Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Ein unbekanntes Kapitel.

Filmarchiv Austria zeigt des Retro „Österreicher bei der DEFA“

von Ralf Schenk

Am 30. Juni 1956 fiel der letzte Vorhang: Mit Bertolt Brechts „Leben des Galilei“ schloss das Wiener „Neue Theater in der Scala“ seine Pforten. Acht Spielzeiten lang hatte es sich, seit September 1948, bemüht, gesellschaftlich relevante, künstlerisch hochwertige, dabei immer auch volkstümliche Inszenierungen herauszubringen. Geleitet durch eine Gruppe von Sozietären, zielte das Haus vor allem aufs Wiener Arbeiterpublikum, oft mit Komödien der Weltliteratur, aber auch mit Schiller und Ibsen, Tolstoi und Gorki, Gogol und Brecht – und mit den unverwüstlichen einheimischen Klassikern Grillparzer und Raimund. Gefördert wurde das Haus, das im sowjetischen Sektor von Wien lag, zunächst von der Besatzungsmacht und von der Kommunistischen Partei Österreichs. Die „Neue Scala“ verstand sich als „linke“ Bühne, ohne sich stalinistischen Dogmen auszuliefern. Aber das nutzte nichts: Als die Russen nach dem Staatsvertrag 1955 aus Österreich abzogen, machten Wiener Stadtverwaltung, österreichischer Gewerkschaftsbund (dem das Gebäude aus russischer Hand übertragen worden war) und die „bürgerliche“ Presse dem Ensemble den Garaus. Man befand sich schließlich mitten im Kalten Krieg, eine fast irrationale Angst vor „Kommunisten“ beherrschte die österreichische Innenpolitik nicht minder als die westdeutsche. So gab es für die selbstverwaltete „Neue Scala“, die in Wien für „lebendige Unruhe und produktive Verunsicherung“ (Evelyn Deutsch-Schreiner) sorgte, keine Subventionen und keine neue Konzession, dafür Häme, Hass – und den Schließbescheid. Selbst Protestschreiben von Erwin Piscator und Paula Wessely, Brecht und Lion Feuchtwanger, Erich Engel und Howard Fast änderten daran nichts.

Schon als Gerüchte über das Ende aufkamen, hatten Brecht und Wolfgang Langhoff Einladungen an die Künstler der „Neuen Scala“ ausgesprochen, nach Ost-Berlin zu kommen. Viele kannten sich seit langem, u.a. aus der Zeit des Exils am Zürcher Schauspielhaus oder von Gastauftritten und Besuchen zwischen Ost-Berlin und Wien. So siedelten sie – entgegen gängigen Fluchtbewegungen – nach und nach in die DDR über: der „Neue-Scala“-Prinzipal Wolfgang Heinz mitsamt seinen Mitstreitern Karl Paryla und Hortense Raky, Peter Sturm, Erika Pelikowsky und Emil Stöhr, Fritz Links, Otto Tausig – der lange zögerte und in Wien erst ein Jahr lang Arbeitslosengeld bezog –, Lilly Schmuck und andere. Manche von ihnen blieben aus verschiedenen Gründen, zu denen nicht zuletzt Heimweh gehörte, nur wenige Monate in Ost-Berlin, manche bis zum Mauerbau 1961/62, manche ihr gesamtes weiteres Leben. Die Bühnenkunst der DDR, vor allem am Deutschen Theater, bekam durch die „Österreicher“ kräftige neue Impulse, und auch der DEFA-Film profitierte von den Wiener Schauspielern, denen zu Hause, wenigstens vorübergehend, keine Arbeitsmöglichkeit offeriert wurde.

