Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Ralf Kirsten

Regisseur

* 30. Mai 1930 in Leipzig; † 23. Januar 1998 in Berlin

Biografie

am Filmset von "Unterm Birnbaum"

Ralf Kirsten

in UNTERM BIRNBAUM (R: Ralf Kirsten, 1973) Fotografen: Dieter Lück, Günther Sahr

Ralf Kirsten ist einer der wichtigsten Regisseure der DDR, stets bemüht er sich um eine komplexe Darstellung und Auseinandersetzung mit Problemen im realen Sozialismus. Einem größeren Publikum bleiben seine Lustspiele, die er mit Manfred Krug dreht, in Erinnerung. Zwischen beiden kommt es Mitte der 1960er Jahre zu einer Wesenseinheit, die in kurzer Zeit zu mehreren Publikumserfolgen führt und den Schauspieler zu einem der beliebtesten Darsteller der DDR macht.

Ralf Kirsten wird am 30. Mai 1930 in Leipzig geboren. Sein Vater ist Volksschullehrer. Nach seinem Abitur beginnt er eine Lehre als Elektro-Installateur in Leipzig-Markkleeberg. Zwei Jahre engagiert er sich dort, gründet unter anderem die dortige FDJ-Gruppe. Nachdem er seinen Facharbeiter gemacht hat, beginnt er 1950 ein Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach zwei Semestern wechselt er ans Theaterinstitut in Weimar. Von dort wird Ralf Kirsten 1952 an die Filmhochschule in Prag (FAMU) delegiert, wo er ein Regie-Studium absolviert.

Filmstill zu "Steinzeitballade"

Ralf Kirsten und Günter Haubold bei den Dreharbeiten zu STEINZEITBALLADE (R: Ralf Kirsten, 1960) Fotograf: Herbert Kroiss

Filmstill zu "Unterm Birnbaum"

Angelica Domröse, Ralf Kirsten und Erik S. Klein bei den Dreharbeiten zu UNTERM BIRNBAUM (R: Ralf Kirsten, 1973) Fotografen: Dieter Lück, Günter Sahr

Nach vier Jahren Studium dreht der junge Regisseur als Abschlussfilm den Kinderfilm BÄRENBURGER SCHNURRE (1956). Erzählt wird die Geschichte einer Gruppe von Kindern, die sich eine Badestelle wünschen. Da sich der Bürgermeister dagegen sträubt, nehmen sie die Sache selbst in die Hand. Die filmische Satire trägt durchaus anarchistische Züge. Danach erhält der Regisseur mit SKIMEISTER VON MORGEN (1957) die Gelegenheit, einen weiteren Kinder- und Jugendfilm herzustellen. Zwei Freunde, beide hervorragende Skifahrer, lernen im Wettstreit, dass Fairness höchstes Gebot ist. Da ein Vertrag mit der DEFA erst einmal nicht zustande kommt, arbeitet der Regisseur kurzzeitig im Bereich Jugendfernsehen und Dramatische Kunst beim Fernsehen der DDR, später ist er als Regie-Assistent bei den Filmen NUR EINE FRAU (1958) unter  Carl Balhaus und VERWIRRUNG DER LIEBE (1959) unter  Slatan Dudow beteiligt. Bei der deutsch-polnischen Gemeinschaftsproduktion BEGEGNUNG IM ZWIELICHT (1960) arbeitet er neben Wanda Jakubowska als Regisseur.

Seit 1960 ist Ralf Kirsten fest als Regisseur beim DEFA-Studio für Spielfilme angestellt. In den meisten Fällen schreibt er auch die Drehbücher zu seinen Filmen selbst. Als erstes inszeniert er nach einem Roman von Ludwig Turek die STEINZEITBALLADE (1960), eine Geschichte über eine Gruppe von Trümmerfrauen im Nachkriegsberlin, die langsam zu Hilfsbereitschaft und Solidarität untereinander zurückfinden. Das Lehrstück orientiert sich am Brechtschen Theater, wird als darstellerisch herausragend bezeichnet und als ungewöhnliches Filmexperiment gelobt.

