Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Peter Reusse

Schauspieler

* 15. Februar 1941 in Teltow; † 11. Juni 2022

Biografie

Peter Reusse

in EIN IRRER DUFT VON FRISCHEM HEU (R: Roland Oehme, 1977) Fotograf: Klaus Zähler

Der Schauspieler Peter Reusse überzeugt in den 1960er und 1970er Jahren durch seine Jugendhaftigkeit, er spielt junge Charaktere unterschiedlichster Prägung. Eine deutsche Tageszeitung nennt ihn im Rückblick den „James Dean des Ostens“. Mit zwei Rollen wird der Darsteller in Erinnerung bleiben: als provokanter Oberschüler Peter Naumann in dem Verbotsfilm DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE (1965) und als Parteisekretär Mattes mit dem zweiten Gesicht in der unterhaltsamen Komödie EIN IRRER DUFT VON FRISCHEM HEU (1977).

Peter Reusse wird am 15. Februar 1941 in Teltow geboren. Nach seiner Schulausbildung will er Grafiker werden, bewirbt sich an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee. Doch dann entscheidet er sich um, beginnt mit 18 Jahren ein Schauspielstudium an der Babelsberger Filmhochschule. Nach vier Jahren 1963 schließt er das Studium mit Diplom ab. Danach ist er an verschiedenen Theatern des Landes beschäftigt: debütiert in Zeitz, spielt unter anderem in Brandenburg und Halle. Seit 1970 ist der Schauspieler fest am Deutschen Theater in Berlin angestellt. Dort ist er unter anderem der Claudio in Shakespeares „Maß für Maß“ und Lord Grey in „Richard III.“, Glimkin in Gorkis „Falscher Münze“ und der Bentham in „Juno und der Pfau“ von O'Casey.

Weiterhin ist die Jugendhaftigkeit des Schauspielers vor der Kamera gefragt. Peter Reusse debütiert in dem Film DAS RABAUKEN-KABARETT (1960) unter der Regie von  Werner W. Wallroth. Das Kabarett bringt einen thüringischen Schieferbau-Betrieb wieder in Schwung. Peter Reusse spielt ein Mitglied der jungen Truppe, auch in seinem nächsten Film agiert er in einer ähnlichen Rolle, gibt einen jungen Schüler. Der Film DIE AUS DER 12 B (1961) unter der Regie von Rudi Kurz erzählt von einer jungen Lehrerin, die sich die Achtung ihrer Klasse hart erkämpfen muss. Peter Reusse spielt den Schüler Lothar. In dem 36-minütigen Kurzfilm MONOLOG FÜR EINEN TAXIFAHRER (1962) von  Günter Stahnke stellt er einen werdenden Vater dar. Der Film mit  Fred Düren in der Hauptrolle des Taxifahrers wird erst 1990 aufgeführt.

Filmstill zu "Das Rabauken - Kabarett"

DAS RABAUKEN - KABARETT (R: Werner Wolfgang Wallroth, 1960) Fotografen: Karin Blasig, Josef Borst

Filmstill zu "Die aus der 12 B"

Peter Reusse und Justus Fritzsche in DIE AUS DER 12 B (R: Rudi Kurz, 1961) Fotograf: Hans Bernd Baxmann

Auch in seinen nächsten Filmen spielt er Schulkameraden bzw. jugendliche Mitstreiter. In BESCHREIBUNG EINES SOMMERS (1962) von  Ralf Kirsten gibt er einen der Kollegen der FDJ-Sekretärin Grit (gespielt von  Christel Bodenstein). Die verheiratete Frau hat sich in den Ingenieur Tom Breitsprecher ( Manfred Krug) verliebt. Die Kollegen empören sich, es kommt zu Auseinandersetzungen über die richtige Moral. In dem populären Film DIE ABENTEUER DES WERNER HOLT (1964) von Joachim Kunert agiert er neben der Hauptfigur Werner Holt (gespielt von  Klaus-Peter Thiele) wiederum als Schulkamerad. Er mimt einen jungen, sensiblen, künstlerisch-musikalischen Mann, der mit der Grobschlächtigkeit der Nationalsozialisten nichts anfangen kann.

Seine erste große Hauptrolle erhält der junge Schauspieler von  Frank Vogel. In dessen DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE (1965) spielt er den Oberschüler Peter Naumann, der in einem Schulaufsatz offen verkündet, dass er die „Republik nicht braucht“. Er wird von der Schule geworfen. Verständnis für seine Auflehnung gegen Heuchelei findet er nirgends, außer bei seiner Freundin - er zieht zu ihr aufs Land. Seine Zukunft ist ungewiss. In dem Film wird der „real existierende Sozialismus“ so gezeigt, wie er tatsächlich existiert, die Probleme der Nachkriegsjugend und die Schwierigkeiten unangepasster Jugendlicher in der Gesellschaftsordnung werden deutlich gemacht.

