Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Eine sichere Bank.

Die Indianer-Filme der DEFA

von Ralf Schenk

Daß in der DDR seit dem Sommer 1965 regelmäßig an eigenen „Indianerfilmen“ gearbeitet wurde, hatte zwei handfeste Gründe: Zum einen wollten sich die Verantwortlichen der Filmgesellschaft DEFA mit einer verstärkten Hinwendung zum Genrekino – zu Krimis, Musicals, Komödien und eben auch Western – die verlorengegangene Publikumsgunst zurückerobern. Zum anderen beobachtete man in Babelsberg sehr genau, welchen Erfolg westdeutsche Produzenten 1962 mit der Adaption von Karl-May-Romanen aufweisen konnten. Karl May mit seiner Wildwest-Idylle und einem bisweilen sehr teutonisch anmutenden Heldenbild galt in der DDR noch als „persona non grata“; seine Bücher wurden nicht verlegt, geschweige denn ihre Verfilmung in Betracht gezogen. Aber auch in der Literatur der DDR gab es Versuche, die Geschichte der nordamerikanischen Indianer literarisch zu fassen. So wählte die DEFA einen Roman der Schriftstellerin und Professorin für Alte Geschichte Liselotte Welskopf-Henrich (1901–1979), „Die Söhne der großen Bärin“ (1951), als Einstieg ins Genre.

Ein Literaturlexikon der DDR apostrophierte dieses Buch als einen Versuch, der „kapitalistisch kommerzialisierten Rothaut-Romantik ein den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den historischen Tatsachen entsprechendes, dennoch phantasievolles Bild der Indianer“ entgegenzusetzen. Dennoch gab es in den politischen Gremien Vorbehalte gegen hauseigene Western, auch wenn diese, um ihre Parteilichkeit von vornherein klarzustellen, bewußt als „Indianerfilme“ bezeichnet wurden. Die Historie des kapitalistischen Nordamerika zu behandeln, erschien manchem Kulturpolitiker in der DDR zu weit weg von den eigentlichen Aufgaben der DEFA. Aber auch im Studio selbst existierten Berührungsängste. So konnte die Leitung keinen der fest angestellten rund 40 Regisseure für das Western-Debüt begeistern und mußte auf einen Gast aus der Tschechoslowakei, auf Josef Mach, zurückgreifen.

„Ackerbau, Büffelzucht, Eisen schmieden“

„Die Söhne der großen Bärin“ hatte einen sensationellen Erfolg und machte den aus Jugoslawien eingeflogenen Hauptdarsteller Gojko Mitic, einen ehemaligen Sportlehrer, gleichsam über Nacht zum Star. Erzählt wurde eine Story aus den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts: Weil in ihren Reservationen Gold gefunden wurde, sollen die Dakota vertrieben werden. Während einzelne Indianerstämme kapitulieren, sieht der junge Häuptling Tokei-ihto seine Aufgabe darin, seinen Stamm in neue, fruchtbare Gebiete zu führen: „Ackerbau, Büffelzucht, Eisen schmieden – das ist unser neuer Weg.“ Mit diesem Stoff wurde gleichsam der Tenor für alle Indianerfilme der DEFA vorgegeben: eine scharfe Kritik an der rassistischen und kolonialistischen Politik des weißen Amerika; und zugleich ein Hohelied auf die Ureinwohner, die Hunger, Vertreibung und Mord ausgesetzt waren. Neben der „political correctness“ bemühte sich die DEFA auch um anthropologische Korrektheit: In ihre frühesten, etwas naiv anmutenden Indianerfilme baute sie stets indianische Tänze oder Wettbewerbe wie Reiten oder Bogenschießen ein, die – wie Kostüme, Federschmuck und Bemalungen – nach historischen Quellen möglichst exakt rekonstruiert wurden.

