Dietmar Hochmuth
Regisseur
* 21. März 1954 in Berlin
Biografie

Dietmar Hochmuth
bei den Dreharbeiten zu MOTIVSUCHE (1989) Fotografen: Wolfgang Ebert, Dietram Kleist, Norbert Kuhröber
Dietmar Hochmuth gehört zur letzten Generation der DEFA-Regisseure. Mit nur 29 Jahren kann er seinen Debütfilm vorlegen, hat danach aber wie viele seiner jungen Kollegen Schwierigkeiten, weitere Filme am Studio für Spielfilme zu inszenieren. Die Aussichtslosigkeit des Ausbruchs thematisiert er auch in seinem wichtigsten DEFA-Film MOTIVSUCHE (1990). Nach dem Ende der DEFA ist Dietmar Hochmuth als Regisseur, Produzent, Autor, Herausgeber und Kurator tätig.
Dietmar Hochmuth wird am 21. März 1954 in Berlin (DDR) geboren. Er ist der Sohn von Arno Hochmuth, der sich in der DDR unter anderem als Mitglied der Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED, Literaturwissenschaftler und Professor für Kulturwissenschaften und Ästhetik an der Humboldt-Universität einen Namen macht. Dietmar Hochmuth ist künstlerisch begabt, besucht eine Musikschule und singt im Kinderchor beim Berliner Rundfunk. Mit dem Chor ist er im Fernsehen präsent, unter anderem bei der TV-Show „Da lacht der Bär“. Zudem ist er Mitglied eines Amateur-Filmzirkels beim Berliner Wohnungsbaukombinat und später beim Berliner Film- und Fernsehclub im Haus der jungen Talente. Er interessiert sich für Fotografie und äußert schon frühzeitig den Wunsch, Kameramann zu werden. Seine Schulausbildung schließt er mit dem Abitur 1972 ab.
Danach beginnt er beim DEFA-Studio für Spielfilme als Regiehelfer zu arbeiten und belegt zugleich an der dortigen Betriebsakademie einen Lehrgang für Regieassistenten. Ein Karriereschritt wird die Regie-Assistenz bei Egon Günthers TV-Film ERZIEHUNG VON VERDUN (1973). Kurz darauf wird er zum Studium ans Allunionsinstitut für Kinematographie (WGIK) in Moskau delegiert und absolviert dort von 1973 bis 1979 ein Regiestudium in der Meisterklasse von Giorgi Danelia. Das Studium schließt er mit dem Diplomfilm HEUTE ABEND UND MORGEN FRÜH (1979) und dem Prädikat Auszeichnung fürs Fernsehen der DDR ab.
Mit 29 Jahren ist er einer der jüngsten Debütanten im DEFA-Spielfilmstudio. Seine erste Arbeit wird der Kinderfilm MEIN VATER IST EIN DIEB (1983) nach dem Kinderbuch „Til und der Körnerdieb“ von Barbara Kühl. Erzählt wird von Til, der mit seinen Freunden einen Dieb beobachtet. Til hat seinen Vater erkannt und weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Den Filmemacher interessieren weniger der Kriminalfall und der äußere Spannungsaufbau, sondern die psychologischen Auswirkungen auf den jugendlichen Helden. Kritiker loben die Kamera von Jürgen Lenz, die Musik von Rainer Böhm, entdecken allerdings Schwächen in der Inszenierung und der Regie. Danach ist Dietmar Hochmuth als Regie-Assistent bei ROMEO UND JULIA AUF DEM DORFE (1984) unter der Regie von Siegfried Kühn und bei WIR BLEIBEN TREU (1989) von Andrej Maljukow tätig.
