Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Celino Bleiweiß

Regisseur

* 30. November 1938 in Przemyśl (Polen) (eigentlich am 4. Januar 1937)

Biografie

Filmstill zu "Mein blauer Vogel fliegt"

Celino Bleiweiß

bei den Dreharbeiten zu MEIN BLAUER VOGEL FLIEGT (R: Celino Bleiweiß, 1975) Fotografen: Herbert Kroiss, Klaus Groch

Celino Bleiweiß verfügt über einen Lebenslauf voller Abenteuer und Wendungen - eine Biografie, die scheinbar wie für das Kino gemacht ist. Er selbst spricht fast nie über sein Leben. „Nie wieder“ gestand Bleiweiß der Regisseurin Dagmar Wittmers, der es gelungen war, ihn 2014 zu einer Reise an die Orte seiner Kindheit zu überreden. DAS GESCHENKTE LEBEN – DIE WUNDERSAME RETTUNG DES CELINO BLEIWEISS nennt Wittmers ihren Dokumentarfilm.

Der Regisseur Celino Bleiweiß wird in Przemyśl (Polen) als Mechl Feiler, Sohn des jüdischen Hotel- und Restaurantbesitzers Moshe Feiler und seiner Frau Rachel geboren. Die am Dreiländereck zwischen Habsburg und Russland gelegene, kulturell vielfältige Stadt Przemyśl wird nach dem Hitler-Stalin-Pakt geteilt, in Folge des deutschen Überfalls auf Polen und dem Beginn des Weltkrieges jedoch vollkommen deutsch besetzt. Der kleine Mechl Feiler wächst zunächst im von den Russen besetzten Teil der Stadt auf, den später die Wehrmacht okkupiert.

Als Bleiweiß bei der Arbeit am Dokumentarfilm DAS GESCHENKTE LEBEN gefragt wird, ob Przemyśl für ihn Heimat sei, antwortet er ausweichend: „Es ist die Sprache, die für mich entscheidend ist (…) Ich denke ja auch auf Polnisch, übersetze nicht. In der Sprache bin ich zu Hause.“ Er war noch zu jung als er in Przemyśl aufwuchs, um sich an seine Kindheit erinnern zu können. So sind nicht viel mehr als ein paar Erinnerungssplitter geblieben. An das Leben eines kleinen Jungen in einem großen Haus, in dem hinter jeder Wohnungstür Verwandte wohnen – oder an die Mithilfe des Jungen beim Tischdecken im Hotel-Speisesaal.

Filmstill zu "Aus dem Leben eines Taugenichts"

Celino Bleiweiß im Gespräch mit Anna Dziadyk während der Dreharbeiten zu AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS (R: Celino Bleiweiß, 1973) Fotografen: Wolfgang Ebert, Alexander Kühn

Filmstill zu "Aus dem Leben eines Taugenichts"

Dean Reed vor der Kamera bei den Dreharbeiten zu AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS (R: Celino Bleiweiß, 1973) Fotografen: Wolfgang Ebert, Alexander Kühn

Ein Bekannter der Familie ist Richard Bleiweiß. Im Juli 1941 werden dessen Frau Hella und ihre dreijährige Tochter Celina von einem deutschen Polizeikommando ermordet. Richard besitzt drei gefälschte US-Pässe, die drei Menschen das Überleben als „Austauschjuden“ ermöglichen. „Austauschjuden“ sind von den Nazis ausgesuchte Geiseln, die in Krakau mit dem Ziel gesammelt werden, um sie später im Austausch gegen Kriegsgefangene oder Waffen nutzen zu können. Mechl und seine ältere Cousine Sarah Katz erhalten die Pässe von Hella und Celina Bleiweiß. Aus Celina wird Celino.

Celinas Geburtstag ist der 30. November 1938. Bis heute ist dieser Tag auch der Geburtstag von Celino Bleiweiß. In der Dokumentation von Dagmar Wittmers berichtet er: „Ich habe in den Akten [des Standesamtes von Przemyśl] lesen können, dass ich unter dem Namen Mechl Feiler am 4. Januar 1937 geboren bin. (…) Es hat mich immer belastet, dass mein Geburtstag, der stets all die Jahre von meinen Eltern mit mir zusammen mit allem gefeiert wurde, was dazu gehört, eigentlich der Geburtstag des ermordeten Mädchens war. Dieser Zusammenhang, dass ich nur überleben konnte, weil sie ermordet wurde.“ Früher habe er über die Vergangenheit nie gesprochen, bekennt er weiter. Und seine Tochter Ina ergänzt, dass der Vater nie erzählt habe, wie er zu seinem ungewöhnlichen Namen kam.

