Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Gerhard Bienert

Schauspieler

* 8. Januar 1898 in Berlin; † 23. Dezember 1986 in Berlin

Biografie

Filmstill zu "Die Flucht"

Gerhard Bienert

in DIE FLUCHT (R: Roland Gräf, 1977) Fotograf: Klaus Goldmann

Gerhard Bienert gehört zu jenen Schauspielern, die über 70 Jahre hinweg auf der Bühne oder vor der Kamera stehen. Damit hat er deutsche Filmgeschichte mit all ihren wunderbaren und auch weniger erfreulichen Ereignissen miterlebt und mitgeschrieben. Insgesamt werden dem Schauspieler über tausend Rollen bei Film und Fernsehen sowie auf diversen Berliner Bühnen nachgesagt. Dabei bleibt der geborene Berliner seiner Heimatstadt treu, gibt zahlreiche Berliner Typen mit Herz und Schnauze.

Gerhard Bienert ist am 8. Januar 1898 als Gerhard Max Richard Bienert in Berlin geboren. Sein Vater arbeitet als Buchhalter in der Akkumulatorenfabrik AG Hagen/Westfalen mit Sitz in Berlin, seine Mutter ist Hausfrau. Er wächst in einem gutbürgerlichen Haushalt auf. Sein Bruder Reinhold Bernt wird später ebenfalls als Schauspieler arbeiten. Gerhard Bienert besucht die Luisenstädtische Oberrealschule bis zum Abitur. 1916 meldet er sich freiwillig zum Militärdienst, da er sich sein Regiment dann selbst aussuchen kann. Als Kavallerist nimmt er am Ersten Weltkrieg teil, wird an der Ostfront in der Ukraine stationiert. Dragonerleutnant steht auf seinen Entlassungspapieren 1918.

Auf Wunsch seines Vaters soll er Oberlehrer werden, aber Gerhard Bienert schreibt sich an der Friedrich Wilhelm-Universität zu Berlin (der heutigen Humboldt-Universität) ein und belegt Germanistik- und Philosophievorlesungen. In einem Studententheater wird er Mitglied, entdeckt seine Leidenschaft für das Schauspiel. Nach zwei Semestern bricht er sein Studium ab und geht im Juni 1919 seinen beruflichen Wünschen nach, bewirbt sich an der Max Reinhardt-Schauspielschule des Deutschen Theaters, die zu dieser Zeit Berthold Held leitet. Nach erfolgreichem Vorsprechen wird er aufgenommen. Bald übernimmt er Komparsenrollen, steht erstmals 1921 mit der kleinen Rolle eines jungen Zigeunerjungen in dem Arnold Zweig-Stück Die Sendung Semaels auf der Bühne und spielt ab 1922 an verschiedenen Berliner Theaterstätten, unter anderem bei den wichtigen Regisseuren der Zeit Max Reinhardt, Wilhelm Dieterle und Erwin Piscator. Bei letzterem wirkt er 1925 in der Agit-Prop-Revue „Trotz Alledem“ mit, die aus Anlass des 10. Parteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) aufgeführt wird, und in Sprechchören die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung verdeutlicht. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Reinhold Bernt, der auch als Schauspieler tätig ist, und anderen jungen Kollegen (unter anderem Werner Pledath und Adolf Fischer) gründet er 1928 die Gruppe junger Schauspieler. Die Gruppe versteht sich als Vereinigung politisch linker Darsteller. Sie wird sich besonders mit sozialkritischen Stücken hervortun; gastiert als erstes deutschsprachiges Theater in der Sowjetunion. Auf dem Repertoire stehen Cyankali von Friedrich Wolf und Revolte im Erziehungsheim von Peter Lampel sowie Die Mutter von  Bertolt Brecht.

Filmstill zu "Alwin der Letzte"

Gerhard Bienert in ALWIN DER LETZTE (R: Hubert Hoelzke, 1960) Fotograf: Eberhard Daßdorf

Filmstill zu "Emilia Galotti"

Maly Delschaft und Gerhard Bienert in EMILIA GALOTTI (R: Martin Hellberg, 1957) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

1922 bietet sich ihm erstmals die Gelegenheit, als Komparse beim Stummfilm zu arbeiten; ab 1928 wird er auch für größere Filmrollen engagiert. Nach zahlreichen kleineren Rollen feiert er mit dem proletarischen und zugleich einem der letzten großen Stummfilme von Phil Jutzi MUTTER KRAUSES FAHRT INS GLÜCK (1929) seinen ersten großen Erfolg. Eine Gruppe engagierter Künstler, darunter Paul Dessau, Käthe Kollwitz, Hans Baluschek und Otto Nagel, initiieren den Film nach Erzählungen von Heinrich Zille. Ihr Bestreben ist es, das Elend der Berliner Proletarier darzustellen. Gerhard Bienert verkörpert in breitem Berlinerisch den Schlafburschen und Zuhälter bei Mutter Krause, der die Sympathien der Zuschauer auf sich zieht. Diesen Typ des trocken-schnoddrigen, vitalen Berliners wird er Zeit seines Lebens darstellen. Auch in anderen sozial engagierten Produktionen der Zeit ist er dabei, so etwa in KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT (1932) von Slatan Dudow, wo er in einer S-Bahn-Sequenz den Mann mit Bärtchen gibt und politische Diskussionen führt.

