Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Verleih sucht neuen Besitzer.

'Progress' wird verkauft

von Volker Baer

An Hilfe - und damit Anerkennung - von seiten der öffentlichen Hand sowie der Filmförderungsanstalt hat es bisher nicht gefehlt. So unterstützte Berlin den Verleih von Roland Gräfs Film "Die Spur des Bernsteinzimmers" und von Karl Heinz Lotz' "Trillertrine"; Bayern stellte Mittel für den Verleih von Juraj Herz' "Die dumme Auguste"; das Kuratorium junger deutscher Film trug zu den englischen Untertiteln für Vladim Glownas "Der Brocken" bei; ebenso wie "Der Brocken" und "Die Spur des Bernsteinzimmers" erhielten der Trickfilm "Reineke Fuchs" und Gernot Krääs "Die Distel" von der Filmförderungsanstalt Gelder zur Vertriebsförderung. Mit einem Male also war der einstige Ost-Berliner Filmverleih Progress ein Unternehmen unter vielen anderen. Und doch unterscheidet er sich - zumindest zur Stunde noch - von allen anderen. In der Rechtsform einer GmbH besteht er seit dem 1. Juli 1990 als Treuhandbetrieb. Gegenwärtig ist er von der Treuhand zum Kauf ausgeschrieben.

Im Gegensatz zu den anderen staatlichen Filmbetrieben der ehemaligen DDR, die ebenfalls von der Treuhand verwaltet und mittlerweile veräußert worden sind, hat Progress in den vergangenen drei Jahren keine roten Zahlen geschrieben, was beachtlich ist, wenn man bedenkt, welche Umstellungen nötig waren, um aus einem staatlich reglementierten Unternehmen eine wirtschaftlich unabhängige Firma zu bilden. Die Veränderungen waren gravierend. So hat Progress zum einen seine Monopolstellung in Ostdeutschland verloren, zum anderen im Bereich der alten Bundesrepublik Deutschland einen Konkurrenzkampf mit den etablierten Firmen zu bestehen. Das Unternehmen, dem für den Ankauf von nationalen und internationalen Rechten, die Synchronisation, die Herstellung von Kopien und Werbematerial sowie für kostenlose Kopien an die Bezirksfilmdirektionen zu Zeiten der DDR 64 Mio. Mark im Jahr zugewiesen wurden, muß jetzt aus eigenen Kräften bestehen. Rund l 000 Titel stehen heute zur Verfügung. Einst bildeten zwischen 4 000 und 5 000 Titel den Filmstock. Rund 100 Mitarbeiter standen zu Zeiten der DDR in Arbeit, heute wird die Verleihtätigkeit nur von zwölf Mitarbeitern wahrgenommen; mit dem Kopienlager und den beiden Kinos in Berlin, die seit einiger Zeit von Progress betrieben werden, sind es noch 27 Personen, die beschäftigt werden.

Weltweite Rechte

Begonnen hat die "Progress Film-Vertrieb GmbH" am 1. Oktober 1952, nachdem zunächst der Verleih vorwiegend sowjetischer Produktionen und der frühen DEFA-Filme von der Sojusintokino wahrgenommen worden war, die später von der Sovexportfilm abgelöst wurde. Diese Gesellschaft vertrieb in der sowjetischen Besatzungszone alle ausländischen und deutschen Produktionen, also die neuen Arbeiten der DEFA wie die sogenannten Überläufer aus der Zeit vor 1945. Zwischen 1948 und 1950 arbeitete daneben parallel ein "DEFA-Film-Verleih". Mit der Übergabe sowjetischer Betriebe an die DDR wurde im Juni 1955 die "Progress Film-Vertrieb GmbH" aufgelöst und als volkseigener Betrieb der "VEB Progress Film-Vertrieb" gegründet. Seit dem 1. Januar 1956 trug dann das Unternehmen den Namen "Progress Film-Verleih". Angeboten wurden von Progress alljährlich im Durchschnitt 150 Spiel- und Kinderfilme sowie 70 bis 80 kurze Dokumentar- und Trickfilme. Von diesem Angebot stammten etwa zehn bis zwölf Prozent von der DEFA, etwa 60 Prozent aus den Ostblockstaaten (rund ein Viertel des Gesamtangebots kam aus sowjetischen Ateliers). Gut 25 Prozent des Programms waren Filme aus westlichen Ländern. Was nun den Besitz des Progress Verleihs interessant macht, das sind die Rechte. Das Unternehmen verfügt heute weltweit über die Rechte aller DEFA-Produktionen seit 1946, rund 750 Titel. Progress verfügt zudem über die alten Rechte vieler - meist osteuropäischer - Produktionen für die neuen Bundesländer - insgesamt ein nicht gering einzuschätzendes Kapital.

Das Ausgangsmaterial und die Kopien aller DEFA-Filme sowie alle DDR-Wochenschauen befinden sich im Bunker des Bundesarchivs/Filmarchivs in Berlin-Wilhelmshagen. Von einer Vernichtung alter DEFA-Produktionen kann also nicht die Rede sein. In polemisch gefärbten Auseinandersetzungen wurde von west- wie ostdeutscher Seite immer wieder diese falsche Behauptung in die Debatte geworfen. Was aus dem DEFA-Filmstock bei Progress wird, ist mehr oder minder eine kulturpolitische Frage. Noch immer ist die Rede von einer Stiftung. In sie müßten - mit Zustimmung der Länder Berlin, Brandenburg und Sachsen - die Rechte an den DEFA-Produktionen eingebracht werden. Das wäre eine Konstruktion, die ungefähr der Mumau-Stiftung gliche. Der Ertrag aus dem Vertrieb, das heißt aus der Nutzung dieser Arbeiten von seiten der Kinos, der kommunalen Spielstellen, des Fernsehens und des Videovertriebs, müßte der Stiftung wie dem Verwerter zugute kommen. Man denkt in gut unterrichteten Kreisen, daß etwa 70 Prozent der Einnahmen der Stiftung zufließen könnten, die zur Lagerung, Pflege und Restaurierung der Kopien dienen müßten, und die restlichen 30 Prozent in die Kasse des neuen Progress-Verleihs gelangen könnten. Progress wäre somit Verwalter und Verleiher der Stiftungsbestände.