Der ganze Mensch

An die „Österreicher bei der DEFA“, ein fast vergessenes Kapitel der Filmgeschichte, erinnert jetzt eine umfassende Retrospektive in Wien. Darin sind nicht nur die filmischen Auftritte der „Neue Scala“- Darsteller integriert, sondern auch weitere Gastspiele österreichischer Schauspieler und Regisseure, die im Prinzip schon ab 1946, in den Gründungsjahren der DEFA, einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Profil des ostdeutschen Films hatten. Immerhin war der Wiener Autor und Regisseur Georg C. Klaren der erste Chefdramaturg der DEFA, der für seine eigenen Regiearbeiten u.a. seine Landsleute Kurt Meisel (als „Wozzeck“, 1947) und Karl Paryla (als „Semmelweis – Retter der Mütter“, 1950), Angelika Hauff und Klaramaria Skala verpflichtete. Auch für heitere Genrefilme versicherten sich die Babelsberger gern der Mitwirkung von österreichischen Darstellern, etwa des jungen Bert Fortell, der sein strahlendes Lächeln in „Zar und Zimmermann“ (1956) und „Mazurka der Liebe“ (1957, nach Millöckers „Bettelstudent“) einbrachte, oder des ewig nuschelnden Josef Egger, der in der „Fledermaus“-Adaption „Rauschende Melodien“ (1955) die Rolle des Gefängniswärters Frosch übernahm. (Er hatte damit Erfahrung, denn auch in Géza von Cziffras „Fledermaus“, 1945, war er damit befasst.)

Was österreichische Mimen generell in die DEFA-Ästhetik einzubringen vermochten, ist sicher nicht auf einen Nenner zu bringen. Zu verschieden sind die Filme, zu unvergleichbar die Rollen. Dennoch: Was das „Wiener Engagement“ im DEFA-Film betrifft, ist vielleicht am deutlichsten in dem historisch-biografischen Opus „Die Unbesiegbaren“ (1953) zu erkennen. Noch vor seinem zeitweiligen Wohnsitz-Wechsel nach Ost-Berlin spielte Karl Paryla hier den Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratischen Partei, August Bebel. Zu sehen ist etwas Erstaunliches, nämlich eine Art Gegensatz zur preußisch-strengen, ernsten Geschichtsbetrachtung. Paryla gab einen heiter-gelösten, in manchen Szenen fast tänzerischen Bebel, nicht nur einen Kopf-, sondern auch einen sinnenfrohen Herz- und Bauchmenschen; keinen hehren, allwissenden Dozenten – wie zwei Jahre darauf Günther Simon als „Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse“ –, sondern einen Mann, der den „Kampf“ stets auch als Spiel versteht. Paryla führte das unter Einsatz seiner ganzen Körperlichkeit vor: ein gestischer Vulkan.

Etwas Besonderes verdankte die DEFA auch Rudolf Wessely: Schon drei Jahre vor Schließung der „Neuen Scala“ war er ans Deutsche Theater gekommen, hatte sich mit dem dortigen Dramaturgen Heinar Kipphardt angefreundet und in der Uraufführung von dessen Gegenwartskomödie „Shakespeare dringend gesucht“ die Hauptrolle gespielt. Bei der DEFA engagierte er sich, wiederum an der Seite Kipphardts, in satirischen Kurzfilmen der Reihe „Das Stacheltier“. Der siebenminütige „Wintermantel“ (1953) bildete dafür den Auftakt: Hier stellte Wessely den Kunden eines Modesalons dar, der sich besagtes Stück schneidern lassen will, aber auf die Tücken der bürokratisch gehandhabten Planwirtschaft stößt, in der Wintermäntel nur im Sommer produziert werden. In einer Eloge auf Wessely hielt Kipphardt fest: „Seine Komik hatte in ihrer Art manches Chaplineske, und sie ließ gleichzeitig in ihrer resignativen Wehmut an die Schule der Wiener Volkskomiker denken, aber da war für mich auch etwas unübersehbar Neues, Heutiges. Sie hatte an den persönlichsten Stellen einerseits noch die philosophische Skepsis des modernen Menschen und wusste andererseits bereits, dass der Mensch nicht zu zerstören ist. Er war ein Moralist in seiner Komik, er hatte einen starken ethischen Fundus, der ihn über der komischen Situation nie den ganzen Charakter, den ganzen Menschen vergessen ließ.“ Ein frühes, 1957 geschriebenes Resümee, das auf alle DEFA-Auftritte Wesselys bis zu Gerhard Klingenbergs musikalischem Lustspiel „Guten Tag, lieber Tag“ (1961) zutrifft – und für Wesselys Spiel bis heute gültig ist.

