Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Von Menschen und Masken.

Die Schauspielerin Corinna Harfouch

von Ralf Schenk

Eine Schauspielerin in ihrer Garderobe. Momente der Besinnung vor der Probe, vor dem Hinaustreten ins gleißende Bühnenlicht. Der Spiegel als unbestechlicher Kritiker, als letzte Chance des Vergewisserns, der Korrektur. Sätze werden noch einmal rekapituliert, in verschiedenen Tonlagen vorgetragen: "Das Weib ist nicht schwach. Es gibt starke Seiten in dem Geschlecht. Ich will in meinem Beisein nichts über die Schwäche des Geschlechts hören." Die Schauspielerin spricht die Worte zunächst sachlich und bestimmt. Dann leise, fragend, sentimental. Doch das Weiche, Weinerliche wird verworfen; es steht ihr nicht. Was bleibt, ist das Starke, auch gegen sich selbst Unerbittliche - und die Gewißheit, daß sich hinter dem beherrschten Antlitz ein Universum der Gefühle verbirgt. Am Spiegel der Schauspielerin klebt nicht von ungefähr das Porträtfoto von Marlene Dietrich.

Im Reich des Geistes

So tritt Corinna Harfouch als Maria Rheine in den Film "Die Schauspielerin" (1988, Regie: Siegfried Kühn) ein. Die wahnwitzige Geschichte einer Leidenschaft im Deutschland der 30er Jahre: Um ihrem jüdischen Geliebten nahe zu sein, verzichtet eine "arische" Aktrice auf die Karriere, fingiert einen Selbstmord, verändert ihr Äußeres, folgt dem Mann in eine fremde Stadt. Der Stoff, eine Ehe im Schatten, barg c.lle Chancen eines Melodrams; aber die Filmemacher scheuten die Tränen des Publikums; der unerhörte Vorgang sollte nicht verwässert werden. Auch darum löst sich Corinna Harfouch nicht in der Figur auf, stellt stattdessen deren einsame Entscheidungen ganz bewußt aus, hebt sie aus dem Reich der Sinne in das des Geistes, auf gleichnishafte Höhe. Faszinierend, wie aus dem mondänen Star mit Hosenanzug und Schlapphut eine verhärmte Frau in schwarzem Kostüm, mit Sonnenbrille und Schleier wird. Wie sie am selbstgewählten Abschiedsabend noch einen langen Blick ins Publikum wirft. Oder später, am Jüdischen Theater, der neuen Heimstatt ihres Mannes, die Kostüme mit den Augen streichelt. Trauer, Sehnsucht, unstillbares Verlangen im Blick - Szenen, die keiner Worte bedürfen, nur der Sprache des Körpers. Als Maria Rheine wieder auf die Bühne darf, steppt sie ins Licht. Für "Die Schauspielerin" erhielt Corinna Harfouch den Darstellerpreis des Filmfestivals Karlsbad.

"Die Harfouch", geboren 1954 in Suhl. Lehre als Krankenschwester, dann zwei Semester Studium der Textiltechnik an der Technischen Universität Dresden. 1978 bis 1981 Schauspielstudium Berlin. Am Berliner Theater im Palast tritt sie als Lucie in "Stella" und Julia in "Romeo und Julia" auf, wenig später an der Volksbühne als Lady Macbeth, inszeniert von Heiner Müller. Glückliche Bühnenerfahrungen, denen das filmische Pendant allerdings noch fehlt. Nach "Verzeihung, sehen Sie Fußball?" (1983, Regie: Günther Scholz), ihrem Kinodebüt, steht sie dem Medium skeptischer denn je gegenüber: Der Episodenfilm um Ereignisse am Tag des WM-Endspiels, in dem sie einejunge geschiedene Frau spielt, deren Haßliebe zum Ex-Ehemann wieder aufbricht, befriedigt sie nicht. Erst der nächste Kinoversuch, drei Jahre später, eröffnet neue Horizonte - und markiert den Beginn einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Regisseur Roland Gräf.

