Filmstill zu "Die Schüsse der Arche Noah"

Die Schüsse der Arche Noah

Der mit Mitteln aus dem Förderprogramm Filmerbe digitalisierte DEFA-Spielfilm DIE SCHÜSSE DER ARCHE NOAH (R: Egon Schlegel, 1982) wird am Montag, 8. Dezember 2025, 19:00 Uhr, erstmals in der restaurierten Fassung im Kino Krokodil präsentiert. Zu Gast ist Hauptdarsteller Oliver Ohrt.

Kurzinhalt

Filmplakat zu "Die Schüsse der Arche Noah"

DIE SCHÜSSE DER ARCHE NOAH

(R: Egon Schlegel, 1982) Grafiker: Oelschlaeger

Ein Kinderschicksal im Zweiten Weltkrieg. Der 10-jährige Klaus (gespielt von Oliver Ohrt) ist verwirrt von den unterschiedlichen Aussagen der Erwachsenen in einer aus den Fugen geratenen Welt: Die Mutter (Christine Schorn) erzählt ihm als gläubige Christin von der Arche Noah, der antifaschistische Vater (Wolfgang Winkler) kündigt die Weltrevolution an, und in der Schule wird ihm die nationalsozialistische Ideologie gelehrt. In den Traumwelten des Jungen beginnen sich die Erzählungen zu vermischen. Die letzten Kriegsmonate sind für ihn eine Odyssee. Er wird zum Spielball der Ereignisse...

 Hier finden Sie die vollständigen Filmdaten.

Produktionsnotizen

Der auf Filme für Kinder spezialisierte Regisseur Egon Schlegel (1938–2013) drehte seinen fünften DEFA-Film zwischen dem 7. Januar und dem 20. Juni 1982 mit viel organisatorischem Aufwand und hohen Kosten: Es gibt unter anderem Massenszenen, Episoden mit großer Militärtechnik und mehrere Brände, die aufgrund der Zerstörung großer Kulissen nur ein einziges Mal gedreht werden konnten und daher eine große Herausforderung für die verschiedenen Filmgewerke darstellten, insbesondere für Schnitt und Kamera. Premiere feierte DIE SCHÜSSE DER ARCHE NOAH am 4. Februar 1983 als Eröffnungsfilm des Kinderfilmfestivals „Goldener Spatz“ im thüringischen Gera. Dort erhielt der Film drei Auszeichnungen: einen Ehrenpreis der Jury des jungen Publikums, einen Sonderpreis des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden der DDR sowie den „Findlingspreis“.

Filmstill zu "Die Schüsse der Arche Noah"

Brennende Hofkulisse. Fotografin: Christa Köfer

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Militärtechnik kommt zum Einsatz. Fotografin: Christa Köfer

Regie: Egon Schlegel

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Egon Schlegel

während der Dreharbeiten. Fotografin: Christa Köfer

Die filmische Karriere des gebürtigen Zwickauers Egon Schlegel begann steinig. Der gemeinsam mit seinem Kommilitonen Dieter Roth geplante Abschlussfilm  RITTER DES REGENS an der Babelsberger Filmhochschule geriet im Drehprozess in die Mühlen des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED. Die Dreharbeiten wurden abgebrochen und das Material vernichtet. Es ist der einzige 1965/66 verbotene Spielfilm, der bis heute verschollen ist. Nach dem Studium fand Schlegel zunächst Anschluss beim Dokumentarfilm, wirkte an Projekten von Andrew & Annelie Thorndike mit und realisierte in der „Gruppe 67“ eigene dokumentarische Werke. Über eine Regieassistenz bei Ralf Kirstens Film UNTERM BIRNBAUM (1973) gelang ihm der Einstieg beim Spielfilm. Eine Erkrankung des ursprünglich vorgesehenen Regisseurs Claus Dobberke verhalf Schlegel 1974 zu seinem langersehnten Spielfilmdebüt ABENTEUER MIT BLASIUS (1974).

Mit viel Herzblut widmete sich Schlegel fortan in seiner Karriere dem Film für Kinder. Es folgten die allesamt vielbeachteten Produktionen WER REISST DENN GLEICH VORM TEUFEL AUS (1977), DAS PFERDEMÄDCHEN (1979) und MAX UND SIEBENEINHALB JUNGEN (1980), der beim Filmfestival „Goldener Spatz“ in Gera den Hauptpreis gewann. Mit bemerkenswerter Weitsicht antizipierte Schlegel die Anforderungen an zeitgenössische Kinofilme für Kinder, die sich gegen das Fernsehprogramm behaupten mussten. Er nahm sein Publikum ernst, weckte Emotionen und inszenierte tempo- sowie wendungsreich – oder kurz: „Er gibt dem Kino, was es braucht, um Ereignis zu werden.“ (Joachim Giera, Filmspiegel, 1983/4).

