Ein brauchbarer Mann
Anlässlich des 75. Geburtstags von Hans-Werner Honert zeigt die DEFA-Stiftung im Rahmen ihres monatlichen Filmabends am 8. September 2025, 19:00 Uhr, im Kino Krokodil mit EIN BRAUCHBARER MANN den ersten und einzigen DEFA-Spielfilm des Regisseurs.
Kurzinhalt

EIN BRAUCHBARER MANN
(R: Hans-Werner Honert, 1988)
Uli Merkel (gespielt von Tobias Langhoff), ein aufstrebender Nachwuchs-Ingenieur, bekommt von seinem Chef (Otto Mellies) die Chance, sich als „brauchbarer Mann“ zu beweisen. Sein Auftrag wird zu einer ungewöhnlichen Dienstreisen-Odyssee quer durch die DDR: Er soll den früheren Forschungsdirektor des Betriebs (Rolf Hoppe) finden, der vor einigen Jahren untertauchte, nachdem von seinen Innovationen niemand etwas wissen wollte – Die Planerfüllung war wichtiger. Nun werden die Ideen dringend gebraucht. Uli findet den Gesuchten, der inzwischen auf der Insel Rügen als Totengräber auf einem Friedhof arbeitet. Wird ihm jedes Mittel recht sein, um an die Projektpapiere zu gelangen?
Frei nach einem Hörspiel
Regisseur Hans-Werner Honert war bereits 1986 Autor des Hörspiels „Karriere Uli M.“, das das gleiche Thema behandelt. Unter der Regie von Achim Scholz und in den Sprechrollen u.a. mit Reiner Heise, Hansjürgen Hürrig und Klaus Manchen wurde der Stoff vertont. Erstmals zu hören war „Karriere Uli M.“ am 7. August 1986 im Berliner Rundfunk. Die Presse lobte, dass es sich um ein weitgehend „ausgezeichnetes Hörspiel“ handle, bei dem „bis zum Schluss die Spannung gehalten“ wird. „[D]as Ränkespiel“ habe jedoch „mit sozialistischen Verhaltensweisen nichts gemein“ (vgl. E.O., Neue Zeit, 7. August 1986, S. 4) „Karriere Uli M.“ war 1987 für den DDR-Hörspielpreis nominiert.

Spezialauftrag vom Generaldirektor (Otto Mellies) für Uli Merkel (Tobias Langhoff). Fotograf: Heinz Pufahl

Der Gesuchte (Rolf Hoppe) führt ein Leben als Einsiedler auf Rügen. Fotograf: Heinz Pufahl
Produktionsnotizen
EIN BRAUCHBARER MANN wurde zwischen dem 2. Juli und dem 21. September 1988 u.a. auf der Insel Rügen und auf dem Friedhof Potsdam-Rehbrücke gedreht. Die Premiere erfolgte am 19. Oktober 1989 im Berliner Kino „Colosseum“. Einen Tag später startete der Film in den DDR-Kinos.
Kinostart in stürmischen Zeiten
Als EIN BRAUCHBARER MANN am 20. Oktober 1989 in den DDR-Kinos anlief, befand sich das Land im Umbruch. In der gesamten Republik demonstrierten hunderttausende Menschen. Auch wegen Zuständen, wie sie Honert in seinem Film aufgriff und damit den Finger in die Wunde legte. Kritiker Hans-Dieter Tok befand, dass der Film „einen Übergang signalisieren könnte (...) zu einem Kino, das DDR-Realität unverstellt spiegelt und sie der Veränderung wert und notwendig erachtet.“ Für Gisela Buhrig war der Film auf der Höhe der Zeit, da er die Gründe zeige, warum so viele Menschen die DDR 1989 verlassen: „erlittenes Unrecht, Machtmissbrauch, und Missachtung der menschlichen Würde.“ (Die Union, 25. Oktober 1989)
Im stürmischen Wendeherbst blieb EIN BRAUCHBARER MANN trotz seiner Aktualität beim Publikum eine Randnotiz. Als Gesprächs- und Diskussionsangebot kam der Film zu spät. Die Bevölkerung bewegten andere Dinge als DEFA-Filme im Kino zu schauen. Ute Semkat schrieb in ihrer Rezension: „Im Magdeburger Palast-Theater lief er [der Film] ganz für mich allein.“ (Magdeburger Volksstimme, 3. November 1989).

