Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Käthe Reichel

Schauspielerin

* 3. März 1926 in Berlin; † 19. Oktober 2012 in Buckow

Biografie

Filmstill zu "Die Verlobte"

Käthe Reichel

in DIE VERLOBTE (R: Günter Reisch, Günther Rücker, 1980) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Die Schauspielerin Käthe Reichel erlangt als Brecht-Interpretin national und international große Bekanntheit. Sie ist eine Theater-Legende, die wie keine andere über den sparsamen Gestus der einfachen Menschen verfügt, der gepaart mit sozialer Genauigkeit die Zuschauer erreicht. Neben ihrer künstlerischen Arbeit ist Käthe Reichel bekannt als Streiterin für Menschenwürde, Frieden und Menschenrechte.

Käthe Reichel wird am 3. März 1926 in Berlin als Waltraut Reichelt geboren. Aus einfachen Verhältnissen stammend, wächst sie in Berlin-Mitte in einem Hinterhof auf. Als Kind verkauft sie Fische in der Markthalle. Nach ihrer Schulausbildung lernt sie den Beruf einer Textilkauffrau.

Ohne eine schauspielerische Ausbildung erhält sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein Engagement am Theater in Greiz, spielt später in Gotha und Rostock. 1950 entdeckt sie  Bertolt Brecht und holt sie ans Berliner Ensemble. Hier zählt die junge Schauspielerin bald zu den wichtigsten Protagonisten des Hauses. Unter der Regie von Brecht und Benno Besson verkörpert sie große Rollen. Ihre erste Figur wird das Gustchen in „Der Hofmeister“ von Jakob Michael Reinhold Lenz. Später gibt sie das Gretchen in „Urfaust“ nach Johann Wolfgang von Goethe, spielt die Jeanne d'Arc in „Der Prozess der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431“ nach Anna Seghers und 1954 die Natella Abaschwili in Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“.

Filmstill zu "Wie heiratet man einen König"

Alfredo Lugo und Käthe Reichel in WIE HEIRATET MAN EINEN KÖNIG (R: Rainer Simon, 1968) Fotografen: Hans Hattop, Wolfgang Reinke

Filmstill zu "Du und ich und Klein-Paris"

Käthe Reichel und Klaus-Dieter Henkler in DU UND ICH UND KLEIN-PARIS (R: Werner Wolfgang Wallroth, 1970) Fotograf: Wolfgang Ebert

Einen Namen macht sich Käthe Reichel durch ihre Brecht-Arbeiten. Es ist ihre direkte, unverbildete und etwas kindliche Sicht auf die Welt, die überzeugt. Die kleine und robuste Käthe Reichel wirkt resolut, klug und zugleich naiv.

Mit „Der kaukasische Kreidekreis“, diesmal in der Rolle der Grusche, tritt sie in Frankfurt am Main auf. Hierhin verflichtet sie kurze Zeit später Benno Besson, der sie auch als Shen Te beziehungsweise Shui Ta in „Der gute Mensch von Sezuan“ und 1961 als Titelheldin Johanna Dark in „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ besetzt. Die Rolle der Heiligen Johanna begleitet Käthe Reichel über ihre gesamte künstlerische Schaffenszeit. Sie erkundet die Figur von verschiedenen Seiten: Bernard Shaws „Heilige Johanna“ in Mannheim und Wuppertal, Bertolt Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ in Frankfurt, Stuttgart, Cottbus und Rostock. In den 2000er-Jahren trägt sie den Stoff in einem Solostück vor.

Ab 1961 arbeitet Käthe Reichel am Deutschen Theater in Berlin. Unter der Regie von Wolfgang Langhoff entwickelt sie in „Minna von Barnhelm“ von Ephraim Lessing ein neues, emanzipiertes Frauenbild. Zu ihren wichtigsten Rollen zählen die Nachbarin in Sean O'Caseys Bühnenstück „Juno und der Pfau“ (1972) unter Adolf Dresen sowie die Botin in Sophokles'/Hölderlins/Heiner Müllers „Oedipus Tyrann“, die sie 1976 wieder unter der Regie von Benno Besson spielt. Käthe Reichel ist bald als freie Künstlerin tätig, nicht nur im Deutschen Theater Berlin, sondern auch in Frankfurt, Stuttgart und Hamburg. Sie agiert in Stücken von Brecht, Hebbel, Kleist, Horváth und Handke. Zu ihren großen Erfolgen gehören auch Lesungen der Georg-Büchner-Novelle „Lenz“ und aus Christa Wolfs Erzählung „Kassandra“.

