Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Günter Jordan

Autor, Regisseur

* 17. Januar 1941 in Leipzig

Biografie

Günter Jordan

Foto: Duncan de Fey

Als Dokumentarist erkundet Günter Jordan wie viele seiner Kollegen Geschichte und sucht nach historisch weißen Flecken, die jenseits parteilich-dogmatischer Interpretation liegen. Eines seiner weiteren Themen wird die Selbsterfahrung Jugendlicher in der DDR. Neben seiner Arbeit als Regisseur und Autor macht er sich als Filmhistoriker einen Namen. Mit „Film- und Lichtspielwesen in der DDR. Daten - Fakten - Strukturen“ veröffentlicht er das wichtigste Nachschlagewerk über die institutionellen Zusammenhänge des Films in der DDR.

Günter Jordan wird am 17. Januar 1941 in Leipzig geboren. Er studiert nach seiner Schulausbildung Slawistik, Geschichte und Pädagogik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Das Studium beendet er 1963 und arbeitet danach drei Jahre als Lehrer. Dann beginnt er 1966 ein Sonderstudium für Regie an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg.

Seit 1969 ist er als Regie-Assistent im DEFA-Studio für Dokumentarfilme tätig. Zunächst arbeitet er unter anderem mit dem Dokumentaristen  Harry Hornig zusammen. So entsteht in gemeinsamer Regie das Porträt EWA - EIN MÄDCHEN AUS WITUNIA (1972) über eine junge polnische Arbeiterin, die im Kabelwerk Oberspree in Berlin arbeitet. Geschildert wird die Reise aus Polen nach Berlin, das Leben der Frau in dem fremden Land, nicht frei von Vorurteilen. Die Filmemacher stellen neben alltäglichen Fragen damit übergreifende zu den Beziehungen zwischen Deutschen und Polen. In LIEBE LIESBETH (1974) ist es eine 60jährige Arbeiterin eines Dresdner Großbetriebes, die die Filmemacher auf ihrem Weg in die Rente begleiten. Aus alltäglichen Aufnahmen, alten Fotos und zahlreichen Erinnerungen entsteht ein einfühlsames Bild vom Leben der Arbeiterfrau; es geht den Filmemachern um die Individualisierung der Person.

Filmstill zu "Copihuito"

COPIHUITO (R: Günter Jordan, 1977) Fotografen: Manfred Lösche, Michael Lösche

Filmstill zu "Die Kraniche fliegen im Keil"

DIE KRANICHE FLIEGEN IM KEIL (R: Günter Jordan, 1977) Fotograf: Manfred Gronau

Eigene Filme als Regisseur und Autor inszeniert Günter Jordan ab 1974. Es entsteht nach einem Drehbuch der Schriftstellerin Maxie Wander der Film EINE STADT WIRD GEBOR'N WIE EIN KIND (1976), der das Entstehen der Neustadt von Hoyerswerda thematisierst und Fragen nach der Lebensqualität in der Gesellschaft aufgreift. MATROSEN IN BERLIN (1978) schaut auf die Geschichte sowie die politische Entwicklung der Volksmarinedivision, die in Berlin stationierte revoltierende Matrosen während der Novemberrevolution bildeten.

Von 1976 bis 1986 ist Günter Jordan Mitglied der Gruppe Dokumentarfilme für Kinder. Gemeinsam mit Filmemachern wie  Konrad Weiß,  Ernst Cantzler und  Jochen Kraußer lotet er die Grenzen des Genres aus. Es entstehen zahlreiche Filme mit, über und für Kinder, wobei der Filmemacher unter anderem das jugendliche Selbstbewusstsein beobachtet und wie es sich unter den jeweiligen Bedingungen entwickeln kann. In COPIHUITO (1977) begleitet Günter Jordan chilenische Pioniere, die die Zeitschrift „Copihuito“ herausbringen. Als Kinder von chilenischen Exilanten leben sie in Berlin und wollen mit ihrem Engagement die Erinnerung an ihre Heimat für sich und andere wach halten. DIE KRANICHE FLIEGEN IM KEIL (1977) erscheint zum 30. Jahrestag der Gründung der Pionierorganisation. Er beobachtet Schüler einer 7. Klasse in ihrem Alltag und bei gesellschaftlichen Aktivitäten.

