Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Ulrich Mühe

Schauspieler

* 20. Juni 1953 in Grimma; † 22. Juli 2007 in Walbeck

Biografie

Ulrich Mühe

in HÄLFTE DES LEBENS (R: Herrmann Zschoche, 1984) Fotograf: Jörg Erkens

Ulrich Mühe hat sich seinen Platz in der deutschen Filmgeschichte bereits frühzeitig gesichert. Durch seine feinfühligen Darstellungen im Film und auf der Bühne zählt er derzeit zu den wichtigsten deutschsprachigen Schauspielern, die auch international Beachtung finden. Wie ihm Kritiker bescheinigen, gehört er zu jenen Darstellern, die die Sensibilität der Figuren bereits als Aura einbringen. Die Auswahl seiner Rollen beim Theater und auf der Leinwand zeugt von großer Wandelbarkeit, bisweilen agiert er einfühlsam und verletzlich, einige Male tritt er schneidend scharf auf, in den meisten Fällen sind seine Darstellungen ein Erlebnis.

Ulrich Mühe wird am 20. Juni 1953 in Grimma, Sachsen als Friedrich Hans Ulrich Mühe geboren. Sein Vater verdient seinen Lebensunterhalt als Kürschnermeister. Nach seiner Schulausbildung und einer Lehrausbildung mit Abitur als Baufacharbeiter absolviert er einen eineinhalbjährigen Wehrdienst. Ab 1975 studiert Ulrich Mühe an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig. Bereits während seines Studiums sammelt er erste Bühnenerfahrungen als Komparse und mit kleinen Rollen in Karl-Marx-Stadt am dortigen Städtischen Theater. Er steht in Stücken von Friedrich Schiller, Bertolt Brecht und Thomas Wolfe auf der Bühne. 1979 wird er nach seinem Studienabschluss fest engagiert und debütiert als Lyngstrand in dem Bühnenstück „Die Frau vom Meer“ von Hendrik Ibsen. 1982 ist er Gast an der Volksbühne in Berlin, spielt in der Heiner Müller-Inszenierung „Macbeth“. Ab 1983 ist der junge Schauspieler am Deutschen Theater zu sehen und steigt durch seine enorme Wandlungsfähigkeit bald zum Star des Ensembles auf. Er brilliert als Sigismundis in „Das Leben ein Traum“ von Calderon, agiert als Egmont sowie als Philotas und spielt den Patriarchen in „Nathan der Weise“ nach Lessing. Besonders in der politischen Umbruchzeit 1989/1990 feiern ihn Zuschauer wie Kritiker. In dem Doppelprojekt „Hamlet/Hamletmaschine“ nach William Shakespeare und Heiner Müller wird er umjubelt.

Filmstill zu "Hälfte des Lebens"

Jenny Gröllmann, Rolf Hoppe und Ulrich Mühe in HÄLFTE DES LEBENS (R: Herrmann Zschoche, 1984) Fotograf: Jörg Erkens

Filmstill zu "Hälfte des Lebens"

Ulrich Mühe in HÄLFTE DES LEBENS (R: Herrmann Zschoche, 1984) Fotograf: Jörg Erkens

Neben seiner Theaterarbeit ist Ulrich Mühe auch bei der DEFA beschäftigt. Zu Beginn seiner Filmkarriere agiert er nur in kleineren Nebenrollen. Er ist in den Filmen OLLE HENRY (1983) von  Ulrich Weiß und DIE FRAU UND DER FREMDE (1984) von  Rainer Simon zu sehen. Große nationale und internationale Beachtung findet er mit seiner Darstellung des Dichters Friedrich Hölderlin in HÄLFTE DES LEBENS (1984) in der Regie von
 Herrmann Zschoche. Geschildert werden zehn Jahre aus dem Leben des Dichters. Der Tod seiner Geliebten (gespielt von  Jenny Gröllmann) stürzt ihn in tiefe Depressionen, von denen er sich nie wieder erholt. Ulrich Mühe macht überzeugend die ganze Zerrissenheit des Dichters deutlich, wird wegen seiner sehr präzisen Darstellung von Zerbrechlichkeit und Gefährdung gelobt. Der Erfolg öffnet dem Schauspieler internationale Türen.