Filmstill zu "Die Legende von Paul und Paula"

Käthe Reichel und Heidemarie Wenzel in DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA (R: Heiner Carow, 1972) Fotografen: Herbert Kroiss, Manfred Damm

Filmstill zu "Johannes Kepler"

Katharina Thalbach und Käthe Reichel in JOHANNES KEPLER (R: Frank Vogel, 1974) Fotografen: Detlef Hertelt, Waltraut Pathenheimer

Mit Beginn der 1950er-Jahre steht Käthe Reichel auch vor der Kamera. Ihr Debüt gibt sie in einer kleinen Rolle für den Film CORINNA SCHMIDT (1951) unter der Regie von  Arthur Pohl. Danach konzentriert sich die Schauspielerin wieder auf ihre Theaterarbeit. Erst Ende der 1950er-Jahre ist sie wieder auf der Leinwand präsent: Unter der Regie von Herbert Fischer nun im Film DIE FESTSTELLUNG (1958) als Mechanikerin. Es dauert wieder zehn Jahre, bis Käthe Reichels nächste Filmrolle folgt. In dem überzeugenden und kinowirksamen Märchenfilm WIE HEIRATET MAN EINEN KÖNIG (1968) von  Rainer Simon spielt sie die Bäuerin Ulrike, die sich ungläubig in der Hochzeitsnacht des Königs vom Narren Liebesschwüre anhört.

Danach arbeitet Käthe Reichel regelmäßiger beim Film. Es sind nie die großen Rollen, die sie erhält. Aber ihre vielfach skurrilen Gestalten, die zahlreichen Volksfiguren, die sie verkörpert, bleiben durch ihre Spielweise den Zuschauern in Erinnerung. Als Sachbearbeiterin in NEBELNACHT (1968) von  Helmut Nitzschke, als Wirtin der Studentin Karin in MEIN LIEBER ROBINSON (1970) von  Roland Gräf, als Lucie Matewsky, genannt ‚Goldlucie‘, in LEICHENSACHE ZERNIK (1972) oder als schrille Ehefrau des Schießbudenbesitzers und Mutter der schönen Ines in DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA (1972).

Besondere Aufmerksamkeit erregt die Darstellerin in DIE VERLOBTE (1980) unter der Regie von  Günter Reisch und  Günther Rücker. Hier spielt sie die Zuchthausleiterin Olser, die sich von der Kommunistin Hella Lindau überrascht zeigt. Sie leitet das Frauen-Zuchthaus schon zu Zeiten der Weimarer Republik und arrangiert sich mit dem System der Nationalsozialisten. Dabei macht Käthe Reichel die inneren Widersprüche der Person deutlich. Für ihre darstellerische Leistung wird sie als Beste Nebendarstellerin beim Nationalen Spielfilmfestival ausgezeichnet.

Filmstill zu "Glück im Hinterhaus"

Dieter Mann, Ute Lubosch und Käthe Reichel in GLÜCK IM HINTERHAUS (R: Herrmann Zschoche, 1979) Fotograf: Herbert Kroiss

Filmstill zu "Jadup und Boel"

Käthe Reichel in JADUP UND BOEL (R: Rainer Simon, 1980/81) Fotograf: Wolfgang Ebert

Eine ihrer wenigen Hauptrollen spielt Käthe Reichel in dem TV-Film MUHME MEHLE (1980), den  Thomas Langhoff nach einer Vorlage von Ruth Werner in Szene setzt. Neben ihrer Theater- und Filmarbeit arbeitet Käthe Reichel auch als Sprecherin für den Hörfunk. Sie leiht ihre Stimme zahlreichen Hörspielfiguren. Außerdem erscheint eine Audio-CD mit Lesungen der Texte von Christa Wolf. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen  Carmen-Maja Antoni und Katharina Thalbach liest sie die erfolgreichen „Vagina-Monologe“ von Eve Ensler.

Die künstlerische Arbeit von Käthe Reichel ist mit großem politischem und sozialem Engagement verbunden. 1976 sammelt sie Unterschriften gegen die Ausbürgerung des Künstlers Wolf Biermann. In der Wendezeit ist sie eine der Mitorganisatorinnen der Demonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz und hält eine Rede für Freiheit und Demokratie.

1995 ruft sie während des Tschetschenienkrieges zusammen mit Heiner Müller zur Aktion „Mütter, versteckt eure Söhne“ auf. Für das „Komitee der Soldatenmütter Russlands“ sammelt sie Unterschriften. Die Organisation erhält 1996 den alternativen Friedensnobelpreis. Ferner initiert Reichel Spendenaktionen für kriegsverzehrte Dörfer in Vietnam. Ihre politische Meinung äußert die Künstlerin in zahlreichen Artikeln, häufig schreibt sie offene Briefe. 2000 wird Käthe Reichel mit dem Menschenrechtspreis der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde ausgezeichnet.