Gemeinsam mit anderen Nachwuchs-Regisseuren der DEFA (unter anderem Jörg Foth und Peter Kahane) kritisiert er den Umgang der Studioleitung mit dem Nachwuchs. Es gibt zu wenige Festanstellungen für junge Absolventen, und ihre Debütfilme lassen zu lange auf sich warten. Die Kritik wird aufgenommen, aber es ändert sich nichts. Erst fünf Jahre nach seinem Debütfilm erscheint ein weiterer Film von Dietmar Hochmuth. Nach der Erzählung „Das Mädchen mit den grauen Augen“ von Wladimir Makanin entsteht IN EINEM ATEM (1988). Andreas arbeitet als Bauarbeiter im Ausland und erfährt, dass seine Freundin jemand anderen heiraten will. Die Heirat will er verhindern, also macht er sich auf nach Berlin und kämpft um seine Freundin. Die entscheidet sich allerdings ganz anders. Ratlosigkeit und Ohnmacht einer ganzen Generation spiegeln sich in der temporeichen und unterhaltsamen Liebeskomödie. Sie wird zum Max Ophüls Festival sowie zum Internationalen Filmfestival nach Kiew geladen.
Inspiriert durch die eigenen Schwierigkeiten mit den Filminstanzen entsteht MOTIVSUCHE (1990). Das Filmteam thematisiert diese anhand eines Dokumentarfilmregisseurs, der endlich einen Stoff aus dem wahren Leben verfilmen will, aber letztlich in beruflicher wie persönlicher Hinsicht daran scheitert. Auch hier wird die Aussichtslosigkeit des Ausbruchs thematisiert, individuelle Lebensansprüche sind in der DDR so gut wie nicht umsetzbar. Auf zahlreichen Festivals ist der Film zu sehen, unter anderem in Saarbrücken, San Sebastian, Helsinki und im Internationalen Forum der Berlinale. Sechs Jahre später begibt sich Dietmar Hochmuth auf die Spur seines Teams und seiner Schauspieler. In der halbstündigen Dokumentation MOTIVSUCHE II – SCHLUSSKLAPPE '95 (1995) befragt er sie nach ihren Erfahrungen im wiedervereinigten Deutschland.
Dietmar Hochmuth ist nach 1990 in den verschiedensten Bereichen tätig. Er dreht Dokumentarfilme, hauptsächlich fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen, unter anderem arte, ZDF, 3sat, NDR, SR und den ORB. Es entsteht unter anderem das Essay Das Kino des Zaren (1995) über Jewgeni Bauer und den russischen Film, die medienkritische Beobachtung DAS MEDIUM IST DIE BOTSCHAFT (1997) sowie DIE VERSCHIEDENEN GESICHTER DES SERGEJ EISENSTEIN (1998).
Von 1998 bis 2004 lebt er mit seiner Familie in Nordkalifornien. An der Stanford University arbeitet er an Filmprojekten und ist Dozent, unter anderem für Filmgeschichte und Filmausbildung, Digital Filmmaking sowie Einführung in die Weltfilmkunst. So gibt er für amerikanische Studenten unter anderem Seminare zu Kulturellen Identitäten im sich wiedervereinigenden Deutschland und zieht dabei Dokumentarfilme aus Ost und West zur Diskussion heran oder spricht über Amerika-Bilder im deutschen Film und in der deutschen Literatur aus Ost und West nach 1945. Parallel zu seiner Dozententätigkeit beginnt er mit dokumentarischen Langzeitprojekten über den Mythos und die Realität des Silicon Valley (gestartet 1999) und „Falsche Kalifornier“ aus aller Welt (gestartet 2001).
Intensiv ist die Lehrtätigkeit von Dietmar Hochmuth auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland. Von 2004 bis 2005 ist er Professor für Dokumentarfilmregie an der internationalen filmschule köln. Ab 2006 lehrt er an der Berliner Technischen Kunsthochschule / Hochschule für Gestaltung. Seit 2010 ist er Vertretungsprofessor für Film und Video am Institut für Mediengestaltung der Fachschule Mainz und Betreuer des Filmischen Modellversuchs 2010 der Filmwissenschaft & Mediendramaturgie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Als Kurator von Ausstellungen und deren begleitenden Filmprogrammen macht sich Dietmar Hochmuth ebenfalls einen Namen. 1991 arbeitet er in der Programm- und Katalogredaktion für die Retrospektive „Der Krieg gegen die Sowjetunion“, die im Berliner Martin-Gropius-Bau veranstaltet wird. Für das Kino Arsenal ist er 1990 in der Programm- und Katalogredaktion für die Retrospektive „Stalingrad. Gegen das Vergessen“ tätig. Die Filmretrospektive der Ausstellung „Berlin-Moskau – 1900-1950“ im Martin-Gropius-Bau kuratiert er gemeinsam mit Oksana Bulgakowa, gemeinsam gestalten sie auch den Katalog zur Ausstellung.
