Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Peter Voigt

Regisseur

* 26. Mai 1933 in Dessau; † 12. März 2015 in Berlin

Biografie

Viele der Dokumentarfilme von Peter Voigt sind Annäherungen an die jüngste deutsche Geschichte und an sich selbst. Die Geschichten, die er zeigt, bebildern nicht etwa ideologischen Prämissen und sind auch keine kinematografischen Beweise für irgendwelche Theorien. Vielmehr setzen sie darauf, dass seine ganz eigenen Erfahrungen, stellvertretend für viele andere sein können. Er findet einfühlsame Bilder und kleine subjektive Hinweise, in denen sich die Geschichte des letzten Jahrhunderts spiegelt. Unsentimental, feinfühlig, konkret und überaus subjektiv sind die Dokumentationen, die ihresgleichen in der DDR suchen.

Peter Voigt wird am 26. Mai 1933 in Dessau geboren. Er wächst im besetzten Polen auf. Nach seiner Schulausbildung, die er mit dem Abitur 1952 abschließt, beginnt er als Bühnenbildassistent an den Städtischen Bühnen in Leipzig zu arbeiten. Ein Jahr später geht er nach Berlin und ist dort am Berliner Ensemble bei Bertolt Brecht als Regie- und Dramaturgieassistent beschäftigt. Fünf Jahre sammelt er hier Erfahrungen, wird mit 22 Jahren der persönliche Assistent des Theaterregisseurs Peter Palitzsch.

Von 1959 bis 1961 arbeitet Peter Voigt als Phasenzeichner und Regisseur im DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden. Er überzeugt durch seine zeichnerischen Fähigkeiten. Nach zwei Jahren gibt er die Festanstellung auf und ist als freischaffender Regisseur unter anderem beim Fernsehen der DDR beschäftigt. Ab 1965 unterstützt er regelmäßig die Filme von  Walter Heynowski und Gerhard Scheumann. Als Co-Regisseur ist er unter anderem an den Dokumentationen PS ZUM LACHENDEN MANN (1966) und LIEBESBRIEFE (1965/66) beteiligt. In vielen Fällen ist es seine Aufgabe, die Ideen tricktechnisch umzusetzen. Falls kein Filmmaterial vorhanden ist, setzt er Photos zusammen, erstellt Grafiken und ähnliches.

Filmstill zu "Busch singt - Und weil der Mensch ein Mensch ist (Teil 6)"

BUSCH SINGT (R: Erwin Burkert, Konrad Wolf, Ludwig Hoffmann, Reiner Bredemeyer, Peter Voigt, 1982)

 Filmstill zu "Fotografien"

FOTOGRAFIEN (R: Peter Voigt, 1983)

Ab 1969 ist er als Regisseur und Autor im Studio H&S angestellt. Neben den beiden Hauptakteuren des Studios kann er insgesamt 29 eigene Dokumentarfilme bis 1977 im Studio produzieren. Dabei legt er eine große Bandbreite vor, inszeniert Porträts, Essays und Reportagen. In dem Interviewfilm EIN MANN SELTENER ART ... AUSSAGEN ÜBER HANS OTTO (1970) befragt er Freunde, Kollegen und Regisseure nach dem Schauspieler Hans Otto. In MARTHA LEHMANN (1972) porträtiert er eine Leipziger Eisenbahnerin, die in ihrer Freizeit Alltagsdokumente sammelt. In ihrem persönlichen Leben spiegeln sich die Ereignisse der Zeit. Mit der Dokumentation INTERNATIONALISTEN (1974) beginnt der Regisseur, verschiedene Themen mit Hilfe der Methode des Gruppenporträts umzusetzen. Zu der Reihe zählen THEATERARBEIT (1975), OHNE ARBEIT (1975), DIE GRUPPE FLOH DE COLOGNE (1976) sowie KONSEQUENZ (1986/87).

Zwischen 1977 und 1982 arbeitet Peter Voigt an anderen Projekten. Er beteiligt sich beispielsweise an der Gestaltung des Marx-Engels-Forums in Berlin und arbeitet an dem sechsteiligen Werk BUSCH SINGT (1982) mit, welches unter der Leitung von  Konrad Wolf entsteht. Nach dessen Tod bringt Peter Voigt gemeinsam mit Erwin Burkert das Projekt zu Ende. Die Filme überzeugen durch die Kombination von Bild und Ton, die sich einem musikalischen Rhythmus unterordnet. Die Montage von historischem Material und die packende Stimme Ernst Buschs tragen dazu bei – auf hineinziehende Weise – die große Geschichte einer individuelle Biographie zu erforschen.

