Filmstill zu "Der Aufenthalt"

Der Aufenthalt

DER AUFENTHALT ist anlässlich des 90. Geburtstags von Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase DEFA-Film des Monats. Der Film ist neben elf weiteren DEFA-Spielfilmen in der DVD-Edition „Wolfgang Kohlhaase DEFA-Filme 1953-1988“ enthalten.

Kurzinhalt

Filmplakat zu "Der Aufenthalt"

DER AUFENTHALT

(R: Frank Beyer, 1982) Grafiker: Horst Wessler

Oktober 1945. Der junge deutsche Kriegsgefangene Mark Niebuhr (gespielt von Sylvester Groth) erreicht mit einem Transport den Warschauer Bahnhof. Eine Polin glaubt in ihm den SS-Mann wiederzuerkennen, der während des Krieges ihre Tochter ermordete. Niebuhr wird festgenommen und in ein Gefängnis gebracht. Die Gründe für seine Verhaftung sind ihm zunächst nicht klar. Er wird mehrfach verhört und sieht sich Schikanen ausgesetzt. Als er in eine Zelle mit zahlreichen deutschen Mitgefangenen verlegt wird, unter denen noch eine strikte militärische Ordnung herrscht, isoliert er sich von der Gruppe. Es beginnt ein Loslösungsprozess vom Vaterland...

 Hier finden Sie die kompletten Filmdaten.

Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase

Der 1931 in Berlin geborene Wolfgang Kohlhaase zählt mit seinem umfangreichen Oeuvre zu den wichtigsten Drehbuchautoren der deutschen Filmgeschichte. Langjährige Arbeitsbeziehungen verbinden ihn mit bedeutenden Regisseuren wie Frank Beyer, Gerhard Klein und Konrad Wolf. BERLIN – ECKE SCHÖNHAUSER... (1957), ICH WAR NEUNZEHN (1967) oder SOLO SUNNY (1979) zählen zu seinen wichtigsten Werken. Als Wolfgang Kohlhaase 2006 von der DEFA-Stiftung mit dem Preis für herausragende Leistungen im deutschen Film gewürdigt wird, hält sein Freund und Wegbegleiter Andreas Dresen in der Laudatio fest: „Die Kunst von Wolfgang ist Poesie in Kurzform. Pathos oder Sentimentalität sind ihm fremd. Er beschreibt komplizierte Dinge mit einfachen Worten. Seine Texte sind klar und direkt. In ihrem Lakonismus treffen sie trotzdem mitten ins Herz. Das hat damit zu tun, dass er die Menschen und seine Figuren mit den Augen der Liebe betrachtet.“

Dreharbeiten zu "Der Aufenthalt"

Wolfgang Kohlhaase, Frank Beyer und Sylvester Groth bei den Dreharbeiten zu DER AUFENTHALT (R: Frank Beyer, 1982) Foto: Dieter Lück

Filmstill zu "Der Aufenthalt"

Wolfgang Kohlhaase im Gespräch mit Kamerammann Eberhard Geick bei den Dreharbeiten zu DER AUFENTHALT (R: Frank Beyer, 1982) Foto: Dieter Lück

Ein autobiografischer Stoff Hermann Kants

DER AUFENTHALT entstand nach dem 1977 im Aufbau-Verlag erschienenen gleichnamigen Roman von Hermann Kant (1926–2016). Der Stoff geht auf autobiografische Erlebnisse Kants in seiner Zeit als polnischer Kriegsgefangener von 1945 bis 1949 zurück. Das Werk zählt neben „Die Aula“ und „Das Impressum“ zu den wichtigsten Schriften des Autors. Zwei weitere Male verfilmte die DEFA Stoffe Hermann Kants: 1962 entstand nach einem Drehbuch Kants der Weihnachtsfilm ACH, DU FRÖHLICHE... (R: Günter Reisch), in dem Kant in einem Cameo-Auftritt zu sehen ist. Nach dem Mauerfall drehte Roland Oehme als einen der letzten DEFA-Filme FARSSMANN ODER ZU FUSS DURCH DIE SACKGASSE (1991), der auf mehreren Erzählungen Kants basiert.

