Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Der Schauer der Ergriffenheit.

Die Schauspielerin Jutta Hoffmann

von Michael Hanisch

„Der Betrieb in zehn Jahren... Wie aber ich in zehn Jahren aussehen werde, du, das weiß ich ziemlich genau. Na hör mal, die Kinder werden fort sein, und ich werde allein sein, sehr allein sein. Kann der Mensch allein sein, Luzie? Ich kann’s nicht – ohne Mann.“ Luzie, die Freundin, an die Jutta Hoffmann als Programmiererin Margit Fließer ihre traurigen Worte am Morgen richtet, beendet schnoddrig-nüchtern den Monolog: „Männer gibt’s wie Mist.“ Und dann erscheint „Der Dritte“.

Der Prolog eines Films als Anprobe oder eine „Modenschau“ der Schauspielerin Hoffmann: Immer wieder tritt sie mit einem anderen Kleidungsstück ins Bild. Mit einem neuen Pulli, einer neuen Bluse, einem anderen Tuch. Die Kamera ist starr auf den Spiegel fixiert. Nur ein einziger kleiner Schwenk ist dem Apparat kurz erlaubt: nach unten, als die Frau ihre Beine inspiziert. Dazu erklingt Bizets Lied der „Carmen“. Über eine Stunde Filmhandlung später sitzt die junge Arbeiterin Ric im polnischen Krakau fast allein in der stehenden, nahezu menschenleeren Straßenbahn und reflektiert in einem langen Monolog ihre gegenwärtige Situation, das Verhältnis zu ihrem Freund (der der einzige Zuhörer ihrer langen Rede ist), zu dem „Studierten“, dem sie geistig nicht gewachsen zu sein scheint. Sie redet und redet und redet – und diese (von den Autoren Helga Schütz und Egon Günther genial verfasste) über sieben Minuten lange Rede der Schauspielerin Jutta Hoffmann aus dem Film „Die Schlüssel“ wirkt heute wie ein faszinierender Solitär, ein grandioses Stück DEFA-Kino aus den 1970er-Jahren. Wie selbstverständlich beherrscht Jutta Hoffmann das Bild. In beiden Filmen, „Der Dritte“ (1971) und „Die Schlüssel“ (1972), spricht sie ganz einfach und klar das aus, worum es geht. Zwei Filme, völlig auf die Präsenz der Schauspielerin abgestellt; keine technischen Tricks, keine Effekte, keine Mätzchen. Das einzig wichtige filmische Wirkungsmittel liegt im Talent der Schauspielerin. Egon Günther ist ein Schauspielerregisseur. Er hatte nie Schwierigkeiten, Schauspielerinnen aus der ersten Reihe für seine Filme zu bekommen. Die Akteurin, die bei ihm zu ihrer Höchstform geführt wurde, war Jutta Hoffmann. Sie waren beruflich ein Paar – das produktivste, erfolgreichste Paar des DDR-Kinos. Allenfalls zwischen Thomas Langhoff und Jutta Wachowiak gab es zeitweise eine ähnlich intensive, Früchte tragende Zusammenarbeit.

Beim Nachdenken über die Schauspielerin treten spontan „Der Dritte“ und „Die Schlüssel“ ins Gedächtnis. Doch die Erinnerung trügt: Die fruchtbare Kooperation begann nicht mit diesen beiden heute noch gegenwärtigen Filmen, sondern bereits zwei Jahre zuvor mit „Junge Frau von 1914“, einem Fernsehfilm nach Arnold Zweig. Günther mag hier bereits erkannt haben, dass er da eine Ausnahmeschauspielerin vor sich hatte. Der Film ist ganz auf Jutta Hoffmann aufgebaut, immer und immer wieder blickt die Kamera in ihr ausdrucksstarkes Gesicht. Fast alles, was ihr Spiel in den beiden folgenden Gegenwartsfilmen auszeichnete – die Frische, das Ausstellen von Bewegung, ihre Nachdenklichkeit, das hintersinnig vieldeutige Lachen, ihr fragender Blick von unten, ihr Gang, all das, was Günther später reichlich euphemistisch „ihre Anlagen“ nennen sollte –, ist in der Zweig-Adaption bereits vorhanden. Darauf konnte Günther aufbauen. Von Leonore, der jungen Frau des Jahres 1914, führt eine klare Linie zu Margit, der Frau, die einen Mann sucht, und Ric, der jungen Arbeiterin, die im polnischen Krakau die Schlüssel erhielt und dort ihren tragischen Tod fand.

