Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Bewerbungsschreiben gab es nicht...

Karl Hans Bergmann, Gründungsdirektor der DEFA

Das Gespräch führte Ralf Schenk

Herr Bergmann, Sie waren einer der fünf Gründungsdirektoren der DEFA. Wie sind Sie 1946 zu dieser Funktion gekommen?

Bergmann: Durch einen Zufall. Ich hatte das Dritte Reich mit Mühe und Not hinter mich gebracht, war in zwei Konzentrationslagern, in Dachau und Sachsenhausen. Nach meiner Haftzeit arbeitete ich wiederum politisch, und als unsere Widerstandsgruppe aufflog, gelang mir im letzten Moment die Flucht in die Schweiz. Im September 1945 kam ich nach Berlin zurück. Meine erste Tätigkeit war die eines Redakteurs im Parteiverlag der KPD, "Neuer Weg". Wir gaben politische und Unterhaltungsliteratur heraus, und ich hatte die spezielle Aufgabe, den "Deutschen Volkskalender" zu machen. Aber der Verlagsleiter brachte klammheimlich eine Reihe von Zusätzen in diesen Kalender hinein, Zitate von Stalin und Ähnliches, ich entfernte sie wieder, und es gab einen Riesenkrach. Ich wurde fristlos gekündigt. Zu diesem Zeitpunkt traf ich Alfred Lindemann, den ich von vor 1933, aus der Revolutionären Gewerkschaftopposition, kannte. Er erzählte mir von einem Filmaktiv, das sich in der Zentralverwaltung für Volksbildung gebildet habe und den neuen deutschen Film befördern wolle. Ich könnte doch mal bei Herbert Volkmann, der als Abteilungsleiter für Kunst und Literatur dafür zuständig sei, vorsprechen. Das tat ich auch. Es war Februar 1946, und Volkmann bot mir an, schon im März anzufangen. Alles ohne Bewerbungsschreiben.

Wo befand sich das Büro des Filmaktivs und wie sah Ihre Arbeit aus?

Bergmann: Die Räume lagen in der Berliner Krausenstraße 38, wo die Ufa gesessen hatte. Das Haus war eine Ruine, der Keller stand unter Wasser, viele Fenster waren mit Holz vernagelt. Man konnte nur das Erdgeschoß betreten und wurde gewarnt, daß die | oberen Stockwerke noch nicht aufgeräumt i seien. Der Sand könnte herunterrieseln und so weiter. Aber das bremste unseren Enthusiasmus nicht. Das Aktiv zog immer mehr Filmleute an sich heran. Im Februar 1946 erschien schon die Wochenschau "Der Augenzeuge" auf den Leinwänden, im März begannen die konkreten Vorarbeiten für die erste Spielfilmproduktion. Im März bildete sich dann auch der Vorstand der DEFA in Gründung. Alfred Lindemann übernahm die Spielfilmproduktion, Maetzig die Wochenschau, i Hans Klering kümmerte sich um die Synchronisation der russischen Filme in Johannisthal. Ich bekam den schlechtesten Teil ab, das muß ich wohl heute sagen, nämlich Wirtschaft und Verwaltung. Ich hatte Geldmittel und Material heranzuschaffen, Geräte, Rohfilm und vieles andere. Und alles fehlte.

Wer stellte das Anfangskapital zur Verfügung?

Bergmann: Die Zentralverwaltung für Volksbildung. Sie bezahlte auch die ersten Gehälter. Das änderte sich dann, als wir eigene Filme produzierten. Schon dank der Wochenschau hatte wir ja Einnahmen. Und natürlich auch von den ersten Spielfilmen. Die verkauften wir an den Verleih Sovexport, das ergab eine durchaus tragbare Basis.

Sovexport war ein sowjetischer Verleih...

Bergmann: Ja, denn bei der Lizenzübergabe am 17. Mai 1946 wurde von der russischen Besatzungsmacht zwar die Produktion von Spiel- und Dokumentarfilmen genehmigt, aber nicht der Verleih. Sovexport räumte uns Kredite für die geplanten Filme ein. Wenn diese dann in die Kinos kamen, wurden uns zunächst zwanzig, später fünfzig Prozent der Einspielergebnisse gutgeschrieben.

Nahm Sovexport ideologischen Einfluß auf die Drehbücher?