Andererseits verzichtete der Indianerfilm in der DDR nie auf die üblichen Genrezutaten, so wie sie aus Hollywood bekannt waren. Natürlich gab es auch hier wilde Verfolgungsjagden, Überfälle auf Postkutschen und Eisenbahnen, klassische Showdowns vor dem Saloon, in der Prärie oder zwischen Felsklüften. Auch das Klischee der schönen Indianerin wurde hin und wieder genutzt, wobei diese meist als Braut oder Frau des Häuptlings fungierte, deren Raub oder Ermordung die Story in Gang zu halten hatte. Mit ihrem romantischen Indianerbild waren die Western der DEFA dem westdeutschen Karl-May-Kino schließlich gar nicht so fern: In beiden deutschen Staaten bedienten diese Filme eine tief im Unterbewußtsein verwurzelte Sehnsucht nach Reinheit, Unschuld und Kraft, den Traum, ohne drückende Vorgeschichte einfach nur gut sein zu dürfen.

Wurzellos zwischen zwei Welten

Das zweite Indianeropus der DEFA basierte auf James F. Coopers „Wildtöter“: „Chingachgook, die Große Schlange“ (1967, Regie: Richard Groschopp). Aus dem späten 19. blendete man nun in die Mitte des 18. Jahrhunderts, in die Zeit der Stammesfehden zwischen Huronen und Delawaren, die von den Weißen für ihre Eroberungspolitik ausgenutzt wurden. In die „Frühzeit“ des amerikanischen Westens kehrte die DEFA danach nur noch einmal zurück, für einen Film, der ganz ohne Gojko Mitic auskam und vielleicht aus diesem Grund nur eine bescheidene Publikumsresonanz fand: „Blauvogel“ (1979). Diese fast vergessene Arbeit des als Dokumentarist bekannt gewordenen Regisseurs Ulrich Weiß gehört indes zum Besten, was in Babelsberg inszeniert wurde: ein philosophischer Western, dessen Handlung ein sehr deutsches Thema spiegelte. Weiß erzählt, basierend auf dem gleichnamigen Buch von Anna Jürgen, die Geschichte eines neunjährigen Siedlerjungen, der von Irokesen entführt wird und anstelle des verstorbenen Sohnes bei den Indianern aufwächst. Als er Jahre später bei einem Austausch an seine weißen Eltern zurückgegeben wird, ist er sich plötzlich seiner Wurzellosigkeit bewußt. „Blauvogel“ wurde zum Film über die Koexistenz zweier Welten und die Unmöglichkeit des Individuums, beliebig zwischen ihnen zu wechseln.

Ende der 60er Jahre sah sich die DEFA nach Co-Produzenten um und fand sie in jugoslawischen, rumänischen, bulgarischen und mongolischen Studios. Das Ambiente des Westens wurde mit ihrer Unterstützung in osteuropäischen Landschaften nachgestaltet; die Pferdeherden kamen aus der Sowjetunion oder der Mongolei. Das Genre hatte sich in der DDR etabliert, die Babelsberger Western waren trotz ihrer mehr oder weniger offensichtlichen Didaktik ein Exportschlager. Inzwischen verhielten sich auch Regisseure der DEFA nicht mehr abstinent: Gottfried Kolditz und Konrad Petzold avancierten zu verläßlichen Handwerkern. Kolditz’ „Spur des Falken“ (1968) mit seinen Auseinandersetzungen zwischen Dakota und Goldgräbern wurde zum opulentesten DEFA-Western aller Zeiten. Wie in seiner Fortsetzung „Weiße Wölfe“ (1969, Regie: Konrad Petzold) fabulierten die Autoren hier über „Vorfälle, in denen die Verfilzung von Kapitalakkumulation und Regierungspolitik, Militäraktion und Banditentum den Alltag des Westens und der Grenze beherrscht“ (Klaus Wischnewski). Dabei ermöglichten es die Storys, differenziert mit der weißen Personage umzugehen: So beherrschten diabolische Eroberer und ihre brutalen Handlanger (oft in Gestalt von Rolf Hoppe) die Szene, andererseits aber auch Kleinunternehmer und Handwerker, die auf Frieden hoffen, und ehrliche Sheriffs, die, wie am Ende von „Weiße Wölfe“, ihre Sterne resigniert ablegen.

