Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Clown mit Charakter.

Der Schauspieler Rolf Ludwig

von Michael Hanisch

Er ist Herr Hrdlitschka, Ingenieur im volkseigenen Chemiewerk, passionierter Wochenendwanderer, Junggeselle, und er ist „Der Dritte“ der Margit Fließer (Jutta Hoffmann). Er ist Mager, der Kellner im Weimarer „Elephant“, übereifriger, beflissener Kommentator und Moderator der Vorgänge um „Lotte in Weimar“. An seiner Seite ein „Weltstar“: Lilli Palmer. Doch der Weltstar hat zumindest in den ersten zehn Minuten des Films keine Chance: Rolf Ludwig, Kellner Mager (sächsisch genauer „Macher“) beherrscht die Szene. Mit seiner „ungemein gehobenen Art, sich auszudrücken“ beeindruckt er nicht nur „Lotte in Weimar“ (1974), man kann vermuten, dass auch Thomas Mann seine helle Freude an dem Schauspieler gehabt hätte. „Du liebe Zeit!“ Wie selbstverständlich gehört diesem hoch gebildeten Diener auch das letzte Wort. Das, was er da erlebt hat, war nicht nur für ihn „buchenswert“. Dem Regisseur Egon Günther blieb später nur zu konstatieren: „Es ist ein Irrtum, dass da ein Regisseur viel hinzutun oder wegnehmen könnte. Ludwig erzeugt diese Figur, er transportiert sie vom Papier in die vierte Dimension: Länge, Breite, Höhe, die vierte Dimension heißt Kunst.“

Die Rollen, die Ludwig in den Kinofilmen von Egon Günther spielte, gehören zu den Glanzlichtern einer an Höhepunkten nicht armen Karriere. Im Theater waren es der Truffaldino in Goldonis „Diener zweier Herren“ und „Der Drache“ in Jewgeni Schwarz’ hintergründigem Märchenstück, Rollen, in denen er glänzte, die Berliner Theatergänger gleich mehrerer Generationen beeindruckte und DDR-Theatergeschichte schrieb. Im Kino waren es der Hrdlitschka, der Mager und zuvor das satirisch überzeichnete Porträt eines kaisergetreuen „deutschen Mannes“ in Günthers „Abschied“ (1968). Stets waren es eigentlich „nur“ Nebenrollen, die der Schauspieler aber zu Hauptereignissen machte. Die Kollegen, die die Hauptrollen spielten, hatten es mitunter nicht leicht, neben Ludwig zu bestehen. Immer dann, wenn er erschien, war er „bildfüllend“, war das „Ereignis“.

In der DDR galt er immer als der vielseitige, auf nahezu allen Ebenen einsetzbare Komödiant, der Komiker, der – in „Der Dritte“ (1971) – selbst eine langweilige Sitzung der „Betriebs-Konfliktkommission“ mit einem langen Witz aufzuheitern wusste. Doch Günther reizte hier der Kontrast. In „Der Dritte“ schien er Ludwig fast „zu fesseln“, da wurde der Schauspieler durch seine ungewohnte Zurückhaltung, seine augenzwinkernde Seriosität zum Ereignis. Woanders, auch bei Günther, durfte der Erzkomödiant zumeist „dem Affen Zucker geben“, hier aber war es das Gegenteil, und die Wirkung war in beiden extrem unterschiedlichen Techniken gleichermaßen groß. „Ich bin eindeutig ein Theaterschauspieler, kein Filmheld. Die Bühne liegt mir mehr. Ich hab’ ein paar ganz gute Filme gespielt, auch ein paar schlechte, aber die Bretter bleiben eben die Bretter.“ Das Bekenntnis eines außerordentlich Vielbeschäftigten am Ende seines Lebens, als er 1995 in dem Buch „Nüchtern betrachtet“ die Bilanz seines Lebens zog.