Die Innenwelt nach außen kehren

"Das Haus am Fluß" skizziert das Eindringen des Krieges in den Alltag einer im Hinterland lebenden deutschen Familie. Corinna Harfouch als Emmi Voß in einem erlesenen Frauenensemble, in dem ihr der Part des tiefsten Sturzes zukommt: Mit einem Stolz, der zugleich Ausdruck ihrer Naivität ist, liest Emmi zu Beginn einen Brief ihres Mannes von der Front. Diese Naivität bleibt ungebrochen, bis zum plötzlichen Erwachen, Entsetzen: Zwei Soldaten betreten den Hof, reden mit ihrer Schwiegermutter. Emmi hört, hinter den Gardinen, nichts - aber sie versteht alles. Danach hockt sie nur noch lethargisch in der Küche, lauscht nach innen oder rennt wie ein waidwundes Tier in ihrem Zimmer auf und ab. Zum Schluß überdreht sie geistesabwesend die Kurbel ihres Grammophons - Adieu, mein kleiner Gardeoffizier! - und erhängt sich. Eine geradlinige, die Innenwelten nach außen kehrende Rolle. Hintergründiger und aufregender dann die Figur der Elsa-Marie Bukonje in Grafs "Fallada - letztes Kapitel" (1988): die Sekretärin des Schriftstellers, die ihn zum Lieblingsdichter erklärt und im selben Moment für Goebbels bespitzelt. Ein Spie] mit Masken; die Studie einer Doppelagentin, die Fallada preisgibt und ihn zugleich behütet. Corinna Harfouch als emanzipierte Intellektuelle, die nur ihrem eigenen Auftrag zu gehorchen scheint, geschminkt und gestylt, hoch erhobenen Hauptes immer am Rand der Entdeckung, des Abgrunds balancierend. Eine Geliebte des Dichters , sehnsüchtig weniger nach dessen Körper, wohl aber nach seinem Geist. Corinna Harfouch spielt mit überlegenem Lächeln und leicht zusammengekniffenen Augen das Doppelbödige, Gefährliche, Unfaßbare dieser Nähe: die treue Helferin als Aas und Schutzschild.

Die Zeitschrift "Sonntag" hat einmal über Corinna Harfouch geschrieben, bei ihr werde die Schönheit durchsichtig, "als ein Privileg der Natur und Kultur, als eine Last, als ein Aufschwung, zugleich als eine Hülle, hinter der sich allmählich die Risse, die Zerklüftungen, die Erosionen der Zeit zeigen". Auch das ist in einem Film von Roland Graf sichtbar geworden: in "Der Tangospieler" (1991). Corinna Harfouch als Buchhändlerin Elke, zeitweilige Geliebte eines aus dem politischen Gefängnis entlassenen Universitätslehrers. Ihre Auffassung vom Leben wird zum nachdenklichen, pragmatischen Gegenentwurf zu seiner Selbstgerechtigkeit und dem nur auf die eigene Vita bezogenen Mitleid. Die Kamera erfaßt die engen Zimmer einer dunklen Wohnung im verfallenen Leipziger Osten; Elke tritt in schäbigen Kleidern und Kittelschürzen der 60er Jahre auf, wirkt müde und abgespannt, und doch behauptet sie eine tiefe innere Würde. "Komm mit Dir ins reine, und dann komm wieder", verabschiedet sie den Mann, der ihre Stärke bewußt übersieht.

Verschlingungen von Gefühlen

Die Charakteristik des "Sonntag" trifft aber vor allem auf die bisher schönste Filmfigur der Corinna Harfouch zu: auf Therese Forster in "Treffen in Travers" (1989, Regie: Michael Gwisdek), einem Kammerspiel für drei Personen, angesiedelt in der Schweiz des Jahres 1793. Eine Frau reist mit ihrem Liebhaber, den sie heiraten will, zu ihrem Mann, den sie lange nicht gesehen hat. Sie will die Scheidung, doch plötzlich gerät das so sicher geglaubte Gedankengebäude ins Wanken. Jede Szene ein Kabinettstück: Thereses langer Blick und unterdrücktes Entsetzen, als sie Georg Forster wiedersieht: in einem alten Mantel, unrasiert, mit wildem struppigem Haar. Ihr Zurückweichen, als er Ihren Kopf in seine Hände nehmen will; die scheue Berührung, als die Töchter verlangen, daß Vater und Mutter sich küssen sollen. Dann das erneute Aufflammen der alten Liebe, die Gegenwehr, die Suche nach Argumenten für die Trennung: "Du liebst mich nicht", sagt sie zu Forster. "Die Welt, die Menschheit vielleicht, aber nicht mich. Dazu hast du ja gar keine Zeit."

Auch in dieser Rolle behauptet Corinna Harfouch zunächst das Pragmatische gegen das Illusionäre: Während Forster das Ideal der Französischen Revolution beschwört und bald auch die Utopie einer menage ä trois entwirft, flickt sie sein Hemd. Aber der Film verharrt nicht in dieser Konstellation, sondern läßt die Ideen und Träume des einen in die Herzen der anderen Einzug halten. "Eine Frau zwischen zwei Männern. Könnte ich mich doch verdoppeln" - dieser Satz, den Therese ins Tagebuch schreibt, wird in vielfältigen darstellerischen Momenten transparent. So gibt "Treffen in Travers" den Schauspielern ausreichend Gelegenheit, die Verwirrungen und Verschlingungen von Gefühlen in Blicken, Gesten, Haltungen erfahrbar zu machen. Ein Spiel "von der Kompliziertheit des Lebens, von der Unlösbarkeit des Problems" (Regine Kühn), in dem Corinna Harfouch am intensivsten gefordert wird. Ihre Figur bewegt sich zwischen Flüstern und Schreien, Zusammenbruch und Aufbäumen, Anfang und Ende und neuem Beginn.