Filme gegen den Faschismus

Schon 1947 hatte der in Wien ausgebildete Alfred Balthoff, der im Dritten Reich unter dem Namen Alfred Israel Berliner bei Aufführungen des Jüdischen Kulturbunds Berlin mitwirkte und im Untergrund überlebte, eine wesentliche Rolle in Kurt Maetzigs erstem deutschen Holocaust-Film „Ehe im Schatten“ verkörpert: den Schauspieler Kurt Bernstein. Auch später wirkten österreichische Akteure immer wieder in antifaschistischen DEFA-Produktionen mit. Wolfgang Heinz trat unter der Regie von Konrad Wolf als „Professor Mamlock“ (1961) auf, ein jüdischer Arzt, der sich zu Beginn des Jahres 1933 nicht vor den Nazis beugt und lieber in den Freitod geht als seinen humanistischen Idealen untreu zu werden. „Heinz hat keine Angst vor dem Pathos der Sätze“, schrieb die Filmwissenschaftlerin Erika Richter, „mit denen sich Mamlock zu Freiheit des Geistes, Toleranz, Verteidigung der bürgerlichen Moral bekennt und füllt sie mit seiner Persönlichkeit aus. Da ist er, einer der letzten streitbaren Bürger, der mit Notwendigkeit untergehen muss, denn die kommenden Gesellschaften haben keinen Platz mehr für ihn und seine Ideale...“ In einem anderen großen DEFAAuftritt – Erich Engels letztem Kinofilm „Geschwader Fledermaus“ (1958) – gestaltete Heinz übrigens eine Art Gegenfigur: einen zynischen, aus dem Dienst entlassenen US-amerikanischen Fliegergeneral, der den Franzosen im Indochina-Krieg mit seiner Privatstaffel Material und Waffen transportiert.

Vorrangig für antifaschistische DEFA-Filme wurde der kleine, nachdenklich und sehr weich wirkende Peter Sturm herangezogen: In der Erinnerung haften blieb besonders sein KZ-Häftling Rose in Frank Beyers „Nackt unter Wölfen“ (1963), eine Studie von Angst, Verzweiflung und Verrat. Erika Pelikowsky, im „wirklichen“ Leben die Ehefrau von Wolfgang Heinz, spielte in Ralf Kirstens „Der verlorene Engel“ (1966) die Lebensgefährtin des Bildhauers Ernst Barlach: still, fürsorglich, mit großem Verständnis für die Zweifel des Künstlers, der erleben muß, dass die Nazis seinen „Schwebenden Engel“ aus dem Güstrower Dom entfernen. Bekanntlich wurde dieser Film in Folge des 11. Plenums des ZK der SED verboten und in gekürzter Fassung erst fünf Jahre nach den Dreharbeiten uraufgeführt: Wie Erika Pelikowsky mit dem Vorwurf umging, der „Der verlorene Engel“ könne auch als Parabel auf das Verhältnis von Macht und Kunst in der DDR interpretiert werden und sei deshalb partei- und staatsschädlich, ist nicht überliefert. Überliefert ist allerdings, wie sehr manche „Österreicher“, nicht zuletzt Wolfgang Heinz, unter politischer Ignoranz und Arroganz auch in der DDR litten – und sich dennoch selbst beschworen, ihrem Ideal einer „besseren“ Gesellschaft weiter zu dienen.

Niederlagen und Einschnitte

So lässt sich anhand der Retrospektive „Österreicher in der DDR“ auch über diverse Niederlagen reflektieren. Trude Bechmann etwa, die in DEFA-Filmen wie „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ (1973) oder „Don Juan, Karl Liebknechtstr. 78“ (1980) in die wunderbaren Chargenrollen skurriler Alter schlüpfen durfte, wurde die Chance genommen, auch einmal eine Hauptfigur zu verkörpern, als Siegfried Kühns Projekt „Schwarz-Weiß und Farbe“ 1982 kurz vor Drehbeginn starb: die Geschichte eines greisen Ehepaares, das beim Bau des Atomkraftwerks Lubmin von seinem Grundstück vertrieben wird und daran zugrunde geht, war der DEFA-Leitung plötzlich viel zu heikel. Der österreichische Dokumentarist Hugo Herrmann, der 1956 zur DEFA gekommen war, erlebte in Ost-Berlin ein totales Fiasko: Nach nur vier Filmen, darunter „Träumt für morgen“ (1956) und „Stahl und Menschen“ (1957), die formal und inhaltlich frischen Wind in die eingefahrenen Sichtweisen der DEFA brachten, wurde er wegen „Unbotmäßigkeit“ entlassen und zum DDR-Fernsehen abgeschoben.