Der Dokumentarfilm BERLIN AUGUSTSTRASSE (1979) schaut auf die Berliner Spandauer Vorstadt, zu DDR-Zeiten eine Arbeiterwohngegend mit Altbauten. Vier Monate beobachtet der Filmemacher Fünft- und später Sechstklässler aus der damaligen Bertolt-Brecht-Oberschule in der Auguststraße; sie organisieren ein Schulfest, setzen sich mit ihrem Klassenlehrer auseinander und präsentieren ihre Vorstellungen vom Leben. Der Filmemacher porträtiert junge Persönlichkeiten, verzichtet auf einen Kommentar und lässt ihre Meinungen zu Wort kommen. Er präsentiert dem Zuschauer damit ein Gruppenbild sozialer Wirklichkeit, offen und erfrischend, eigenwillig und hintersinnig. Bei den Verantwortlichen kommt der Film nicht gut an: Er ist ihnen mit zu viel Milieu belastet und präsentiert das alte, statt neue Berlin. Günter Jordan reist selbst mit einer Kopie durchs Land, präsentiert und diskutiert über seinen Film vor Schülern sowie Lehrern.

Filmstill zu "Berlin - Auguststraße"

BERLIN - AUGUSTSTRASSE (R: Günter Jordan, 1979) Fotograf: Michael Albrecht

Filmstill zu "DEFA: Wurzeln"

DEFA: WURZELN (R: Günter Jordan, 1986)

Das Thema Jugendlicher in Berlin lässt ihn nicht los. Historisch geht er an die Wurzeln und schildert in KINDER VON NORDOST - BERLIN 1930 (1980) die Geschichte des Arbeiterkinderklubs „Nordost“, der 1930 in Berlin gegründet wurde. In der Folge entsteht die Studie EINMAL IN DER WOCHE SCHREIN (1982) über junge Leute am Helmholtzplatz im Berliner Prenzlauer Berg, die sich in „Willis Disko“ treffen. Impressionistisch wird das Selbstbewusstsein Jugendlicher eingefangen, sie thematisieren ihr Recht auf Selbstbestimmung. Der Dokumentarfilm kommt unter anderem wegen eines Liedes der Gruppe Pankow mit der Zeile „Immer um Erlaubnis fragen, gibt's denn gar nichts mehr zu wagen, wer will an der Leine geh'n, ich will selber denken, selber seh'n.“ auf den Index und wird erst im Oktober 1989 auf Antrag des Filmemachers gezeigt. Nach dem Zusammenbruch der DDR beobachtet er weiter Jugendliche, unter anderem in DIE MASSNAHME (1991/1994). Es geht um ein sozialpädagogisches Experiment mit Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen auf einem Wohnschiff an der Havel.

Neben den aktuellen Themen sind es historische Stoffe, die Günter Jordan interessieren. WURZELN (1986) blickt zum 40. Jahrestag der DEFA auf vier Jahrzehnte der ostdeutschen Filmproduktion zurück. Der Film MAX HOELZ (1989) dokumentiert die letzten Lebensjahre des deutschen Kommunisten und Revolutionärs. Neben Archivmaterial gibt es ein Interview mit Ariadna Hoelz-Tur, der Ehefrau von Hoelz. Der Film bemüht sich, die Ungeheuerlichkeiten der Stalin-Ära zu thematisieren. DIE VERLORENE ZEIT (1991) schaut auf den Politiker Anton Ackermann, der der Partei widerspricht, aber sie doch nicht ganz aufgeben kann. Letztlich zerbricht der Mann. Für Günter Jordan wird der Film, denn er 1989 beginnt, auch eine Abrechnung mit dem eigenen Land.

Neben seinen Filmarbeiten promoviert Günter Jordan an der Humboldt-Universität Berlin über „DEFA-Wochenschau und Dokumentarfilm 1946-1949: Neuer deutscher Film in der Nachkriegszeit zwischen Grundlegung und Wandel von Selbstverständnis, Funktion und Gestalt“. Neben Beiträgen in Bücher veröffentlicht er Artikel in Zeitschriften wie Sonntag, Filmspiegel, Film und Fernsehen, Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft sowie in Sammelwerken. Von 1982 bis 1988 ist er Vorstandsmitglied des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR.

