Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Mit Kraft und Verve.

Die Mimin hinter der Figur: Eva-Maria Hagen

von Stefan Volk

„Ist das nicht die Mutter dieser Punksängerin?“ Hätte man sich vor gut 20 Jahren auf westdeutschen Straßen nach Eva-Maria Hagen erkundigt, wäre das vermutlich eine der häufigeren Gegenfragen gewesen. Die meisten hätten beim Namen Hagen zuallererst an Nina gedacht, die schrillbunte Rock-Göre mit der kräftigen Opernstimme und dem theatralischen Augenaufschlag. Und heute? Heute würden viele vielleicht fragen: Ist das nicht die Großmutter dieser jungen Schauspielerin, die in der Werbung „online lebt“? Inzwischen hat sich nämlich Cosma-Shiva als jüngster Spross der Hagenschen Ahninnen-Reihe ihre ersten darstellerischen Meriten verdient, im Kino u.a. mit „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“, ihrem Debüt, und „Marlene“.

Doch es war nicht immer so, dass man den Namen Hagen erst auf Umwegen mit Eva-Maria verband. Bevor die Landarbeitertochter, die in Hinterpommern ihre Kindheit verbrachte und 1945 im Alter von zehn Jahren nach Perleberg in Mecklenburg umgesiedelt wurde, ab Mitte der 1960er-Jahre nicht nur in Stasi-Akten das erste Mal indirekt, nämlich als Geliebte und Vertraute des regimekritischen Liedermachers Wolf Biermann, von sich reden machte, war sie bereits zu einer der bekanntesten und beliebtesten DEFA-Darstellerinnen aufgestiegen. Nach einer Maschinenschlosser-Lehre hatte sie 1952 in Ostberlin ein Schauspielstudium begonnen, ein Jahr später stand sie unter der Regie von Bertolt Brecht als Mitglied des Berliner Ensembles auf der Theaterbühne. 1954 heiratete sie den Schriftsteller Hans-Oliva Hagen, 1955 kam Nina zur Welt. Im Jahr darauf setzte sie ihre Schauspielausbildung an der Fritz- Kirchoff-Akademie in Westberlin fort.

Bereits mit ihrer ersten Spielfilmrolle gelang ihr 1957 der Durchbruch: In Kurt Maetzigs volkstümlicher Komödie „Vergesst mir meine Traudel nicht“ verkörperte sie ein ebenso naives wie raffiniertes 17-jähriges Mädchen auf der Flucht aus einer Erziehungsanstalt und der Suche nach dem großen Glück. Die für die biederen 1950er-Jahre recht freizügige Darstellung der kindlich-sinnlichen Traudel begründete Hagens Image als Sex-Symbol des DDR-Kinos. Die gelockerte Zensur in der Entstalinisierungsphase nach 1956 erlaubte es nicht nur der Hauptfigur, sich nach „Westware“ zu sehnen, sondern auch den Filmemachern Referenzen ans Westkino in den Film einzubauen, die Eva-Maria Hagen als eine Art Kreuzung aus Marilyn Monroe und Brigitte Bardot generierten. Barfuss wie die Bardot schlüpft sie ins Zigeunerkleid, ein Lüftungsschacht verweht ihren Rock wie einst den von Marilyn. Was „Blondinen bevorzugt“ für Monroe sowie „Und ewig lockt das Weib“ für Bardot, hätte „Vergesst mir meine Traudel nicht“ für Hagen werden sollen: mit einem Schlag Sinnbild naiver Schönheit. Doch wo Monroe mit dem Klischee des blonden Dummchens kokettierte und Bardot sich als natürlich-sinnliche Kindfrau gab, war Hagens Traudel irgendwie alles und nichts zugleich: eben doch in erster Linie Retorte, provinzielle Hybride, die von Drehbuchautor Kuba noch zusätzlich mit aufgesetzt wirkenden Sozialisationsproblemen überfrachtet wurde.