Dabei war auch „Junge Frau von 1914“ nicht der wirkliche Beginn ihrer Zusammenarbeit. Der erfolgte bereits 1964 mit dem Gegenwartsmärchen „Wenn du groß bist, lieber Adam“, Günthers zweiter Regiearbeit. Der Film wurde sogleich verboten, wie Frank Vogels „Denk bloß nicht, ich heule“ und Herrmann Zschoches „Karla“ – und in allen spielte Jutta Hoffmann. Der heute im Rückblick gradlinig erscheinende Aufstieg der Schauspielerin wurde von Verboten durch eine dogmatisch-kunstfeindliche Kulturpolitik begleitet. Es ist erstaunlich: All diese Verbote, die schmerzhaften Eingriffe in künstlerische Reifeprozesse scheinen der Schauspielerin nur wenig ausgemacht zu haben. Lag es nur daran, dass sie wie fast alle DEFA-Schauspieler stets eine zweite Heimat hatte: das Ensemble eines Theaters, wo sie jeden Abend vor Publikum die Reaktion auf ihre Arbeit spüren und die geisttötenden kulturpolitischen Eingriffe ignorieren konnte? Filme wurden verboten, verschwanden auf nicht absehbare Zeit in den Archiven. Im Theater aber musste gespielt werden, jeden Abend. Bis 1973 gehörte Jutta Hoffmann zum Ensemble des Berliner Maxim Gorki-Theaters.

Vor allem das Verbot von „Karla“, Herrmann Zschoches Porträt einer engagierten, sympathisch-aufgeschlossenen jungen Lehrerin, die ihre Schüler zum aufrechten Gang und zum selbstständigen Denken zu erziehen versucht, mag für die Schauspielerin ein Schlag gewesen sein. Der Film ihres damaligen Lebensgefährten hinterfragte moralische Wertvorstellungen, er war ein Beitrag für ein deutsches „Kinos der moralischen Unruhe“ – und das war 1965 in der DDR unerwünscht. „Karla“ wurde verboten, und Jutta Hoffmann brillierte vorerst nur auf dem Bildschirm, etwa als patent-selbstbewusstes Lämmchen in „Kleiner Mann – was nun?“ nach Fallada. Stoffe aus der näheren Vergangenheit waren damals „machbar“: Fallada und Arnold Zweig. Langsam arbeitete sich Egon Günther mit seiner Hauptdarstellerin wieder an die Gegenwart heran, und die Höhepunkte hießen „Der Dritte“ und „Die Schlüssel“. Eine ganz andere Jutta Hoffmann dann in „Lotte in Weimar“. Ein seltsames Paar: Lilli Palmer, der selbstbewusste Weltstar in der Titelrolle und die ihrer Stellung durchaus bewusste Schauspielerin aus der DDR als verklemmte Adele Schopenhauer. Beide schienen sich professionell zu achten, ihre Unterschiedlichkeiten als sich ergänzende Pluspunkte zu schätzen. Verbote begleiten ihren Weg: 1973 wechselte die erfolgreiche Filmschauspielerin ans Berliner Ensemble, wo sie eigentlich hingehörte. Denn war ihr mit Ironie durchsetztes Spiel, ihr Herangehen, Erarbeiten einer Rolle nicht Brecht sehr gemäß? Günther beschrieb früh schon ihren „Weg“ zur Rolle: „Aus Identifikation und Opposition entsteht ihre Leistung. (...) Die Schauspielerin Jutta Hoffmann ist nicht unterdrückbar. Falsche Autoritätsansprüche durch Texte und Anweisungen der Regie weist sie zurück, verbal oder durch entsprechendes Spiel bei den Proben. Das ist ungeheuer wertvoll und kann nicht laut genug gepriesen werden. Ich meine nicht, das sind heroische Eigenschaften, es mag einfach ihr Naturell sein. Sie steht da und kann nicht anders.“ Nicht für jeden Regisseur erwuchs aus dieser Schauspielerhaltung die produktive Kraft. So galt Jutta Hoffmann bei einigen durchaus als „schwierig“. Als Strindbergs „Fräulein Julie“ in einer Aufsehen erregenden Inszenierung von Schleef/Tragelehn war sie 1975 am BE ein Ereignis – und wurde nach wenigen Vorstellungen sogleich verboten. Zwei Jahre später besetzte sie Frank Beyer neben Manfred Krug in seinem Beziehungsdrama „Das Versteck“ – der Fernsehfilm erlebte nur eine einzige Ausstrahlung tief in der Nacht und wanderte dann ins Archiv. Ohne jede mediale Begleitmusik, fast insgeheim wechselte die Schauspielerin kurz darauf ihr Betätigungsfeld. Sie spielte an der Freien Volksbühne in West-Berlin, später in Salzburg und München. 1984 wurde sie von „Theater heute“ zur Schauspielerin des Jahres gewählt. Peter Zadek besetzte sie als Garcia Lorcas „Yerma“ und als Geschwitz in seiner Deutung von Wedekinds „Lulu“. Wer Jutta Hoffmann damals als einsame, liebende Geschwitz auf der Bühne sah, verspürte noch Jahre später den Schauer der Ergriffenheit. Ihr langer Straßenbahnmonolog im Film „Der Dritte“ und ihr Auftritt in „Lulu“: zwei Seiten einer Ausnahmeschauspielerin.

