Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Ein unbekannter Klassiker?

Der Regisseur Artur Pohl

von Ralf Schenk

Obwohl ich einmal eine Hauptrolle bei ihm spielte, kann ich nichts über ihn sagen", wehrt die Schauspielerin Ingrid Rentsch ab. Denn die Defa hatte sie damals, 1951, unter ungünstigsten Umständen an den Regisseur Artur Pohl gebunden. Pohl wollte Theodor Fontanes Roman "Frau Jenny Treibel" verfilmen, und erkor für die Titelrolle seine Geliebte, eine zierliche Absolventin der Defa-Nachwuchsstudios. Aber die Babelsberger Chefs machten einen Strich durch die Rechnung; es gehe nicht an, so die Argumentation der Leitung, daß die Regisseure ständig ihre Pannerinnen besetzten. Falk Harnack hatte Käthe Braun für "Das Beil von Wandsbek" engagiert, Kurt Maetzig seine Frau Yvonne Merin für den "Roman einer jungen Ehe". Nun, bei Pohl, wollte man Konsequenz beweisen. Als ihm Ingrid Rentsch "aufgedrückt" wurde, stellte er sich stur, redete in den ersten drei Drehwochen nicht mit ihr, sondern überließ die Kommunikation seinem Kameramann Eugen Klagemann.

Auch Joachim Hasler, der in den vier folgenden Filmen die Kamera führte, beschreibt Pohl als unbequem, widerborstig, auch ungerecht. Während der Probeaufnahmen für die "Unbesiegbaren" (1953) - ein Epos über die deutsche Sozialdemokratie zu Zeiten des Sozialistengesetzes - hatte der Regisseur bereits fünf Kameraleute verschlissen, und die Direktion rief in höchster Not, drei Tage vor Drehbeginn, nach dem erst 22jährigen Hasler: "Pohl kam auf mich zu, klapperte mit seinen Budapester Schuhen, die er gerne trug, weil sie durch ihr Klappern seinen Schritten akustischen Nachdruck verliehen, und sagte, ohne mir die Hand zu geben: Auch Sie werde ich entlassen, wenn Sie meinen Ansprüchen nicht genügen." Aus dieser Begegnung wurde eine mehrjährige Haßliebe: einerseits intrigierte Pohl nach dem Erfolg der "Unbesiegbaren" so lange, bis die Regierung der DDR, nur ihm sowie den Hauptdarstellern Karl Paryla und Willy A. Kleinau den Nationalpreis verlieh, nicht aber dem jungen Kameramann; andererseits "behandelte er mich wie einen Ziehsohn, an den er das, was er wußte, weitergeben konnte, und vor dem er natürlich auch glänzen konnte. Er gab mir Bücher zu lesen, ging mit mir ins Theater, ins Kino, in Ausstellungen, in Galerien. Er war ein sehr gebildeter Mann". (Hasler)

Sieben lange Spielfilme hat Artur Pohl zwischen 1949 und 1956 für die Defa inszeniert, darunter einige der wichtigsten, die damals in Deutschland entstanden. Doch seit langem ist er nahezu vergessen. Als zu Beginn der 90er Jahre an der Babelsberger Filmhochschule eine Publikation über die frühe Defa erschien, war beispielsweise zu lesen, Pohl sei 1956 an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben. Tatsächlich aber lebte er bis 1970, nicht weit von Babelsberg entfernt, in der West-Berliner Königsallee. Allerdings stand zwischen den Orten jene Mauer, die zwei Welten trennte -und die Pohl, der ein Wanderer zwischen diesen beiden Welten war, gleichsam schon zu Lebzeiten unter sich begraben hatte.

Umwege zum sprechenden Film

Arthur Georg Otto Pohl, der in seiner Jugend das "h" aus seinem Vornamen eliminiert, wird am 22. März 1900 in Görlitz geboren. Sein Vater, ein Schriftsetzer und Redakteur, ist Sozialdemokrat, der seinen vier Söhnen zu jedem 1. Mai Nelken an Drähte flicht und gelegentlich in Beugehaft gerät. Pohl schöpft also aus eigenen Erfahrungen, als er 50 Jahre später für die Defa "Die Unbesiegbaren" dreht - einen Film, der als gesellschaftliches Panorama angelegt ist, mit Wilhelm Liebknecht und August Bebel als Haupt- sowie Bismarck bzw. Wilhelm II. als Nebenfiguren, aber seine Geschichte vor allem "von unten " erzählt: aus der Perspektive eines Arbeiters der Berliner Borsigwerke. Die Bilder von Verhaftungen und Exmittierungen, die Momente proletarischer Solidarität mögen Pohl von frühester Kindheit an begleitet haben.