Ende und Anfang: Nach dem Finale der DEFA und Auftritten in Horst Seemanns "Zwischen Pankow und Zehlendorf" (1991), einer Kolportage aus dem Vier-Sektoren-Berlin, und Roland Grafs ironisch-kriminalistischer "Spur des Bernsteinzimmers" (1992) schien Corinna Harfouchs Kinokarriere vorübergehend zum Stillstand gekommen. Obwohl sie schon in den 80er Jahren in einigen westdeutschen Filmen von Hark Bohm ("Der kleine Staatsanwalt", 1986, "Yasemin", 1987) gastiert hatte, brachte ihr erst eine Fernsehrolle in der Serie "Unser Lehrer Dr. Specht" wieder Angebote für die Leinwand. Das gesamtdeutsche Publikum nahm sie zuerst in "Charlie & Louise - Das doppelte Lottchen" (1994, Regie: Joseph Vilsmaier) zur Kenntnis, einer veräußerlichten Adaption des Kästnerschen Kinderbuches. Corinna Harfouch als hektische Werbemanagerin Sabine, der kaum Zeit fürs Privatleben bleibt: eine kühle Schönheit in einem Universum betriebsamer Masken. In einer Szene freilich nutzt sie die Gelegenheit, die Welt hinter der Schminke erfahrbar zu machen: als sie entdeckt, daß ihre zweite Zwillingstochter, die nach der Scheidung beim Vater aurwuchs, sich in ihren Haushalt, in ihr Leben eingeschlichen hat. Ihr Erkennen und Erschrecken, die Umarmung der verloren geglaubten Tochter gibt dem Film für Sekunden eine menschliche Wärme, die ihm sonst fehlt. Auch im Lustspiel "Irren ist männlich" (1995, Regie: Sherry Homann; ab Mai bei Buena Vista Home Video) dringt Corinna Harfouch in Tiefenschichten vor, obwohl es zunächst den Anschein hat, als sei sie mehr auf eine Modenschau als an eine psychologisch vertiefte Rolle geraten. Als freilich ihre Figur Bettina entdecken muß, daß das bürgerliche Familienglück massiv bedroht ist, enthüllt ihr Anlitz plötzlich Spuren von Rissen und Verkrustungen. Die äußere Fassade zu bewahren, wird zum mühsamen Balanceakt. Man spürt, wie sehr der schöne Schein trügen kann, und daß sich hinter den ewig lächelnden Fassaden tiefe Ängste verbergen - für einen Augenblick wird einer ganzen Gesellschaft der Spiegel vorgehalten.

"Ein sinnliches Geheimnis"

Corinna Harfouchs Gesicht: schmal; mit hoher Stirn, eng stehenden Augen und breiten Wangenknochen. Schön und beherrscht, ohne jeden Anflug von Larmoyanz. Sehr feminin - aber zugleich auch die Möglichkeit offerierend, das Weibliche in einen androgynen Versuch einfließen zu lassen. Eine Erotik, die an Marlene Dietrich erinnert, auch an Elisabeth Bergner oder Marianne Hoppe. "Sie implodiert, wo die anderen explodieren", schreibt eine Kritikerin. Margarethe von Trotta hat das in ihrer Ost-West-Liebesgeschichte "Das Versprechen" (1994) genutzt; aber mit der gleichen Souveränität, mit der Corinna Harfouch die wichtigsten ihrer Figuren ausstattet, distanziert sie sich von diesem Film: "Beim Lesen hatte ich ein gutes Gefühl. Was als Text glaubhaft wirkt, klingt im fertigen Film, eins zu eins, plötzlich platt und hat auf einmal gar nichts mehr damit zu tun, wie es gewesen ist. Mein Land kann ich nicht wiedererkennen."

An der Berliner Volksbühne feiert Corinna Harfouch derzeit Triumphe; ihr Fliegergeneral Harras in Zuckmayers "Des Teufels General" (Regie: Frank Castorf) schreibt Theatergeschichte. Das deutsche Kino, so sieht es aus, bietet der Schauspielerin im Moment leider kaum gemäße Aufgaben. Indes: Es spricht für Corinna Harfouch, daß sie in einer Situation, in der die "tiefen Rollen" fehlen, den Genrefilm für sich entdeckt. Betont frech und aufmüpfig, dann wieder in sich gekehrt und bestechend sensitiv, agiert sie gemeinsam mit Katharina Thaibach als Underdog-Duo in "Gefährliche Freundin" (1995, Regie: Hermine Huntgeburth). Und mit einer Raffinesse, die stets die Oberhand gewinnt, tritt sie in der rabenschwarzen Komödie "Sexie Sady" (1996, Regie: Matthias Glasner) auf: als Gefängnisärztin Lucy, die schon im ersten Bild, mit dem Satz "Sie werden sterben", die vermeintliche Eiseskälte ihrer Figur zum besten gibt. Kein Zweifel, daß auch Lucy über Gefühle verfügt - aber zu beobachten, wie sie sie versteckt und sich auf abstruse Abenteuer einläßt, um ihre erotischen Fantasien schließlich für einen Moment auszuleben, gerade darin besteht der Reiz des Films. Regisseur Roland Graf: "Um sie ist ein sinnliches Geheimnis, selbst wenn sie nichts macht."

Ralf Schenk (filmdienst 12/1997)

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