Wolfgang Kohlhaase kam mit Hermann Kants autobiografischen Erinnerungen erstmals bei einem gemeinsamen Besuch der beiden Autoren in Warschau in Berührung. Kant zeigte Kohlhaase das Gefängnis, in dem er inhaftiert war. Als eine Verfilmung des Stoffes im Raum steht, ist Kant nur bereit die Rechte abzugeben, wenn Frank Beyer die Regie übernimmt und Wolfgang Kohlhaase das Drehbuch. Bei der Fertigung des filmischen Szenariums von Kants komplexem literarischen Werk konzentrierte sich Kohlhaase auf die Passagen im polnischen Gefängnis, um den Stoff „spielbar“ zu machen.

Regie: Frank Beyer

Als Frank Beyer (1932–2006) Anfang der 1980er Jahre DER AUFENTHALT inszeniert, liegen zwei Arbeitsjahrzehnte voller Brüche hinter ihm. In Folge des 11. Plenums des ZK der SED und dem Verbot seines Spielfilms SPUR DER STEINE (1966) fiel der Regisseur in Ungnade und durfte zunächst nicht mehr für die DEFA arbeiten. Beyer begann eine Tätigkeit am Dresdner Staatstheater unter der Intendanz des späteren DEFA-Generaldirektors Hans-Dieter Mäde. Bereits früh gab es Pläne, Beyer für eine Verfilmung von Hermann Kants „Die Aula“ zur DEFA zurückzuholen, doch das Vorhaben geriet ins Stocken. Beyer kam stattdessen zum von ihm ungeliebten Fernsehen. Er inszenierte dort den Fünfteiler ROTTENKNECHTE (1971) und den Vierteiler DIE SIEBEN AFFÄREN DER DONA JUANITA (1973). 1974 verfilmte Beyer mit großem Erfolg und in Co-Produktion zwischen DEFA und DDR-Fernsehen den Roman JAKOB DER LÜGNER seines Freundes Jurek Becker. Mit den Vorbereitungen einer Verfilmung des Stoffes hatten beide schon 1965 begonnen, als Becker den Roman noch gar nicht verfasst hatte. Aufgrund von Beyers Arbeitsverbot bei der DEFA konnte der Film jahrelang nicht produziert werden. Beyers nächster DEFA-Film DAS VERSTECK (1977) entstand zur Zeit der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Gegen Beyer, der wie viele andere Künstlerinnen und Künstler gegen die Ausbürgerung protestierte, wurde ein Parteiverfahren eingeleitet. DAS VERSTECK lief daraufhin nur in ausgewählten Kinos. Sechs Jahre vergingen ehe Beyer mit DER AUFENTHALT seinen nächsten DEFA-Film vorlegte.

Filmstill zu "Der Aufenthalt"

Sylvester Groth in DER AUFENTHALT (R: Frank Beyer, 1982) Foto: Dieter Lück

Filmstill zu "Der Aufenthalt"

Sylvester Groth in DER AUFENTHALT (R: Frank Beyer, 1982) Foto: Dieter Lück

In der Hauptrolle: Sylvester Groth

Filmstill zu "Der Aufenthalt"