Die tiefsten Einschnitt erlebten die „Österreicher“, als im August 1961 die Errichtung der Berliner Mauer begann. Die Zeit der Trennung war gekommen, und während die einen in der DDR blieben und die anderen – mit ihrem österreichischen Pass, den sie alle behalten hatten – wieder gingen, bekamen manche Freundschaften Risse. Karl Paryla begründete seine Rückkehr nach Wien: „Ich habe in meinem ganzen Leben vor nichts so sehr Angst gehabt wie vor dem Eingesperrtsein. Aus Angst bin ich weggegangen, nicht aus Mut, eher aus Wut.“ 1967 schrieb er an Wolfgang Heinz: „Ich kann nicht in Situationen existieren, in denen ich nicht meinen Meinungen und meinen Überzeugungen unbeschadet Ausdruck geben kann. Mein ganzes Leben ist Beweis dafür, dass ich aus Selbstschutz vor meinem ausbrechenden Temperament mich immer dann in Sicherheit gebracht habe, wenn ich befürchten musste, in Umstände zu geraten, denen mein Naturell, die beschränkte Fähigkeit, mich zurückzuhalten, nicht gewachsen wäre.“

Auch in Wien wurde es ihm nicht leicht gemacht; ein denunziatorischer Artikel von Hans Weigel in der „Kronen Zeitung“ gipfelte in dem Satz: „Die Österreichischen Theater und Sender haben das Recht, einen Schauspieler abzulehnen, welcher sich wiederholt (...) für das bolschewistische System ausgesprochen hat.“ Zugleich verlangte Weigel einen Kniefall: „Wenn Sie einfach irgend einer Zeitung ein Interview geben und sich entsprechend zu diesem Thema äußern, wenn Sie nur deutlich sagen: ‚Ich bin nimmer dabei‘ oder ‚ich bin aufrichtig dagegen‘, würde dies ausreichen.“ Diese Forderung blieb unbeantwortet. 23 Jahre später erhielt Paryla den Professorentitel aus den Händen des Wiener Bürgermeisters Zilk.

Parylas Bruder Emil Stöhr, der bei der DEFA mit großem Pathos die Titelrollen in „Robert Mayer – der Arzt aus Heilbronn“ (1955) und „Tilman Riemenschneider“ (1958) gespielt hatte, schilderte seine Rückkehr in den Westen so: „Man war ein krummer Hund, wenn man aus der DDR kam. Es war die Hölle. Man wollte, dass ich gegen die DDR aussage, dass ich unterschreibe, dass ich gegen den Kommunismus bin. Dabei hatte ich dieses Parteibuch schon lange nicht mehr. Ich hatte es schon in der DDR nicht mehr, weil mir vieles nicht gepasst hat.“ Otto Tausig ging zunächst zu Leopold Lindtberg nach Zürich, dann nach Münster, Frankfurt, West-Berlin, Köln. Er brauchte 14 Jahre, ehe er wieder in Wien spielen durfte – bei Gerhard Klingenberg, der auch in der DDR gewesen war und 1970 zum Direktor des Burgtheaters berufen wurde.

Auch nach ihren DDR-Jahren haben „Zurückgekehrte“ wie Paryla und Stöhr, Otto Tausig und Rudolf Wessely für Kino und Fernsehen gearbeitet. Ihre Frühzeit bei der DEFA wurde jedoch im Osten weitgehend vergessen und blieb im Westen nahezu unbekannt. In Wien soll das jetzt – wenigstens partiell – anders werden.

Ralf Schenk (filmdienst 4/2004)

Die Retrospektive „Österreicher im DEFA-Film“ findet vom 1. bis 21. März 2004 im Wiener Metro- Kino statt. Veranstalter sind das Filmarchiv Austria, die DEFA-Stiftung Berlin, das Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin und die Progress Film-Verleih GmbH. Unser Autor Ralf Schenk ist gleichzeitig Kurator der Retrospektive.

Weiterführende Literatur:

  • Carmen-Renate Köper: Ein unheiliges Experiment. Das Neue Theater in der Scala. Löcker Verlag, Wien 1995
  • Evelyn Deutsch-Schreiner, Karl Paryla: Ein Unbeherrschter. Otto Müller Verlag, Salzburg 1992.
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