1983, nach dem Eklat und der Rückführung des Studio H&S in das DEFA-Studio für Dokumentarfilme, arbeitet Peter Voigt erneut mit Walter Heynowski und Gerhard Scheumann zusammen und verwirklicht als festangestellter Regisseur des DEFA-Studios bis 1990 innerhalb dieser Formation abermals eigene Filme. Stilistisch geht er eigene Wege. Sind es bei Walter Heynowski und Gerhard Scheumann vorrangig Bebilderungen historischer Ereignisse, so illustriert er in seinen eigenen Werken kaum. Historisches Material verwendet er selten, denn seine Filme glauben an einen klugen Zuschauer, der zum einen das Bildmaterial längst in seinem Gedächtnis abgespeichert hat und außerdem zu eigenen Schlussfolgerungen und Assoziationen fähig ist.

Filmstill zu "Dämmerung - Ostberliner Boheme der 50er Jahre"

DÄMMERUNG - OSTBERLINER BOHEME DER 50ER JAHRE (R: Peter Voigt, 1992) Fotograf: Christian Lehmann

Filmstill zu "Dämmerung - Ostberliner Boheme der 50er Jahre"

DÄMMERUNG - OSTBERLINER BOHEME DER 50ER JAHRE (R: Peter Voigt, 1992) Fotograf: Christian Lehmann

Von 1983 bis 1991 ist er als Regisseur im DEFA-Studio für Dokumentarfilme tätig. Es sind wieder einfühlsame Porträts, mit denen der Regisseur auffällt. Dabei erforschen seine Arbeiten den eigenen Lebensweg – individuell und ganz persönlich. Mit großen historischen Ereignissen beschäftigt sich der Regisseur weiter, ist aber immer bemüht, diese in kleinen Zeichen zu entdecken. In SCHLACHTFELDER (1985) sucht er auf einer Reise nach Verdun und Stalingrad (Wolgograd) nicht nur nach Landschaften und Menschen, sondern führt durch diese beiden historischen Schauplätzte ihre Parallelität zusammen: die Unmenschlichkeit des Krieges und die Brüchigkeit des Friedens. In STEHEND AUF ZWEI GÄULEN – DER ANARCHIST ERNST MÜHSAM (1984) nähert er sich dem Schriftsteller und Revolutionär auf ungewöhnliche Weise. Peter Voigt folgt in STEIN SCHLEIFT SCHERE (1986) seiner persönlichen Geschichte, denkt über seine Kindheit im besetzten Polen zwischen 1939 und 1945 nach. Mit Versen eines Kinderreimes unterlegte er Episoden, durch die – damals noch ein Kind – seine eigene Verstrickung erkennenbar wird. Mit KNABENJAHRE (1989) führt er seine Erkundungen weiter. Vier Bürger der DDR, geboren zwischen den Jahren 1927 bis 1930, erinnern sich an ihre Kinder- und Jugendjahre im Hitlerreich: ein Pfarrer, ein Hauptabteilungsleiter, ein Psychologe, ein Bühnenbildner. In den Gesprächen konfrontiert der Regisseur die Befragten mit seinen eigenen Kindheitserfahrungen.

Der letzte Film, der unter seiner Regie im DEFA-Studio für Dokumentarfilme entsteht, ist WOFÜR STARB DIRK BOONSTRA (1990), der sich abermals mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzt. Die Filme Peter Voigts sind auch deshalb interessant, weil sie – beginnend Mitte der 1980er Jahre – erstmals Menschen aus der DDR vor die Kamera bringen, die nicht Opfer gewesen sind, sondern sich in ihrer Erinnerung an die nationalsozialistische Zeit ihren eigenen faschistischen Gedanken stellen müssen.

Seit der Abwicklung der DEFA arbeitet Peter Voigt wieder freischaffend. Er gehört zu den wenigen Regisseuren, die auch im gesamtdeutschen Film weiter tätig sind. Er bleibt seinem Thema treu, arbeitet weiter an einem Zyklus zur deutschen Geschichte. In der dreiteiligen Dokumentation WIELAND FÖRSTER (1992) berichtet der Bildhauer, Maler und Schriftsteller Prof. Wieland Förster – Vizepräsident der Akademie der Künste der ehemaligen DDR – über sein Leben. Zum ersten Mal kann er über seine Verhaftung in jungen Jahren und seine vierjährige Haft in Sowjet-Gefängnissen berichten. In METANOIA – BERICHTE DEUTSCHER MÄNNER (1991) führt der Regisseur die Gespräche mit den vier Personen aus KNABENJAHRE (1989) fort, fragt was aus den damaligen Hitlerjungen wurde. Auch mit DÄMMERUNG - OSTBERLINER BOHEME DER 50ER JAHRE (1992) liefert er einen ganz eigenen Blick auf einen Zeitzustand, an dem er als junger Mann teilgenommen hat.