Filmstill zu "Einmal in der Woche schrein"

EINMAL IN DER WOCHE SCHREIN (R: Günter Jordan, 1982) Fotograf: Michael Lösche

Filmstill zu "Einmal in der Woche schrein"

EINMAL IN DER WOCHE SCHREIN (R: Günter Jordan, 1982) Fotograf: Michael Lösche

Ab 1992 arbeitet Günter Jordan als freier Filmemacher und Filmhistoriker. Er ist an zahlreichen Publikationen zum Dokumentarfilm in der DDR beteiligt. Er untersucht die Arbeit von Filmemachern, Filmpolitikern und Künstlern, die in enger Beziehung zum Film stehen wie  Joris Ivens,  Hugo Hermann, Alfred Lindemann, Walter Janka,  Joop Huisken, Stephan Hermlin, Anton Ackermann und Falk Harnack. Zudem veröffentlicht er „Film- und Lichtspielwesen in der DDR. Daten - Fakten - Strukturen“. Zehn Jahre hat er an dem Werk gearbeitet. Akribisch werden Institutionen und Bereiche sowie deren Vernetzung aufgeführt, die mit dem Film zu tun hatten. Die umfangreiche Datensammlung ist das wohl wichtigste Nachschlagewerk über die institutionellen Zusammenhänge des Films in der DDR und ein work in progress, welches auf der  Website der DEFA-Stiftung veröffentlicht ist.

Als Lehrbeauftragter gibt er seine Erfahrungen an Studierende von 1990 bis 1993 an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg sowie 1992 an der Philipps-Universität Marburg weiter. Er hält zahlreiche Vorträge auf nationalen wie internationalen filmhistorischen Kongressen, spricht am Beispiel von Dokumentarfilmen über die „Arbeitswelt der DDR: Poesie und Analyse“ oder gibt Einführungen in Dokumentarfilme. Zudem ist er Kurator der Filmreihe „Deutschlandbilder Ost“ im Filmmuseum Potsdam und im Martin-Gropius-Bau Berlin, die 1998 stattfindet sowie der Reihe „Ernstfall Demokratie: Fundstücke für eine politische Kultur in Deutschland“ im Filmmuseum Potsdam und für die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung.

Günter Jordan lebt in Kleinmachnow.

Verfasst von Ines Walk (Stand: Januar 2015)

Auszeichnungen

  • 1979: COPIHUITO - Kinderfilmfestival Goldener Spatz: Diplom
  • 1981: KINDER VON NORDOST - Kinderfilmfestival Goldener Spatz: Sonderpreis
  • 1987: LEBENSLAUF - Kinderfilmfestival Goldener Spatz: Sonderpreis

