Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Gefahr im Verzug.

Die ungewisse Zukunft der Ost-Berliner Kinos

von Mathias Fuchs

Um die Hinterlassenschaft der ehemaligen Bezirksfilmdirektion in Ost-Berlin ist eine heftige Auseinandersetzung ausgebrochen, in der es nicht zuletzt um die Möglichkeiten des Kinos und die Funktion des Films geht. Ist Film und damit auch Lichtspieltheater lediglich ein Wirtschaftszweig, oder haben beide vielleicht doch die Funktion und den Anspruch kultureller Auseinandersetzung? Als Wortführer der konträren Interpretationsmöglichkeiten stehen sich der Berliner Senat (und bisher auch der Ost-Berliner Magistrat) sowie die Treuhandanstalt gegenüber. An Irritation hat es zudem in dem Streit der verschiedenen Instanzen nicht gefehlt, auch nicht an Widersprüchen. Jetzt allerdings hat die Konfrontation einen Punkt erreicht, an dem juristische Lösungen denkbar sind.

Begonnen hat die Auseinandersetzung eigentlich schon vor dem Tage der Währungsunion. Noch bevor die Verwaltungen in beiden Teilen der Stadt tätig wurden, um die Zukunft der Kinos im Ostteil Berlins zu planen, hatten sich Ost-Berliner Kinomacher an die Treuhandanstalt mit der Bitte gewandt, ein Kino führen zu dürfen. In ihrer Antwort erklärte die Treuhand auf die „Bewerbung um einen langjährigen Pachtvertrag mit Vorkaufsrecht oder einen Kaufvertrag“, dass „das genannte Filmtheater entsprechend § l des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermmögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni 1990 nicht durch die Treuhandanstalt übernommen“ werde. Es wurde zudem empfohlen, „alle weiteren Schritte mit den Verantwortlichen des Bereichs Kultur des Magistrats abzustimmen“. Zuständig war also – auch nach Ansicht der Treuhand – der Ost-Berliner Magistrat. Und der entwickelte für 12 der 21 Ost-Berliner Kinos ein Pachtkonzept, wobei er sich davon leiten ließ, dass nach einer öffentlichen Ausschreibung Kinomacher aus Ost- und West-Berlin gleichermaßen den Zuspruch bei der Verpachtung erhalten sollten. Eine Verpachtung schien besser als ein Verkauf, da hierbei Mittel eingespart werden könnten, die dann in die dringend nötigen Investitionen hätten gesteckt werden können. Zum anderen wollte man engagierten Programmgestaltern den Vorzug geben vor großen Konzernen. Zur Diskussion standen die Häuser Colosseum, Friedrichstadt, Forum, International, Kosmos, Sojus, Tivoli und Vorwärts sowie Lunik, Toni, Union und Venus. Die rechtlichen Überlegungen waren, dass das Lichtspielwesen in der DDR in den 70er Jahren umgewandelt worden war und die Bezirksfilmdirektionen als den Bezirken nach-geordnete Instanzen galten, also in Berlin dem Magistrat nachgeordnet waren. Außerdem wollte man nur jene Häuser verpachten, die sich auf kommunalem Grund und Boden befanden. In der Findungskommission, die über die Pächter zu entscheiden hatte, saßen im übrigen auch West-Berliner Behördenvertreter.

Keine Volkseigenen Betriebe

Auf die öffentliche Ausschreibung der zu verpachtenden Lichtspielhäuser, die Anfang Juli 1990 stattfand, erfolgte keine Reaktion der Treuhandanstalt in Berlin. Erst Anfang November, als die Pachtverträge bereits entworfen und unterschriftsreif waren, meldete sich die Treuhand zu Wort und erklärte sich – zur Überraschung aller – als allein zuständig für die Kinos mit der Begründung, es handele sich bei den Kinos um Wirtschaftsunternehmen. Die Kinomacher protestierten öffentlich gegen diese Entwicklung mit dem Hinweis, dass die Lichtspielhäuser keine volkseigenen Betriebe, sondern – als zum kommunalen Vermögen gehörend – durch die Stadt geleitete Kultureinrichtungen gewesen seien. Nun stand Behauptung gegen Behauptung. Die Treuhandanstalt, das stellte sich ganz klar heraus, wollte die betreffenden Lichtspielhäuser verkaufen. Damit wäre ein schneller Erlös zu erzielen, damit wäre aber auch, entgegen den Berliner Intentionen, der Filmkultur kein Dienst erwiesen. Denn als Käufer hätten, so vermutet man zumindest, die großen Konzerne Interesse, die in West-Berlin schon nahezu den gesamten Kurfürstendamm beherrschen. Bekämen sie auch noch die Ost-Berliner Häuser, so erreichten sie – der Anteil der um ein Programm mit eigenem Gesicht bemühten Kinos würde entsprechend kleiner – eine marktbeherrschende Stellung. In Fachkreisen spricht man von bestimmten Unternehmen, spricht vor allem von gebotenen Summen in Höhe bis zu 25 Millionen DM. Die Gefahr ist, zumindest sieht man es in Berlin so, dass nicht alle Häuser dann weiterhin als Kinos betrieben werden, sondern nur die rentablen genutzt, die anderen aber weiterverkauft, vermietet oder abgerissen werden und in jedem Falle dem Film verlorengehen, was nichts anderes bedeutet, als dass weite Gebiete Ost-Berlins in Zukunft ohne Filmtheater sein würden. Zum Vergleich: in West-Berlin gibt es bei 2,2 Millionen Einwohnern zur Zeit 93 Vorführsäle in 53 Kinos, während es in Ost-Berlin bei rund 1,2 Millionen Einwohnern nur 23 Kinos und vier weitere Spielstellen gibt. Schon heute ist das Ungleichgewicht nicht zu übersehen. Ginge ein Teil der im Osten Berlins gelegenen Häuser aber in den Besitz großer westdeutscher Kinoketten, so würde das Programm nur noch eintöniger. Eine Entwicklung, die man im übrigen in weiten Gebieten der ehemaligen DDR beobachten kann, in denen westdeutsche Unternehmen sich ihre Einflusssphären zu sichern versuchen.

