Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Das andere Gesicht der DEFA.

Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi in den Babelsberger Ateliers

von Volker Baer

Ob Direktoren oder Autoren, Regisseure oder Schauspieler, Archivare oder Dramaturgen, Szenen- oder Maskenbildner, Kameramänner oder Produktionsleiter, Kaskadeure oder Hochschulabsolventen - sie alle stellten sich mehr oder minder freiwillig, mehr oder minder eifrig als Informationsquellen dem Staat und damit der herrschenden SED zur Verfügung. Sie waren über Jahrzehnte hinweg inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, und sie berichteten über alles, was sich innerhalb und außerhalb der Ateliers der DEFA in Babelsberg zugetragen hat. Bedenkt man, daß neben diesen inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi bekanntermaßen noch die hauptamtlichen Mitarbeiter des staatlichen Spitzelsystems neben den ohnehin zur Mitarbeit verpflichteten Parteimitgliedern der SED ihrer Funktion bei der DEFA nachgingen, so kann man heute ermessen, wie eng geflochten das Netz staatlicher Beobachtung des künstlerischen und technischen Personals der Filmgesellschaft in der DDR war. Kam in der gesamten DDR, wie man heute auf Grund von Unterlagen annimmt, auf hundert Einwohner etwa ein inoffizieller Stasi-Spitzel, so waren es bei der DEFA, wie Untersuchungen vermuten lassen, auf hundert Mitarbeiter zwei, also doppel so viele wie bei der übrigen Bevölkerung. Das mag zum einen die Unsicherheit einer Diktatur gegenüber den eben doch nicht so zuverlässigen Künstlern dokumentieren, das mag zum anderen aber vor allem die Bemühungen des Staates darlegen, bereits im Vorfeld einer Produktion Zensur auszuüben. Es wurden nicht nur die Ansichten und das Verhalten des künstlerischen wie des technischen Personals beobachtet, es wurde permanent Einsicht genommen und Einfluß ausgeübt auf die Entwicklung der Drehbücher wie auch der Filmvorhaben.

Einblick in die Tätigkeit der Stasi bei der DEFA hat unlängst ein bei Potsdam lebender Kulturmanager gegeben. Axel Geiss hat sich eingehend mit dem Thema beschäftigt, hat Einsicht genommen in die entsprechenden Stasi-Akten, in die Hausmitteilungen der DEFA, in das Betriebsarchiv der DDR-Filmgesellschaft und die heute beim Bundesarchiv lagernden Unterlagen der Regierung der DDR. Zudem hat er ausführliche Gespräche mit einigen der Betroffenen, von der Bespitzelung Bedrängten geführt. Die Ergebnisse seiner Recherchen hat Geiss zu einer informativen Dokumentation zusammengeführt, die von der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung herausgegeben wurde. Der Autor hat unter anderem in Halle Germanistik studiert, ein Jahrzehnt später ein externes Studium an der Babelsberger Filmhochschule absolviert. Zu Zeiten der DDR war er als Fachschullehrer tätig, nach 1990 als Journalist. Unter anderem war er beim Aufbau der Ausstellung "Filmstadt Babelsberg" im Potsdamer Filmmuseum beteiligt. Seit 1995 ist er Medienbeauftragter der Stadt Potsdam. Geiss, dem es keineswegs um eine Bloßstellung aller bereitwilligen oder auch zwangsweise rekrutierten Spitzel bei der DEFA geht, beabsichtigt nicht, sich mit dem künstlerischen Anspruch und dem künstlerischen Versagen der ostdeutschen Filmgesellschaft auseinanderzusetzen. Vielmehr will er die heimlichen wie die offenen Verstrickungen der DEFA mit den staatlichen Machthabern offenlegen. Er hält sich bewußt zurück, die Decknamen der Stasi-Mitarbeiter zu entschlüsseln. Es geht ihm um die Strukturen der diktatorischen Macht und deren Einflußnahmen auf die künstlerische Entwicklung, die, folgt man den Darlegungen, permanent durch die Spitzeltätigkeit und deren repressive Auswirkungen behindert wurde. Auch dies gehört zweifelsohne zur Geschichte von Babelsberg zwischen 1946 und 1989. Es ist das andere Gesicht der DEFA.