Bergmann: Natürlich war es so, daß die Kulturabteilung der Sowjetischen Militäradministration (SMA) und deren Leiter, Major Dymschitz, sich eine Art Mitspracherecht sicherten. Kein Film ging ins Atelier, der nicht von der SMA, von den Kulturoffizieren und sowjetischen Beratern genehmigt war. Sovexport hingegen mußte sich dann nicht mehr um diese ideologischen Dinge kümmern. Überhaupt begannen die größeren Schwierigkeiten erst, als sich die SED auf die Drehbücher stürzte und eine sogenannte DEFA-Kommission einrichtete, die in alles hineinredete. Aber das geschah erst Ende der 40er Jahre. Dymschitz war viel großzügiger.

Einer der sowjetischen DEFA-Berater, der Filmregisseur Ilja Trauberg, ein liberaler Intellektueller, ist 1948 unter mysteriösen Umständen gestorben. Was wissen Sie darüber?

Bergmann: Trauberg ist ein Fall, der zeigt, wie rasch man vom Leben zum Tod kommen kann. Die offizielle Lesart lautete, er habe einen Herzschlag erlitten. Das kann man nicht widerlegen, vielleicht war es wirklich so. Die Begleitumstände erschienen mir allerdings schon damals merkwürdig: Er erlitt den Herzschlag nicht in seiner, sondern in der Wohnung von Hans Klering. Traubergs Fahrer erzählte, er sei, als er aus dem Auto ausstieg, bei bester Gesundheit gewesen, munter und aufgekratzt wie selten. Und er war erst 40 Jahre alt! Ilja Trauberg galt als sehr aufgeschlossen, er war alles andere als ein verbohrter Ideologe. Sein Fall wird wohl nie aufgeklärt werden. Heute käme bei einem so plötzlichen Tod sofort die Polizei. Damals nicht. Trauberg ist gleich von Klerings Wohnung ins Krankenhaus der SMA gebracht worden. Ich kann natürlich nicht sagen: Man hat ihn umgebracht. Aber ich kann sehr wohl sagen: Man hat zur gleichen Zeit in der Sowjetunion seinen Bruder, den bekannten Regisseur Leonid Trauberg, verhaftet. Da wäre es doch naheliegend, daß sich Ilja Trauberg geweigert hat zurückzugehen, und man ihm sozusagen flüsterte: Dann gehst du eben als Leiche zurück.

Noch einmal ins Jahr 1946. Sie haben an der Gründungsfeier der DEFA teilgenommen. Woran erinnern Sie sich?

Bergmann: Es war ein Freitag, und in der Kantine des Althoff-Ateliers in Potsdam-Babelsberg versammelten sich zahlreiche Regisseure, Schriftsteller, Schauspieler. Viele kannten sich von früher, und es herrschte eine ziemlich erwartungsvolle Stimmung. Mehrere Reden wurden gehalten, vom Potsdamer Oberbürgermeister, vom Präsidenten der Zentralverwaltung für Volksbildung und vom russischen Oberst Tulpanow, der uns die volle Unterstützung für die Filmarbeit zusicherte. Dann wurden die Gründungsdirektoren auf die Bühne gebeten, und Tulpanow überreichte uns mit den Worten "Das ist die Lizenz" eine Pergamentrolle. Das heißt, er überreichte sie dem Schauspieler Hans Klering, der schon 1931 in die Sowjetunion gereist und sowjetischer Staatsbürger geworden war. Nach seiner eigenen Rede ging Klering später in einen der Umkleideräume, wo er überrascht feststellen mußte, daß die vermeintliche Lizenzurkunde ein Papier war, auf dem einfach nur Buchstaben verschiedener Größe standen. Ein Druckbogen aus einer Druckerei, aber keine Lizenzurkunde.

Können Sie sich diese Merkwürdigkeit erklären?

Bergmann: Vielleicht hängt es damit zusammen, daß die Russen damals schon beabsichtigten, aus der ursprünglichen deutschen Film-AG eine Sowjet-AG zu machen. Das wurde ja im darauffolgenden Jahr auch praktiziert, wenn auch nur für einige Zeit.

Nach welchen Kriterien stellten Sie als Personaldirektor neue Leute ein? Wie stark wurde, wenn es um die Beschäftigung bei der DEFA ging, die unmittelbare politische Vergangenheit einzelner Filmschaffender berücksichtigt?