Dem Direktor einer Görlitzer Bank. an der Artur Pohl seine Lehre absolviert, fällt dessen Zeichentalent auf; er finanziert ihm ein Stipendium an einer Kunstgewerbeschule in Breslau. Danach studiert Pohl an der Kunstakademie in Berlin. Als junger Maler unternimmt er Reisen nach Italien; sein Brot verdient er unter anderem, indem er sich als Landarbeiter oder als Kabelleger eines Telegrafenamtes verdingt. Etwa Mitte der 20er Jahre lernt Pohl den Intendanten des Darmstädter Theaters kennen, der ihn als Bühnenbildner unter anderem für Barlachs "Die echten Sedemunds" an sein Haus holt. Im Juni 1929 wechselt er nach Düsseldorf, um hier auch als Regisseur tätig zu sein. Zum größten Erfolg wird seine Interpretation von "Dantons Tod" mit der Schauspielerin Alice Treff, die er später für die "Unbesiegbaren" auch zur Defa verpflichten wird, in der Rolle der Lucile. Daneben inszeniert Pohl Schillers "Fiesco" und Brechts "Leben Eduard II.", über das eine Düsseldorfer Zeitung schreibt: "Als Film eines Lebens treibt Brecht ein englisches Königsdrama vorüber. Dreißigmal zuckt das Licht auf, dreißigmal wird auf dem fliehenden Band ein Vorgang um Eduard sichtbar." Ein "Zukunftstheater als Umweg zum sprechenden Film". Und ein anderer Kritiker resümiert: "Kein Drama im eigentlichen Sinne! Filmmäßig jagen die einzelnen Szenen über die Bühne, in einer Fülle von Stoff, im geilen Auftrieb menschlicher Leidenschaften ..."

Artur Pohl mag, als diese Kritiken erscheinen, noch nicht geahnt haben, wie schnell er tatsächlich beim Kino ankommen würde. Doch nach seiner plötzlichen Entlassung im Januar 1929 - als Grund werden starke persönliche Differenzen mit einigen Ensemblemitgliedern angegeben, die der "Dreschflegel" Pohl, so eine zeitgenössische Pressenotiz, auf seine Weise austrug - muß er sich ein neues Betätigungsfeld suchen. Er siedelt nach Berlin über, sucht die Nähe zu Kino-Produzenten, denen er Treatments, Exposes und Drehbücher anbietet. Pohl schreibt an dem Preußenfilm "Yorck" (1932/ Regie: Gustav Ucicky) mit, ohne im Vorspann oder im Programmheft erwähnt zu werden; daneben pflegt er Kontakte zu Hans Poelzig und zum Dessauer Bauhaus. In den ersten Jahren des Dritten Reiches reicht er diversen Pinnen zunächst unpolitische, tendenzfeme Stoffe ein: Opernadaptionen wie "Zar und Zimmermann" oder "Martha", heitere musikalische Projekte wie "Die Geburt der Venus" (mit Artur Maria Rabenalt und Frank Clifford) oder "Die vom Dreimäderlhaus".

Die Lloyd Film GmbH schließlich produziert 1936 ein von Pohl, Karl Anton und Felix von Eckard verfaßtes Opus, das Goebbels gern als Gegenentwurf zu Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" gesehen hätte: "Weiße Sklaven" (Regie: Karl Anton), eine wüste Denunziation der russischen Revolution von 1917. Für Richard Eichberg adaptiert Pohl den "Tiger von Eschnapur" und "Das indische Grabmal" (1939) neu, für Rudolf van der Noss schreibt er das Wildererdrama "Zwielicht" (1940). Ambitioniertere Projekte werden dagegen ad acta gelegt, so sein "Peter Schlemihl"-Stoff von 1939 oder ein 1937 für die Ufa verfaßtes Buch "Sturm über Santa Curana" nach Ricarda Huchs Novelle "Der letzte Sommer" (ein Ufa-Dramaturg signalisiert "die in diesem Fall naheliegenden Bedenken politischer Art"). Das Resümee bleibt letztlich bitter: Trotz angestrengter Versuche faßt Artur Pohl in der Filmmaschinerie des Dritten Reiches kaum Fuß; für das Propagandaministerium zählt er jedenfalls nicht zu den unabkömmlichen Autoren. So wird er im Juni 1941 zum Kriegsdienst einberufen, direkt an die Ostfront.

