Gerd Natschinski
Komponist
* 23. August 1928 in Chemnitz; † 4. August 2015 in Berlin
Biografie

Gerd Natschinski
zum Gespräch in der DEFA-Filmküche (März 2008) Fotograf: Michael Reinhardt
Film und Musik von HEISSER SOMMER (1967) sind heute nostalgischer Kult. Gerd Natschinski komponiert überaus erfolgreich über Jahre zahlreiche Unterhaltungsmusiken. Er hat 13 Stücke für Musiktheater geschrieben, Musik für etwa 70 Filme, 400 Lieder, Schlager und Chansons. In der DDR zählt er zu den erfolgreichsten Komponisten für Bühne, Film und Fernsehen.
Gerd Natschinski wird am 23. August 1928 in Chemnitz geboren. Er wächst in Dresden auf. Zehnjährig beginnt er zu komponieren und Theaterstücke zu verfassen. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg fängt er an der Musikhochschule in Dresden ein Studium als Dirigent an. Er studiert bei Paul Kurzbach, Werner Hübschmann und Fritz Just. Auf Wunsch seines Vaters bricht er das Studium ab; er soll Geld verdienen. Privat nimmt er in Chemnitz Klavier-, Theorie- und Kompositionsunterricht, lernt viel autodidaktisch. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitet er auch als Musiklehrer und Kantor in Claußnitz.

Henny Porten und Johannes Arpe in CAROLA LAMBERTI - EINE VOM ZIRKUS (R: Hans Müller, 1954) Fotograf: Heinz Wenzel

Aribert Grimmer, Albert Garbe, Rudi Schiemann und Toni Meitzen in HEXEN (R: Helmut Spieß, 1954) Fotograf: Erich Kilian
1948 geht Gerd Natschinski nach Leipzig. Dort übernimmt er mit nur 20 Jahren die Leitung des Großen Unterhaltungsorchesters des Leipziger Rundfunks. Er gibt Konzerte und dirigiert im Rundfunk regelmäßig eigene Arrangements und Kompositionen. Ganz nebenbei ist er von 1950 bis 1952 Meisterschüler bei Hanns Eisler. 1952 zieht er nach Berlin und wird für zwei Jahre Leiter des Unterhaltungsorchesters des Berliner Rundfunks. Danach arbeitet er als freischaffender Komponist und Dirigent in der DDR.
Seit den frühen 1960er-Jahren komponiert Gerd Natschinski Stücke für das Musiktheater, sinfonische Werke sowie Orchester- und Konzertwerke der gehobenen Unterhaltungsmusik. Mit seinen Musicals ist er überaus erfolgreich. Am 16. Oktober 1960 wird die DDR-Operette „Messeschlager Gisela“ von Gerd Natschinski und Jo Schulz am Metropol-Theater uraufgeführt. Eine VEB-Belegschaft kämpft für ein 'Kleid für jede Frau'. Gegen den Widerstand des abgehobenen Betriebsdirektors wird es zum Hit - so wie die Operette auch. Mit seinem Musical „Mein Freund Bunbury“ (1964) feiert Gerd Natschinski über Jahre hinweg Erfolge auf den Bühnen des ganzen Landes. Es ist eines der meistgespieltesten deutschen Musicals; flotte Rhythmen von Charleston bis Black Bottom hat er für die Geschichte komponiert. Von 1977 bis 1980 ist er Intendant des Berliner Metropol-Theaters. 1986 hat sein abendfüllendes Ballett „Hoffmanns Erzählungen“ an der Komischen Oper in Berlin Premiere. Tom Schilling choreographiert das über mehrere Jahre auf dem Spielplan stehende Ballett. Davor hat er mehrere Stücke verfasst, unter anderem „Ein Fall für Sherlock Holmes“ (1982) und „Planet der Verliebten“ (1984).

Günther Haack und Willy A. Kleinau in ZAR UND ZIMMERMANN (R: Hans Müller, 1955) Fotograf: Heinz Wenzel