Leidenschaft Theater

Rolf Ludwig kam vom Theater und blieb beim Theater; er brauchte den täglichen Kontakt zum Publikum. Kino und (später) Fernsehen waren für ihn Ergänzungen, manchmal reizvoll, manchmal eher langweilig, allein finanziell lohnend. Ludwig kam aus britischer Kriegsgefangenschaft heim nach Dresden und war fasziniert von Wolfgang Borchert, den er kurz vor dessen Tod in Hamburg noch kennen lernte. Auf der anderen Seite wirft er sich sofort ins deutsche Nachkriegsunterhaltungstheater. Erich Ponto hatte ihm in Dresden noch einige nützliche Lektionen erteilt, aber nach Berlin holte ihn Hans Pitra, Intendant des Metropoltheaters, der führenden Operettenbühne Ost-Berlins. Der Spaß, das Lachen gehörte bei Ludwig von Anfang an dazu. Unterhaltung im besten Sinn war die Bedingung, die es jeden Abend zu erfüllen galt. Unter weniger günstigen Bedingungen hätte aus Ludwig ein erfolgreicher Operettenbuffo werden können, doch er hatte nicht nur viel Talent, sondern stets auch das Glück, dass Regisseure und Intendanten das ganze Potenzial dieses erzkomödiantischen Charakterdarstellers sahen. An der 1954 wieder eröffneten Volksbühne in Ostberlin fand er schnell die Rollen, die ihn forderten, prägten und zum Star des Theaterpublikums werden ließen. Ludwig trat in die Traditionslinie eines Victor Arnold, eines Max Pallenberg, von Komikern, die einst im Deutschen Theater schwer zu erreichende Maßstäbe gesetzt hatten.

Von 1955 an rannte er als Goldonis Truffaldino mit seinem Wackelpudding über die Bühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Fast zeitgleich begann er den Film für sich zu entdecken. Ein Dutzend kleiner Rollen genügten ihm, um das Medium zu „erobern“, auch hier mit einem „Ereignis“ aufzuwarten. Slatan Dudow entdeckte ihn und gab ihm die Titelrolle in „Der Hauptmann von Köln“, seiner Satire auf bundesdeutsche Remilitarisierungsverhältnisse. Den Aufstieg des kleinen Kellners zum Helden der „westlichen Welt“ machte Ludwig zum glanzvollen Bravourstück, in dem aber trotz allen Glanzes Raum für leise, menschliche Zwischentöne blieb. Jahre später spielte Ludwig dieselbe Rolle noch einmal in einer Dramatisierung, und Herbert Jhering, der Kritiker, stellte sogleich die Koordinaten und Bezugspunkte dieser schauspielerischen Ausnahmeerscheinung her: „Immer wieder bezaubert seine auf deutschen Bühnen seltene Leichtigkeit. (...) Rolf Ludwig ist der Berliner Schauspieler, der den umwerfenden Komödieninszenierungen Giorgio Strehlers in Mailand gewachsen bleibt.“

Ludwig hätte Operettenbuffo werden können – oder Gründgens-Schauspieler. Er war 1959 beim Intendanten des Hamburger Schauspielhauses, der ihn haben wollte. Doch Ludwig kann sich nicht entschließen. In seinen Erinnerungen beschreibt er den Vorgang mit sympathischer Naivität: „Ich kann meine Kollegen nicht im Stich lassen“, will er dem großen Gründgens gesagt haben, der ihm eine Gage von 8.000 Mark – West! – bot. „Ich würde nie wieder ein Bier runterkriegen. Das kann ich nicht.“ Ludwig geht in eine Hamburger Kneipe, wo er den Brief öffnet, der ihm vom Pförtner des Schauspielhauses übergeben worden war: „Da fällt mir der Brief ein. Ich reiße ihn auf. Drinnen sind zehn Hundertmarkscheine und ein kurzer handschriftlicher Gruß. ,Lieber Herr Ludwig, möge es noch viele solche Schauspieler geben wie Sie, die ihr Ensemble nicht im Stich lassen. Anbei tausend Mark. Machen Sie sich einen schönen Tag auf der Reeperbahn. Herzlichst Ihr Gustaf Gründgens.’“

Ludwig war wohl ein politisch naiver, im strengen Sinne gar unpolitischer Schauspieler, für den das größte Manko der DDR-Führung in ihrer Humorlosigkeit bestand. Trotzdem konnte er sich rückblickend einer gewissen Sympathie für die DDR-Sozialisten nicht enthalten: „Sie waren auf verlorenem Posten, manche wussten es sogar. Gedanklich und gefühlsmäßig stehe ich auch links. (...) Mir hat schon imponiert, was die da 1949 so vorhatten, bis zum Hals in den Trümmern.“ Seine Erinnerungen an seine große Zeit, an die Jahrzehnte in Ost-Berlin, sind von heiterer Gelassenheit. Hier plaudert einer, der das Leben genießen kann und auch gar keine Scheu hat, dies „auszustellen“. Nur nebenbei kommen die Blessuren zur Sprache, die der prominente Schauspieler im grauen Alltagsleben erfuhr. Selten spricht er über seine eigentliche Arbeit, über den schwer beschreibbaren Prozess kreativen, künstlerischen Schaffens. Immerhin arbeitete er mit einigen der besten Kräfte des europäischen Theaters jener Jahre, mit Benno Besson, den Langhoffs. Leben in der DDR, das bedeutete ihm rückblickend der nahezu ununterbrochene Beifall seiner Zuschauer – und die Kneipentouren durch Ost-Berlin.

