Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Zwischen den Zonen.

„Ehe im Schatten“ und andere Filme zwischen Ost und West

von Ralf Schenk

"Der Stoff ergriff mich außerordentlich", schrieb Kurt Maetzig Jahrzehnte nach der Uraufführung von "Ehe im Schatten" (1947). In seinem Debütfilm hatte er das Schicksal des Schauspielers Joachim Gottschalk und dessen jüdischer Ehefrau Meta nachgestaltet, die im November 1941 mit ihrem Sohn Michael nach Theresienstadt deportiert werden sollten. In der Nacht vor dem Transport nahm sich die Familie das Leben. Maetzig: "Es lag in meiner Absicht, die Menschen aus der Umgebung des Ehepaares anzuklagen, ihre Feigheit, ihren Mangel an Zivilcourage und manchmal auch nur ihre Trägheit des Herzens. Diese Trägheit betrifft auch das Paar selbst Sie sind nicht nur Opfer, sie haben auch mitverschuldet, Opfer zu werden. In dieser Verquickung liegt die dramatische Spannung, das macht den Stoff zur klassischen Tragödie." (1)

"Ehe im Schatten" wurde vor 50 Jahren, am 3. Oktober 1947, uraufgeführt. Die Premiere fand gleichzeitig in allen vier Berliner Sektoren statt: im "Filmtheater am Friedrichshain" (sowjetisch), im "Cosima", Friedenau (amerikanisch), im "Prinzenpalast", Gesundbrunnen (französisch) und in der "Kurbel", Charlottenburg (britisch). Das war ein außerordentlicher Vorgang: Normalerweise wurden die unter einzelnen Besatzungsmächten hergestellten Filme nur im jeweiligen Gebiet uraufgeführt. Maetzig erinnert sich, wie es dazu gekommen sein könnte: "Ich hatte vor Ehe im Schatten' den Augenzeugen' mit ins Leben gerufen und bei den vier Berliner Stadtkommandanten einen Programmaustausch mit dieser DEFA-Wochenschau erwirkt. Sie kannten mich und meine Arbeit. Außerdem war ihnen das Thema wichtig." Am Premierenabend fuhr der Regisseur mit seinen Hauptdarstellern im Auto von Kino zu Kino; der jeweilige Filmbeginn war so angesetzt worden, daß sich das Team überall am Ende verbeugen konnte. Das Publikum, so Maetzig, habe in allen Kinos ähnlich reagiert: "Die Menschen verharrten minutenlang auf ihren Plätzen und schwiegen. Niemand ist aufgestanden, niemand hat applaudiert. Nach Minuten verließen sie, noch immer schweigend und mit Tränen in den Augen, das Kino." (2) Kurze Zeit nach seiner Berliner Premiere lief "Ehe im Schatten" in München und in Hamburg. Im Hamburger "Waterloo" erschien Veit Harlan zur Premiere, doch er wurde erkannt und unter lautstarkem Protest des Hauses verwiesen. "Ehe im Schatten" hatte bis 1950 in Gesamtdeutschland etwa 10,1 Mio. Zuschauer.

Reibungsloser Filmaustausch bis 1950

Die Erinnerung an diesen Film und die Besonderheit seines Starts lenkt den Blick auf ein Thema, das in der Filmgeschichtsschreibung bisher eine eher untergeordnete Rolle spielt: das des Filmaustauschs zwischen den Besatzungszonen - bis 1950 - bzw. zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Das erste Dokument, das diese Beziehungen aufgriff, war die Direktive Nr. 55 des alliierten Kontrollrats vom Sommer 1947. Ihr zufolge war der Befehlshaber der jeweiligen Zone auch zuständig für die Lizenzierung von Filmen aus anderen Besatzungsgebieten. Zwischen den westlichen Zonen entwickelte sich der Filmaustausch bald reibungslos. Komplizierter war die Verbindung zur sowjetisch lizensierten Produktion, sprich zur DEFA.