Filmstill zu "Skimeister von morgen"

Thilo Rüger in SKIMEISTER VON MORGEN (R: Ralf Kirsten, 1957) Fotograf: Heinz Wenzel

Filmstill zu "Steinzeitballade"

Gisela Rimpler und Günter Naumann in STEINZEITBALLADE (R: Ralf Kirsten, 1960) Fotograf: Herbert Kroiss

Bereits mit seinem nächsten Film feiert Ralf Kirsten einen großen Publikumserfolg. AUF DER SONNENSEITE (1961) schildert frei nach der Biografie des Hauptdarstellers  Manfred Krug, die Geschichte des Stahlschmelzers Martin Hoff, der als Amateurschauspieler zur Schauspielschule delegiert wird, aber wegen seiner Aufmüpfigkeit schnell rausfliegt. Auf einer Baustelle findet er seine Liebe in Gestalt der Bauleiterin Ottile (gespielt von Marita Böhme) und bewährt sich zudem auch als Arbeiter und Schauspieler. AUF DER SONNENSEITE (1962) ist von leichter Hand inszeniert, setzt ganz auf die darstellerischen und musikalischen Qualitäten von Manfred Krug, der sich mit diesem Film endgültig als Star profiliert. Mehrfach werden Regisseur und Schauspieler zusammenarbeiten. Bereits im nächsten Film des Regisseurs steht der Darsteller wieder vor der Kamera. BESCHREIBUNG EINES SOMMERS (1962) setzt sich problemorientiert mit der Arbeits- und Alltagswelt auseinander. Auf einer Großbaustelle verlieben sich der Ingenieur Tom Breitsprecher und die FDJ-Sekretärin Grit (gespielt von  Christel Bodenstein) ineinander. Sie ist verheiratet. Als das Verhältnis an den Tag kommt, empören sich die Kollegen, es kommt zu Auseinandersetzungen über die richtige Moral. Die Liebesgeschichte ist in überzeugenden Bildern, menschlich nachvollziehbar gestaltet. In dem Abenteuerfilm MIR NACH, CANAILLEN! (1964) reitet und fechtet sich der Darsteller durch das Preußen um 1830, unwiderstehlich, selbstbewusst und witzig. Ralf Kirsten gelingt ein lebendiger, temporeicher und frischer Film. Als Tannenhäuser alias Hans Müller muss Manfred Krug in der Komödie FRAU VENUS UND IHR TEUFEL (1967) bei einem Sängerwettstreit im 13. Jahrhundert seine Kunst und Liebe beweisen.

Filmstill zu "Auf der Sonnenseite"

Marita Böhme und Manfred Krug in AUF DER SONNENSEITE (R: Ralf Kirsten, 1961) Fotograf: Alexander Schittko

Filmstill zu "Beschreibung eines Sommers"

Manfred Krug und Christel Bodenstein in BESCHREIBUNG EINES SOMMERS (R: Ralf Kirsten, 1962) Fotograf: Max Teschner

Danach arbeitet der Regisseur an dem Film DER VERLORENE ENGEL (1966-1971), einem Tag - den 24. August 1937 - im Leben des Bildhauers Ernst Barlach, der nach der Franz-Fühmann-Novelle „Das schlimme Jahr“ entsteht. Seine Figur „Schwebender Engel“ wird aus dem Dom zu Güstrow gestohlen. Dies ist Anlass für den Künstler, sich selbst zu befragen, seine Position als verfemter Künstler zu den Nationalsozialisten zu überdenken. Visuell überzeugend sind die Reflektionen umgesetzt. Der Film ist eines der wichtigsten Werke des Regisseurs – sicher inszeniert, optisch anschaulich und atmosphärisch dicht. Um so unverständlicher ist sein Verbot in Folge des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED. Die Anklage eines Künstlers gegen die nationalsozialistische Diktatur wird seitens der Filmverantwortlichen der DDR als Anklage gegen sich selbst gedeutet. Erst 1971, nach einer Bearbeitung durch den Regisseur, kommt DER VERLORENE ENGEL ohne großes Aufsehen in die Programmkinos.

Ende der 1960er Jahre greift Ralf Kirsten wieder auf einen gegenwärtigen Stoff zurück und dreht nach einem Buch von Eberhard Panitz den Film NETZWERK (1969). Ein alter Meister (gespielt von  Fred Düren) erleidet einen physischen Zusammenbruch. Bei Ehefrau, Vorgesetzten und Kollegen produziert dies Nachfragen, Beziehungsprobleme kommen auf den Tisch ebenso wie Konflikte aus der Arbeitswelt. Der Film bemüht sich um Stellungsnahme zu damals aktuellen Diskussionsstoffen, kann aber an den Kinokassen nicht überzeugen. EINE PYRAMIDE FÜR MICH (1975) widmet sich ebenfalls einem ähnlichen Thema. Hier erinnert sich der Professor Paul Satie an seine Zeit als Jugendbrigadier. Gemessen wird sein heutiges Leben an den ursprünglichen Vorstellungen. Die Gründer der DDR werden hier nicht romantisch verklärt sondern kritisch reflektiert. Der Film kommt erst nach angemahnten Überarbeitungen ins Kino. Nochmals greift der Regisseur dieses Thema in LACHTAUBEN WEINEN NICHT (1979) auf, der Film spielt wieder im Produktionsalltag. Eine Stahlschmelzerbrigade soll der Rationalisierung weichen. Die Männer sind verärgert über fehlende Informationen. Sie wollen Mitspracherecht. Es kommt zu offenen Auseinandersetzungen mit der Betriebsleitung. Der Film wirkt authentisch, ist dicht an der Realität inszeniert und schauspielerisch bedeutsam, insbesondere Uwe Kockisch überzeugt in seiner ersten großen Rolle als Rolf Ziener.