Spiegel staatlicher Kulturpolitik

Noch ist die Konstruktion der Stiftung nicht abschließend formuliert. Das Bundesinnenministerium, das Bundesfinanzministerium und die Treuhand müssen noch eine gemeinsame Linie finden. Frühere Versuche haben bekanntermaßen nicht zu einer Stiftung geführt. Die Bemühungen von Filmhistorikern und Politikern kamen in den letzten Septembertagen des Jahres 1990 zu spät (und hielten im übrigen juristischen Vorstellungen nicht stand). Seither ist die Diskussion über eine Stiftung nicht abgebrochen. Voraussetzung für den Erwerb des Progress-Film-Verleihs ist die Übernahme der Mitarbeiter, die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie eine Investitionsgarantie, wie es in der Ausschreibung der Treuhandanstalt heißt. Geboten werden für die Dauer von zehn Jahren die Vertriebsrechte für 677 Spiel- und Kinderfilme des Babelsberger DEFA-Studios, ferner für 752 kurze Kinder- und Trickfilme des Trickfilmstudios Dresden sowie 2.238 Dokumentarproduktionen der Dokumentarfilmstudios Berlin und Babelsberg. Nicht mit zum Angebot gehören die Immobilien des Progress Verleihs. Einige Dutzend Bewerber haben die Unterlagen angefordert, knapp die Hälfte von ihnen hat ernsthaftere Interessen bekundet. Namen werden nicht genannt; die Treuhand gibt "während einer laufenden Ausschreibung keine Informationen über den Stand des Verfahrens".

Es ist zu hoffen, daß die Treuhand beim Progress Verleih eine glücklichere Hand hat als beim Babelsberger Dokumentarfilmstudio (vgl. Artikel in fd 16/93, Seite 17). Das Berliner Dokumentarfilmstudio der DEFA hatte beim Verkauf mehr den Wert einer Immobilie als den eines Ateliers, das es denn auch nicht mehr geben wird. Die Dresdner Trickfilmstudios werden allenfalls vom Fernsehen genutzt, dienen jedoch nicht mehr der Trickfilmherstellung. Und von dem Babelsberger Filmgelände hört man seit dem Verkauf an den französischen Multikonzem CGE auch nicht viel Rühmenswertes. Vor diesem Hintergrund muß man besorgt nach der Zukunft des Progress-Verleihs fragen. Mit einem klaren Konzept und unter einer verantwortungsbewußten Leitung hat er durchaus eine Zukunft - und unter der Voraussetzung, daß er den Vertrieb für eine DEFA-Stiftung übernimmt, zudem auch eine Verpflichtung.

Der Progress Film Verleih ist, im Guten wie im Bösen, ein Spiegel staatlicher Kulturpolitik. An die 5 000 Produktionen - mit exakten Zahlenangaben ist man in den ehemaligen Ostblockstaaten stets zurückhaltend gewesen - wurden während 40 Jahren von Progress vertrieben. An den Titeln läßt sich ebenso unschwer das jeweilige politische Klima ablesen wie an dem Einsatz der verschiedenen Filme aus Ost und West: Verspätungen westdeutscher Produktionen, aber auch Verzögerungen osteuropäischer Arbeiten, die sich nicht immer in die Vorstellungen von Funktionären der DDR einfügen ließen. Die aufsässigen jungen Regisseure aus der CSSR, aus Polen oder Ungarn kamen da ebensowenig zu Wort wie die eigenwilligen sowjetischen Filmemacher. Progress brachte Unterhaltung und Ablenkung, Belehrung und Propaganda, aber auch Kultur in eine Region, deren Markt reglementiert war. Für kritische, esoterische, experimentelle Arbeiten war kein Platz in den Spielplänen ostdeutscher Kinos. Mancher Film wurde noch vor der Premiere zurückgezogen und verschwand in den "Regalen", was allerdings nicht Progress angelastet werden kann. Nimmt man die rund 750 Filme der DEFA und über 4 000 Titel aus Ost und West, so dokumentiert sich in der Summe unzweifelhaft ein Bild dessen, was man meinte, aus politischen, filmkünstlerischen und filmwirtschaftlichen Überlegungen heraus dem Publikum vorstellen zu können oder zu müssen.

Die Geschichte des Progress-Verleihs ist noch nicht geschrieben. Sie wird Auskunft geben über 40 Jahre Kulturpolitik in der DDR, gleichgültig wie man die einzelnen Filme einschätzt. Wichtig wird auch die DEFA-Stiftung sein, um die Babelsberger Produktionen zur kritischen, künstlerischen und historischen Diskussion parat zu haben. Und in diesem kritischen Sinn einer lebendigen Dokumentation der Zeit hat Progress eine wichtige Funktion.

Volker Baer (filmdienst 18/1993)

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