In den 1980er-Jahren war sie zur anerkannten Bühnenschauspielerin geworden. Regiegrößen wie Luc Bondy und Dieter Dorn verpflichteten sie. Das deutsche Kino konnte mit ihr nur noch wenig anfangen. In „Bandits“ und „Der alte Affe Angst“ gab es für sie läppische Aufgaben, die weit unter ihren Möglichkeiten, eigentlich unter ihrem Niveau lagen. Möglichkeiten zeichneten sich da ab, wo man es am wenigsten erwartet hatte: das Fernsehen deutete Auswege an. Ausgerechnet Serien! Doch ihre Parts in Wolfgang Menges „Motzki“, wo sie als lebenskluge „Schwägerin aus dem Osten“ nicht nur Jürgen Holtz Paroli bot, und als Kommissarin Wanda Rosenbaum in einigen „Polizeiruf 110“-Folgen ließen aufhorchen. An ihr Zusammenspiel mit Polizist Horst Krause erinnert man sich gern: Hier blieb etwas haften vom deutschen Fernsehalltag. Ein sie befriedigender Ausweg mag seit vielen Jahren schon ihre Lehrtätigkeit sein; ihre Schauspielstudenten in Hamburg und Wien wissen ihre Tätigkeit zu schätzen. Doch den Kinogängern von heute erscheint ihr Aktionsradius allzu begrenzt zu sein. 2005 wurde als das Jahr von Shirley MacLaine apostrophiert, weil die Schauspielerin in ihrem 71. Lebensjahr drei schöne Rollen bekam, die sie bravourös bewältigte. Neben ihr hatten die Jüngeren, die eigentlichen Träger der Hauptrollen, nur wenige Chancen noch, achtbar zu bestehen. Gewiss soll und kann man keine derartigen Vergleiche ziehen; Jutta Hoffmann ist nicht durch die knochenharte Schule des amerikanischen Entertainments gegangen. Sie ist ganz anders.

Trotzdem: Wann endlich bricht im deutschen Kino das Hoffmann-Jahr an, wann begreifen Regisseure, Produzenten und Autoren, was für ein Potenzial hier brach liegt? Am 3. März vollendet die Schauspielerin ihr 65. Lebensjahr. Unsere Forderung an das deutsche Kino: endlich ein Hoffmann-Jahr!

Michael Hanisch (filmdienst 3/2006)

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