Sylvester Groth

in DER AUFENTHALT (R: Frank Beyer, 1982) Foto: Dieter Lück

Für die Hauptrolle des Mark Niebuhr erhielt der am Schweriner Theater engagierte Jungschauspieler Sylvester Groth (* 1958) den Vorzug gegenüber seinem in Karl-Marx-Stadt wirkenden Kollegen  Ulrich Mühe (1953–2007). Groth studierte zuvor Schauspiel an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Die Rolle in DER AUFENTHALT markierte sein Filmdebüt und den Beginn einer großen schauspielerischen Karriere. Bereits ein Jahr später war Groth als Hauke Haien in der Literaturverfilmung von Theodor Storms DER SCHIMMELREITER des DDR-Fernsehens erneut in einer Hauptrolle zu sehen. Es folgten kleinere Darstellungen in den DEFA-Filmen JUNGE LEUTE IN DER STADT (R: Karl-Heinz Lotz, 1985) und DAS HAUS AM FLUSS (R: Roland Gräf, 1986). Mitte der 1980er Jahre spielte er in der westdeutsch-italienischen Literaturverfilmung von Michael Endes MOMO (1986) einen Agenten. Nach der Wiedervereinigung kann Groth seine Karriere fortsetzen und ist bis heute in zahlreichen nationalen und internationalen Fernseh- und Kinoproduktionen zu sehen. Er arbeitete mit namhaften Regisseuren wie Bernd Böhlich, Heinrich Breloer, Andreas Dresen, Philipp Kadelbach und Quentin Tarantino. Für seine Verdienste um den deutschen Film wurde Groth 2017 von der DEFA-Stiftung ausgezeichnet.

Dreh mit polnischer Unterstützung?

Frank Beyer hielt in seinen autobiografischen Erinnerungen fest, dass für ihn früh klar war, dass DER AUFENTHALT nicht ohne polnische Unterstützung realisierbar ist. Neben polnischen Schauspielern erhoffte sich der Regisseur Beratung in Kostümfragen für die polnischen Uniformen. Beyer fand die benötigte Unterstützung im polnischen Produktionsleiter Jerzy Rutowicz (1928–2018). Als rund einen Monat vor Drehbeginn in Polen das Kriegsrecht ausgerufen wird, drohte die Zusammenarbeit zu scheitern. Erst einen Tag vor Drehbeginn war klar, dass die polnische Delegation samt Kostümen per Zug zum Drehort, einer leerstehenden Untersuchungshaftanstalt in Zwickau, anreisen würde. Die 56 Tage andauernden Dreharbeiten verliefen ohne weitere Probleme. Erst nach Fertigstellung des Films sollte es von polnischer Seite zu weiteren Einwänden gegen die Produktion kommen. 

Filmstill zu "Der Aufenthalt"

Klaus Piontek in DER AUFENTHALT (R: Frank Beyer, 1982) Foto: Dieter Lück

Filmstill zu "Der Aufenthalt"

Fred Düren in DER AUFENTHALT (R: Frank Beyer, 1982) Foto: Dieter Lück

Venedig statt Berlinale

Am 11. Januar 1983 erteilte DDR-Filmminister Horst Pehnert die offizielle Erlaubnis, dass DER AUFENTHALT im Wettbewerb der Berlinale gezeigt werden dürfe. Am 20. Januar folgte die Premiere im Berliner Kino International. Kurz vor der Aufführung teilte das polnische Kulturministerium mit, dass keine polnischen Mitwirkenden an der Premiere teilnehmen werden. Der Militärattaché der polnischen Botschaft in der DDR hatte den Film vorab gesichtet und als „antipolnisch“ eingestuft. Versuche, die polnische Seite zu einem Umdenken zu bewegen scheiterten. Nach einem Brief des polnischen Ministerpräsidenten Wojciech Jaruzelski an Erich Honecker wurde die Entscheidung auf höchster Ebene getroffen: der Film wurde von der Berlinale zurückgezogen und durfte zunächst nur in DDR-Kinos laufen. DER AUFENTHALT erhielt in der DDR hervorragende Kritiken und zog über 600.000 Menschen in die Kinos. Bereits im Sommer 1983 konnte die Produktion ohne politische Einwände auf den Filmfestspielen von Venedig präsentiert werden. DER AUFENTHALT ging im Rahmen der Oscar-Verleihung 1984 für die DDR ins Rennen um den besten ausländischen Film, schaffte es jedoch nicht auf die Shortlist.

verfasst von Philip Zengel (März 2021)

Wolfgang Kohlhaase - DEFA-Filme: 1953-1988

Bei ICESTORM ist eine umfangreiche DVD-Edition mit zwölf DEFA-Spielfilmen Kohlhaases, dem Buch „Um die Ecke in die Welt“ und zahlreichen Bonusmaterialien erschienen.

 

Edition bei jpc.de
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