Allzu deutlich, denn der Film wird zwar noch einem Probepublikum - nach wenigen Testaufführungen und verschiedenen Änderungen des Schlusses - vorgeführt, dann aber für 25 Jahre in den Tresor verbannt. Ihm wird Skeptizismus sowie Verabsolutierung von Widersprüchen vorgeworfen. DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE (1965) ist einer der meist gerügten Filme jenes DEFA-Jahrgangs und kommt erst 1990 rekonstruiert zur Uraufführung.

 Filmstill zu "Die Abenteuer des Werner Holt"

Peter Reusse in DIE ABENTEUER DES WERNER HOLT (R: Joachim Kunert, 1964) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Filmstill zu "Denk bloß nicht, ich heule"

Herbert Köfer und Peter Reusse in DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE (R: Frank Vogel, 1965) Fotograf: Jörg Erkens

In der Folge wird der Darsteller wieder mit größeren Nebenrollen bei der DEFA bedacht. In der Komödie FRAU VENUS UND IHR TEUFEL (1967) von Ralf Kirsten ist er ebenso zu sehen wie in dem Episodenfilm GESCHICHTEN JENER NACHT (1967), in welchem von unterschiedlichen Menschen in Entscheidungssituationen am Tag des Mauerbaus erzählt wird. Auch in dem Musikfilm HOCHZEITSNACHT IM REGEN (1967) agiert er. Neben seinen Kinoarbeiten ist der Schauspieler auch im Fernsehen der DDR präsent. In den TV-Serien POLIZEIRUF 110 und DER STAATSANWALT HAT DAS WORT spielt er häufig mit.

Erst 1977 erhält Peter Reusse von der DEFA wieder eine Hauptrolle. In der Komödie EIN IRRER DUFT VON FRISCHEM HEU (1977) unter der Regie von  Roland Oehme ist er als LPG-Bauer und Parteisekretär Mattes aus Trutzlaff zu sehen. Er besitzt das zweite Gesicht, kann das Wetter vorhersagen, verschwundene Ehemänner finden und wundersame Dinge vollbringen. Seine Fähigkeiten werden vom Vatikan sowie von der Bezirksparteileitung in Gestalt von Frau Dr. Unglaube überprüft. Sie erliegt letztlich dem Charme Mattes'. Der Film zählt zu den erfolgreichsten des Jahres. Lustvoll und leicht wird über Gott und die Partei gefachsimpelt. Die zwei Hauptdarsteller Peter Reusse und Ursula Werner überzeugen mit ihrem komödiantischen Talent und einem guten Gespür für Situationskomik.

Wieder unter der Regie von Frank Vogel spielt er in EINE HANDVOLL HOFFNUNG (1977) den Verbrecher Dieter Wollnick, Chef einer Bande Krimineller, die von Raubüberfällen leben. Auch in dem Kriminalstück FAMILIENBANDE (1982) unter der Regie von  Horst E. Brandt tritt er als Bösewicht auf und mimt einen westdeutschen Antiquitätenhändler, der seinen ostdeutschen Bruder zum Verbrechen anstiftet. Beide Filme haben weder an den Kinokassen noch bei den Kritikern Erfolg.

Filmstill zu "Frau Venus und ihr Teufel"

Manfred Krug und Peter Reusse in FRAU VENUS UND IHR TEUFEL (R: Ralf Kirsten, 1967) Fotograf: Dieter Jaeger

Filmstill zu "Hochzeitsnacht im Regen"

Frank Schöbel und Peter Reusse in HOCHZEITSNACHT IM REGEN (R: Horst Seemann, 1967) Fotograf: Horst Blümel

Beim Fernsehen der DDR erhält der Schauspieler über Jahre hinweg anspruchsvolle Rollen, die ihm die Möglichkeit zur künstlerischen Profilierung geben. Erwähnt sei die Titelrolle in Bernhard Seegers FIETE STEIN (1970) sowie die Hauptrolle in HEIMKEHR IN EIN FREMDES LAND (1976) nach dem gleichnamigen Roman von Günter Görlich. In dem TV-Film ES GEHT EINER VOR DIE HUNDE (1983) wird nach der literarischen Vorlage von Otto Nagel die Geschichte eines jungen Schlossers aus Berlin erzählt, der in den 1930er-Jahren seinen Arbeitsplatz verliert und immer tiefer ins Elend sinkt.