Bergmann: Wenn ich ehrlich sein soll, aber das konnte man damals natürlich nicht so offen aussprechen, war mir nur die fachliche Eignung wichtig. Wir brauchten Praktiker. Schon die oberste Spitze der DEFA bestand ja nicht aus Fachleuten: weder Maetzig noch ich noch Lindemann oder Klering waren im strengen Sinne Filmexperten. Der einzige wirkliche Experte war Dr. Albert Wilkening, der als technischer Leiter fungierte. Wir anderen bildeten mehr die politische Leitung. Um so wichtiger, daß sich die nächstfolgende Stufe, die eigentliche Produktion, aus wirklichen Fachleuten rekrutierte. Weder Wolfgang Staudte noch Gerhard Lamprecht noch Hans Deppe standen in irgendeiner Beziehung zur SED. Und sie holten sich auch wieder Mitarbeiter, die sie kannten und von denen sie wußten, sie sind in Ordnung. Ein Parteibuch war nicht nötig. Später hat man mir das zum Vorwurf gemacht und gesagt, der Prozentsatz der SED-Mitglieder wäre nicht festzustellen gewesen, solange ich in der Personalleitung saß. Aber wir wollten ja produzieren und uns nicht in endlosen politischen Diskussionen ergehen.

Wie verhielten Sie sich zu Filmleuten, die im Kino des Dritten Reiches an markanter Stelle mitgewirkt hatten? Zum Beispiel ist Wolfgang Schleif, der bei der DEFA als Regisseur debütierte, jahrelang Assistent von Veit Harlan gewesen. Oder Artur Maria Rabenalt, der "...reitet für Deutschland" gedreht hatte und schnell wieder in Babelsberg Fuß faßte...

Bergmann: Das war eine schwierige Angelegenheit. Die Entnazifizierung, wie man es damals nannte, lag nicht in unseren Händen, sie war entweder Sache der Alliierten oder deutscher Kommissionen. Die Partei erwartete natürlich, daß wir Künstler, die belastet waren, nicht engagierten, und das haben wir im Grunde auch nicht getan. Wolfgang Schleif wurde zunächst für den Film "Ehe im Schatten" geholt, als Regieassistent, aber im Vorspann tauchte sein Name nicht auf. Im übrigen finde ich, daß die ganze Entnazifizierung ein Schlag ins Wasser gewesen ist. Es gab nie eine wirklich einheitliche Linie, die uns ermöglicht hätte, einen Trennstrich zu ziehen: diejenigen dürfen und diejenigen nicht...

Wie verlief 1946/47 der Tag eines DEFA-Verwaltungs- und Personalchefs?

Bergmann: Mindestens einen halben Tag trat ich bei verschiedenen Behörden als Bittsteller auf, um Material oder Genehmigungen zu erhalten. Dann erinnere ich mich an eine Geschichte mit den sogenannten Pajoks, das ist das russische Wort für Pakete. Diese Pajoks wurden von der SMA geliefert, was sehr wichtig war, damit unsere Mitarbeiter etwas zu essen bekamen, auch die Schauspieler. Zunächst lief ich also von Pontius zu Pilatus, um für die DEFA eine Pajok-Regelung zu erwirken. Dann bekamen wir die Päckchen für einen Teil der Belegschaft, und ich ordnete an, sie zu öffnen und zu teilen. Aber es grenzte an Hoch- und Landesverrat, daß ich die Pajoks nicht so ausgab, wie die Russen sie geliefert hatten, sondern daß ich alle daran teilhaben ließ. Ich wurde vorgeladen, es gab ein hochpeinliches Verhör, aber ich berief mich darauf, daß, wenn wir hier nun Kommunisten sind, wir auch kommunistisch handeln müßten. Das sahen die Russen nicht ein. Was ich praktiziere, sei Nivellierung, Gleichmacherei. Wir mußten eine Liste aufstellen, nach der nur noch zehn Prozent der Belegschaft Pajoks bekamen. Das führte natürlich zu Unfrieden. Die Leute glaubten ja an Sozialismus und solche Dinge, und es wäre eine Gelegenheit gewesen, eine Art betrieblichen Sozialismus zu probieren.

Sie haben die DEFA Ende 1948 verlassen. Warum?