Filmstill zu "Fotografien"

FOTOGRAFIEN (R: Peter Voigt, 1983)

Filmstill zu "Fotografien"

FOTOGRAFIEN (R: Peter Voigt, 1983)

In der Koproduktion von Arte und dem Sender Freies Berlin (SFB) findet er in DER ORT DIE ZEIT DER TOD. EIN HEIMATFILM (1994) am idyllischen Tollensesee in Mecklenburg zahlreiche Relikten von Faschismus, Weltkrieg und DDR-Sozialismus. Der Film BELLA ITALIA (1996) folgt den Spuren einiger deutscher Emigrantinnen und Emigranten ins faschistische Italien, wo sie überleben konnten. In FRÜHLINGSERWACHEN (2002) stellt er sich nochmals seiner eigenen Vergangenheit, berichtet aus eigenem Erleben von Existenzzwängen und Freiheiten in der Nachkriegs- und Postnazizeit.

In seinem Spätwerk beschäftigt sich Peter Voigt intensiv mit Bertolt Brecht, bei dem er in die Lehre gegangen ist. DER ZÖGLING (1998) thematisiert seine Assistenzzeit bei dem Theaterregisseur am Berliner Ensemble; EPISCHES THEATER (1998) verdeutlicht die Methode des Künstlers. Zum Anlass des 20. Todestages begibt sich der Regisseur in ICH BIN ERNST BUSCH (2000) auf Spurensuche. Nochmals nähert er sich im Auftrag der Akademie der Künste Berlin in seinem vorerst letzten Film dem Künstler: EINE HINTERLASSENSCAHFT (2004) reflektiert über eine wiederentdeckte Mappe Bertolt Brechts, in der er über Hitler, die Nazis und die Welt in Zeiten des Krieges nachdenkt. Zwei Filmentwürfe konnten bisher noch nicht realisiert werden: über Brechts Theaterfotografien und über den Künstler als Leser. Zu seiner Beziehung mit Brecht und was es bedeutet, als 20-jähriger mit einem Genie zusammenzuarbeiten, befragt ihn die Regisseurin Alexandra Czok in der 45-minütigen Dokumentation DER BEVORZUGTE – PETER VOIGT (2005).

Peter Voigt stirbt am 12. März 2015 im Alter von 81 Jahren in Berlin.

Auszeichnungen

  • 1983: BUSCH SINGT - Nationalpreis der DDR: II. Klasse (im Kollektiv)
  • 1986: STEIN SCHLEIFT SCHERE - Internationales Dokumentarfilmfestival Nyon: Nyon: Silberner Sesterze
    Internationales Dokumentarfilmfestival Nyon: Nyon: Preis der Ökumenischen Jury
  • 1989: KNABENJAHRE - Internationales Dokumentarfilmfestival Nyon: Silberner Sesterze
    Internationales Dokumentarfilmfestival Nyon: Nyon: Preis der Ökumenischen Jury

Literatur

  • Peter Voigt: Über die Verwendung von statischem Material, in: Filmwissenschaftliche Mitteilungen, 02/1967.
  • o. A.: Peter Voigt, in: Film in der DDR, Carl Hanser Verlag, München 1977.
  • Rolf Richter: Die Überzeugungskraft von Klarheit und Genauigkeit, in: Filmwissenschaftliche Mitteilungen, 01/1978.
  • Peter Voigt: Wozu Brecht für Dokumentaristen?, in: Mitteilungen des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden 04/1978.
  • Gisela Harkenthal: Sein Thema muß jeder selbst finden – Interview mit Peter Voigt, in: Filmspiegel 25/1983.
  • Hans-Jörg Rother: Aufgeregter Eulenflug in der Dämmerung, in: Neue Zeit, 27.12.1993.
  • Alice Agneskirchner: Erinnerung der anderen. Peter Voigt, Dokumentarfilmregisseur, in: Der Tagesspiegel, 30.11.1994.
  • Gisela Harkenthal: Wir meinen die Jetztzeit: Gespräch mit dem Dokumentaristen Peter Voigt, in: Filmspiegel 24/1985.
  • Martin Hübner: KNABENJAHRE - Dokumentarfilm von Peter Voigt, in: Film und Fernsehen 08/1989.
  • Martin Hübner: "Die Barbarei begann als Spiel", in: Film und Fernsehen 08/1989.
  • Henryk Goldberg: "Der Film, den keiner will?", in: Film und Fernsehen 09/1989.
  • Henryk Goldberg: Wir haben das alle verdrängt – Interview mit Peter Voigt, in: Film und Fernsehen 11/1989.
  • Klaus M. Fiedler: "KNABENJAHRE und die Fragen unserer Kinder", in: Neue Zeit, 21.11.1989.
  • Stefan Reinecke: Gespiegelte Erinnerung, in: Freitag, 51/1994.
  • Detlev Lücke, Kathrin Tiedemann: 100 Mark von Brecht – Interview mit Peter Voigt, in: Freitag, 06.02.1998.
  • Peter Voigt: Der Preis des Elitären. (Interview von Ingrid Poss mit Peter Voigt), in: Ingrid Poss, Christiane Mückenberger, Anne Richter (Hgg.): Das Prinzip Neugier. DEFA-Dokumentarfilmer erzählen. Berlin: Verlag Neues Leben 2012, S. 193-222.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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