Filmstill zu "Mir nach, Canaillen!"

Manfred Krug und Monika Woytowicz in MIR NACH, CANAILLEN! (R: Ralf Kirsten, 1964) Fotograf: Horst Blümel

Filmstill zu "Frau Venus und ihr Teufel"

Inge Keller in FRAU VENUS UND IHR TEUFEL (R: Ralf Kirsten, 1967) Fotograf: Dieter Jaeger

Nach zwei Literaturadaptionen klassischer Stoffe, DIE ELIXIERE DES TEUFELS (1972) nach E. T. A. Hoffmann und UNTERM BIRNBAU (1973) nach Theodor Fontane bearbeitet Ralf Kirsten erneut jüngste deutsche Vergangenheit mit dem Kammerspiel ICH ZWING DICH ZU LEBEN (1977) nach der Erzählung „Gambit“ von Karl Sewart.  Rolf Ludwig spielt den Lehrer Werner Grübler, der sich in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, für seinen fanatischen Sohn opfert. Er fesselt seinen halbwüchsigen Sohn, der den Heldentod für den Führer sterben will, und versteckt sich mit ihm in einer Erdhütte im Wald. Dem Regisseur gelingt ein bewegendes Plädoyer gegen den Krieg, schauspielerisch bemerkenswert.

Eine aufwendige und staatlicherseits hoch beachtete Produktion dreht Ralf Kirsten Mitte der 1980er Jahre mit WO ANDERE SCHWEIGEN (1984). Zehn Tage im Leben der der Kommunistin Clara Zetkin (gespielt von Gudrun Okras) werden geschildert. Sie ist auf dem Weg nach Berlin, um dort die Rede als Alterspräsidentin des Reichstags zu halten, in der sie zum Widerstand gegen den deutschen Nationalsozialismus aufruft. Mit seinem letzten Film, der Künstlerbiografie KÄTHE KOLLWITZ - BILDER EINES LEBENS (1986), versucht der Regisseur an den Ernst-Barlach-Film anzuknüpfen. Erinnerungsbilder der Bildhauerin werden mit den politischen Ereignissen der jeweiligen Zeit verbunden. Auch hier reflektiert eine Künstlerin (gespielt von  Jutta Wachowiak) über ihre Rolle.

Filmstill zu "Ich zwing dich zu leben"

Peter Welz und Rolf Ludwig in ICH ZWING DICH ZU LEBEN (R: Ralf Kirsten, 1977) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Filmstill zu "Käthe Kollwitz - Bilder eines Lebens"

Jutta Wachowiak in KÄTHE KOLLWITZ - BILDER EINES LEBENS (R: Ralf Kirsten, 1986) Fotograf: Norbert Kuhröber

Seit den 1970er Jahren arbeitet der Regisseur auch für das Fernsehen der DDR. In dem Zweiteiler ZWEI BRIEFE AN POSPISCHIEL (1970) ist der Vater des westdeutschen Bergarbeiters Paul Pospischiel (gespielt von  Günther Simon) 1938 verraten und ins Konzentrationslager gebracht worden. Der Mann, der seinen Tod verschuldete, ist jetzt bekannt. Pospischiel auf den Weg, um sich seiner Vergangenheit zu stellen. JUNGER MANN (1971) schildert den Lebensweg eines jungen Mathematikers zum gereiften Wissenschaftler.

Nach dem Zusammenbruch der DDR und dem Ende der DEFA kann der Regisseur keinen Film mehr drehen. Neben seiner Tätigkeit für Film und Fernsehen lehrt Ralf Kirsten als Regie-Dozent an der Hochschule für Film und Fernsehen.

Ralf Kirsten stirbt im Alter von 67 Jahren in Berlin.

Zusammengestellt von Ines Walk.