Lore Frisch und Günther Simon in MEINE FRAU MACHT MUSIK (R: Hans Heinrich, 1958) Fotograf: Eduard Neufeld
Für die DEFA arbeitet Gerd Natschinski bereits in den frühen 1950er-Jahren. Er beginnt im DEFA-Studio für populärwisschenschaftliche Filme; unterlegt Kurz-Dokumentarfilme von Heiner Carow und
Helmut Bergmann mit Musik. Für die satirischen Produktionen von DAS STACHELTIER komponiert er ebenfalls. Als er anfängt, für das DEFA-Spielfilmstudio zu arbeiten, gehört er bald zu den erfolgreichsten DEFA-Komponisten, die über 30 Jahre das musikalische Profil des ostdeutschen Musikfilms mitbestimmen. Eine seiner ersten Filmmusiken komponiert er für den letzten Henny-Porten-Film CAROLA LAMBERTI - EINE VOM ZIRKUS (1954) von Hans Müller. Für den Film HEXEN (1954) von Helmut Spieß, eine Komödie über ein mysteriöses Schweineverschwinden in einem thüringischen Dorf, findet er aussagekräftige Töne für die abergläubischen Bauern. Auch Opern- und Operettenverfilmungen stehen auf seiner Werkliste: Für ZAR UND ZIMMERMANN (1955) adaptiert er die Musik von Albert Lortzing und jene von Carl Millöcker aus „Der Bettelstudent“ für MAZURKA DER LIEBE (1957), beide unter der Regie von Hans Müller. Die Filme gehören zu den erfolgreichsten der Jahre; an ihnen sind - zum letzten Mal in dieser Form - zahlreiche westdeutsche und österreichische Schauspieler beteiligt.
Aber das bevorzugte Metier des Komponisten wird der Unterhaltungsfilm. Besonders Ende der 1950er-Jahre, als der Musikfilm in einem neuen modischen Gesicht den Filmmarkt erobert, werden die Lieder von Gerd Natschinski zu Ohrwürmern. Für einen der erfolgreichsten DEFA-Filme seiner Zeit MEINE FRAU MACHT MUSIK (1958) komponiert er die Schlagerlieder für Lore Frisch. Die Gattin eines Warenhausleiters fühlt sich nicht ausgelastet und entschließt sich, zu singen. Ihr Mann findet daran keinen Gefallen, wird dann aber durch ihren Erfolg eines besseren belehrt. Den biederen Gatten spielt Günther Simon. Dem Film wird eine verzerrte Darstellung des DDR-Alltags vorgeworfen, zu kleinbürgerlich und falsch sehen die Verantwortlichen das Milieu dargestellt. Das Genre gilt lange Zeit als US-amerikanische Kulturform, die typische westliche Verhaltensweisen propagiert. Es folgt die Produktion REVUE UM MITTERNACHT (1962) unter der Regie von Gottfried Kolditz. Hier überzeugen die Gesangseinlagen der Darsteller, viel Jazz und Soul ist zu hören. Zahlreiche damalige Stars sind vor der Kamera vereint: Gerry Wolff, Werner Lierck, Willi Schwabe und nicht zuletzt Manfred Krug, der den Komponisten Ritter spielt und die Produktionsassistentin Christel Bodenstein für sich gewinnen kann. Der Film wird in der DDR ein Kassenerfolg. Gerd Natschinski komponiert auch die Musik für REISE INS EHEBETT (1966) von Joachim Hasler, bei dem sich im Jahr der DEFA-Verbote das Publikum amüsiert.

Christel Bodenstein und Manfred Krug in REVUE UM MITTERNACHT (R: Gottfried Kolditz, 1962) Fotograf: Horst Blümel