Zwischen West und Ost

1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen, wendet er sich an die Defa. Seinen ersten Vertrag mit den Babelsbergern schließt der - wie die meisten seiner Kollegen - in den Westsektoren Berlins wohnende Pohl im Mai 1947, und zwar als Autor, Regisseur und Schauspieler. Er ist sich im klaren über die günstigen Bedingungen, die ihm das ostdeutsche Studio trotz oder gerade wegen seiner staatlichen Lenkung bietet: hier, und nur hier, kann er mit größtmöglichem Aufwand jene sozial engagierten Stoffe realisieren, die ihm als Konsequenz aus der Niederlage des deutschen Faschismus wichtig erscheinen. Der Filmhistoriker Gero Gandert, der mit Pohl seit den 50er Jahren gut bekannt war, deutet das Engagement Pohls bei der Defa aber auch damit, daß er "Schwierigkeiten mit dem Adenauer-Staat hatte. Daß Globke Staatssekretär war, daß es einen Minister Oberländer gab, das war ein Thema für ihn. Mit Sicherheit einer der Gründe, weshalb er so lange bei der Defa blieb."

Pohl schreibt zunächst ein Drehbuch für den Regisseur Peter Pewas, "Straßenbekanntschaften" (1949), ein "Zeitfilm", der vor den Gefahren grassierender Geschlechtskrankheiten warnen will. Ein Jahr später wird seine erste eigene Regiearbeit uraufgeführt, "Die Brücke", der einzige Defa-Film über Umsiedler aus dem ehemaligen deutschen Osten und die Bewohner einer Kleinstadt, die den "Fremden" Mißtrauen und Haß entgegenbringen. Um die Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern dramaturgisch auf die Spitze zu treiben, integriert Pohl eine klischeehafte Liebesgeschichte in die Handlung: Der Neffe des Bürgermeisters und die Tochter eines Umsiedlers verlieben sich ineinander; eine intrigante Wirtin und deren eifersüchtiger Mann bringen die Stadt an den Rand einer Feuersbrunst. Die kann nur durch die Hilfe der Umsiedler gelöscht werden. Der Regisseur findet dafür eine schöne optische Metapher: das Schwimmen der "Fremden" durch den Fluß, der die Parteien trennt; die gemeinsame Löschaktion.

Pohls Œuvre ist von einem zentralen Thema geprägt: dem Umgang mit dem "anderen"; seine Filme plädieren für Vernunft, Aufmerksamkeit und Toleranz. In "Die Jungen von Kranichsee" (1950) steht ein Neulehrer mit seinen "fortschrittlichen Methoden" allein gegen die Übermacht der Dorfbevölkerung. In "Corinna Schmidt" (1952) und "Die Unbesiegbaren" (1953) werden Vertreter der jungen Sozialdemokratie porträtiert, die sich gegen die regressive Macht adliger Junker und korrupter, neureicher Bürger zur Wehr setzen. In der Storm-Adaption "Pole Poppenspäler" (1954) prallen die Lebensweise und der poetische Einfallsreichtum eines durch die Lande ziehenden Puppenspielers auf die satte Borniertheit der spießigen Einwohner einer norddeutschen Kleinstadt. "Kein Hüsung" (1954) nach dem Versroman von Fritz Reuter, beschreibt den Leidensweg mecklenburgischer Bauern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Verfolgung eines Landarbeiters, der nichts weiter will als eine Kate für sich und seine schwangere Frau, und der den Gutsherrn erschlägt, als ihm dieser die "Hüsung" verwehrt. Eine Familienträgödie als Beleg für die Unausweichlichkeit demokratischer Reformen, der bürgerlichen Revolution 1949. Die Sympathien des Regisseurs gelten in jedem Fall den Entrechteten und Ausgepowerten - er bewegt sich ganz und gar im Defa-Kanon, freilich ohne sich politisch verbiegen zu müssen.