Eine letzte Distanz

Dem Vergleich mit den Filmlegenden Monroe und Bardot hielt Eva- Maria Hagen nicht stand. Nie konnte sie mit deren Leinwandpräsenz und selbstverständlicher Ausstrahlung konkurrieren, was vor allem daran gelegen haben mochte, dass die Vorbilder, denen sie da nacheifern sollte, ihrem Naturell allenfalls teilweise entsprachen. Vieles an ihr erinnerte eher an die grazile, kultivierte Aura einer Romy Schneider als an eine „Sexgöttin“ oder Naturschönheit. Fast wirkte sie mit ihren nach unten gezogenen Mundwinkeln ein wenig verhärmt, wie in eine Rolle gezwungen, die ihr nicht ganz behagte, mit der sie sich aber in den nächsten Jahren noch häufiger abfinden musste: die Rolle der Schönen, Erotischen, Verführerischen. Sie war zur rechten Zeit am rechten Ort, nahm geschmeichelt die Rolle an, die man ihr anbot, füllte sie lehrbuchmäßig aus, ohne je ganz in ihr aufzugehen. Eine letzte Distanz – vielleicht die Brecht-Schule – blieb stets spürbar: die Mimin hinter der Figur. Vor allem aufgrund ihres schauspielerischen Talents und ihrer darstellerischen Präzision avancierte sie in den späten 1950er- und den 1960er-Jahren in der DDR zum begehrten Film- und Fernsehstar, der in zahlreichen leichten Unterhaltungskomödien mitwirkte, in denen Lieder gesungen wurden wie „Suchst du eine Braut oder einen Hund, immer ist das Leben kunterbunt“ („Reise ins Ehebett“, 1966), aber auch in Thrillern wie „For Eyes Only“ (1963). In Joachim Haslers Musical „Reise ins Ehebett“ spielt sie, darüber machte sie sich in einem Brief an Biermann lustig, eine „Barsängerin in mitternachtsblauem Samt, sozialistisch angehauchte Sexbombe, aus auf Männerfang“. In Konrad Petzolds satirischer Märchenadaption „Das Kleid“ (frei nach Hans Christian Andersens „Des Kaisers Neue Kleider“) verkörperte sie überzeugend eine gutherzige Magd, die zwei Tuchwebergesellen hilft in eine von einer hohen Mauer umgebene Stadt zu gelangen. Der betont theatralisch gestaltete, einfallsreich erzählte Film wurde kurz nach dem Berliner Mauerbau fertiggestellt, steckte voller kritischer Anspielungen auf SED und Stasi und fiel der Zensur zum Opfer. Erst 1990 wurde er uraufgeführt.

Neben ihren Rollen für Film und Fernsehen übernahm Hagen ein Engagement am Maxim-Gorki-Theater in Berlin und war 1961 Gründungsmitglied des Schauspiel-Ensembles des Fernsehfunks Berlin-Adlershof. Zum Karriereknick kam es, nachdem sie 1965 Wolf Biermann kennen und lieben gelernt hatte. In „Maßnahme-Plänen“ der Staatssicherheit, die Hagen in ihrem 1998 erschienenen Buch „Eva und der Wolf“ abdruckte, heißt es 1966: „Mit der Partei sind Maßnahmen abzusprechen, um die Schauspielerin Eva-Maria Hagen, die bisher Biermann finanziell unterstützte, zu veranlassen, sich von ihm zu trennen. Unsere Vorschläge gehen dahin – entsprechende Maßnahmen der Einschränkung der Auftrittsmöglichkeiten mit den zuständigen Leitern bei der DEFA (...) einzuleiten (...).“ Konkret bedeutete das, dass sich Hagens schauspielerisches Engagement in den folgenden Jahren vorwiegend auf Auftritte in Provinztheatern beschränkte. 1976 war dann auch damit Schluss; weil sie öffentlich gegen Biermanns Ausbürgerung protestiert hatte, wurde sie fristlos entlassen. Ein Jahr später folgte die nächste Entlassung, und zwar die aus der DDR-Staatsbürgerschaft. Mit ihrer Tochter Nina siedelte Eva-Maria Hagen in die Bundesrepublik über. Dort spielte sie in den folgenden Jahren in meist ambitionierten Filmen wie Gabi Kubachs „Trauma“ (1983), Gisela Stellys „Warten auf Marie“ (1987) und Helke Misselwitz’ „Herzsprung“ (1992), denen aus unterschiedlichen Gründen die große Außenwirkung versagt blieb. Hagen, die auch mehrere Rollen in Fernsehfilmen und -serien übernahm, war für einen Großteil der westdeutschen Öffentlichkeit bald nur noch die Mutter einer Punksängerin.