Bereits 1952 wurde dem Film in der DDR als Aufgabe offiziell zugewiesen, Propaganda für Staat und Partei zu betreiben. Und Ende der 50er Jahre wurde die Hauptverwaltung Film beim Kulturministerium der DDR als zentrale Zensurbehörde installiert. Hier und nicht in Babelsberg fielen die wesentlichen Entscheidungen. Aber eben nicht nur mit dieser vorgeordneten Dienststelle war die DEFA eng verbunden, sondern auch mit dem bereits 1950 gegründeten Ministerium für Staatssicherheit, dessen Aufgabe es war, "alle Versuche, den Sieg des Sozialismus aufzuhalten oder zu verhindern - mit welchen Mitteln und Methoden es auch sei -, vorbeugend und im Keim zu ersticken". Nach dieser Devise wurde denn auch von der Stasi in Babelsberg gehandelt. So hatte die Staatssicherheit ein eigenes Büro auf dem Gelände der DEFA, das nicht gekennzeichnet, jedoch jedem der in den Studios Tätigen bekannt war. Von hier aus wurden zunächst jene beschnüffelt, die sich als Spitzel eigneten oder gar selbst andienten. Diese Spitzel wiederum beobachteten ihre Kollegen, deren Leben, Pläne, Drehbuchentwürfe, Szenarien. Aber auch die Spitzel wurden, wie das in einer Diktatur so üblich ist, ihrerseits von der Stasi unter die Lupe genommen. Liest man Geiss' Angaben und nicht zuletzt die von ihm vorgelegten Dokumente, so muß man erschrecken darüber, wozu ein Mensch unter dem Druck der Verhältnisse fähig ist. Zu den offiziellen (hauptamtlichen) und inoffiziellen Mitarbeitern kamen dann noch sogenannte Kontaktpersonen hinzu, die das Bild einer totalen Überwachung vervollständigen.

Überwacht wurden somit eigentlich alle, die bei der DEFA tätig waren, weniger allerdings die Darsteller, in stärkerem Maße hingegen die Regisseure, vor allem aber die Dramaturgen und Autoren. Selbst namhafte Künstler der DDR wie Konrad Wolf, der ja auch Präsident der Ost-Berliner Akademie der Künste war, gerieten in das Netz der staatlichen Beobachtung. Und alle, die zum Ansehen der DEFA beigetragen haben, waren Opfer staatlichen Mißtrauens: Frank Beyer, Heiner Carow, Egon Günther, Lothar Warnecke, Roland Gräf und Rainer Simon. Unter den bespitzelten Autoren findet man Ulrich Plenzdorf, Jurek Becker, Wolfgang Kohlhaase und Klaus Poche. Beobachtet wurden auch die Studenten der Filmhochschule.

Das System einer vollständigen Überwachung funktionierte auf vielfachen Wegen. Hatten die inoffiziellen Mitarbeiter beispielsweise Einsicht in ein Drehbuch genommen und dabei Argwohn gewonnen, ging die denunziatorische Meldung entweder an den Generaldirektor der DEFA oder auch an die Hauptverwaltung Film beim Kulturminister oder, um die Prozedur abzukürzen, direkt an die Ideologen der SED. Von hier aus wurde dann wieder Druck auf die Leitung der DEFA ausgeübt. Axel Geiss nennt das Spitzelnetz ein flächendeckendes System. Aber nicht weniger bedrückend (und für die produktiven Kräfte der DEFA durchweg hemmend) nimmt sich der vorauseilende Gehorsam aus, dem man sich nur zu gerne freiwillig unterordnete. Man mied weithin schon von sich aus gewagte Themen und Formen. Experimente jedenfalls, in welcher Richtung auch immer, waren unerwünscht, wurden denn auch dementsprechend meist schon freiwillig gemieden, was so manchem DEFA-Film einen biederen Charakter verliehen hat. Das System funktionierte Jedenfalls weithin ohne Verbote. Durch das Spitzelsystem ergab sich offenbar die Wirkung einer Zensur geradezu von selbst. Wenn dennoch Filme durch die Maschen der Kontrolle schlüpften, konnte man sie - wie es das 11. Plenum 1965 zur Genüge demonstrierte - ja immer noch verbieten.

Geiss, der auch von frühen Zensurmaßnahmen bereits zu Zeiten der klassischen Produktionen der DEFA berichtet, hat aus all den ausgewerteten Akten vier Beispiele herausgegriffen und damit die ekelhafte Überwachung von Frank Beyer, Rainer Simon, Ulrich Weiß sowie von Sibylle und Hannes Schönemann dokumentiert. Da wurde Beyers Einstellung zu den Maßnahmen der DDR bei der Ausbürgerung von Wolf Biermann bespitzelt. Es wurde sein Umgang beobachtet. Es wurde sein Film, den er gerade nach einem Szenarium von Jurek Becker mit Manfred Krug und Jutta Hoffmann inszenierte, "operativ bearbeitet", wie es im schönsten Deutsch der DDR heißt. Es wurden zudem Personen im Wohngebiet von Beyer ermittelt, Hausbewohner überprüft, um neue Quellen zur ständigen Kontrolle zu schaffen. Es wurden, außerdem alle Verwandten ersten Grades unter die Lupe genommen. Schließlich wurde auch eine "Schriftfahndung" angeordnet. Das war in den späten 70er Jahren. Ebenso wie Beyer wurde Rainer Simon von der Stasi eine negative politische Haltung und eine Verbindung zu anderen feindlich-negativen Kunst- und Filmschaffenden nachgesagt. Auf das Ehepaar Schönemann, das zu Haftstrafen verurteilt wurde, weil es sich über die Ablehnung seines Ausreiseantrags empört geäußert hatte, waren nicht weniger als fünf Spitzel angesetzt.

