Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Aus Liebe zum Film.

Begegnung mit dem Produzenten Erich Mehl

von Ralf Schenk

Am liebsten erzählt Erich Mehl davon, wie er den Film „Der Untertan“ durchboxte. Wolfgang Staudtes im August 1951 uraufgeführtes DEFA-Werk hatte zwar schon international Furore gemacht, aber in der Bundesrepublik Deutschland gab es Schwierigkeiten, ihn auf die Leinwände zu bringen. Ganze Bundesministerien waren damit befasst, Gründe dafür zu finden, weshalb die Heinrich-Mann-Adaption für westdeutsche Zuschauer schädlich sei. Erich Mehl focht das nicht an. Zielstrebig und hartnäckig intervenierte er beim Interministeriellen Ausschuss der Bundesregierung – fünf Jahre lang. Bis es im März 1957 endlich gestattet wurde, „Der Untertan“ auch im Westen öffentlich vorzuführen, wenn auch um elf Minuten gekürzt und mit einem Vorspann versehen, der das Gezeigte ausdrücklich als einen Einzelfall charakterisierte und als nicht symptomatisch für die deutsche Geschichte. Das Ringen um „Der Untertan“ öffnete dem 1918 in Berlin geborenen und seit 1951 als Filmkaufmann und -produzent agierenden Mehl ein Tor nach Babelsberg. Die DEFA war ihm dankbar für sein Engagement, und weil sie sich Mitte der 1950er-Jahre gerade mal wieder als gesamtdeutscher Filmbetrieb verstand, verhandelte sie mit ihm entsprechende Co-Produktionen. Zwar waren maßgebliche Bonner Regierungsstellen, u.a. das Innerdeutsche Ministerium, aus politischen Gründen dagegen, mit einem Unternehmen der DDR zu kooperieren und dadurch einen Präzedenzfall zu schaffen; aber auch diesmal gab Mehl nicht klein bei, sondern schaltete eine Firma im „neutralen“ Schweden mit dem vielsagenden Namen „Pandora“ ein, über die er die quasi deutsch-deutschen Filme zustande brachte. So wurden Staudtes „Leuchtfeuer“ (1954) und die – leider abgebrochene – „Mutter Courage“ (1955) aus der Taufe gehoben; dazu Eugen Yorks E.T.A.-Hoffmann-Adaption „Das Fräulein von Scuderi“ (1955) und Artur Pohls „Spielbank-Affaire“ (1957). Dabei finanzierte Mehl u.a. die in harter Währung zu zahlenden Gagen für westdeutsche und österreichische Darsteller wie Henny Porten, Peter Pasetti, Gertrud Kückelmann, Rudolf Forster, Jan Hendricks oder Angelika Hauff. Über die West-Rechte an diesen Produktionen hinaus erwarb er Rechte an weiteren 50 DEFA-Spiel- und mehreren 100 Dokumentar- und populärwisenschaftlichen Filmen, die er erfolgreich im Fernsehen verwertete. Er verdiente damit gutes Geld. Zugleich aber durchbrach er die kulturpolitische Funkstille, die eingetreten war, als der Kalte Krieg am kältesten wurde. Mehl war über Umwege zum Kino gelangt. Als Sohn eines Abteilungsleiters der Deutschen Bank in Berlin leistete er seinen Kriegsdienst bei den Sturmpionieren an der finnischen Front, wurde schwer verwundet und kaufte sich nach 1945 vom Erlös einer Briefmarkensammlung in die größte Berliner Brotfabrik ein. Sein erstes Abenteuer als Filmproduzent war der Anfang der 1950er-Jahre gedrehte Krimi „Großstadtgeheimnis“ von Leo de Laforgue. Trotz chaotischer Erfahrungen ließ ihn das Medium von nun an nicht mehr los. In der Folge beteiligte sich Mehl an der Produktion und Finanzierung von rund 350 Titeln, aus denen besonders die Roman-Polanski- Klassiker „Ekel“ (1965) und „Wenn Katelbach kommt“ (1966) herausragen. Zu den Filmrechten, die er sich sicherte, gehörte Jahrzehnte lang auch die legendäre „Immenhof“-Staffel, ein Dauerbrenner des westdeutschen Heimatfilms. Der Journalist, Produzent und Regisseur Will Tremper, dem er bei seinen Regieausflügen mitunter aus finanziellen Engpässen half, schrieb später über Mehl, er sei „der große Unbekannte des deutschen Films“: „Ein blonder, sportlicher Rolls-Royce-Fahrer mit sehr, sehr wachen braunen Augen. Vom Augenblick seines Auftritts an hatte ich keine Probleme mehr: Erich Mehl zahlte alles, und er zahlte pünktlich. Erst hinterher, als die Premiere des Films anstand, ging er mit mir zum Notar, um das Unvermeidliche zu regeln. Sein Wort war und ist bis heute Gold.“ Hans Borgelt, langjähriger Pressechef der „Berlinale”, nannte ihn einen „korrekten, fairen, bescheidenen, auch großzügigen und beliebten Partner, dessen Liebe zum Film seinen Hang zum Business noch übertraf. Mehls Wirken straft das Vorurteil Lügen, in der Filmbranche sei Unseriösität zu Hause“. Erich Mehls Biografie, seine Begegnungen und Erfahrungen würden mehr als ein Anekdotenbändchen füllen, doch vermutlich wird es dieses Buch nie geben, denn Mehl ist tatsächlich ein äußerst zurückhaltender Mann. Dabei wären nicht nur Geschichten übers Kino zu erzählen, sondern auch kinoreife Erlebnisse; etwa jene Begebenheit aus dem Jahr 1942, als er in einem Reservelazarett der Wehrmacht eine junge, traurige Frau kennenlernte, die ihm eröffnete, ihr jüdischer Mann sei verhaftet worden. Trotz der 16 Splitter eines russischen Geschosses, die sich noch in seinem Körper befanden, fuhr Mehl mit ihr nach Köln, bat seinen Onkel, den Generaldirektor der deutschen Fordwerke, um Hilfe – und holte während eines Luftangriffs den Bedrohten aus dem KZ-Durchgangslager Köln-Deutz. Später versteckte er das Paar bei seiner Schwester in Königs Wusterhausen nahe Berlin. Ein Husarenstück. „Das gehört aber nicht in einen Artikel über meine Filmaktivitäten“, beschwor mich Mehl, „das lassen Sie also bitte weg...“

Ralf Schenk (filmdienst 17/2003)

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