Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Besitzer, nicht Eigentümer.

DEFA-Bestände im Bundesarchiv-Filmarchiv

von Volker Baer

Besitzer, nicht Eigentümer. DEFA-Bestände im Bundesarchiv-Filmarchiv

Eine wertvolle Bestandsergänzung erfolgte für das Bundesarchiv-Filmarchiv durch die treuhänderische Übernahme von Unterlagen der DEFA mit 100 000 Rollen Film, mit dem kompletten Fotoarchiv des DEFA-Studios für Spielfilme und mit Schriftgut "Mitteilungen aus dem Bundesarchiv". Welcher Schatz sich hinter dieser Neuerwerbung verbirgt, läßt sich in dieser knappen Nachricht kaum erkennen. Zunächst wurde das Material vom Bundesarchiv nur in Verwahrung genommen. Zur Eigentumsübernahme bedarf es noch eines Vertrages zwischen dem Bundesarchiv, vertreten durch das Bundesinnenministerium und der BVS, der Rechtsnachfolgerin der Treuhand. Daß es dazu kommen wird, bezweifelt wohl niemand, wenngleich es zwischen Treuhand und Bundesarchiv unterschiedliche juristische Vorstellungen gab. Die Treuhand hielt die DEFA-Studios für unabhängige volkseigene Betriebe, während das Bundesarchiv davon ausgeht, daß es sich um vom Staat beeinflußte und finanziell abhängige Firmen gehandelt habe. Man verweist dabei auf das Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes hin, demzufolge Schriftstücke und Filme auch von Stellen der DDR vom Bundesarchiv zu sammeln sind.

60 000 Rollen Film

Man konnte von Anfang an nicht davon ausgehen, daß bei einer Privatisierung der staatlichen Filmfirmen der DDR außer den Studios und Immobilien auch die Filmrechte sowie Akten und Kopien verkauft würden. So hat man, was beim Spielfilmstudio in Babelsberg, beim Trickfilmstudio in Dresden und bei den Dokumentarfilmateliers in Berlin und Babelsberg noch zu finden war, aus den Verkäufen herausgenommen und der Obhut des Bundesarchiv-Filmarchivs treuhänderisch übergeben. Das Material wird sortiert, geordnet, gepflegt. Von einer Auswertung freilich kann zur Stunde noch nicht die Rede sein. Man muß sich erst einmal eine Übersicht verschaffen. Worin nun besteht das Material der einzelnen DEFA-Studios? 60000 Rollen mit Spielfilm-Material wurden sichergestellt, ferner 40 000 Magnetbänder mit Filmtönen. Vieles davon muß erst noch identifiziert werden, da sich Schnittreste unter dem Material befinden. In den Dokumentarfilmstudios befanden sich rund 1 500 Kurzfilmtitel. Die Bestände des Dresdener Trickfilmstudios schätzt man auf 100 bis 200 Titel. Sie werden gegenwärtig in Dresden sondiert. Wertvoller als diese Kopien sind die Fotosammlungen des Spielfilmstudios: fast zu jeder Babelsberger Spielfilmproduktion fand man mindestens ein Album mit jeweils schätzungsweise 150 bis 200 Arbeits-, Stand- und Szenenfotos sowie alle Negative. Man rechnet mit insgesamt etwa 150 000 Aufnahmen. Blättert man in den Allen, so kann man die Entstehung eines Films Ziemlich genau verfolgen, ebenso die Atmosphäre während der Dreharbeiten. Das ist ohne Zweifel eine einzigartige Dokumentarsammlung, die nur einen Nachteil hat: die Bilder sind nicht beschriftet. Da müßte man so bald wie möglich einen Zeitzeugen zu Rate ziehen, der die Gestalten auf den Fotos identifiziert. Wenig geordnet war offenbar die Sammlung der beiden Dokumentarfilmstudios. Immerhin fanden sich auch hier etwa 7 500 Fotos.