Literaturverfilmung: Frei nach Peter Abraham

DIE SCHÜSSE DER ARCHE NOAH geht zurück auf den 1970 erschienenen, gleichnamigen Debütroman des Schriftstellers Peter Abraham (1936–2015), dessen Stoffe sich Anfang der 1980er Jahre bei Film und Fernsehen der DDR großer Beliebtheit erfreuten. In den Vorjahren waren bereits PIANKE (R: Gunter Friedrich, 1981) und KOMM MIT MIR NACH CHICAGO (R: Bodo Fürneisen, 1982) verfilmt worden. Abrahams Erstlingswerk ist autobiografisch geprägt. Da er sich jedoch nicht selbst in den Mittelpunkt rücken wollte, gab er dem Titel den Zusatz „Die Irrtümer und Irrfahrten meines Freundes Wensloff“ und nahm damit nicht die Rolle des Ich-Erzählers, sondern die eines Beobachters ein. Während das Buch über den Zeitraum von zwei Jahrzehnten (von 1935 bis 1955) aus dem Leben der Hauptfigur Klaus Wensloff erzählt, fokussiert sich der Film auf die Episode der letzten Monate des Zweiten Weltkriegs. Zudem richten sich Buch und Film an unterschiedliche Zielgruppen: Abraham schrieb aus der Sicht eines Erwachsenen für Erwachsene; Schlegel beabsichtigte ein jüngeres Publikum zu erreichen. Der Austausch zwischen Schlegel und Abraham war während der Erarbeitung des Filmstoffs durchgehend eng: „Ich habe schon während der Arbeit am Drehbuch viel mit Peter Abraham diskutiert, und danach haben wir uns beide letztendlich auf die Formel ‚freie Variationen zu einem Thema von Peter Abraham‘ geeinigt“, berichtete Egon Schlegel der Journalistin Renate Biehl in der Sächsischen Zeitung (Ausgabe vom 25. Februar 1983).

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Klaus' bester Freund Erich ist begeisterter Hitlerjunge. Fotografin: Christa Köfer

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Die Eltern von Klaus sind im antifaschistischen Widerstand aktiv. Fotografin: Christa Köfer

Gegenbilder zum Faschismus

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Eine Odyssee.

Klaus sucht Halt und Hilfe im Glauben.. Fotografin: Christa Köfer

Egon Schlegels Film sticht aus dem großen, mehr als 150 Filme umfassenden Korpus des DEFA-Films für Kinder heraus. Mit der gleichwertigen Darstellung von Christentum und Kommunismus als positive Überzeugungen gegenüber dem Faschismus betrat der Regisseur im DEFA-Filmschaffen Neuland. Die Vermittlung des christlichen Glaubens an ein in dieser Hinsicht wenig gebildetes, junges Publikum in der DDR lag dem Filmemacher am Herzen: „Ich meine, man sollte den Kindern die Tausende Jahre alte Kultur, die auch von dieser Religion geprägt ist, nahebringen. Denn wie sollen sie zahlreiche Werke der Weltliteratur, der Bildenden Kunst, der Musik usw. verstehen, wenn ihnen das fremd ist?“ (Schlegel in Thüringische Landeszeitung, 8. Februar 1983) Die ausgeprägte Darstellung des Christentums war nicht jedem recht und trotz dessen, dass der Film eine Parteinahme zwischen christlichem Glauben auf der einen Seite und kommunistisch-sozialistischer Überzeugung auf der anderen Seite vermeidet, sah mancher die christliche Seite bevorzugt. So hieß es in der Einschätzung des Films seitens der Hauptverwaltung Film des Ministeriums für Kultur der DDR im Zuge der Abnahme: „Wenn allerdings (...) der Gottesdienst in der Klosterkirche eindrucksvoller ins Bild kommt als die Begegnungen des Helden mit der Roten Armee (...) muss die Frage nach Proportionalität, die gewiss schon beim Szenarium zu stellen war, erlaubt sein. Hier scheinen uns, DEFA-Erfahrungen bei der Gestaltung und Differenzierung des Bildes der Roten Armee außer Acht gelassen zu sein.“

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Der christliche Glaube: Mutter Oberin (Zofia Słaboszowska) im Kloster. Fotografin: Christa Köfer

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Die Rote Armee: Der Graubärtige (Leo Sucharipa) im Fronteinsatz. Fotografin: Christa Köfer

Ein Kinderfilm?

DIE SCHÜSSE DER ARCHE NOAH wurde von Egon Schlegel mit einem bemerkenswerten Erzähltempo inszeniert: Der junge Held hat nie Zeit zu verschnaufen; kaum ein Elend bleibt ihm erspart. Die Filmschöpfer zeigen den Krieg in seiner ganzen Brutalität und begleitet von vielen Emotionen. „Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man für Kinder wesentlich anders erzählen muss als für Erwachsene“ bemerkte Schlegel im Gespräch mit Kritikerin Felicitas Knöfler (Tribüne, 24. Februar 1983). Um Verwechslungen mit einem Abenteuerfilm vorzubeugen, bettete Schlegel die Filmhandlung am Anfang und am Ende in dokumentarische Aufnahmen ein, die reale Schrecken und Zerstörungsmacht des Krieges zeigen und verdeutlichen, dass solche Dinge in der Welt passieren. „Ich habe begreifbar machen wollen, dass Krieg kein Western ist“, so Schlegel (Filmspiegel 1982/25).