Der Regisseur Bernhard Wicki besetzt ihn in dem Film DAS SPINNENNETZ (1986-1989) nach dem Roman von Joseph Roth. Er spielt Theodor Lohse, einen jungen Leutnant, der seine Militärlaufbahn aufgeben muß und nun die nationalsozialistische Chance sieht, doch noch Karriere zu machen, indem er über Leichen geht. Dem Darsteller, der neben Klaus Maria Brandauer und Armin Mueller-Stahl agiert, bescheinigen ihm die Kritiker eine ungewöhnliche Leinwandpräsenz. Für seine Leistung erhält er den Bayrischen Filmpreis als Bester Darsteller.

Bei der DEFA ist der Schauspieler noch in dem Film SEHNSUCHT (1989/90) von Jürgen Brauer zu sehen. Er spielt den Wasserbauingenieur Sieghart, der sich in einer Nacht in der Lausitz in die junge Bäuerin Ena (gespielt von
 Ulrike Krumbiegel) verliebt. Der verschmähte Bauer Mathias läßt sich zum Polterabend ein mörderisches Spiel einfallen, bei dem er selbst auf der Strecke bleibt. Ena geht dieser Abend nicht mehr aus dem Kopf. Gelobt werden die beiden Hautdarsteller wegen ihrer Sensibilität, mit der sie die Figuren verkörpern.

Im Herbst 1989 gehört Ulrich Mühe zu den DDR-Künstlern, die am 4. November an der Großdemonstration in Berlin teilnehmen und sich für eine Demokratisierung des Landes aussprechen. In der neuen Bundesrepublik hat der Schauspieler keine Schwierigkeiten, sich durchzusetzen, europäische Bühnen stehen ihm nun offen. 1990 spielt er den König Alphons in Franz Grillparzers „Die Jüdin von Toledo“ unter der Regie von  Thomas Langhoff bei den Salzburger Festspielen. Er gastiert am Wiener Burgtheater und an den Hamburger Kammerspielen, ist bei den Wiener Festwochen zu sehen. Mittlerweile inszeniert der Schauspieler auch. 2004 führt er Regie bei dem Heiner Müller-Stück „Der Auftrag“ im Haus der Berliner Festspiele. Zusätzlich reist er mit zahlreichen Lesungen und Literaturveranstaltungen durch das Land. Mittlerweile ist Ulrich Mühe auch auf dem Boulevard-Theater präsent. Er spielt Oscar Wildes „Bunbury“ und in Carl Sternheims „Die Hose“.

Trailer zu SEHNSUCHT (R: Jürgen Brauer, 1989/90) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Ulrich Mühe sucht sich nach dem Zusammenbruch der DDR seine Rollen bewusst aus. Er arbeitet unter anderem mit den bekannten Regisseuren Constantin Costa-Gavras, Helmut Dietl und dem österreichischem Künstler Michael Haneke. Besonders mit letzterem verbindet ihn eine enge Arbeitsbeziehung. In BENNYs VIDEO (1992) spielt er den Vater des etwa zwölfjährigen Benny, der - weil sich seine wohlsituierten, egoistischen Eltern nicht um ihn kümmern - in eine gewalttätige Video-Welt flüchtet und ein Mädchen mit einem Bolzenschießer tötet. Ohne viel Beunruhigung beseitigt er die Tote, seine Eltern unterstützen ihn. In FUNNY GAMES (1997) agiert Ulrich Mühe wieder als Vater, der seine Familie während ihres ersten Urlaubstages vor zwei Verbrechern schützen muss und aufgrund ihrer gnadenlosen und grausamen Handlungen versagt. Die Angehörigen der Familie werden nach und nach getötet. Beiden Filmen gemeinsam ist die verstörende, kaum zu ertragende Darstellung von Gewalt, sie werden überaus kontrovers diskutiert. In der dritten gemeinsamen Arbeit DAS SCHLOSS (1997) nach der gleichnamigen Erzählung Franz Kafkas agiert Ulrich Mühe als Landvermesser K., der vergeblich versucht, Mitglied einer Dorfgemeinschaft zu werden. In der gelungenen Literaturverfilmung verkörpert Ulrich Mühe die Hauptfigur eindringlich und bringt die ganze Absurdität der Verhältnisse mit seinem Spiel auf den Punkt.