Von Bedeutung schließlich ist auch das Schriftgut, das unter anderem Geschäftskorrespondenzen und Vertragsunterlagen der DEFA neben vielen Drehbüchern, Plakaten und filmbegleitendem Material umfaßt. Doch fehlen bestimmte Zeitabschnitte. Da ist, durch Welchen Eingriff auch immer, einiges verloren gegangen, so etwa Unterlagen aus der Zeit des umstrittenen Direktors der Spielfilmstudios Hans Dieter Mäde. Hier sind, offensichtlich nach 1989, Lücken entstanden. Über die Unterlagen der Dokumentarfilmstudios läßt sich erst nach eingehender Sichtung ein Urteil abgeben. Das Schriftgut des Spielfilmstudios liegt bereits bei der zur Zeit noch in Potsdam angesiedelten entsprechenden Abteilung des Bundesarchivs. 1996 soll diese Abteilung nach Berlin übersiedeln. Filme und Fotos lagern im Zugriff des Bundesarchiv-Filmarchivs zumeist in Berlin.

500 000 Filmfotos

Diese Erwerbung ergänzt die Bestände, die dem Bundesarchiv aus dem ehemaligen Staatlichen Filmarchiv der DDR überkommen sind. Das DDR-Material hat sich nahezu verdoppelt. Das Filmarchiv ist mittlerweile auf 166 000 Titel in 887 000 Rollen angewachsen. Rechnet man den treuhänderischen Besitz hinzu, so sind es nahezu 1 Mill. Rollen. Die Zahl der Fotos, die im Eigenbesitz bisher 350 000 beträgt, erreicht mit den zur Zeit betreuten Bildern etwa 500 000. Und auch der Umfang des Schriftgutes hat wesentlich zugenommen. Das bedeutet, daß die Geschichte der DEFA weithin lückenlos erhalten ist, besser erhalten jedenfalls als die des westdeutschen Nachkriegskinos. In der DDR gab es eine Abgabeordnung auch für Filme, die in der Bundesrepublik Deutschland bis auf den heutigen Tag fehlt (eine entsprechende Gesetzesvorlage ist beabsichtigt). Weiterhin sind im Bundesarchiv die den Film betreffenden schriftlichen Unterlagen der Massenorganisationen wie SED, FDJ, FDGB zu finden. Außerdem gehören alle Zulassungsunterlagen für DEFA-Filme, also die Zensurentscheidungen der DDR, zu den Beständen des Bundesarchivs. Und hier schließt sich der Kreis der Dokumentierung diktatorischer Einflußnahme gegenüber dem Film auf deutschem Boden: in den Regalen des Bundesarchivs befinden sich auch die Unterlagen der einstigen NS-Reichsfilmkammer sowie alle Bestände des bis 1990 in amerikanischer Verwahrung befindlichen "Document Center", das alle Auskünfte über die NS-Organisationen und deren Mitglieder enthielt.

Die DEFA-Bestände können außer einer historischen Aufarbeitung und Auseinandersetzung auch einer aktuellen Funktion dienen: der geplanten DEFA-Stiftung. Der einstige Progress Verleih der DDR, der im Auftrag der Treuhand/B VS noch immer DEFA-Filme verleihen kann, ist schon des längeren zur Privatisierung ausgeschrieben. Sein Käufer soll die Auswertung der DEFA-Produktion, die immerhin über 700 Spielfilme neben Kurz-, Trick- und Dokumentararbeiten sowie Wochenschauen umfaßt, übernehmen. Die Rechte werden bei der DEFA-Stiftung liegen, die einen Teil ihrer Erlöse aus der Auswertung dem Bundesarchiv-Filmarchiv zur Verfügung stellen muß zur Pflege des Ausgangsmaterials. Die Sicherungskopien der DEFA-Filme werden im Bundesarchiv verwahrt. Und was an Duplikaten, etwa an Plakaten und anderem Werbematerial, im Bundesarchiv liegt, kann der zukünftige Auswerter benutzen. So ist es zumindest geplant. Sichergestellt und für die wissenschaftlich-historische Nutzung erhalten ist jedenfalls weithin das gesamte Material der DEFA als ein Zeugnis der deutschen Filmgeschichte. Die Nachlässe der einzelnen Studios bedeuten einen nicht unwesentlichen Beitrag für die Bestände des Bundesarchivs, das mittlerweile zum zentralen deutschen Filmarchiv in Berlin geworden ist. Was einst viele Bonner Innenminister versprochen haben, ist nun - kurioserweise auch mit Hilfe des Nachlasses der DDR - Realität geworden.

Volker Baer (filmdienst 21/1995)

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