Kunstpreis der DDR (im Kollektiv)
  • 1976: WIEDER IN WITTSTOCK - Internationales Dokumentar- und Animationsfilmfestival Leipzig: Diplom für herausragende Einzelleistung
  • 1979: Heinrich Greif Preis II. Klasse (gemeinsam mit Wolfgang Geier und Volker Koepp)
  • 1983: Kunstpreis der DDR
  • 1985: Preis der Filmkritik der DDR, Große Klappe Sonderpreis
  • 2015: Preis der DEFA-Stiftung für das filmkünstlerische Lebenswerk 

Literatur

  • Christian Lehmann: Aus der bei alten Kameramännern sich zeigenden Abneigungen gegen Verwendung des Agfa-Ultrarapid-Materials ergibt sich die Notwendigkeit, dieses Material objektiv hinsichtlich seiner Eigenschaften zu prüfen. Zum Vergleich sind Agfa-Superpan und Agfa-Pankine-K heranzuziehen, Diplomarbeit im Fachbereich Kamera an der Deutschen Hochschule für Film, Potsdam-Babelsberg 1959.
  • Reinhard Kettner: Denn nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit [Interview], in: Film und Fernsehen 09/1977.
  • Gisela Harkenthal: Immer anders als schon mal [Interview], in: Sonntag 35/1982.
  • Christian Schulz: Die Schwarz-Weiß-Fotografie des Kameramannes Christian Lehmann unter der Berücksichtigung stilbildender Aspekte der Kameraarbeit und technischer Standards, Diplomarbeit im Studiengang Film- und Fernsehkamera an der Hochschule für Film und Fernsehen 2003.
  • Peter Badel: ... Wahrscheinlich einer unserer schönsten Berufe überhaupt [Interview], in: Kamera läuft (Bd. 1), Schriftenreihe der DEFA-Stiftung, Berlin 2007, S. 320-360.
  • Peter Voigt: Geist und souveränes Handwerk. Laudatio auf den Kameramann Christian Lehmann, in: Günter Agde (Hg.): Peter Voigt - Filmarbeit. Skizzen, Kritiken, Essays, Interviews, Verlag Neues Leben, Berlin 2018, S. 92-97.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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