Käthe Reichel stirbt am 19. Oktober 2012 in Buckow.

Verfasst von Ines Walk.

Original-Kinotrailer zu DIE VERLOBTE (R: Günter Reisch, Günther Rücker, 1980)

Auszeichnungen

  • 1982: DIE VERLOBTE - Nationales Spielfilmfestival der DDR: Beste Nebendarstellerin

Literatur

Eigene Texte:

  • Käthe Reichel: Aus Hoffnung, in: Renate Seydel (Hrsg.): Schauspieler erzählen ... über sich und andere, Henschel Verlag Berlin, 1978.
  • Käthe Reichel: Ein offener Brief an Rita Süssmuth, in: Neues Deutschland, 7. März 1994.
  • Käthe Reichel: Ein offener Brief an Wolf Biermann, in: Neues Deutschland, 30. November 1994.
  • Käthe Reichel: Die Mütter von Moskau. Vorschlag für einen Friedensnobelpreis, in: Freitag, 21. April 1995. (mit Interview)
  • Käthe Reichel: Ein offener Brief an Hillary Clinton, in: Neues Deutschland, 29. August 1995.
  • Käthe Reichel: Für wie blöd halten die uns?, in: Neues Deutschland, 20. Juni 1998
  • Käthe Reichel: Gegen das offizielle Blabla über den Faschismus, in: Ossietzky, 8. September 2000.
  • Käthe Reichel: Mit Asche im Munde, in: Ossietzky, 1. Januar 2002.
  • Käthe Reichel: Intifada in Erfurt, in: Ossietzky, 10/2002.
  • Käthe Reichel: ... weiß der Wolf, in: Ossietzky, 19/2002.
  • Käthe Reichel: Saubere deutsche Sache, in: Ossietzky, 22/2004.
  • Käthe Reichel: Mit diesem kleinen Ton im Hals - LIED VON DER GROSSEN KAPITULATION -Warum ist der Osten so ruhig?, in: Der Freitag, 18. Juli 2003.
  • Käthe Reichel: Verehrter Brecht, Europäische Verlagsanstalt 2004.

Fremde Texte:

  • Ursula Mewes: Die Kochkunst der Käthe Reichel, in: Neues Deutschland, 3. März 1986.
  • Ernst Schumacher: Der stille Schrei bekam von ihr einen Ton. Die Schauspielerin Käthe Reichel wird am morgigen Sonntag 65 Jahre alt, in. Berliner Zeitung, 2. März 1991.
  • Julia Michels: Das weiche Wasser göhlt den harten Stein. Käthe Reichel las an ihrem 65. Geburtstag Grass, in: Die Welt, 4. März 1991.
  • Wolfgang Hübner: Personalien – Aufrecht, in: Neues Deutschland, 3. April 1995.
  • Detlef Friedrich: Aus Freiheit kroch Frechheit. Eine Kassandra wird 70: Käthe Reichel liest an ihrem Geburtstag im Deutschen Theater Texte von Heiner Müller, in: Berliner Zeitung, 1. März 1996.
  • Andreas Rossmann: Jeanne d'Arc östlich. Die Schauspielerin Käthe Reichel wird siebzig, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. März 1996.
  • Monika Buschey: „Kind, wir nehmen dich“ – Porträt der Schauspielerin Käthe Reichel, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 2. März 1996.
  • Gerhard Ebert: Das Dramatiker-Wort war ihr längst nichts mehr. Der Schauspielerin Käthe Reichel zum 70. Geburtstag, in: Neues Deutschland, 2. März 1996.
  • Volker Oesterreich: Deutsches Theater ehrt Käthe Reichel zum 70. Geburtstag, in: Berliner Morgenpost, 2. März 1996.
  • Christoph Funke: Rauher Grund. Der Schauspielerin Käthe Reichel zum 70. Geburtstag, in: Der Tagesspiegel, 3. April 1996.
  • Wolfgang Richter: Singe den Zorn. Laudatio für Käthe Reichel, in: Junge Welt, 20. Dezember 2000.
  • Christoph Funke: Der gute Mensch von Berlin. Zum 75. Geburtstag von Käthe Reichel, in: Der Tagesspiegel, 3. März 2001.
  • Gerhard Ebert: Macherin der Wahrheit – Käthe Reichel wird 75 Jahre alt, in: Neues Deutschland, 3. März 2001.
  • Katrin Lange: Einfach so Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ spielt Käthe Reichel als Ein-Frau-Theater, in: Junge Welt, 3. März 2001.
  • Volker Müller: Die schrille Friedensmutter Courage, in: Berliner Zeitung, 3. Oktober 2001.
  • Eckart Spoo: Käthe Reichels Dorf Ai Tu, in: Ossietzky, 04/2002.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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