Vor allem dem Hamburger Filmproduzenten Walter Koppel (Real-Film) war es zu verdanken, daß grundsätzliche Regeln gefunden wurden. Der Berliner Vier-Mächte-Ausschuß "Quadriparite Meeting" entschied Ende 1947/Anfang 1948 nach einer Anfrage Koppels positiv. So wurde das Prinzip "Film für Film" eingeführt: "Die westlichen Produktionsfirmen bzw. deren Verleihe, die ihre Filme in der SBZ nicht eigenständig auswerten konnten, überließen jeweils einen ihrer Filme der DEFA bzw. Sovexport zur Auswertung - soweit diese die Filme akzeptierten - und bekamen dafür einen (auch von der westlichen Besatzungsmacht lizensierten) DEFA-Austauschfilm, den man selbst bzw. über einen Verleih in der entsprechenden Westzone auswerten konnte." (3) Unter anderem bestimmten die Alliierten, daß nur filmproduzierende Firmen als Vertragspartner auftreten konnten, nur Kopien getauscht werden durften und die Anzahl dieser Kopien auf 20 beschränkt bleiben mußte. Der Vorstoß der westdeutschen Filmproduzenten, der zu dieser Regelung führte, war nicht ganz uneigennützig, hofften sie doch, auch mit den Einnahmen aus DEFA-Filmen ihre eigene Produktion finanziell absichern zu können.

Zu den ersten getauschten Filmen gehörten 1948 "Menschen in Gottes Hand" (Regie: Rolf Meyer) gegen "Razzia" (Werner Klingler) sowie "Wege im Zwielicht" (Gustav Fröhlich) gegen "Die seltsamen Abenteuer des Herrn Fridolin B." (Wolfgang Staudte). Der DEFA-Film "Razzia" spielte für die "Junge-Film-Union" die stolze Summe von rund 460.000 DM ein, während sich Staudtes Satire auf Bürokratie und Kleinbürgertum im Westen als ähnlicher Flop erwies wie im Osten. Neben der "Junge-Film-Union" praktizierten auch Firmen wie die "camera-Film" Hamburg ("In jenen Tagen", Helmut Käutner; "Film ohne Titel", Rudolf Jugert), die "Neue Deutsche Film G.m.b.H." ("Zwischen Gestern und Morgen", Harald Braun), die "Internationale Film-Organisation" ("Lang ist der Weg", Herbert B. Fredersdorf) und die C.C.C.-Film Berlin ("Morituri", Eugen York) den Austausch. Ihr Partner war theoretisch die DEFA, praktisch jedoch der Verleih Sojusintorgkino, später Sovexport, der sich in den ersten Jahren nach dem Krieg alle Verleihrechte an Produktionen der DEFA gesichert hatte und auch die Gesamtkontrolle über das Kinoangebot in der Sowjetischen Besatzungszone ausübte. Erst am 1. November 1948 nahm ein eigener DEFA-Filmvertrieb seine Geschäftstätigkeit auf.

Spannungen des Kalten Krieges

Im Westen liefen neben den genannten DEFA-Filmen unter anderem "Die Mörder sind unter uns" (Wolfgang Staudte), "Wozzeck" (Georg C. Klaren), "Kein Platz für Liebe" (Hans Deppe), "1-2-3 Corona" (Hans Müller) und "Straßenbekanntschaft" (Peter Pewas). Doch Anfang 1949 gerieten die Austauschbeziehungen in eine erste tiefe Krise. Politischer Hintergrund waren die Spannungen des beginnenden Kalten Krieges. Mit einem Schreiben vom 12. Januar 1949 erließ der britische General Robertson ein Generalverbot für die Einfuhr von DEFA-Filmen in seine Zone; nach dem Einspruch der "Junge-Film-Union" und anderer Firmen, die starke finanzielle Einbußen, ja eine existentielle Bedrohung für ihre Produzententätigkeit fürchteten, wurde dieses Verbot allerdings bald wieder gelockert. Von den Briten untersagt blieben freilich jegliche finanzielle Transaktionen wie Garantie-Verrechnungen und Beteiligungen an den Einnahmen in der jeweils anderen Zone.