In der siebenteiligen TV-Serie KIEZGESCHICHTEN (1987) überzeugt er als fast 40-jähriger Berliner Bauarbeiter Matti Wruck, der eigentlich die Stadt verlassen will. Aber der Kiez wird für Matti mehr als eine vorübergehende Bleibe. Häufig arbeitet der Schauspieler auch als Synchronsprecher und leiht seine Stimme Figuren in Hörspielen.

Während der Wende engagiert sich der Schauspieler politisch. Peter Reusse arbeitet im Bürgerkomitee zur Aufklärung der Stasiverbrechen mit, ist bei der großen Demonstration ostdeutscher Intellektueller am 4. November 1989 dabei. Nach dem Zusammenbruch der DDR ist der Schauspieler im gesamtdeutschen Fernsehen präsent. Er arbeitet unter anderem mit Iris Berben und Nadja Tiller zusammen, steht mit dem Sänger und Schauspieler Charles Aznavour vor der Kamera.

Filmstill zu "Die Toten bleiben jung"

Peter Reusse und Klaus-Peter Pleßow in DIE TOTEN BLEIBEN JUNG (R: Joachim Kunert, 1968) Fotografen: Dietram Kleist, Kishan Singh, Ferdinand Teubner

Filmstill zu "Trotz alledem! - Ein Film über Karl Liebknecht"

Peter Reusse in TROTZ ALLEDEM! - EIN FILM ÜBER KARL LIEBKNECHT (R: Günter Reisch, 1971) Fotograf: Klaus Mühlstein

Am 22. März 1993 bricht Peter Reusse bei den letzten Proben zu dem Theaterstück „Der Eismann kommt“ von Eugene O'Neill am Deutschen Theater zusammen. Er leidet kurzzeitig unter Gedächtnisverlust, danach bricht bei ihm eine Lebenskrise aus. Seitdem hat der Schauspieler keine Bühne mehr betreten, synchronisiert nicht, dreht keine Filme mehr. Er begibt sich in ärztliche Behandlung. Peter Reusse konzentriert sich auf seine anderen Talente, er malt und bildhauert. Außerdem schreibt und veröffentlicht er Gedichte, Geschichten, Romane und Drehbücher.

Peter Reusse ist mit der Schauspielerin Sigrid Göhler verheiratet. Sie spielt über Jahre die weibliche Kommissarin in POLIZEIRUF 110. Heute leitet sie das Besetzungsbüro einer Dresdener Filmproduktionsfirma. Ihr gemeinsamer Sohn Sebastian Reusse hat ebenfalls die Laufbahn der Eltern eingeschlagen.

Am 11. Juni 2022 stirbt Peter Reusse nach kurzer schwerer Krankheit.

Verfasst von Ines Walk.

Trailer zu EIN IRRER DUFT VON FRISCHEM HEU (R: Roland Oehme, 1977)

Literatur

Eigene Texte:

  • Peter Reusse: Ein junger Mann im Konflikt mit der sozialistischen Gesellschaft. Probleme der Gestaltung am Beispiel Thomas Nyvlet in Blazeks Komödie "Und das Heiligabend", Diplomarbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen, Fachbereich Schauspiel 1963.
  • Peter Reusse: Hier und drüben und drunter, Das Neue Berlin 1996.
  • Peter Reusse: Indian Sommer, Das Neues Berlin 1997.
  • Peter Reusse: Da capo für eine Leiche, Das Neues Berlin 1997.
  • Peter Reusse: Landgang. Reisetagebücher aus Island und Israel, Edition Ost 1999.
  • Peter Reusse: Der Eismann geht, Fischer Taschenbuchverlag 2001.

Fremde Texte:

  • Renate Biehl: Auf der Suche ... Der Schauspieler Peter Reusse, in: film-spiegel, 11/1977.
  • Lutz Hoyer: "Auf einem neuen Weg". Peter Reusse, einst einer der bekanntesten Schauspieler des Ostens, kommt nach seinem Zusammenbruch als Schriftsteller und Keramiker wieder, in: Die Woche, 14.03.1997.
  • Hans-Dieter Schütt: Vom Eise befreit. Autor und Schauspieler Peter Reusse über Träume, DDR-Leichenfeste und zwei Sätze, die nerven, in: Neues Deutschland, 16.11.1996.
  • Ilka Piepgras: Langsam kommt der Eismann zu sich: Der Berliner Schauspieler Peter Reusse hat zweieinhalb Jahre keine Bühne betreten. Allmählich ahnt er, wie es dazu kam, in: Berliner Zeitung, 04.11.1995.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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