Über Krakau kommt Celino mit seinen neuen Eltern ins Lager Bergen-Belsen, wo sie bis zum Oktober 1943 überleben. Damit die „Austauschjuden“ gegen Kriegsende nicht den Alliierten in die Hände fallen, wird 1943 das „Sonderlager“ Bergen-Belsen aufgelöst. Die meisten Transporte gehen nach Auschwitz. Die drei Jahre Aufenthalt in Bergen-Belsen bedeuten für die Häftlinge trotz aller Privilegien alltägliche Angst vor Überprüfungen und Deportationen, die den sicheren Tod bedeuten können. Der Zug, den die dreiköpfige Gemeinschaft besteigen muss, fährt nicht nach Ausschwitz, sondern landet im April 1945 nach einer Irrfahrt durch die deutschen Kriegsgebiete im brandenburgischen Städtchen Tröbitz. Am 23. April 1945 werden dort von sowjetischen Soldaten die Türen der auf den Schienen stehenden Waggons geöffnet. In Tröbitz beschließen Richard und Sarah Bleiweiß nicht wie viele andere nach Polen zurückzukehren, sondern in Deutschland zu bleiben. Sie versuchen vergeblich Informationen über das Schicksal von Celinos wirklichen Eltern zu erfahren. Irgendwann erhalten sie die Nachricht, dass alle Verwandten den Krieg nicht überlebt haben. 1949 lassen sie sich mit Celino in Dresden nieder.

Filmstill zu "Aus dem Leben eines Taugenichts"

Dean Reed in AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS (R: Celino Bleiweiß, 1973) Fotografen: Wolfgang Ebert, Alexander Kühn

Filmstill zu "Aus dem Leben eines Taugenichts"

Hannelore Elsner in AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS (R: Celino Bleiweiß, 1973) Fotografen: Wolfgang Ebert, Alexander Kühn

Das Leben in der jungen DDR ist für Celino Bleiweiß keine Idylle. Da er gegen den stalinistischen Personenkult rebelliert, wird er von der Schule verwiesen. Sein Abitur darf er erst ablegen, nachdem Richard Bleiweiß sich für ihn einsetzt. Dennoch kann Celino im Alter von 19 Jahren ein Regiestudium an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Babelsberg beginnen. 1962 dreht er dort seinen Diplomfilm DAS SPIEL. Obwohl sein früheres Leben mehr und mehr aus dem Lebensalltag des künftigen Regisseurs ins Vergessen entschwindet, hat der Plot seines Debüts mit dieser Vergangenheit zu tun: Irgendwo in einem Lager veranstaltet die SS unter ihren Häftlingen ein Handballspiel, das für die Sieger Überleben bedeutet.

Dennoch: Das Hauptinteresse des Regisseurs Celino Bleiweiß gilt nicht der Vergangenheit. Er möchte Geschichten über den DDR-Alltag erzählen. Das antifaschistische Thema, das so sehr das DDR-Kino prägte, ist nicht sein Sujet. Nur mit zwei Filmen kehrt er später zu diesem Thema zurück.

Am Ende seines Studiums wird er vom Deutschen Fernsehfunk in Berlin-Adlershof als Regisseur beschäftigt. Es soll jedoch noch Jahre dauern, bis die Leitung den jungen Absolventen mit den guten Diplomnoten und einem ausgezeichneten Diplomfilm für würdig hält, eigene Fernsehfilme zu drehen. Bleiweiß vermutet, dass seine konsequente Weigerung, trotz alljährlicher Werbeversuche in die SED einzutreten, Schuld daran gewesen sei.

1972 gilt der Märchenfilm DER KLEINE UND DER GROSSE KLAUS nach Hans Christian Andersen als sein abendfüllendes Spielfilmdebüt. Der in Babelsberg produzierte Fernsehfilm, wirkt vor allem durch seinen Hauptdarsteller  Fred Düren. Düren in der Rolle des cleveren kleinen Klaus, der seinen Sieg über den mächtigeren reichen großen Klaus erlebt. Eine für Kinder wie Erwachsene gemachte David-und-Goliath-Geschichte und ein typischer Erstlingsfilm eines jungen Regisseurs, perfekt besetzt und gespielt. In einer kleinen Rolle ist  Monika Woytowicz, die langjährige Ehefrau des Regisseurs zu sehen.