Pohls Stärke ist die Drehbucharbeit, die literarische Verdichtung. "Er war", erinnert sich Joachim Hasler, "in der Lage, an einem Tag zwanzig druckreife Seiten zu schreiben. Dabei brachte er alles ein, was er von seinen Erfahrungen mit der Bildenden Kunst wußte. Danach brauchte er jemanden, der seine Vorstellungen realisierte. Allerdings hatte er keinen Zugang zur Technik und überließ diese Dinge dem Kameramann. Während des Drehprozesses unternahm er keinen Versuch, durch den Apparat zu schauen." Neben dramaturgischen und optischen Qualitäten zeichnen sich Pohls Filme meist auch durch gute Darstellerleistungen aus: etwa Eduard von Winterstein als alter Landschulrat in "Die Jungen von Kranichsee", Trude Hesterberg als Jenny Treibel in "Corinna Schmidt" oder die Phalanx von Stars in "Die Unbesiegbaren" - Erwin Geschonneck, Karl Paryla, Willy A. Kleinau, Alice Treff, Angelika Hurwicz, Gerhard Bienert, Amo Paulsen, Werner Peters und viele andere.

Überhaupt markieren "Die Unbesiegbaren" den Höhepunkt in Pohls Schaffen. Ein Film, der auch deswegen erstaunlich ist, weil er zu einem Zeitpunkt an sozialdemokratische Traditionen erinnert, als die Führung der SED schon längst vergessen machen will, daß ihre Partei aus KPD und SPD entstanden ist. Freilich wird das Geschichtsbild in den "Unbesiegbaren" auch so hingebogen, daß der Film zu einer Hommage an die aktuelle Politik der SED und gleichzeitig zu einer Absage an die westdeutsche "reformistische" SPD gerät. An entscheidender Stelle wird Bebel der Satz in den Mund gelegt: "Mit dem kapitalistischen Staat paktieren wir nicht, den bekämpfen wir." Und: "Wir werden so lange kämpfen, bis der sozialistische Staat Wirklichkeit geworden ist." Eine Ablehnung des Prinzips also, innerhalb der bürgerlichen Demokratie, im Parlament, für Reformen eintreten zu wollen.

Natürlich sind Pohls Filme Kinder ihrer Zeit - stilistisch und ideologisch. Und natürlich ist auch er nicht gefeit vor ermüdenden Auseinandersetzungen um Dialogstellen und Handlungslinien. Den 1946/47 spielenden "Jungen von Kranichsee" beispielsweise kreidet die Defa-Kommission, eine von der SED eingesetzte Aufsichtsbehörde, an, daß er "den Wert des Schulgartens zur Erarbeitung wissenschaftlicher Erkenntnisse" nur mangelhaft berücksichtigt habe. Zudem müsse Pohl das "in einer Szene erwähnte Buch ,0nkel Toms Hütte', das aus unseren Schulbibliotheken entfernt wurde", wegsynchronisieren. "Corinna Schmidt" dagegen wird, ein schizophrener Vorgang, scharf kritisiert, weil damit das Buch Fontanes im Sinne der herrschenden Ideologie ausgedeutet und durch Szenen des Kampfes gegen das Sozialistengesetz "ergänzt" worden ist. Das komme, so die unerwartete Argumentation, einer Vergewaltigung des Klassikers gleich. Dennoch macht Pohl weiter.

Nach der eher zurückhaltenden Publikumsresonanz auf den etwas betulichen "Pole Poppenspäler" forscht er nach spektakuläreren Projekten. Eines davon trotzt er der Defa-Leitung ab, wohl ahnend, daß der Film nur mit einem gut betuchten westeuropäischen Partner gemacht werden könnte: "Spartacus" nach dem gleichnamigen Roman von Howard Fast. Pohl folgt in seinem Drehbuch der Idee des Schriftstellers, die Geschichte des römischen Sklavenaufstands mit Hilfe kompliziert verschachtelter subjektiver Rückblenden aus der Sicht einiger Sklavenhalter und - am Schluß - eines Mitkämpfers zu erzählen. Auf Massenszenen, wie sie Stanley Kubrick später in seiner Verfilmung virtuos inszeniert, wird dabei fast gänzlich verzichtet.

Bruch mit der DEFA

Auch Pohls zweites Projekt, "Geld ist eine kalte Sache", sprengt Defa-Maße und verlangt einen westlichen Partner. Der Stoff fußt auf den Erinnerungen Bernd von Oettingens, der als Reklamechef der Baden-Badener Spielbank tätig gewesen und wegen Steuerhinterziehung in die DDR übergesiedelt war. Ein "Aufklärungsfilm" über dubiose Machenschaften, Korruption und Betrug rund um bundesdeutsche Roulettische. Tatsächlich findet sich mit Erich Mehl und seiner in Stockholm ansässigen Firma "Pandora" ein potenter, der Defa gegenüber aufgeschlossener Co-Produzent. "Spielbank-Affäre", so der endgültige Titel des Films, wird nach dem abgebrochenen Staudte-Projekt "Mutter Courage und ihre Kinder" als erstes Defa-Opus in CinemaScope gedreht. Dazu engagiert und bezahlt Mehl einige West-Stars: Rudolf Forster (24 000 DM), Peter Pasetti (13 000 DM) und Gertrud Kückelmann (44 000 DM). Aber er bespricht mit Pohl auch die eine oder andere Drehbuchänderung, vorbei an der Babelsberger Leitung, und macht den cleveren Journalisten Will Tremper zu einer Art geheimem Dialogberater des Regisseurs.