Bergmann: Es hatte unter anderem damit zu tun, daß ich zunehmend mehr in meiner Funktion eingeschränkt wurde. Man hatte sich einen zweiten Mann aus Rostock geholt, Günter Matern, den dortigen Stadtrat für Kultur. Mit ihm war keine kollegiale Zusammenarbeit möglich. Er wollte Karriere machen. So wurde ich zum 31. Dezember mit großen Lobessprüchen und Dankschreiben verabschiedet und konnte mich nun ganz um den Deutschen Filmverlag kümmern, den ich schon 1947 ins Leben gerufen hatte. Hier erschien unter anderem die Zeitschrift "Neue Filmwelt", die sich in der Sowjetischen Besatzungszone großer Beliebtheit erfreute. Außerdem gaben wir eine Reihe von Büchern heraus, unter anderem von R.A. Stemmle "Affäre Blum" oder von Chaplin "Monsieur Verdoux".

Ihre ausschließliche Arbeit als Verlagschef dauerte allerdings nur ein gutes Vierteljahr...

Bergmann: Ja, im April 1949 erschienen in meinem Büro zwei Herren der Partei-Kontrollkommission, die sich am Vormittag angekündigt hatten und gegen Mittag eintrafen. Sie wollten aber keine Unterhaltung, sondern es stellte sich rasch heraus, ihnen schwebte ein Tribunal vor. Sie sprachen nicht über Verlags-, sondern ausschließlich über Parteiangelegenheiten: Warum ich nicht in bestimmten Sitzungen gewesen sei, warum ich diese oder jene Leute nicht eingestellt hätte, wieso ich Verbindungen in den Westen hatte? Ich war in Locarno beim Festival, eigentlich eine Selbstverständlichkeit für denjenigen, der eine Filmzeitschrift herausgibt. Aber sie sagten, ich sei ins feindliche Ausland gereist. Sie fingen immer wieder von vorn an, eine Ermüdungstaktik streng nach Sowjetmuster. Ich begriff, daß sie es offenbar darauf angelegt hatten, mir einen Prozeß zu machen, und verhielt mich ruhig, während sie brüllten und tobten. Instinktiv sagte ich mir: Wenn ich Widerstand leiste und mir diesen Ton verbitte, und wenn ich sage, machen Sie, daß Sie rauskommen, würde ich das Haus nicht als freier Mann verlassen. Es waren drei sehr unangenehme Stunden. Wie unangenehm, das merkte ich an der Reaktion meiner Mitarbeiter, die das Geschrei durch die Tür gehört hatten. Sie waren derart erschlagen und sahen mich an, als sei ich schon begraben.

Hatte dieses Verhör mit Ihrem Exil im Westen zu tun?

Bergmann: Das Thema Westemigration wurde nicht angesprochen. Später habe ich mir den Grund für das Verhör aber so rekonstruiert: In der Parteispitze war ein Beschluß gefaßt worden, die gesamte Westemigration einer Kontrolle zu unterziehen. Es war die Anlaufperiode für die großen Prozesse in den osteuropäischen Ländern. Jedenfalls teilte man mir am Schluß der Unterredung mit, mein Fahrer sei abgelöst und ein anderer Fahrer warte bereits unten. Für mich war das der Beweis, daß sie mich unter Aufsicht stellen würden. Diesen Fehler haben sie begangen, weil sie das in Rußland so machen konnten, da konnte man ja nicht weg. Aber hier war das Brandenburger Tor sehr nah. So fuhr ich als freier Mann mit dem neuen Chauffeur nach Wilmersdorf zu meiner Wohnung am Breitenbachplatz. Und als er mich am nächsten Morgen wieder abholen wollte, war ich nicht mehr zu sprechen.

Konnten Sie als leitender DEFA-Mitarbeiter im Westen schnell Fuß fassen?

Bergmann: Zunächst begann eine schwere Zeit. Ich hatte Familie, eine kleine Tochter, sie waren auf mich angewiesen. Dennoch ging ich mit meinen Ost-Erfahrungen nicht in die Öffentlichkeit. Ich habe als freier Mitarbeiter für die "Neue Zeitung" gearbeitet, auch für die "Neue Zürcher", für die Filmzeitschriften und ein italienisches Sammelwerk über Kino nach dem Krieg. Dann lernte ich den Filmreferenten beim Senat kennen, der mich zu den Berliner Filmfestspielen holte. 1952 wurde ich Geschäftsführer der Freien Volksbühne, was ich 16 Jahre lang blieb.

Zur DEFA suchten Sie nie wieder Kontakt?

Bergmann: Nein, nie wieder.

Das Gespräch führte Ralf Schenk (filmdienst 22/1996)

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