Wohlwissend, dass dem jungen Publikum mit der dargestellten Härte und den zum Teil unbekannten Inhalten aus der christlichen Lehre einiges abverlangt wird, gab es im Vorfeld des Kinostarts eine Reihe von Testvorführungen mit Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Altersgruppen, bei denen sich in Schlegels Augen zeigte, dass Kinder und Jugendliche ab einem Alter von 12 Jahren den Film verstehen können. Letztlich wurde der Film ab 10 Jahren zugelassen. Die wenigsten Kinder konnten im Vorfeld der Vorführung etwas mit dem Filmtitel anfangen – nur ein Drittel kannte die „Arche Noah“, diejenigen die den Begriff kannten, hatten davon meist in einer US-amerikanischen TV-Serie gehört (vgl. abgedrucktes Protokoll in Rotraut Simons: „Der Pfarrer bleibt vom Bild her problematisch.“ Ausgewählte Dokumente der Auseinandersetzung mit der Darstellung von Christen in Kinofilmen in der DDR, S. 108).

Hauptrolle: Oliver Ohrt

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Oliver Ohrt

in der Rolle des Klaus Wensloff. Fotografin: Christa Köfer

Bis Egon Schlegel seinen jungen Hauptdarsteller fand, sprachen mehr als 2.000 Kinder vor. Er befragte sie über Gott und die Arche Noah und erkundigte sich nach ihren Geschichtskenntnissen. Schlegel stellte dabei fest, dass die Kinder im Alter von 11 bis 12 Jahren noch „keine Ahnung vom Faschismus haben“ (Filmspiegel 1982/25). Seinen Filmhelden fand er schließlich in Oliver Ohrt, dem die Filmkritik eine bemerkenswerte Leistung attestierte. Heinz Hofmann hob in der Nationalzeitung das enorme „Pensum physischer und psychischer Ansprüche“ hervor, die der Junge, der fast über die gesamte Filmlaufzeit auf der Leinwand zu sehen ist, bewältigen musste (Ausgabe 22. Februar 1983). Regisseur Egon Schlegel war zu diesem Zeitpunkt durch seine vier Vorgängerfilme mit der Arbeit mit Kindern vor der Kamera erfahren. Sein Credo lautete dabei stets, den Kindern „uneingeschränkt als Partner zur Verfügung“ zu stehen und auf Augenhöhe zu arbeiten (vgl. Aus Theorie und Praxis des Films, 1/1988, S. 110). Wie man das schafft? „Indem man diese Haltung wieder (sic!) in eine Formel presst (…) oder gar als Losung vor sich herträgt (…), sondern indem man ihm [dem Kind] zunächst einmal zeigt, dass man gar nicht alles kann, dass man an ihn, den Jüngeren, Fragen hat, dass seine Antworten tatsächlich ernstgenommen werden und dass man von ihm genauso lernen kann wie er von einem Erwachsenen!“ (ebd.)

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Auf Augenhöhe: Regisseur Egon Schlegel mit den Filmkindern Simone Graja und Oliver Ohrt. Fotografin: Christa Köfer

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Kameramann Peter Brand und Egon Schlegel während der Dreharbeiten. Fotografin: Christa Köfer

Im Spiegel der Kritik

Die DDR-Filmkritik war sich nicht einig, wie sie Schlegels ungewöhnlichen Film einordnen soll. Die Besprechungen pendeln zwischen großem Lob und deutlichem Verriss. Kritikerin Silvia Fichtner sprach bereits in ihrer Überschrift von einem „fragwürdigen Film für Kinder“ (Neuer Tag, 16. Februar 1983). Für sie blieb unklar, was der Film erreichen will: „Den Kindern einen ungeschminkten Eindruck von der Gefährlichkeit (...) des Krieges vermitteln? Oder sollte er anregen zu Beschäftigung mit Religion als Teil der Kulturgeschichte der Menschheit? Die Filmschöpfer hätten sich eindeutig entscheiden sollen (...) Alles auf einmal scheint mir zu viel.“ (ebd.) Ganz anders schildert Hans Dieter Tok seine Eindrücke. Der Filmkritiker der Leipziger Volkszeitung, hatte die Gelegenheit einer Diskussion mit Kindern über den Film beizuwohnen. Er hielt beeindruckt fest „Hier beschäftigt sie [die Schüler] ein lebenswahres Kinostück derart, dass sogar noch die Hälfte der einsetzenden Pause genutzt wird, sich zu verständigen. Und so offenbart sich, welchen Spaß solche ‚Schulstunde‘, der man durchaus das (...) Prädikat Kunstgespräch zuerkennen kann, bereitet.“ (LVZ, 18. Februar 1983).

Verfasst von Philip Zengel. (November 2025)

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