Metaphern für Freiheit

In „Tödlicher Irrtum“ (1970, Regie: Konrad Petzold) spielt Armin Mueller-Stahl das Halbblut Chris, das von seinem Bruder, einem jungen Häuptlingssohn, um Hilfe gegen die Machenschaften der Ölkompanie gebeten wird. Der Film endet tragisch: Chris, der sich als Hilfssheriff für die Indianer eingesetzt hatte, stirbt. Auch andere „Blutsvermischungen“ waren bei der DEFA meist zum Scheitern verurteilt: In „Ulzana, der unbesiegte Häuptling“ (1974, Regie: Gottfried Kolditz) wird Leona, die mexikanische Frau des Häuptlings, von Soldaten gefangen und erschossen. In „Blutsbrüder“ (1975, Regie: Werner W. Wallroth) verliebt sich der weiße Soldat Harmonika – gespielt von dem in die DDR ausgewanderten amerikanischen Protestsänger Dean Reed – in das Indianermädchen Rehkitz, das, noch bevor sich die Liebe entfalten kann, von anderen Weißen ermordet wird. Der Tod der Indianerin führt den Soldaten in eine tiefe Krise, eine Flucht in den Alkohol, aus dem er erst errettet wird, als er eine neue Aufgabe findet: die Befreiung von Rehkitz’ Bruder „Harter Felsen“ aus der Gefangenschaft der Weißen. Als Blutsbrüder ziehen die weißen Männer am Ende des Films in den gemeinsamen Kampf der Cheyenne – eine Metapher, ungeachtet aller Unterschiede in Herkunft und Kultur für die Freiheit einzutreten.

Mit „Osceola – Die rechte Hand der Vergeltung“ (1971, Regie: Konrad Petzold), „Tecumseh“ (1972, Regie: Hans Kratzert), „Apachen“ (1973, Regie: Gottfried Kolditz) und dessen Fortsetzung „Ulzana“ wurden authentische indianische Führerfiguren in den Mittelpunkt der Handlungen gestellt. „Tecumseh“ porträtiert den Shawnee-Häuptling, der sich den Briten anschloß, zum Brigadegeneral avancierte und 1813 fiel. Spätere Indianerfilme der DEFA wiesen dann nicht mehr den großen historischen Atem und die gestalterische Kraft dieser Arbeiten auf. Der Western der DDR wurde müde; das Publikum begann sich nach und nach von ihm zu verabschieden.

„Severino“ (1977, Regie: Claus Dobberke) wechselte den Schauplatz von Nord- nach Südamerika und beschrieb in einem grauen, unwirtlichen Ambiente den Versuch eines assimilierten Indianers, seinen Stamm trotz ungeklärter Überfälle zum Zusammenleben mit den Weißen zu überzeugen. Der Pferdewestern „Der Scout“ (1983, Regie: Konrad Petzold), das letzte Indianeropus mit Gojko Mitic, skizzierte die Verlorenheit eines Indianers angesichts weißer Übermacht, der er nur durch List zu trotzen weiß – ein letztes Aufbäumen der Utopie vom selbstbestimmten Leben. Mit dem existentiellen, grüblerischen Film „Atkins“ (1985, Regie: Helge Trimpert) verabschiedete sich die DEFA schließlich vom Wilden Westen: die Legende eines aus der Stadt geflohenen Einsiedlers, der in einem abgeschiedenen Tal gemeinsam mit Indianern lebt, die ihrerseits aus der Reservation entwichen sind. Aber auch diese Gruppe wird von der Zivilisation eingeholt, die mit Mord und Totschlag in das Refugium einbricht, versessen auf jene Kupfervorräte, die hier vermutet werden. So schließt sich der Kreis: Gold, Kupfer und Öl als Symbole für den frühen Kapitalismus haben den Frieden auf Erden zunichte gemacht. Am Ende der Indianerfilmreihe der DEFA steht eine abgrundtiefe Skepsis über den weiteren Gang der Menschheit: Mit Vernunft ist nicht zu rechnen.

Ralf Schenk (filmdienst 11/1998)

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