Sprung- wie standhaft

Und das, obwohl ihre Filmrollen anspruchsvoller, intensiver wurden und sie sich auch als Sängerin – vor allem von Biermann-Chansons – Gehör verschaffte. Die Schauspielerin liebt die künstlerische Vielfalt: neben Film, Fernsehen, Theater und Gesang malt sie naive Ölbilder und schreibt leidenschaftliche Briefe. Der Briefwechsel zwischen ihr und Wolf Biermann (1965 bis 1977) bildet die Basis von „Eva und der Wolf“; ergänzt wird dieses persönliche, intime und zugleich historische Zeitdokument durch Tagebucheintragungen und Auszüge aus Stasi-Akten. Für ihre „Verdienste um die deutsche Sprache“ wurde Eva-Maria Hagen 1999 „für ihre besondere Fähigkeit Briefe zu schreiben“ mit der „Carl-Zuckmayer-Medaille“ ausgezeichnet. „Sie geben uns ein Stück Geschichtsunterricht in einem lebendigen, persönlichen Stil und in einem gar nicht auf andere Weise gleichwertig zu vermittelnden Maß“, formulierte der Rheinland-Pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. Herauszulesen sind aus dem Buch aber auch die Kraft, die Verve, die Leichtfertigkeit und Nachdenklichkeit, die Sprunghaftigkeit und Standhaftigkeit, die tiefe Empfindsamkeit und psychische Labilität einer Frau, die mal mit Eva, mal mit Marie und mal mit Eva-Marie unterzeichnete. Der über 500 Seiten starke, von der Wirklichkeit geschriebene „Briefroman“ ist wohl das bislang nachhaltigste und bedeutendste Werk aus Eva-Maria Hagens Oeuvre.

Mit ihrem zweiten Buch „Evas schöne neue Welt“ (2000) hatte sie weniger Glück. „Erschien zur Leipziger Frühjahrsmesse (...) und wird von ihr wieder zurückgezogen“, heißt es dazu lapidar auf ihrer Homepage (www.eva-maria-hagen.de). Tatsächlich hatte Tochter Nina eine einstweilige Verfügung gegen das autobiografisch angelegte Buch der Mutter erwirkt. Diese berichtet darin von ihrem neuen Leben im Westen: „Ich war todtraurig, dass ich Matti nicht sehen durfte, den Boden betreten, wo ich einst zu Hause war, geliebt vom Volk, ein Kind des Arbeiter- und Bauernstaates. Irgendwann war ich dann wieder im Westen, in der so genannten Bundesrepublik, heilfroh, gleichzeitig in der Fremde.“ Sie veröffentlichte aber auch private Fotos von Nina Hagen, u.a. eines, das sie hochschwanger nackt unter der Dusche zeigt. Der Tochter-Mutter-Streit rauschte durch Kanäle und Blätterwald, und weil sich Enkelin Cosma- Shiva gerade zu einem Liebling der Medien entwickelte, wurde auch sie noch befragt; im Fernsehen lief zudem „Familiengeschichte – Die Hagens“, eine Dokumentation über drei ganz unterschiedliche und in manchem doch so ähnliche Frauenleben. In der Schneewittchen-Farce „Sieben Zwerge – Männer alleine im Wald“ von Sven Unterwaldt Jr. werden sie das erste Mal gemeinsam auf der Leinwand zu sehen sein: Cosma-Shiva spielt Schneewittchen, Nina die Königin und Eva-Maria die Großmutter. Eva-Maria Hagen feiert am 19. Oktober ihren 70. Geburtstag.

Stefan Volk (filmdienst 21/2004)

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