Regine Albrecht, Chris Doerk und Ursula Soika in HEISSER SOMMER (R: Joachim Hasler, 1967) Fotografen: Detlef Hertelt, Herbert Kroiss
Am erfolgreichsten ist der Komponist mit dem Musikfilm HEISSER SOMMER (1967) von Joachim Hasler. Er schreibt den jungen Schlagerstars Frank Schöbel und Chris Doerk die Songs auf den Leib. Kritiker bescheinigen dem Film, Beachtliches bei der Einheit von Musik und Bild erreicht zu haben; die Musik charakterisiert Situationen und Personen, nimmt Stellung zu Konflikten; die Handlung um die Liebeswirren einiger Oberschüler, die an der Ostsee Urlaub machen, gerät allerdings für viele zu belanglos. Trotzdem wird der Film an den Kinokassen ein Erfolg, ist heute ein nostalgischer Kultfilm.
Trotz seines immensen Erfolges zerschlagen sich auch Projekte. Der Regisseur Horst Bonnet will sein Musical „Mein Freund Bunburry“ für die DEFA verfilmen. Von der DEFA erhält er die Auflage, das Stück auf 90 Minuten zu raffen. Unter dieser Bedingung wird das Projekt von Regisseur und Komponist abgelehnt.
Mehrmals wird Gerd Natschinski ausgezeichnet; dreimal erhält er den Nationalpreis für Kunst und Literatur der DDR. Außerdem ist er Mitglied zahlreicher Organisation und bekleidet eine Reihe öffentlicher Ämter. So ist er Mitglied der Volkskammer der DDR und des Nationalrates der Nationalen Front. Der Musiker ist langjähriger Delegierter bei der Internationalen Komponistenvereinigung der UNESCO und Vizepräsident des Komponistenverbandes der DDR. Er ist Präsident der Dramatiker Union, die Schriftstellern und Komponisten eine Stimme gibt. In seinen Ämtern setzt er sich dafür ein, dass auch die „leichte“ Musik mit Respekt behandelt wird.
Gerd Natschinski lebt bis zu seinem Tod am 4. August 2015 in Berlin. Sein Sohn Thomas Natschinski, geboren 1947, wirkt ebenfalls als Musiker und Filmkomponist.
Verfasst von Ines Walk. (Stand: März 2018)
Trailer zu HEISSER SOMMER (R: Joachim Hasler, 1967)
Auszeichnung
- o. A.: Nationalpreis für Kunst und Literatur der DDR
Literatur
- Günter Görtz: Im heiteren Genre seit Jahrzehnten tonangebend. Zum 60. Geburtstag des Komponisten Gerd Natschinski, in: Neues Deutschland, 23.8.1988.
- Frank Kämpfer: Jedes Stück ein Experiment. Gerd Natschinski 60, in: Neues Deutschland, 28.8.1988.
- Charlotte Küster: Gebrauchsmusik für die Bühne. Zum 70. Geburtstag von Gerd Natschinski, in: Berliner Zeitung 22.8.1998.
- Manfred Haedler: Der weiße Fleck - Musikfilm: Gespräche mit dem Regisseur Horst Bonnet und dem Komponisten Gerd Natschinski, in: Horst Knietzsch (Hrsg.): Kino- und Fernseh-Almanach: Prisma 07, Henschel Verlag Berlin 1976.
DEFA-Filmografie
- Das demokratische Dorf (1951) - Musik | Regie: Kurt Stanke
- Blaue Wimpel im Sommerwind (1952) - Musik | Regie: Herbert Ballmann
- Deutsche Hochschule für Körperkultur (1952) - Musik | Regie: Erich Kahl
- Spielzeug ERNST GENOMMEN (1952) - Musik | Regie: Alfred Siegert
- Dorf im Herbst (1953) - Musik | Regie: Heiner Carow
- Ein Schritt weiter (1953) - Musik | Regie: Heiner Carow
- Carola Lamberti - Eine vom Zirkus (1954) - Musik | Regie: Hans Müller (geb. 1909)
- Helfer für alle (1954) - Musik | Regie: Siegfried Hartmann
- Hexen (1954) - Musik | Regie: Helmut Spieß
- Das Stacheltier - Ede sonnabends (1954) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Wer seine Frau lieb hat ... (1954) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Drei Mädchen im Endspiel (1955) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Junge Naturforscher (1955) - Musik | Regie: Wolfgang Bartsch
- Letztes Fach unten rechts (1955) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Der Querkopf (1955 - 1956) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Star mit fremden Federn (1955) - Musik | Regie: Harald Mannl
- Zar und Zimmermann (1955) - Musik | Regie: Hans Müller (geb. 1909)
- Alter Kahn und junge Liebe (1956) - Musik | Regie: Hans Heinrich (geb. 1911)
- Das Stacheltier - Der weiche Artur (1956) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Das Stacheltier - Ihr Diener, Herr Professor (1956) - Musik | Regie: Gottfried Kolditz
- Das Stacheltier - Persil bleibt Persil (1956) - Musik | Regie: Richard Groschopp
- Das Stacheltier - Von nun ab: HERR Kunze (1956) - Musik | Regie: Gottfried Kolditz
- Fliegende Boote (1957) - Musik | Regie: Jürgen Thierlein
- Mazurka der Liebe (1957) - Musik | Regie: Hans Müller (geb. 1909)
- Mutters Geburtstag (1957) - Musik | Regie: Gottfried Kolditz
- Das Stacheltier - Die Moritat vom Kies (1957) - Musik | Regie: Gottfried Kolditz
- Tanz in der Galerie (1957) - Musik | Regie: Gottfried Kolditz
- Klotz am Bein (1958) - Musik | Regie: Frank Vogel
- Meine Frau macht Musik (1958) - Musik | Regie: Hans Heinrich (geb. 1911)
- Die Premiere fällt aus (1958) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Schneller als der Schall (1958) - Musik | Regie: Jürgen Thierlein
- Das Stacheltier - Der Ton macht die Musik (1958) - Musik | Regie: Wolfgang E. Struck
- Weißes Blut (1959) - Musik | Regie: Gottfried Kolditz
- Der Augenzeuge 1960/A 99 (1960) - Musik, Person, primär
- Die heute über 40 sind (1960) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Hochmut kommt vor dem Knall (1960) - Musik | Regie: Kurt Jung-Alsen
- Das Film-Magazin Nr. 2 - Mona Baptiste (1961) - Musik | Regie: Gottfried Kolditz
- Der Mann mit dem Objektiv (1961) - Musik | Regie: Frank Vogel
- Revue um Mitternacht (1962) - Musik | Regie: Gottfried Kolditz
- Chronik eines Mordes (1964) - Musik | Regie: Joachim Hasler
- Reise ins Ehebett (1966) - Musik | Regie: Joachim Hasler
- Heißer Sommer (1967) - Musik | Regie: Joachim Hasler
- Ein Lord am Alexanderplatz (1967) - Musik | Regie: Günter Reisch
- Im Himmel ist doch Jahrmarkt (1968) - Musik | Regie: Rolf Losansky
- Hart am Wind (1969) - Musik | Regie: Heinz Thiel
- Der Mann, der nach der Oma kam (1971) - Musik | Regie: Roland Oehme
- Nicht schummeln, Liebling! (1972) - Musik | Regie: Joachim Hasler
- Hiev up (1977) - Musik | Regie: Joachim Hasler
- Trailer: DEFA-Treff im Sommer (1978) - Musik | Regie: Heinz Thiel
- Komödianten - Emil (1979) - Musik | Regie: Joachim Hasler
Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.