Innere Emigration

Ludwig und der Alkohol. Ein Thema, das zwar in der DDR-Öffentlichkeit nicht stattfand, das aber in der Kulturszene fast alle Gespräche über den Ausnahmeschauspieler bestimmten. Er war ein fröhlicher Zecher, für den mehrere Glas Bier und dazugehörende „Kurze“ unentbehrliche Lebensmittel waren. Er war glücklich und zufrieden damit; seine Umwelt allerdings, vor allem seine erste Frau und seine Kollegen, litten darunter. Ausgefallene Vorstellungen und Kündigungen waren die Folgen. Noch in seinen Erinnerungen prahlt er: „Ich trinke in diesen wilden Endfünfzigern Hektoliter Bier und Kurze, habe große Rollen in der Volksbühne und für DDR-Verhältnisse Geld wie Heu, kann Lagen schmeißen, arme Kollegen in der Kneipe aushalten. Meine Saufrunden umfassen Stampen im Prenzlauer Berg, wie Venezia, Lolott, Trümmer-Kutte ebenso wie feine Restaurants in der Stadtmitte“ – Erinnerungen des später zum „Volksschauspieler“ Ernannten als Ost-Berliner Kneipen-Stadtplan. Zunehmend spielte der Alkohol in seiner Arbeit eine Rolle. Es begann bei Dudow, wo der „Hauptmann von Köln“ seinen zentralen Auftritt in einer wilden Saufszene hat. Noch Jahrzehnte später sollte Ludwig die Dreharbeiten als Kampf zwischen einem mehr und mehr torkelnden Schauspieler und einem besessenen, mitleidlosen Regisseur schildern. Subtiler setzte Egon Günther in „Lotte in Weimar“ den Alkohol ein, wo der sichtlich bewegte Kellner seine Erregung mehrmals mit einem tiefen Schluck aus dem Flachmann zu zähmen versucht – oder mit jedem Glas Bier, das er einem Gast bringt, sich selbst eines genehmigt.

Nach der Wende, als auch im Osten die Krankheiten Prominenter Spitzenthema einer gierigen Medienöffentlichkeit wurden, verglich man Ludwig mit einem anderen großen Trinker des deutschen „Showbiz“. Beide, Harald Juhnke wie Rolf Ludwig, schienen wenig gegen diese Art von Vergleichen zu haben. Sie waren Komödianten, die Charakterdarsteller wurden, Ludwig freilich weit früher als Juhnke. Stets war das Theater seine Heimat, doch dann das erstaunliche Bekenntnis: „Ich wäre gern ein Entertainer geworden, ein bisschen fehlt mir der Boulevard.“ Ludwig, das Sonntagskind, vielleicht doch lieber als Buffo ein Star der Operette? Nach der Wende wurde es merklich stiller um ihn. Der Verlust seiner Frau, später die eigene lebensbedrohliche Krankheit ließen ihn kürzer treten. Er erinnerte sich seiner Anfänge; Borchert, den er nie vergessen konnte, bekam für ihn wieder große Bedeutung. Ludwig, die optimistische Frohnatur, ist noch ab und an in Talkshows zu erleben, wo er lachend Fotos seiner Bypass-Operation präsentiert. Im Kino und auf dem Bildschirm erlebt man jetzt einen stillen Schauspieler. Mehr und mehr bestimmt leise Melancholie sein Spiel. Der Clown war nachdenklich und altersweise geworden. Eine kleine, gespenstisch-einprägsame Rolle bekommt er von Frank Beyer in „Nikolaikirche“.

Vor allem aber „Stein“ von Egon Günther (1991) gilt als abschließender Höhepunkt auf dem Weg des Filmschauspielers Ludwig. Den „Film seines Lebens“ nannte er dieses fiktive Porträt eines erfolgreichen DDR-Schauspielers, der sich nach der Niederschlagung des Prager Experiments eines demokratischen Sozialismus in die innere Emigration zurückzieht. Ein Porträtfilm, der bei aller Fiktionalität Elemente aus dem Leben des Interpreten wie des Autor-Regisseurs entdecken lässt. Rolf Ludwig würde am 28. Juli sein 80. Lebensjahr vollenden; er starb am 27. März 1999 73-jährig in Berlin.

Michael Hanisch (filmdienst 15/2005)

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