Die Dokumente legen Zeugnis ab von menschlicher Niedertracht, zugleich aber auch von staatlicher Unterdrückung erbärmlichster Art. Es wurde ja nicht nur die künstlerische Freiheit eingeschränkt, es wurde das gesamte individuelle Leben beeinträchtigt. Und dazu haben sich andere Zeitgenossen bereitgefunden. Aus Überzeugung, Karrieresucht, Geltungsdrang oder Opportunismus, wie es Axel Geiss formuliert, doch auch, was man keinesfalls übersehen sollte, durch Nötigung von selten der Stasi. Erpressung war mit im Spiel, aber immer wieder auch Freiwilligkeit. Doch all dies hat in den Babelsberger Ateliers Tradition. Wurde nicht auch zwischen 1933 und 1945 so mancher Künstler denunziert? War nicht so mancher auch damals der Partei unterwürfig ergeben? Axel Geiss hat ein unliebsames Thema aufgegriffen und die Geschichte der DEFA, die sich heute zwischen Verklärung und Vergessenheit bewegt, unter einem anderen, kritischen Aspekt betrachtet. Die Diskussion ist noch nicht beendet, sie wurde vielmehr erst eröffnet, wobei es nicht darum geht, einzelne Täter bloßzustellen, sondern ein System der Unterdrückung bloßzustellen und bloßzulegen. Themen dieser Art wurden bisher weithin vermieden. Auch bei den acht Filmnächten im Potsdamer Filmmuseum aus Anlaß der vor 50 Jahren erfolgten Gründung der DEFA wurden sie nicht aufgegriffen. Immerhin zeigen die nun schriftlich vorgelegten Diskussionen jener Filmnächte von 1996 in Gesprächen zwischen Regisseuren, Darstellern, Musikern, Szenenbildnern und Journalisten ein Bild der ostdeutschen Filmgesellschaft, wobei auch hier die Sorgen und Nöte von einst nicht unerwähnt bleiben. Es gab, unbestreitbar, gute Produktionen der DEFA, und es gab schlechte. Aber wo immer ein DEFA-Film entstanden ist, war die Stasi dabei. Axel Geiss hat das andere Gesicht der DEFA dokumentiert. Das Resultat ist niederschmetternd. Die Achtung vor denen, die sich mit Anstand behaupten, muß groß sein, zumal es ja auch darum ging, den einzelnen menschlich wie auch künstlerisch zu isolieren, ein hohes Maß von Mißtrauen zu produzieren. Zugleich ging es darum, den einzelnen zum Täter zu korrumpieren und zum Mitwisser zu degradieren. Die Bespitzelung diente allein dem Machterhalt der SED. Es ging vor allem darum, "daß zukünftig Filme produziert werden, die unvermittelt die Klassenauseinandersetzung mit dem BRD-Imperialismus unterstützen. Dabei geht es nicht in erster Linie um das Machen von Kunst, sondern der agitatorische Effekt muß in den Filmen erhöht werden." So hat sich 1977 Honecker gegenüber dem DEFA-Generaldirektor Mäde geäußert. Und der hat sich einem Stasi-Offizier anvertraut, der sich wiederum Notizen machte. Sie sind heute eine von vielen Quellen.

Die mißtrauische Atmosphäre in den Babelsberger Studios und die Unsicherheit unter dem Druck der politischen Tagesforderungen führte immer wieder zu Perioden der Stagnation, die allerdings, was nicht übersehen werden darf, von Perioden der Hoffnung auf freiere künstlerische Entfaltungsmöglichkeiten abgelöst wurden. Für viele gab es, wie es der Dokumentarist und Maler Jürgen Böttcher in einem der Potsdamer Gespräche formulierte, einen Punkt, "an dem man sich nicht mehr ausliefern will". Am Ende stand dann nicht selten die radikale Selbstverweigerung (was Egon Günther 1991 in seinem Film "Stein" zum Thema machte). Oder es blieb, wie für so manchen von der DEFA, nur noch der Weg in den Westen.

Volker Baer (filmdienst 8/1998)

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