Zudem arbeitet er als Autor, Übersetzer und Herausgeber. Ende 1993 veröffentlichen die Freunde der Deutschen Kinemathek in ihrer Kinemathek-Schriftenreihe den Band „DEFA NOVA – nach wie vor?“, in dem Dietmar Hochmuth anhand zahlreicher Dokumente und Gespräche den Weg von Filmprojekten beschreibt. 1996 gründet er gemeinsam mit Oksana Bulgakowa den Verlag für Filmliteratur und Neue Medien „PotemkinPress“, der sich dem unerschlossenen Erbe der osteuropäischen Kunsttheorie und -praxis widmet. Gemeinsam publizieren sie Bücher über Sergej Eisenstein und Kasimir Malewitsch, veröffentlichen DVDs unter anderem zu „Body Language in Film“. Dabei handelt es sich um ein audiovisuelles Projekt zur Untersuchung und Visualisierung der Körpersprache im Film. Dietmar Hochmuth veröffentlicht zahlreiche Aufsätze, Artikel und Interviews zum Film in Büchern, Zeitschriften und Magazinen.
Dietmar Hochmuth ist verheiratet mit Oksana Bulgakowa, derzeit Professorin für Filmgeschichte und Filmanalyse an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Gemeinsam haben sie einen Sohn.
Verfasst von Ines Walk. Stand: Januar 2015
Original-Kinotrailer zu MOTIVSUCHE (R: Dietmar Hochmuth, 1989)
Auszeichnungen
- 1990: MOTIVSUCHE - Max-Ophüls-Filmfestivals, Saarbrücken: Spezialpreis
- 1990: MOTIVSUCHE - Nationales Spielfilmfestivals der DDR: Findling, Preis der Filmclub-Jury
- 1990: MOTIVSUCHE - Preis des Interessenverbandes Filmkommunikation e. V.
- 1992: Förderpreis Film der Akademie der Künste Berlin
- 1992: UNSER BERLIN HAT KEINEN VORNAMEN - Nominierung Adolf Grimme Preis
Ausstellung
- Multimedia-Kurator für die Ausstellung ALPHABETICON. Russische Experimente mit Postern, Büchern und Buchstaben im 20. Jahrhundert (Mai – September 2003; Hoover-Pavillon, Stanford) inkl. DVD- und Webprojekt.
Literatur
- Dietmar Hochmuth: Ein Opfer der Zeitumstände? W. - der letzte filmische Arschtritt gen Bush während seiner Amtszeit, in: telepolis, 4.11.2008.
- Dietmar Hochmuth: Fernsehen bedroht durch das Internet? Noch nie habe ich Brechts Radiotheorie so wenig gemocht wie heute..., in: telepolis, 27.3.2007.
- Dietmar Hochmuth, in: Ingrid Poss, Peter Warneke (Hrsg.): Die Spur der Filme, Berlin 2006.
- Dietmar Hochmuth: Hausbesuch. Fast zu Gast bei Napster, in: Der Spiegel 14.2.2001.
- Dietmar Hochmuth: Streaming: Hat sich da was bewegt?, in: Der Spiegel 21.12.2000.
- Dietmar Hochmuth, Oksana Bulgakowa: Die Abenteuer des Dr. Mabuse im Lande der Bolschewiki. Katalog zur Filmretrospektive der Ausstellung Moskau-Berlin, Berlin-Moskau, Berlin 1995.