Auch der DEFA-Filmvertrieb kümmerte sich intensiv um eine Wiederaufnahme der Beziehungen. Immerhin flossen die Gewinne aus den westdeutschen Filmen, die in der SBZ gezeigt wurden, nun komplett in die Kasse der DEFA. Zudem umging man mit dem Filmaustausch jene gravierenden Probleme, die die Währungsreform in den Westzonen vom Juni 1948 mit sich brachte: Filme zu kaufen war unmöglich. Hauptpartner der DEFA blieb die "Junge-Film-Union", die Real-Film, die "camera-Film" und Artur Brauners C.C.C.Film, deren Komödie "Herzkönig" (Helmut Weiss) zur ersten West-Spielfilmproduktion im DEFA-Filmvertrieb avancierte, gefolgt von Heinz Rühmanns Regiearbeit "Die Kupferne Hochzeit" (Comedia-Film). Der Produzent Rolf Meyer von der Hamburger "Junge-Film-Union sicherte sich nach Wiederzulassung des Austauschs sogleich den Vertrieb mehrerer DEFA-Filme in der britischen Zone und im britischen Sektor von Berlin: Er bot sein gerade im Drehprozeß befindliches Lustspiel "Diese Nacht vergeß ich nie" (Johannes Meyer) gegen Erich Engels "Affäre Blum", weiterhin den vor Drehbeginn stehenden Film "Das Fräulein und der Vagabund" (Albert Benitz) gegen "Die Kuckucks" (Hans Deppe) und "Der Bagnosträfling" (Gustav Fröhlich) gegen "Der Biberpelz" (Erich Engel).

Unmittelbar nach Gründung der beiden deutschen Staaten erreichten die Filmbeziehungen zwischen Ost und West noch einmal einen Höhepunkt. Dem DEFA-Vertrieb und dem Schorcht-Verleih München gelang am 25. November 1949 die nach "Ehe im Schatten" zweite und letzte gesamtdeutsche Filmpremiere. Gezeigt wurde die DEFA-Opernadaption "Figaros Hochzeit" von Georg Wildhagen, der durch eine glanzvolle "interzonale" Besetzung aufwartete: immerhin sangen und spielten Angelika Hauff/Erna Berger, Willi Domgraf-Fassbaender, Mathieu Ahlersmeyer und Elsa Wagner/Maria Klose. Die Premiere fand in fünf Berliner Kinos in allen Teilen der Stadt sowie in München und Frankfurt am Main statt.

Politischer Druck

Dieses Ereignis konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich der Filmaustausch einem Endpunkt näherte. Einer der Gründungsväter des DEFA-Filmverleihs, Alexander Lösche, erinnert sich, daß er 1949/50 bei der Kontrolle der Abrechnungen westdeutscher Verleiher über die Terminierung von DEFA-Filmen einen stetigen Besucherrückgang feststellen mußte. Während der Trade-Show von Georg C. Klarens historisch-biografischem DEFA-Opus "Semmelweis - Retter der Mütter" in Hamburg schenkten ihm Walter Koppel, Rolf Meyer und andere Geschäftspartner reinen Wein ein: Es sei, so berichteten sie, "fast unmöglich geworden, für DEFA-Filme annehmbare Termine zu erhalten. Wirtschaftliche und politische Kreise setzten die Theaterbesitzer unter harten Druck. Eine neu geschaffene Gruppierung 'Vereinigung ehemaliger ostdeutscher Filmtheaterbesitzer mischte da mächtig mit." (4) Alexander Lösche, Der DEFA-Filmvertrieb und seine Menschen. In: Betriebsgeschichte des VEB DEFA-Studios für Spielfilme, Teil 3, Potsdam-Babeslsberg 1984, S. 88. (4) Zudem war die Konkurrenz durch amerikanische, englische und französische Verleiher sehr stark geworden; selbst westdeutsche Filme hielten diesem Druck kaum stand. Wie aus den Betriebsergebnissen der "Junge-Film-Union" ablesbar war, spielten alle nach "Affäre Blum" gestarteten DEFA-Filme im Westen höchstens 15.000 DM ein.