Filmstill zu "Mein blauer Vogel fliegt"

Kameramann Günter Jaeuthe im Gespräch mit Celino Bleiweiß bei den Dreharbeiten zu MEIN BLAUER VOGEL FLIEGT (R: Celino Bleiweiß, 1975) Fotografen: Herbert Kroiss, Klaus Groch

Filmstill zu "Mein blauer Vogel fliegt"

Gruppenfoto der Filmcrew von MEIN BLAUER VOGEL FLIEGT (R: Celino Bleiweiß, 1975) Fotografen: Herbert Kroiss, Klaus Groch

Bleiweiß‘ folgendes Œuvre teilt sich in Märchen- und Gegenwartsfilme, wobei der Regisseur sich als ein moralischer Humanist erweist, der ähnlich wie fast alle seine osteuropäischen Freunde und Generationskollegen extrem abhängig von der Qualität der zur Verfügung stehenden Bücher ist. Bleiweiß versteht sich nicht als Autorenfilmer. Nur wenn kein perfektes Buch zur Verfügung steht, mehr aus der Not geboren, wird der Regisseur auch zum Autor. So beispielsweise, wenn die Vorlage von Goethe oder E.T.A. Hoffmann stammt.

AUS DEM LEBEN EINES TAUGENICHTS (1973), sein erster von zwei Filmen, die er für die DEFA realisiert, ist Bleiweiß‘ Sicht auf den viel gelesenen Text von Joseph von Eichendorff. Die Hauptrolle übernimmt der in die DDR geflüchtete US-Amerikaner  Dean Reed. Hannelore Elsner spielt in ihrem einzigen DEFA-Engagement die Gräfin. Es ist Bleiweiß‘ erste Zusammenarbeit mit dem Autorenpaar Wera und Claus Küchenmeister, deren Mitarbeit er wiederholt nutzt. Zwei Jahre später folgt MEIN BLAUER VOGEL FLIEGT nach einem Kinderbuch von Gisela Karau. Es ist einer der wenigen Filme, in denen sich Bleiweiß mit dem Faschismus beschäftigt. Geschildert werden die KZ-Erlebnisse von 13-jährigen polnischen Jungen. Der Fernsehfilm DIE SCHWARZE MÜHLE entstand 1975 nach dem Kunstmärchen „Krabat“ des Erzählers Jurij Brězan. Als Beitrag zu einer erst langsam tolerierten gesellschaftlichen Diskussion ist sein Fernsehfilm ABSAGE AN VIKTORIA (1976) zu verstehen, in dem die Republikflucht einer jungen Frau debattiert wird.

In dieser Zeit bewährt sich Bleiweiß als ein vom DDR-Fernsehen vielbeschäftigter Regisseur, der sich dem Repertoire eines auf parteilich-populäre Kunstwerke orientierten TV-Senders anzupassen versteht. Er gehört nie zur ersten Reihe der in Adlershof tätigen Regisseure. Von ihm werden keine politischen Großproduktionen, keine „Schwerpunktfilme“ erwartet. Andererseits bleiben ihm auch frustrierende Auseinandersetzungen mit einer zunehmend autoritär agierenden Kulturpolitik erspart, die zumeist zum Sendeverbot führen. 1982/83 sind die beiden aufwändigen Literaturverfilmungen nach Goethes Roman und E.T.A. Hofmanns Novelle WILHELM MEISTERS THEATRALISCHE SENDUNG und ZAUBER UM ZINNOBER seine letzten Arbeiten für das DDR-Fernsehen.

Beim Überblicken seines Gesamtwerks fällt die Treue zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf. Immer wieder findet er Rollen für seine Frau Monika Woytowicz, aber auch für einen Schauspieler wie  Arno Wyzniewski. Eine langjährige Verbundenheit zeigt Bleiweiß auch zu seinen Kameramännern: bei den ersten Filmen zu Günther Jaeuthe, später vor allem zu Peter Krause. Der Kameramann seines Diplomfilms DAS SPIEL war Jürgen Heimlich, gebürtiger Dresdener und Kommilitone an der Filmhochschule, der auch Bleiweiß‘ bisher letzte Arbeiten, Episoden der in Leipzig für den MDR gedrehten Arztserie IN ALLER FREUNDSCHAFT fotografiert. Mitunter verrät die Besetzung seiner Filme mit polnischen Schauspielern, vor allem aber die kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem polnischen Komponisten Andrzej Korzynski sein starkes Interesse am Kino des polnischen Nachbarlandes.