- Dietmar Hochmuth: DEFA NOVA. Nach wie vor, Berlin 1993.
- Dietmar Hochmuth, Ulrich Gregor: Die Filme des Prager Frühlings, Berlin 1992.
- Dietmar Hochmuth, Oksana Bulgakowa: Der Krieg gegen die Sowjetunion. Katalog des Filmprogramms zur gleichnamigen Ausstellung, Berlin 1992.
- Dietmar Hochmuth: Cowboy könnte ich nicht werden - Gespräch mit Herwig Kipping, in: Die Tageszeitung, 3.9.1992.
- Dietmar Hochmuth, Oksana Bulgakowa, Ulrich Gregor (Hrsg.): Stalingrad. Gegen das Vergessen, Berlin 1991.
- Dietmar Hochmuth, Oksana Bulgakowa (Hrsg.): Püppchen, Sowjetische Filmerzählungen, Berlin 1991.
- Heinz Kersten: Mit Hoppla-jetzt-komm-ich-Elan - Der Regisseur Dietmar Hochmuth und seine DEFA-Filme, in: Der Tagesspiegel, 28.7.1991.
- Dietmar Hochmuth, Oksana Bulgakowa: Krzysztof Zanussi - Das Jahr der ruhigen Sonne, Berlin 1989.
- Torsten Udhe: Dafür kann mein Film doch nichts - Interview, in: Der Sonntag, 9.7.1989.
- Dietmar Hochmuth, Oksana Bulgakowa (Hrsg.): Sergej Eisenstein: Das dynamische Quadrat. Schriften zum Film, Leipzig 1988.
- Dietmar Hochmuth, Oksana Bulgakowa (Hrsg.): Viktor Schklowski. Sergej Eisenstein. Romanbiographie, Berlin 1988.
- Dietmar Hochmuth, Oksana Bulgakowa (Hrsg.): Wladimir Wyssozki, Poesiealbum, Berlin 1984.
- Zahlreiche Aufsätze, Artikel und Interviews zum Film in Büchern: (Regiestühle I/II, Filmwissenschaftliche Beiträge), Zeitungen (unter anderem Der Sonntag, Freitag, Wochenpost, Frankfurter Rundschau, taz, Deutsche Allgemeine Sonntagszeitung, Berliner Zeitung) Zeitschriften (Filmspiegel, Film und Fernsehen, epd film, epd Kirche und Rundfunk) und Magazinen (Spiegel Online, FAZ.NET etc.) sowie zahlreiche Fotoveröffentlichungen in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften Magazinen (Sonntag / Freitag, Wochenpost, Tip; Spiegel Online, FAZ.NET etc.).
Langzeit-Dokumentationen
- Seit 1999: Data Morgana. Mythos und Realität des Silicon Valley
- Seit 2001: The Jump in the Cold Water. Über „Falsche Kalifornier“ aus aller Welt
DEFA-Filmografie
- heute abend und morgen früh (1979) - Drehbuch, Szenarium | Regie: Dietmar Hochmuth
- Trailer: DEFA-Treff für Kinder (1979) - Drehbuch | Regie: Dietmar Hochmuth
- DEFA-Report, 1980/3 (1980) - Drehbuch | Regie: Dietmar Hochmuth
- Mein Vater ist ein Dieb (1982) - Drehbuch, Szenarium | Regie: Dietmar Hochmuth
- Romeo und Julia auf dem Dorfe (1983) - Regieassistenz | Regie: Siegfried Kühn
- In einem Atem (1988) - Drehbuch, Szenarium | Regie: Dietmar Hochmuth
- Wir bleiben treu, Teil 1. / 2. (1988) - Regieassistenz | Regie: Andrej Maljukow
- Motivsuche (1989) - Drehbuch | Regie: Dietmar Hochmuth
- Trailer: Motivsuche (1989) - Regie: Dietmar Hochmuth
- Revolution der Fernsehlandschaft Ost. Zusammenbruch und Aufbruch. Teil 1 und 2 (1991) - Person, primär
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