Danach spielt Gerhard Bienert Nebenrollen in zahlreichen Filmen. Er ist der Schupo in DER BLAUE ENGEL (1930) unter der Regie von Josef von Sternberg, der kleine Gauner Klempner-Karl in dem Phil Jutzi-Film BERLIN-ALEXANDERPLATZ (1931) oder ein Kriminalsekretär in M - EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER (1931) von Fritz Lang. In DER MANN - DER SEINEN MÖRDER SUCHT (1930) und VORUNTERSUCHUNG (1931), beide in der Regie von Robert Siodmak, spielt er ebenfalls kleinere Polizisten, der Regisseur Georg Asagaroff befördert ihn in SCHACHMATT (1931) zum Kommissar. Selten erhält er größere Rollen, aber bei vielen herausragenden und wichtigen Produktionen der deutschen Filmgeschichte ist er dabei. Auch in einem der ersten nationalsozialisten Propaganda-Filmen wirkt er mit: MORGENROT (1932) von Gustav Ucicky. Der Schauspieler erkennt erst später, in welchem nationalistischen Streifen er mitgewirkt hat. Die Zeit der Nationalsozialisten übersteht er, indem er nicht auffällt: größere Rollen auf der Theaterbühnen bleiben ihm wegen seiner politisch suspekten Vergangenheit verwehrt. Der Film bietet ihm ein gesichertes Einkommen. Gerhard Bienert spielt größere Nebenrollen in zahlreichen Unterhaltungsstreifen, meistens Berliner Typen mit Herz und Schnauze. Von Beginn der Tonfilmzeit bis zum Zusammenbruch Hitlerdeutschlands ist der Schauspieler in circa 75 Filmen zu sehen.

Filmstill zu "Die Schönste"

Erik S. Klein und Gerhard Bienert in DIE SCHÖNSTE (R: Ernesto Remani, 1957 - 1959) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Filmstill zu "Blumen für den Mann im Mond"

Gerhard Bienert, Sven Grothe und Jutta Wachowiak in BLUMEN FÜR DEN MANN IM MOND (R: Rolf Losansky, 1974 - 1975) Fotografin: Christa Köfer

Nach dem Ende des Krieges arbeitet Gerhard Bienert an Theaterbühnen in Ost und West. Auch nach dem Mauerbau 1961 ist er einer der wenigen Westberliner Schauspieler, die an den Ostberliner Theatern weiterarbeiten. Bis zu seinem Tod ist er Ensemblemitglied des Deutschen Theaters; mit geringen Unterbrechungen spielt er 66 Jahre an dem renommierten Ensemble. Er agiert in Stücken von George Bernhard Shaw, Carl Zuckmayer, Bertolt Brecht sowie William Shakespeare und feiert auf der Bühne bis ins hohe Alter hinein Erfolge. Einer seiner größten ist der Advokat Bannermann in dem Berlin-Stück Zwei Krawatten von Georg Kaiser / Mischa Spolianski in der Inszenierung von Friedo Solter. Er sing Berliner Lieder, kauzig, forsch und schnoddrig. In Ein Lorbass von Horst Salomon (1967) stattet er seinen alten Arbeiter mit all seiner Lebenserfahrung aus. Geschätzt wird er als Protagonist, ohne ein Star zu sein. Manche der zahlreichen Theateraufführungen erhalten durch ihn Glanz, ohne das gleich sein Name fällt. Zu erwähnen sind dabei aus dem bürgerlichen Heldenleben die beiden Stücke von Carl Sternheim Die Hose und Der Snob.