Filmstill zu "Mein blauer Vogel fliegt"

Martin Trettau und Bogdan Izdebski in MEIN BLAUER VOGEL FLIEGT (R: Celino Bleiweiß, 1975) Fotografen: Herbert Kroiss, Klaus Groch

Filmstill zu "Mein blauer Vogel fliegt"

Bogdan Izdebski in MEIN BLAUER VOGEL FLIEGT (R: Celino Bleiweiß, 1975) Fotografen: Herbert Kroiss, Klaus Groch

Über die Motivation für seine Flucht vom Osten in den Westen Deutschlands 1983 reflektiert Celino Bleiweiß 1992 in der Zeitschrift „Film und Fernsehen“: „Es gab keinen äußeren Zwang. Ich war zu der Erkenntnis gekommen, dass die Zeit meiner Filme, in denen ich mich äußern konnte, vorbei ist. Es kamen nur noch Stoffe, die Konformität verlangten. Was hätte mich halten können? Ein Stoff, den ich unbedingt hätte machen wollen und können, oder die Möglichkeit, das Fernsehen zu verlassen und ans Theater zu gehen. Da nichts davon möglich war, habe ich die DDR verlassen“

Bleiweiß nutzt ein Touristenvisum nach Israel für eine Flucht in den Westen. Sein erster Arbeitgeber in der BRD, der Medienunternehmer Leo Kirch, und der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß helfen ihm, die Ausreise seiner in der DDR gebliebenen Familie, Monika Woytowicz und Tochter Ina Bleiweiß, zu ermöglichen. Nach einiger Zeit kann er in der Bundesrepublik wieder als Regisseur arbeiten: In München inszeniert er am Theater und für den Bayerischen Rundfunk. Für das Schweizer und Österreichische Fernsehen dreht er Folgen publikumswirksamer Serien. Nach der Wende muss ihm die Arbeit für die ARD-Serie IN ALLER FREUNDSCHAFT wie eine Heimkehr zu den Wurzeln erschienen sein. 67 Folgen dreht er zwischen 1999 und 2008 in Leipzig mit vielen vertrauten Schauspielern aus der DDR-Zeit.

Celino Bleiweiß lebt heute in München und Tel Aviv. In seiner Freizeit braust er mit seinem Motorrad durch die bayerischen Berge und lernt Hebräisch. In Israel findet er auch eine neue Lebensgefährtin, die ihm bei der Suche nach Überlebenden seiner umfangreichen Verwandtschaft unterstützt.

Verfasst von Michael Hanisch. (September 2019)

Literatur

Eigene Texte

  • Elfriede Steyer: Giftige Nadeln und andere Kontebande. In: Neue Deutsche Bauernzeitung vom 18. Dezmber 1970 (Gespräch)
  • Elke Vater: Taugt der „Taugenichts“ für uns? In.: Volkswacht, Gera vom 23. Mai 1973 (Gespräch)
  • Heinz Hofmann: Der eigene Beitrag. In: Filmspiegel. Nr. 11/1979 (Gespräch)
  • Margit Voss: Bilder voll poetischer Einfälle. In: Film und Fernsehen, Nr. 2/1979 (Gespräch)
  • Peter Berger: Von Helden, die oft selbst nicht wissen, daß sie welche sind. In: Neues Deutschland vom 19. Juli 1980 (Gespäch)
  • Erika Pick: Und Hamlet muss sterben – Fragen zur Adaption von klassischer Literatur. In: Film und Fernsehen, Nr. 8/1982 (Gespräch)
  • Hans Müncheberg: Er macht deutsche Filme mit dem Temperament eines Polen und dem Gefühl eines Juden. In: Film und Fernsehen, Nr. 3/1992 (Gespräch)
  • Hans Müncheberg: Auf Schlängelpfaden durch das Dickicht des Deutschen Fernsehfunks. In: Film und Fernsehen, Nr. 4/1992 (Gespräch)
  • Hans Müncheberg: Von künstlerischen Freiräumen und marktwirtschaftlichen Zwängen. In: Film und Fernsehen, Nr. 5/1992 (Gespräch)

Fremde Texte

  • Peter Hoff: Poesie und Alltag – Über den Regisseur Celino Bleiweiß. In: Podium und Werkstatt, Nr.3/1980 (Manuskript)
  • Peter Berger: Von Helden, die oft selbst nicht wissen, daß sie welche sind – Gespräch mit dem Film- und Fernsehregisseur Celino Bleiweiß, in: Neues Deutschland vom 19.7.1980
  • Manfred Mayer: Goethe für ein Massenpublikum. In: Das Volk, Erfurt vom 2. September 1981
  • Antje Weber: „Ein Problem war, wenn sie weinen sollte – Regisseur Celino Bleiweß über die dreijährige Hauptdarstellerin in „Zwei Münchner in Hamburg“, in: Süddeutsche Zeitung vom 14.9.1993

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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