In Helmut Dietls Film-Satire SCHTONK (1991) verkörpert er den Verlagsleiter Dr. Wieland, der die gefälschten Tagebücher Adolf Hitlers ohne Bedenken aufkauft, um seinem Verlag immensen Erfolg zu sichern. Nochmals spielt er in einer Filmbiographie über Friedrich Hölderlin mit. Diesmal gibt er den Jacob Gontard in FEUERREITER (1998) von Nina Grosse. 1992 übernimmt er die Hauptrolle in dem Psychothriller DAS TÖDLICHE AUGE (1992). Er mimt den gescheiterten Rechtsanwalt Stefan Phillis, der nachts als Voyeur durch die Großstadt schleicht und einer Terroristin auf die Spur kommt. In dem deutschen Thriller STRAIGHT SHOOTER (1998) von Thomas Bohn spielt er den Staatssekretär Markus Paufler, der die Morderpressungen gegen das deutsche Innenministerium abwickeln muss. In der Literaturadaption DER STELLVERTRETER (2001) des gleichnamigen Bühnenstücks von Rolf Hochhuth inszeniert von Constantin Costa Gavras spielt er den Doktor, der um die Verbrechen der Nationalsozialisten weiß, sie organisiert und keinerlei Skrupel hat. Aktuell ist der Schauspieler in SCHNEELAND (2004) von Hans W. Geissendörfer zu sehen.

Filmstill zu "Sehnsucht"

Ulrich Mühe und Ulrike Krumbiegel in SEHNSUCHT (R: Jürgen Brauer, 1989/90) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Filmstill zu "Sehnsucht"

Ulrich Mühe und Ulrike Krumbiegel in SEHNSUCHT (R: Jürgen Brauer, 1989/90) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Neben seiner Theater- und Filmarbeit ist Ulrich Mühe zu Beginn seiner Karriere in zahlreichen TV-Aufführungen seiner Theaterstücke im Fernsehen der DDR präsent. Eine seiner ersten Hauptrollen erhält er von der Regisseurin Vera Loebner, die ihn als Walter Retzlow in dem TV-Film DER MANN UND SEIN NAME nach der Erzählung von Anna Seghers besetzt. Außerdem lernen ihn die Zuschauer in den populären Produktionen von „Polizeiruf 110“ kennen. Seit Ende der 80er Jahren steht der Name Ulrich Mühe für anspruchsvolle und experimentierfreudige Fernsehunterhaltung. In DIE ERSTE REIHE - BILDER VOM BERLINER WIDERSTAND (1987) agiert er neben anderen jungen Schauspielern und stellt das Leben antifaschistischer Widerstandskämpfer nach. Nochmals arbeitet er mit dem Regisseur Bernhard Wicki zusammen: In SANSIBAR ODER DER LETZTE GRUND (1987) treffen 1938 Menschen aufeinander, die sich gegen die Nationalsozialsten zur Wehr setzen. Das dokumentarische Dichterporträt LIEB GEORG (1988) von Konrad Herrmann schildert das Leben von Georg Büchner, dessen Texte Ulrich Mühe rezitiert.

