Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Spielräume.

Der DEFA-Szenograf Alfred Hirschmeier

von Volker Baer

Rund 70 Filme und Fernsehinszenierungen tragen seine Handschrift, die über vier Jahrzehnte hinweg viele DEFA-Filmen prägte. Das Potsdamer Filmmuseum widmet Alfred Hirschmeier (1931 – 1996) momentan eine ebenso liebenswerte wie informative Ausstellung. Hirschmeier gehörte zu jenen Filmschaffenden, deren Tätigkeit – im Westen Deutschlands stärker noch als im Osten – im Schatten ihrer Kollegen steht. Er war, wie man bei der DEFA sagte, ein Szenograf, ein Mann, der die Filmszenerie, die Filmarchitektur bestimmte. Und Filmarchitekten haben – ähnlich vielleicht den Drehbuchautoren – einen schweren Stand beim Publikum und bedauerlicherweise auch bei der Kritik. Man nimmt ihre Namen zwar zur Kenntnis, beachtet ihre Arbeit jedoch nicht allzu aufmerksam. Dabei bestimmen sie durchaus einen Film, wie das Beispiel von Alfred Hirschmeier dokumentiert. Hirschmeier wollte, wie er es einmal formulierte, mit seinen Möglichkeiten zur Stilbildung eines Films beitragen. Er „suche, plane und baue Spielräume für den Film, nicht einfach naturalistische Spielräume, sondern verdichtete, der literarischen Vorlage dienende“, umriss er seine Aufgabe, die er darin sah, „den handelnden Menschen durch seine Umwelt, seine ihn umgebende Atmosphäre zu verdeutlichen“.

Um seine Arbeitsweise aufzuzeigen und sein Werk zugänglich zu machen, hat das Filmmuseum den großen, lang gestreckten Raum des Marstalls auf reizvolle Weise eingerichtet. Man wähnt sich in einem großen Zeichensaal, über dessen Arbeitsplatten kleine Leuchten hängen. An der Längsfront reihen sich unter einer nachgebauten Beleuchterbrücke Filmszenarien und die kleinen Werkstätten der Tischler, Stukkateure und Kunstmaler, auch ein Möbelfundus findet sich darunter. Ganz klein wurden Hirschmeiers enge Arbeitsräume aus den Babelsberger Ateliers nachgebaut, wo Ideen, Entwürfe und Skizzen des Szenografen in intensiver Teamarbeit entstanden. Hirschmeiers Arbeit war an einen intakten Atelierbetrieb gebunden, wie es ihn im Westen Deutschlands schon lange nicht mehr gibt. In Hirschmeiers Klause, im DEFA-Jargon „Schwalbennest“ genannt, gewannen die szenisch-architektonischen Vorstellungen zunächst am Zeichentisch Gestalt. Im steten Kontakt mit dem Regisseur und dem Kameramann folgten Einstellungsskizzen und Bildpläne, bevor die Entwürfe an die Werkstätten weitergegeben wurden. Hirschmeier hat, wie die Ausstellung dokumentiert, oftmals „optische“ Drehbücher entwickelt und Filmideen Einstellung für Einstellung zeichnerisch festgehalten, lange bevor dies üblich wurde. Die Ausstellung ermöglicht interessante Einblicke in diese optischen Drehbücher, etwa für Frank Beyer oder Konrad Wolf.

Unter den nach bestimmten Themen ausgewählten Skizzen, etwa zu Brücken, Wäldern, Landschaften, Gemälden, Fenstern und Sälen, findet man auch viele Entwürfe, in denen sich Raumwirkungen andeuten, das Verhältnis von Mensch und Szene sichtbar wird. Hier zeigt sich die trickreiche künstlerische Arbeit Hirschmeiers, der oftmals Zeichnungen vor Landschaftsaufnahmen legte und mit Hilfe der Glasmalerei Bilder zwischen Drehort und die Kamera postierte, wodurch neue, eigenwillige Motive entstanden. Hirschmeier war, wenn man sein Oeuvre betrachtet, ein Mann der Fantasie wie der Präzision. Seine Szenen entwerfen Traumwelten, die zugleich klare Räume der Wirklichkeit sind. Er fotografierte die geplanten Drehorte lange vor Drehbeginn und zeichnete in die Fotos Gegenstände und Figuren hinein, um so aus der Realität gleichsam eine neue, seine eigene Wirklichkeit zu entwickeln. Das wird in seinen Vorarbeiten für die – noch vor Drehbeginn verbotene – Verfilmung von Grimmelshausens „Simplicius Simplicissimus“ am deutlichsten, der man in der Ausstellung zu Recht eine eigene Abteilung widmet. Hier entfaltet sich eine fruchtbare wie erschreckende und in ihrer Surrealität mitunter an Hieronymus Bosch erinnernde Fantasie.

Alfred Hirschmeier, im Osten Deutschlands zumindest den Filminteressierten bekannt, ist im Westen noch zu entdecken. 1931 in Berlin geboren, studierte er, nach einer Malerlehre bei der DEFA, in West-Berlin, kehrte 1953 aber wieder in die Babelsberger Ateliers zurück, wo er bald einer der prägnantesten Szenografen wurde und die Architektur für namhafte Regisseure entwarf, so für Kurt Maetzig, Frank Beyer (von „Königskinder“ bis zu „Der Verdacht“ und „Nicolaikirche“), vor allem aber für Konrad Wolf (von „Der geteilte Himmel“ bis zu „Solo Sunny“). Hirschmeier entwickelte aber auch Szenerien für Bernhard Wicki („Die Grünstein-Variante“) und Peter Schamoni („Frühlingssinfonie“, „Caspar David Friedrich“) – für westdeutsche Filme also, die in Babelsberg realisiert wurden. Hirschmeiers Nachlass konnte mit Hilfe der DEFA-Stiftung für das Filmmuseum erworben werden. So ergibt sich ein Überblick über das Gesamtwerk Hirschmeiers, der nach dem Ende der DDR auch für die Deutsche Staatsoper Berlin arbeitete und an der Potsdamer Filmhochschule den ersten Lehrstuhl für Szenografie in Deutschland einrichtete. 1996 ist er 64-jährig gestorben (siehe fd 8/96, S. 13), nicht ohne kurz vor seinem Tod noch zu erfahren, dass ihm ein Filmband in Gold für herausragende Verdienste um den deutschen Film zuerkannt wurde. Die Potsdamer Ausstellung, die sein Werk würdigt, ist zum Schauen, nicht zum Lesen konzipiert ist. Die Raffinesse der Technik, die sich nie zum Selbstzweck aufschwingt, der Zauber der Ästhetik, aber auch die Klarheit der Realität in Hirschmeiers Schaffen werden so deutlich.

Volker Baer (filmdienst 22/1999)

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