Es fehlt eindeutig an klaren Definitionen in den Gesetzen zur Überführung öffentlichen Vermögens in der ehemaligen DDR in privatwirtschaftliche Unternehmen. Die Treuhandanstalt sprach denn auch in einer öffentlichen Erklärung vom 19. Dezember 1990 von „erheblichen Meinungsunterschieden“ zwischen ihr und der Berliner Verwaltung, innerhalb derer gegen Jahresende die Diskussion über die verfahrene Angelegenheit der Ost-Berliner Kino-Verpachtung/Verkäufe bereits auf der Ebene der Staatssekretäre abgehandelt wurde. Immerhin hatte die Treuhandanstalt der Berliner Verwaltung von (West-)Senat und (Ost-)Magistrat das Recht abgesprochen, über die Kinos zu verfügen und den eventuell doch abgeschlossenen Pachtverträgen die Rechtsgültigkeit aberkannt und zusätzlich noch Schadenersatzpflicht gegenüber der Treuhandanstalt angedroht.

Kunst wurde hintangestellt

Zu diesem Zeitpunkt bestellten die Berliner Staatssekretäre ein Rechtsgutachten bei der Justizverwaltung, das – zu Jahresbeginn in der Stadt publik geworden – zu dem Schluss kam, dass weder das Land Berlin noch die Treuhandanstalt zuständig seien für die Kinos im Osten der Stadt. Nach dieser Vorstellung gehören die Häuser zum Treuhandvermögen des Bundes. Dies Treuhandvermögen muss bis zu einer gesetzlichen Regelung von jenen Behörden verwaltet werden, die es bisher betreut haben. Das wäre die Kulturverwaltung, die eines Tages die Obhut an die Finanzverwaltung abgeben könnte. Uneinig ist man sich nun allerdings wieder in der juristischen Interpretation, ob Verwaltung Verkauf ausschließt oder nicht. Berlin spricht sich jedenfalls für die Verpachtung aus. Die Bezirksfilmdirektion in Ost-Berlin hat mittlerweile zu Jahresbeginn zumindest einem der an einem Pachtvertrag interessierten Kinomacher Kurzarbeit Null verordnet, was wiederum nach Ansicht der West-Berliner Kulturverwaltung (die ja seit dem 3. Dezember 1990 für die Kultur der gesamten Stadt zuständig ist) nicht zulässig ist. Sie wollte vielmehr durch die Weiterbeschäftigung des Personals bis auf weiteres, das heißt eben bis zur geplanten Verpachtung, die Funktionsfähigkeit der Kinos sicherstellen. Wie auch die Entscheidung fallen mag, die Berliner Lösung könnte einen Präzedenzfall für das gesamte Kinowesen in der ehemaligen DDR darstellen. Es könnte sein, dass sich die Treuhandanstalt und das Land Berlin vor Gericht begegnen. Überraschungen jedenfalls sind nicht ausgeschlossen. Bei der deutschen Einigung wurde die Kunst, abgesehen von den großen Institutionen, hintangestellt. Das zeigen auch die Auseinandersetzungen um die ominöse Stiftung aller DEFA-Filme – mittlerweile reklamieren sowohl das DEFA-Spielfilmstudio als auch das Trickfilmstudio die Rechte an jeweils allen Filmen für sich. Und von einer gemeinsamen Filmförderung der neuen Bundesländer ist auch nicht mehr die Rede.

Mathias Fuchs (filmdienst 3/1991)

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