Die letzten ostdeutschen Arbeiten, die 1950 - erfolglos - im Westen gezeigt wurden, waren das musikalische Lustspiel "Der Kahn der fröhlichen Leute" von Hans Heinrich - in der DDR von Millionen Zuschauem besucht und bejubelt - sowie "Semmelweis - Retter der Mütter" und "Der Biberpelz". In seiner detaillierten Studie "Vom Trümmer film zur Traumfabrik" zitiert Peter Stettner einen Auswertungsbericht der "Junge-Film-Union" zu dieser Gerhart-Hauptmann-Verfilmung, in dem es unter anderem hieß, daß bereits das Publikum gegen die Aufführung derartiger Filme Stellung nehme und den Theaterbesitzern, was früher nie geschehen, Briefe zugehen ließe. (5) Der von der "Junge-Film-Union" beauftragte National-Filmverleih versuchte sich aus der Affäre zu ziehen, indem er den Verweis auf die DEFA-Herkunft einfach unterschlug.

Mitten in der ersten Hoch-Zeit des Kalten Krieges wurde der Filmaustausch abgebrochen. Die Beziehungen zum Osten galten sowieso als höchst suspekt. Mit ihren ab 1950 etablierten Filmbürgschaften, einer Finanzierungshilfe für die westdeutsche Filmwirtschaft, nahm die Bundesregierung starken Einfluß auf das politische Wohlverhalten der Produzenten. Dazu gehörte ein striktes Unterbinden jedes tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen "kommunistischen" Einflusses. Die DEFA war im Westen abgeschrieben; das Schicksal, das ein Film wie Wolfgang Staudtes 1951 gedrehter "Der Untertan" erfuhr, ist bekannt. Abgesehen von solchen herausragenden Produktionen wäre es westdeutschen Filmeinkäufern zwischen 1950 und 1954 allerdings auch schwergefallen, "unpolitische" Arbeiten aus dem Gesamtangebot der DEFA herauszufiltern: Das Babelsberger Studio lieferte jahrelang fast nur noch schematische, ideologisch überfrachtete, klassenkämpferische Arbeiten ab.

Am 30. August 1950 fusionierte in der DDR der DEFA-Filmvertrieb mit dem für sowjetische Filme zuständigen Sovexport-Filmvertrieb zur Progress-Film-Vertrieb G.m.b.H. Westdeutsche Filme gelangten zunächst nur sporadisch in deren Programm: Für 1951 sind "Der blaue Strohhut" (Viktor Tourjansky) und "Der Tiger Akbar" (Harry Piel) nachgewiesen, für 1952 "Das doppelte Lottchen" (Josef von Baky), "Begierde" (Karl Georg Külb) und der Dokumentarfilm "Lied der Wildbahn" (Heinz Sielmann), für 1953 ausschließlich "Wildwest in Oberbayern" (Ferdinand Dörfler). Erst nachdem die Führung der DDR im Juni 1953 eine Politik des "Neuen Kurses" proklamiert hatte, der auch, auf möglichst vielen Ebenen, verstärkte Kontakte zu Westdeutschland einschließen sollte, änderte sich das Bild. 1954 setzte Progress immerhin 17 westdeutsche Filme ein, während nur elf Filme der DEFA zur Premiere kamen. Unter den Einkäufen aus der Bundesrepublik Deutschland befand sich die Creme des Unterhaltungskinos: Titel wie "Das Haus in Montevideo" (Curt Goetz), "Der Vogelhändler" (Arthur Maria Rabenalt), "Hokuspokus" (Kurt Hoffman), "Solange Du da bist" (Harald Braun), "Herz der Welt" (Harald Braun), "Vergiß die Liebe nicht" (Paul Verhoeven), "Der träumende Mund" (Josef von Baky), "Fanfaren der Liebe" (Kurt Hoffmann), "Moselfahrt aus Liebeskummer" (Kurt Hoffmann), "Keine Angst vor großen Tieren" (Ulrich Erfurth), "Ich und Du" (Alfred Weidenmann), der Kinderfilm "Die Prinzessin und der Schweinehirt" (Herbert B. Fredersdorf) sowie die Dokumentationen "Nanga Parbat 1953" (Hans Ertl) und "Fußballweltmeisterschaft 1954" (Gerhard Grindel, Horst Wingankow).

Zaghaft wurde auch die DEFA im Westen wieder präsent - über Filmklubs und den einen oder anderen Verleiher. Einen "normalen" Austausch sowohl künstlerisch herausragender Arbeiten als auch des gängigen Unterhaltungskinos zwischen beiden deutschen Staaten gab es allerdings nie. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Ralf Schenk (filmdienst 21/1997)

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