Der Fall der "Spielbank-Affäre" entwickelt sich spannender als die Filmstory selbst. Zunächst geht alles gut; die Defa-Chefs schauen nicht so genau hin, denn sie brauchen - im Zuge einer kulturpolitischen Öffnung - den Film unbedingt zur Stärkung ihres Renomées im Westen. Dann aber geht es Schlag auf Schlag: Im Juli 1956 setzt Peter Pasetti seinen weißen Opel-Kapitän auf einer Wochenendfahrt nach München an einen Brückenpfeiler, zieht sich Kopfverletzungen, einen Oberschenkelbruch und eine Gehirnerschütterung zu. Im November 1956 verunglückt auch Pohl mit dem Auto, erleidet Rippenbrüche und einen schweren Hüftgelenkbruch. Im Studio wird gemunkelt, die Wiesbadener Spielbanken-Mafia sabotiere den Defa-Blick hinter ihre Kulissen - ein unbewiesenes Gerücht.

Während der Regisseur im Krankenhaus liegt und Joachim Hasler den Film abdreht, zieht eine neue Eiszeit in die politische Landschaft ein. Plötzlich geht nichts mehr: "Spielbank-Affäre", so urteilt der Filmminister der DDR, habe eine gegenteilige als die beabsichtigte Wirkung aufs einheimische Publikum: Die attraktiven Autos, die schönen Landschaften und die westliche Mode könnten gar zur Republikflucht animieren. Aus einem kleinen Unterhaltungsfilm wird ein Politikum. Verbieten will man "Spielbank-Affäre" nicht - aus Angst, sich lächerlich zu machen. Aber Pohl erfährt im Krankenhaus, daß man sein marginales Werklein in der DDR beschneiden und nur in Schwarzweiß in die Kinos bringen will. Er interveniert erfolglos, zieht seinen Namen zurück. Und offenbart sich dann der West-Berliner Presse: "Starregisseur gibt Bruch mit der Defa bekannt."

"Spielbank-Affäre", ein eher mäßiges Vergnügen, bleibt Pohls letzter Kinofilm. Das hat mit den schweren körperlichen Schäden nach dem Unfall zu tun, aber auch damit, daß sich das westdeutsche Kino Ende der 50er Jahre kaum für jene thematisch schwergewichtigen, literarisch anspruchsvollen, vielleicht gar sozialkritischen Stoffe interessiert, die Pohl vorschweben. Wieder beginnt für den fast 60jährigen das zermürbende Klinkenputzen. Dazu lebt er unter eher ärmlichen Umständen, die er überwinden will, indem er sich "versuchte anzupassen, mit der einen oder anderen Kriminalfilmidee. Aber für hiesige Verhältnisse war das alles nicht sensationell genug". (Will Tremper) Zwischen 1960 und 1963 inszeniert Pohl vier kleine Fernsehspiele, danach schreibt er Stoffe fürs Kinderfernsehen und Vorabendprogramm, Geschichten über wilde Tiere oder Ehekonflikte. Seine letzte Aufgabe wird 1969/70 eine Serie im Auftrag des ZDF und der Bundesanstalt für Arbeit: "Sprungbrett", Berufswerbesendungen für Jugendliche.

In der Nacht vom 14./15. Juni 1970 stirbt Artur Pohl an Herzversagen in einer Berliner Großgarage, aus der er sein Auto nach einem Urlaub in Bulgarien abholen will. Im Osten nimmt die Presse vom Tod eines der langjährigen erfolgreichen Defa-Regisseure keine Notiz: Er gilt als Abtrünniger, eine persona non grata. Und im Westen? Da war er über den spektakulären Bruch mit der Defa hinaus, die Schlagzeile für einen Tag, nicht weiter zur Kenntnis genommen worden. Ein symptomatisches deutsch-deutsches Schicksal?

Ralf Schenk (filmdienst 9/1995)

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