Literatur

  • Günter Jordan: Konrad Wolfs Filme "Leute mit Flügeln", "Der geteilte Himmel" und "Ich war neunzehn" und ihre Bedeutung für die Gestaltung des sozialistischen Menschenbildes im DEFA-Gegenwartsfilm der siebziger Jahre, Diplomarbeit 1969, Standort: HFF Potsdam.
  • Günter Jordan, Klaus Richter de Vroe: Vom Bild der Gegenwart im Film für Kinder, in: Podium und Werkstatt: Schriftenreihe des Präsidiums des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR, Band 13, 1982.
  • Günter Jordan: Wochenschau und Dokumentarfilm 1946-1949/50, in: Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft 02/1982.
  • Günter Jordan: Das Geschichtsbild im dokumentarischen Kinderfilm, in: Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft 02/1983.
  • Günter Jordan: Der unbekannte Klassiker. Leo Hurwitz, in: Film und Fernsehen, 06/1983.
  • Günter Jordan: Alltag des Dokumentarfilms - Erinnerungen an die Jahre des Anfangs 1946-1950, in: Podium und Werkstatt: Schriftenreihe des Präsidiums des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR, Band 24, 1987.
  • Günter Jordan: DEFA-Wochenschau und Dokumentarfilm 1946-1949 - neuer deutscher Film in der Nachkriegsgesellschaft zwischen Grundlegung und Wandel von Selbstverständnis, Funktion und Gestalt, Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Humboldt Universität Berlin 1990, Standort: HFF Potsdam.
  • Günter Jordan: Erprobung eines Genres - DEFA-Dokumentarfilm für Kinder 1975-1990, Remscheid 1991.
  • Günter Jordan: LTH: Bildsucher und Radikaler. Zum Tod von Leo T. Hurwitz, in: Film und Fernsehen, 06+07/1991.
  • Günter Jordan: Etwas ist zu Ende. Dokumentarfilmdebatten im letzten Jahr der UdSSR, in: Augen-Blick 13, Marburg 1992.
  • Günter Jordan: DEFA's Der Augenzeuge: the Newsreel in East Germany, 1946-1949, in: Historical Journal of Film, Radio and Television, 1993.
  • Günter Jordan, Christiane Mückenberger: "Sie sehen selbst, Sie hören selbst ... " - eine Geschichte der DEFA von ihren Anfängen bis 1949, in: Aufblende: Schriften zum Film 07, Marburg 1994.
  • Günter Jordan, Ralf Schenk (Red.): Schwarzweiß und Farbe - DEFA-Dokumentarfilme 1946-92, Jovis 1996.
  • Günter Jordan: Zwischen zwei Briefen fünf Jahre und ein halbes Leben - Joris Ivens und die DEFA, in: Film und Fernsehen 01/1999.
  • Günter Jordan: Schatten vergangener Ahnen - Bilder aus der Arbeitswelt in ost- und westdeutschen Dokumentarfilmen der 60er & 70er Jahre, in: Film und Fernsehen 02/1999.
  • Günter Jordan: Hugo Hermann und der DEFA-Dokumentarfilm, in: Film und Fernsehen 03+04/1999.
  • Günter Jordan: Film in der DDR. Daten, Fakten, Strukturen, Filmmuseum Potsdam, Potsdam 2009.
  • Günter Jordan: Die Fabrik oder Der Fall Alfred Lindemann, in: Ralf Schenk, Erika Richter (Hrsg.): apropos: Film 2000, Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Bertz Verlag Berlin 2000.
  • Günter Jordan (Mitarbeit): Karl Hans Bergmann. Der Schlaf vorm Erwachen, Schriftenreihe der DEFA-Stiftung 2002.
  • Günter Jordan: Paul Robeson and Earl Robinson Sing for the GDR, in: The Ivens Magazine, Nijmegen: Joris Ivens Europease Stichtung, 2002.
  • Günter Jordan: Davidstern und roter Winkel. Das jüdische Thema in DEFA-Wochenschau und -Dokumentarfilm. DEFA und Holocaust, in: Ralf Schenk, Erika Richter (Hrsg.): apropos: Film 2002, Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Bertz Verlag Berlin 2002.
  • Günter Jordan: Die Stimme. Stephan Hermlin und der Film, in: Ralf Schenk, Erika Richter (Hrsg.): apropos: Film 2003, Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Bertz Verlag Berlin 2003.
  • Günter Jordan: Der Verrat oder der Fall Falk Harnack, in: Ralf Schenk, Erika Richter, Claus Löser (Hrsg.): apropos: Film 2005, Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Bertz Verlag Berlin 2005.
  • Günter Jordan: Der Fall K. Die Geschichte eines nicht gedrehten Filmes: Alfred Kantorowicz und das Ossietzky-Projekt, in: Ralf Schenk, Erika Richter, Claus Löser (Hrsg.): apropos: Film 2004, Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Bertz Verlag Berlin 2004.
  • Günter Jordan: The Film-Worker Joop Huisken (1901-1979), in: The Ivens Magazine, Nijmegen: Joris Ivens Europease Stichtung, 2010.
  • Günter Jordan: Zu den Anfängen zurück, um weiterzukommen - die Geburt des neuen DEFA-Dokumentarfilms, in: Stanjek, Klaus: Die Babelsberger Schule des Dokumentarfilms, Bertz + Fischer Berlin 2012.
  • Günter Jordan: Poesie statt Analyse? - DEFA-Dokumentarfilme aus der Arbeitswelt DDR, auf: defa-dokfilme.de
  • Günter Jordan: Das fehlende Stück, in: Andreas Kötzing (Hrsg.): "Die Sicherheit des Festivals ist zu gewährleisten!" - kritische Jugend, die Leipziger Dokfilmwoche und das Ministerium für Staatssicherheit, Halle 2014.
  • Gisela Harkenthal: Steiler Flug, tragisches Ende - Gespräch mit Günter Jordan über MAX HOELZ, in: Der Sonntag, 07.05.1989.
  • Ralf Schenk: Selber denken, selber sehen, in: Berliner Zeitung, 20.01.2011.

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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