Auch im wiedervereinigten Fernsehen macht sich der Darsteller schnell einem gesamtdeutschen Publikum bekannt. Zahlreich sind seine Rollen. Als Lehrer Rockstroh, der mit seinen humanistischen Bildungsidealen in Widerspruch mit den Nationalsozialisten gerät, überzeugt er in JUGEND OHNE GOTT (1991) von Michael Knof. Er ist unter der Regie von Frank Beyer in dem TV-Film DAS LETZTE U-BOOT (1991) zu sehen, spielt den kleinen Herr Friedemann nach Thomas Mann. An der Seite von Manfred Krug agiert er in dem TV-Film DER BLAUE (1993), der die Stasivergangenheit thematisiert. In einer Doppelrolle als Joseph Goebbels und Harry Geduldig überzeugt er in GOEBBELS UND GEDULDIG (2000) von Kai Wessel. Besonders populär und erfolgreich ist der Schauspieler in der Rolle des Gerichtspathologen Dr. Robert Kolmaar in der preisgekrönten ZDF-Serie „Der letzte Zeuge“, die er seit 1997 in mehreren Staffeln spielt.

Ulrich Mühe ist Mitglied der Akademie der Schönen Künste München und Berlin/Brandenburg. Er ist mit der Schauspielerin Susanne Lothar verheiratet und lebt zum größten Teil in Berlin. Seine 1980 geborene Tochter Anna Maria Mühe aus der erster Ehe mit der Schauspielerin Jenny Gröllmann zieht es ebenfalls zur Bühne bzw. zum Film. Sie debütiert in dem Film GROSSE MÄDCHEN WEINEN NICHT (2002).

Ulrich Mühe stirbt am 22. Juli 2007 im Alter von 54 Jahren in Walbeck.

Verfasst von Ines Walk. (Stand: Juli 2007)

Trailer zu HÄLFTE DES LEBENS (R: Herrmann Zschoche, 1984)

Auszeichnungen

  • 1986: HÄLFTE DES LEBENS - Kritikerpreis "Die große Klappe"
  • 1988: Helene Weigel-Medaille für seine Darstellung in "Philotas"
  • 1989: DAS SPINNENNETZ - Bayrischer Filmpreis als Bester Darsteller
  • 1990: Kritikerpreis der Berliner Zeitung
  • 1990: Deutscher Darstellerpreis der Film- und Fernsehregisseure
  • 1992: Bambi
  • 1992: Gertrud Eysold-Ring
  • 1995: Joseph Kainz-Medaille
  • 1998: TeleStar für "Der letzte Zeuge"
  • 2000: Kritikerpreis der Berliner Zeitung
  • 2005: Bayrischer Filmpreis

Literatur

  • Anita Butter: Der Mann und sein Name nach Anna Seghers, in: Filmspiegel, Nr. 10/1983.
  • Helmut Ulrich: Ich liebe diesen Beruf: Der Schauspieler Ulrich Mühe, in: Filmspiegel 08/1985.
  • Rosemarie Rehahn: Ein Hauch von Hölderlin, in: Wochenpost, Nr. 51/1985.
  • Rosemarie Rehahn: Ulrich Mühe, in: Filmspiegel 10/1986.
  • Sibylle Wirsing: Der Schauspieler, das höhere Wesen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.08.1988.
  • Sibylle Wirsing: So bin ich wirklich gefangen? Ein Portrait des Schauspielers Ulrich Mühe, in: Theater 1988, Orell Füssli + Friedrich Zürich 1988.
  • Ingrid Seyfarth: Mühe-Homburg, in: Sonntag, Nr. 16/1989.
  • Carla Rhode: Ich will unbedingt in der DDR weitermachen, in: Der Tagesspiegel, 24.09.1989.
  • Hans-Michael Bock: Ulrich Mühe, in: cinegraph, Loseblattsammlung.
  • o. A.: Es kommen viele Leichen zum Vorschein". Gespräch mit Ulrich Mühe, Heiner Müller und Hilmar Thate, in: Theater heute, Nr. 12/1989.
  • o. A.: "Grauenhaft. Das würde ich ablehnen" - Interview mit Ulrich Mühe, in: Der Tagesspiegel, 01.04.2005.

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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