Eine lange Reise steht Uli Merkel (Tobias Langhoff) bevor. Fotograf: Heinz Pufahl

Bei Otto Weimann (Peter Bause) ist der Gesuchte nicht mehr. Fotograf: Heinz Pufahl
Regie: Hans-Werner Honert
„Mein Beruf ist nur dann erfüllt, wenn ich Geschichten schreibe oder Filme drehe, die einen Nerv unserer Gesellschaft treffen“, Hans-Werner Honert 1989 im Interview mit Peter Claus für „Kino DDR“.
Der 1950 als Sohn einer Kindergärtnerin und eines Dozenten in Leipzig geborene Honert schrieb und verfilmte bevorzugt Stoffe, die in der DDR-Gegenwart spielten. Nach der Schulzeit wurde er Volontär beim DDR-Fernsehen. 1971 begann Honert am WGIK in Moskau in der Meisterklasse von Alexander Borissowitsch Stolper (1907–1979) Regie zu studieren. Das Studium schloss er 1976 mit dem Diplomfilm ERSTES HAUS, LINKER HAND nach einer Vorlage des Schriftstellers Joachim Nowotny ab und wirkte fortan für das DDR-Fernsehen. Eine filmische Bearbeitung von drei Kapiteln aus Maxi Wanders Bestseller „Guten Morgen, du Schöne“ wurde 1978 nicht zur Ausstrahlung freigegeben und konnte erst 1990 gezeigt werden. Vielfach wurde Honert in den Folgejahren für Krimis der Reihen „Polizeiruf 110“ und „Der Staatsanwalt hat das Wort“ eingesetzt – Arbeiten die „von Honert keineswegs geringgeschätzt, aber eben doch begrenzt, durch die Spezifik des Genres“ waren, wie Marlies Linke berichtet (Sonntag, 15. Oktober, 1989). Parallel schrieb Honert erfolgreich Hörspiele für den Rundfunk, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR konnte er mit EIN BRAUCHBARER MANN basierend auf einem dieser Hörspiele seinen ersten und einzigen Kinospielfilm für die DEFA realisieren.
Nach der deutschen Wiedervereinigung setzte Honert seine filmische Karriere mit großem Erfolg fort. Er gilt als geistiger Vater der Dresdner „Tatort“-Ermittler Ehrlicher und Kain (gespielt von Peter Sodann und Bernd Michael Lade), die zwischen 1992 und 2007 in mehr als 40 Filmen ermittelten. 1995 begann Honerts Tätigkeit als Geschäftsführer der Produktionsfirma „Saxonia Media“, die unter seiner Führung zur größten Filmproduktionsfirma Mitteldeutschlands avancierte und Erfolgsserien wie „In aller Freundschaft“ erfand.

Regisseur Hans-Werner Honert im Austausch mit seinen Hauptdarstellern Rolf Hoppe und Tobias Langhoff. Fotograf: Heinz Pufahl

