Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Suchender in der geteilten Stadt.

Zum Tod von Ulrich Thein

von Ralf Schenk

In seinem ersten DEFA-Film, dem von Martin Hellberg inszenierten "Geheimakten Solvay" (1953), war Ulrich Thein noch ein Jüngling aus der Provinz. Ein Jahr später hatte er seinen eigentlichen kinematografischen Tummelplatz gefunden: Berlin. die gespaltene Stadt, der Hexenkessel des kalten Krieges, Metroppole für Wanderer zwischen den Welten. In Gerhard Kleins "Alarm im Zirkus" spielte Thein einen Jungen namens Herbert, der noch vor kurzem Schlosser war und im Osten kostenlos Veterinärmedizin studieren darf. Klein besetzte ihn 1956 auch in "Eine Berliner Romanze", wieder als Schlosser, diesmal aber ohne das Glück, im "demokratischen Sektor" zu leben. Hans, so der Name der Figur, kann im Westen seine Lehre nicht beenden, wäscht nachts in einer Garage Luxuslimousinen, wird gedemütigt und arbeitslos. Wahrscheinlich, so suggerieren es die Schlußeinstellungen, zieht er zu seiner Freundin in die nach DEFA-Kanon bessere Hälfte der Stadt um.

Ulrich Thein, der am 21. Juni starb, gehörte als gemäßigter "Halbstarker" jahrelang zu den Stars vornehmlich in Gegenwartsfilmen der DEFA; gleichsam der östliche Bruder von Horst Buchholz. Was seinen Rollen im Gegensatz zu denen seines westdeutschen Pendants fehlte, war die Subversivität, aber das hatte wohl weniger mit dem Schauspieler als mit der Funktion von Kunst in der DDR zu tun. Theins Figuren trugen zwar auch Lederjacken, tanzten Rock'n'Roll und stellten kritische Fragen an die Gesellschaft, in die sie hineingewachsen waren, aber immer mit einem im Prinzip bejahenden Grundgestus. Sie sollten eine neugierige Jugend gleichsam auf den rechten, nämlich den linken Weg führen, zur Identifikation einladen. Dazu mußten sie nicht unbedingt über einen intellektuellen Hintergrund verfügen wie Buchholz, und mit einem schillernden erotischen Flair brauchten sie schon gar nicht ausgestattet zu sein. Es reichte, wenn sie bodenständig waren, geradlinig, "echt".

Theins Männer erscheinen mutig, unkonventionell und, wenn es sein mußte, hart im Nehmen und im Geben. In "Spur in die Nacht" (1957) von Günter Reisch verschlug es ihn, diesmal als Maurer, ins Revier eines gefährlichen Schmugglerkönigs an der Staatsgrenze zwischen CSSR und DDR: der Grenzpolizei mißtrauend und die verschollene Freundin (Eva-Maria Hagen) auf eigene Faust suchend. "... und deine Liebe auch" (1962) von Frank Vogel, ein Opus, das den Mauerbau nachträglich rechtfertigen wollte, bekam durch Theins Mitwirkung tragödische Dimensionen: Sein Taxifahrer Klaus, der im Osten lebt und im Westen das schnelle Geld macht, ist nicht schlechthin ein Tunichtgut, sondern ein in den politischen Strudeln Verlorener. In Frank Beyers "Königskinder" (1962) war Thein ein von den Kommunisten zu den Nazis Abgedrifteter, ein von falschen Versprechungen Verführter, der seinen früheren Kameraden (Armin Mueller-Stahl) im Strafbataillon bis zur Erschöpfung schleift - um ihm damit das Leben zu retten, vielleicht die stärkste Szene in Theins Œuvre überhaupt. In der "Glatzkopfbande" (1963) von Richard Groschopp, einem Krimi über das Treiben von Skinheads, als sie noch nicht so hießen, zeigte sich der Akteur dann erstmals "erwachsen":

Mit sportlichem Ehrgeiz und einem Hund an der Seite legte er den Verbrechern das Handwerk, bevor sie via Ostsee nach Schweden abhauen und sich dort als politische Flüchtlinge ausgeben konnten.

Thein wurde am 7. April 1930 in Braunschweig geboren. Zunächst studierte der Sohn eines Kapellmeisters sechs Semester Musik einschließlich des Harfespiels. Aber die Schauspielerei lockte ihn mehr; schon mit 21 schaffte er es, ans erlauchte Deutsche Theater engagiert zu werden. 1963, im selben Jahr. als er dieses Haus wieder verließ, begann er, auch den Platz hinter der Kamera einzunehmen. "Der andere neben dir", seine erste Regiearbeit fürs Femsehen, markierte schon im Titel ein Programm: "Ich möchte", so Thein, "begreifbare, nachvollziehbare Geschichten von ganz normalen Leuten in diesem Land erzählen, die alle ihre Erlebnisse, ihren Wert und ihre Größe haben." Als Regisseur beim Femsehen der DDR und bei der DEFA gelang ihm etwas Seltenes: die Konzentration auf ein Genre. Thein machte das Volksstück zu seiner Sache, mit Filmen wie "Mitten im kalten Winter" (1968), "Unbekannte Bürger" (1969), "Das alte Modell" (1980), "Dach überm Kopf (1980) und "Mensch, mein Papa...! Mal leise und sentimental, mal ruppig, den Alltag genau beobachtend und sich und die Mitmenschen ironisierend, ohne verletzend zu sein. Gute, gediegene - und wieder bodenständige Unterhaltung.

Neben seinen Inszenierungen spielte er nur noch gelegentlich - in Filmen anderer Regisseure. Günter Reisch holte ihn 1978 als "Anton, der Zauberer" vor die Kamera. Eine komödiantische Biografie, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte und an Intensität nichts zu wünschen übrig ließ. Thein stattete die Rolle des cleveren Handwerkers und DDR-Schwejks mit Kraft, Schlitzohrigkeit und einer gehörigen Portion Rührung aus. 1983 trat er als "Martin Luther" in einem mehrteiligen Fernsehfilm auf. Zu den späten Glanzstücken seiner Karriere gehörten auch der vom Alkohol Zerfressene in "Der Teufel hat den Schnaps gemacht" (1981) oder "Johann Sebastian Bach" (1986), zwei Fernsehproduktionen, in die er eigene, ganz unterschiedliche Erfahrungen einbrachte. Für die Rolle Bachs etwa und das damit verbundene Orgelspiel, das er ohne Double absolvierte, erweckte der menschlich zunehmend schwieriger werdende Maximalist und Perfektionist Kenntnisse aus dem Musikstudium zu neuem Leben.

Das Letzte, was man von ihm sah, war eine Fernsehserie namens "Agentur Herz" (1990): arbeitslose Schauspieler engagieren sich als Helfer in Notsituationen. Noch einmal versuchte er, der gesellschaftlichen Realität künstlerisch nahezukommen. Dann wurde es still um Ulrich Thein, dem die Ereignisse nach der "Wende" tiefe Wunden in Seele und Gesundheit schlugen. Er hatte keine Lust, als Mr. Nobody im Westen Klinken zu putzen. Und kamen neue Angebote, verweigerte er sich. Aus Zorn und Trotz, mitunter aber auch aus nachvollziehbaren Gründen. Für RTL ein paar Folgen von "Gute Zeiten - schlechte Zeiten" zu drehen, verbot sich ihm von selbst. Schnell heruntergekurbelte Eintagsfliegen sind nie sein Geschäft gewesen.

Ralf Schenk (filmdienst 14/1995)

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