Trailer zu EINE PYRAMIDE FÜR MICH (R: Ralf Kirsten, 1975)

Auszeichnungen

  • 1962: AUF DER SONNENSEITE - Heinrich-Greif-Preis I. Klasse im Kollektiv
  • 1962: AUF DER SONNENSEITE - Literaturpreis des FDGB
  • 1971: NETZWERK - Heinrich-Greif-Preis I. Klasse
  • 1978: Verdienstmedaille der DDR
  • 1980: LACHTAUBEN WEINEN NICHT - Heinrich-Greif-Preis I. Klasse im Kollektiv
  • 1984: Nationalpreis II. Klasse
  • 1985: WO ANDERE SCHWEIGEN - Kunstpreis des FDGB im Kollektiv

Literatur

Eigene Texte:

  • Ralf Kirsten: Sieben Fragen an mich selbst, in: Film und Fernsehen, Nr. 09/1984.
  • Ralf Kirsten: Wir spielen mal was vor. Eine Dokumentation, zusammengestellt von Ruth Herlinghaus, Madina Spoden, in: Aus Theorie und Praxis des Films, Nr. 04/1986 (Gesammelte Aufsätze, Film-Konzepte, Werkstattgespräch).

Fremde Texte:

  • Michael Hanisch: Ralf Kirsten: Erfolg mit Gegenwartsfilmen, in: Sonntag, Nr. 44, 29.10.1972.
  • Gerd Meier: Die bessere Sache besser vertreten, in: Film und Fernsehen, Nr. 01/1978 (Gespräch).
  • Günter Sobe: Kunst ist Fiktion oder: Wir spielen mal was vor, in: Berliner Zeitung, 15./16.04.1978. (Interview).
  • Erika Pick: Wirklichkeit ist keine Idylle, in: Film und Fernsehen, Nr. 10/1979 (Gespräch).
  • Konrad Schwalbe: Ralf Kirsten, Die Gegenwart ernsthaft und unterhaltsam, in: Rolf Richter (Hrsg.): DEFA-Spielfilm-Regisseure und ihre Kritiker. Band 1. Berlin Henschel Verlag, 1981.
  • Ingeborg Zimmerling: WO ANDERE SCHWEIGEN von Ralf Kirsten, in: Filmspiegel 20/1984.
  • Helmut Lange: Gespräch mit Ralf Kirsten und Michael Schatrow, in: Filmspiegel 22/1984.
  • o. A: Käthe Kollwitz - Bilder eines Lebens. Werkstatt-Erfahrungen, zusammengestellt von Ruth Herlinghaus, Madina Spoden, in: Aus Theorie und Praxis des Films, Nr. 05/1987 (Treatment, Äußerungen von Beteiligten, Schriften von K. Kollwitz).
  • Dieter Wolf: KÄTHE KOLLWITZ - BILDER EINES LEBENS, in: Film und Fernsehen, Nr. 04/1987 (Gespräch).
  • Astrid Kuhlmey: Eines ergab sich aus dem anderen – Gespräch mit dem DEFA-Regisseur Ralf Kirsten, in: Berliner Zeitung, 18.04.1987.
  • Ralf Schenk: Kammerspiele auf der Sonnenseite – Der Babelsberger Filmregisseur Ralf Kirsten wird heute 65 Jahre alt, in: Neues Deutschland, 30.05.1995.
  • Karl-Heinz Jakobs: List und Ellenbogen – Der Filmregisseur Ralf Kirsten starb im Alter von 67 Jahren, in: Neues Deutschland, 27.01.1998.
  • o. A.: Sommer und Sonne – Der Heiterkeitslieferant: Zum Tode des DEFA-Regisseurs Ralf Kirsten, in: Der Tagesspiegel, 27.01.1998.
  • Ralf Schenk: Selten auf der Sonnenseite – Zum Todes des Filmregisseurs Ralf Kirsten, in: Berliner Zeitung, 27.01.1998.
  • o. A.: DEFA-Regisseur Ralf Kirsten tot, in: Die Welt, 27.01.1998.
  • Dieter Wolf: Nicht mehr auf der Sonnenseite – Regisseur Ralf Kirsten gestorben, in: Märkische Allgemeine Zeitung, 28.01.1998.
  • Dieter Wolf: Ralf Kirsten, in: Film und Fernsehen, Nr. 01/1998.
  • Ralf Schenk: Ralf Kirsten, in: film-Dienst, Nr. 04/1998.
  • Hans-Michael Bock, Ingrun Spazier: Ralf Kirsten, in: cinegraph, Loseblattsammlung.
  • Sven Rößler, Norgand Schwarzlose, Timo Streubel: Politik und Liebe: Zu Ralf Kirstens Film BESCHREIBUNG EINES SOMMERS, in: Klaus Finke (Hrsg.): Politik und Mythos – Kader, Arbeiter und Aktivisten im DEFA-Film, Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg 2002.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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