Zahlreiche Beschäftigung findet Gerhard Bienert bei der DEFA und dem Fernsehen der DDR. In mehr als 80 Filmen nach 1945 hat er mitgearbeitet. Bei dem großen Propagandafilm ERNST THÄLMANN - SOHN SEINER KLASSE (1954) von  Kurt Maetzig ist er in einer Nebenrolle dabei. Aber er erhält auch große Rollen. In LISSY (1957) von  Konrad Wolf gibt er den sozialdemokratischen Vater, der zusehen muß, wie sein Sohn und sein Schwiergersohn von der SA angeworben werden. Neben Karin Huebner spielt er den alten Galotti in EMILIA GALOTTI (1957). Und er wird der Volksschauspieler Bienert, den seine Kollegen liebevoll Bienus nennen. Bis ins hohe Alter ist er bei Film und Fernsehen beschäftigt, spielt den alten Briest in der TV-Verfilmung des Romans von Theodor Fontane unter der Regie von Wolfgang Luderer. Gerhard Bienert zeichnet seine Charaktere präzise nach; selbst bei den kleinsten Figuren und in kurzen Auftritten ist dies zu spüren. Aufgrund seiner Leistungen wird er 1960 mit dem Kunstpreis der DDR ausgezeichnet. Außerdem erhält er 1965 und 1977 den Nationalpreis der DDR.

In erster Ehe ist Gerhard Bienert seit 1932 mit Barbara Hofen verheiratet. Die Ehe scheitert und nach fünf Jahren heiratet er die Schauspielerin Hilde Volk. Zum dritten Mal tritt er mit der Schauspielerin Inge Herbrecht vor den Altar. Die Familie lebt in Berlin-Zehlendorf. Er stirbt am 23. Dezember 1986 in Berlin im Alter von 88 Jahren.

Verfasst von Ines Walk. (Stand: August 2006)

Trailer zu LISSY (R: Konrad Wolf, 1957)

Auszeichnungen

  • 1960: Kunstpreis der DDR
  • 1965: Nationalpreis III. Klasse
  • 1977: Nationalpreis II. Klasse
  • 1978: Johannes R. Becher-Medaille

Literatur

  • Gerhard Bienert: Ja, aber du, Gerhard?, in: Renate Seydel (Hrsg.): ... gelebt für alle Zeiten, Henschel Verlag Berlin 1975.
  • o. A.: Gerhard Bienert, in: Ingeborg Pietzsch (Hrsg.): Garderobengespräche, Henschel Verlag Berlin 1982.
  • Lothar Creutz: Gerhard Bienert, in: Deutsches Theater. Bericht über 10 Jahre, Henschel Verlag Berlin 1957.
  • Martin Linzer: Gerhard Bienert, in: Renate Seydel (Hrsg.): Schauspieler, Henschel Verlag Berlin 1974.
  • Rainer Kerndl: Das Schönste für ihn sind immer neue Rollen - Gerhard Bienert wird heute 85 Jahre alt, in: Neues Deutschland, 08.01.1983.
  • Michael Hanisch: Hinter die Fassade des Menschen schauen, in: Horst Knietzsch (Hrsg.): Prisma 14, Henschel Verlag Berlin 1984.
  • Ursula Mewes: Erzkomödiant und Urberliner - Mit Gerhard Bienert durch 60 Jahre Theatergeschichte, in: Neues Deutschland, 01.04.1985.
  • Ilse Galfert: Ein Leben als politisch engagierter Schauspieler - Zum Tode des Charakterschauspielers Gerhard Bienert, in: Neues Deutschland, 29.12.1986.
  • Dieter Krebs: Gewaschen mit allen Spreewassern - Zum Tode des Schauspielers Gerhard Bienert, in: Berliner Zeitung, 30.12.1986.
  • Friedo Solter: Für Gerhard Bienert, in: Sonntag 03/1987.
  • Maria Capponi: Gerhard Bienert, in: epd Film 02/1987.
  • Ingeborg Pietzsch: In memoriam Gerhard Bienert, in: Filmspiegel 03/1987.
  • Wolfgang Gersch: Gerhard Bienert, in: Uta Berg-Ganschow, Wolfgang Jacobsen (Hrsg.): Film ... Stadt ... Kino ... Berlin, Argon Verlag 1987.
  • Hans-Michael Bock: Gerhard Bienert, in: cinegraph, Loseblattsammlung.
  • Dieter Reimer: Gerhard Bienert - ein Leben in tausend Rollen, nach Tonbandaufnahmen aufgezeichnet, Henschel Verlag Berlin 1989.
  • Ralf Schenk: Gerhard Bienert, in: Ralf Schenk (Hrsg.): Vor der Kamera - Fünfzig Schauspieler in babelsberg, Henschel Verlag Berlin 1995.
  • Detlef Friedrich: Kein Star. nur tausend Rollen - Charakter und Komödiant: Gerhard Bienert zum 100, in: Berliner Zeitung, 08.01.1998.
  • Dieter Reimer: Gerhard Bienert, in: Dieter Reimer: DEFA-Stars - Legenden aus Babelsberg, Militzke Verlag, Leipzig 2004.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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