Kameramann Helmut Grewald (Mitte) beobachtet den Austausch zwischen Hans-Werner Honert und Tobias Langhoff. Fotograf: Heinz Pufahl
Ein herausragendes Schauspielensemble
Mit den beiden gestandenen Schauspielgrößen Rolf Hoppe (1930–2018) und Otto Mellies (1931–2020), die beide bei der DEFA seit Jahrzehnten in großen und kleinen Rollen überzeugten, sowie dem aus der berühmten Theaterfamilie Langhoff stammenden Nachwuchsdarsteller Tobias Langhoff (1962–2022) in seiner ersten großen Kinorolle, stand dem Regisseur eine exzellente Besetzung für die Hauptrollen zur Verfügung. Die DDR-Filmkritik lobte wiederholt, dass das Buch und die Inszenierung den drei Figuren gleichermaßen gerecht werden: „Honert (...) lässt allen drei Filmgestalten Gerechtigkeit widerfahren, indem er differenziert Charakterzüge hervorhebt und Motive für Handlungsweisen nennt und keinen vorschnell abtut, verurteilt“ befand Hans-Dieter Tok (Wochenpost, 3. November 1989). Abseits der Hauptdarsteller bleibt insbesondere Kurt Böwe (1929–2000) als norddeutscher Fischer in Erinnerung.
Aus der Antike in die DDR
Für EIN BRAUCHBARER MANN verlegte Hans-Werner Honert Sophokles‘ mehr als 2.000 Jahre alte Tragödie „Philoktetes“ in die späte DDR. In dem antiken Drama erfahren die Griechen aus einer Prophezeiung, dass sie Troja nur mit Philoktetes Wunderwaffe, einem unfehlbare Pfeile schießenden Bogen, erobern können. Auf Geheiß von Odysseus wurde Philoktetes jedoch Jahre zuvor aufgrund eines mutmaßlich unheilbaren, übelriechenden Schlangenbisses auf der Insel Lemnos im Ägäischen Meer ausgesetzt und sich selbst überlassen. Als der Ausgemusterte nun wieder gebraucht wird, schickt Odysseus Achilles‘ Sohn Neoptolemos auf die Insel, der zu jung ist, um mit der Verbannung etwas zu tun zu haben. Sein Auftrag: Philoktetes‘ Bogen und seine Pfeile holen... Die Figurenkonstellation in Sophokles Drama lässt sich auf EIN BRAUCHBARER MANN übertragen: Rolf Hoppes Figur ist Philoktetes, der von Tobias Langhoff dargestellte, talentierte Nachwuchs-Ingenieur ist Neoptolemos und Otto Mellies‘ Generaldirektor fungiert als Odysseus. Die Geschehnisse auf der Insel Lemnos verlegt Honert auf die Insel Rügen.

Ein zurückgezogenes Leben auf Rügen. Aussteiger Heiner Rudolf (Rolf Hoppe) mit dem Insel-Fischer Dröse (Kurt Böwe). Fotograf: Heinz Pufahl

Ein Blick in die eigene Zukunft? Uli (Tobias Langhoff) schaut auf den früheren Chefkonstrukteur (Rolf Hoppe) seines Betriebs. Fotograf: Heinz Pufahl
Gemischtes Echo in der Filmkritik
EIN BRAUCHBARER MANN fand in der Presse ein gemischtes Urteil. Negativ besprochen wurde mehrfach der Anfang des Films. Frank Junghänel sprach gar von einem „schier endlosen Anlauf auf den dramatischen Kern“ (zitiert nach Freie Erde Neustrelitz, 1. November 1989). Kritisiert wurde auch, dass die Auftaktszenen im „tropisch-exotischen Ausland“ (Helmut Ullrich, Neue Zeit, 25. November 1989) spielen. Günter Sobe ging in seiner Besprechung sogar so weit, zu behaupten, dass der „pseudo-exotische Einstieg [...] offenbar keine andere Bedeutung [hat] als für das Team eine Reise nach Übersee herauszuschinden“ (Berliner Zeitung, 21. Oktober 1989). Wo genau der Handlungsort des Filmbeginns zu finden sei, darüber herrschte Uneinigkeit. Verschiedene Kritikerinnen und Kritiker ordneten den Ort des Geschehens mal auf Kuba (ebd.), mal in Venezuela (Filmspiegel, 25/1988), mitunter auch in Afrika ein. (Der neue Weg, 20. Oktober 1989) Gelobt wurde hingegen vielfach die Aktualität des Films: „Ein wirklich brauchbarer Film (...) denn er stellt sich uns bewegenden Fragen: Nach Ehrlichkeit vor sich selbst und vor der Gesellschaft. Nach dem Verhältnis zwischen Erfolgszwang und moralischer Reinheit. Nach der Tauglichkeit von neuem Denken innerhalb veralteter Strukturen.“ (BZ am Abend, Tanja Queling, 20. Oktober 1989)
Verfasst von Philip Zengel (August 2025)