Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Helga Schütz

Autorin

* 2. Oktober 1937 in Falkenheim

Biografie

Helga Schütz

bei den Dreharbeiten zu WENN DU GROSS BIST, LIEBER ADAM (R: Egon Günther, 1965) Fotograf: Kurt Schütt

„Eli atmet, sie kriecht aus den Träumen und den Lasten des Alltags. Die Luft, der Rhythmus. Das Wesen, das aus dem Geschehen kommt. So wach. So hell erleuchtet.“ Eli ist die Protagonistin in Helga Schütz‘ Roman „Sepia“ und der Film, den die junge Studentin sieht, ist Francois Truffauts SIE KÜSSTEN UND SIE SCHLUGEN IHN (1958), mit dem ihr „neues Leben“ für den Film beginnt. In dieser Schilderung steckt ein autobiografisches Bekenntnis der Autorin: nicht nur ist der Lebensweg der Romanfigur weitgehend deckungsgleich mit dem der Autorin, sondern auch die Begegnung mit der nouvelle vague ist für Schütz‘ Selbstverständnis als (Film-)Autorin konstitutiv. Der neue Film der nouvelle vague solle, so Truffaut, seinen Autoren ähnlich sehen. Dieser Gedanke, der im Herzen von Schütz‘ Schaffen als Szenaristin und Drehbuchautorin liegt, darf indes nicht dazu führen, Leben und Werk der Autorin miteinander zusammenfallen zu lassen.

Schütz wird am 2. Oktober 1937 im schlesischen Falkenheim im Bober-Katzbachgebirge geboren. 1944 kommt sie – auf Empfehlung der Großmutter – zu Verwandten nach Dresden, in der Hoffnung, dort den Krieg unbeschadet zu überstehen. Ihre Erfahrungen von den Dresdener Bombennächten und vom Überleben des Kriegs als verlassenes Kind werden später Gegenstand ihrer Bücher, wie in den Romanen über die beiden Waisenkinder Adam und Anna Brühl („In Annas Namen“, „Vom Glanz der Elbe“). Schütz interessiert sich für Waisen, für Menschen, die um ihre Identität ringen müssen, für deren Integration in eine Gesellschaft. Auch ihr eigener Lebensweg verläuft nicht geradlinig. Nach der Volksschule absolviert sie eine Gärtnerlehre und arbeitet als Landschaftsgärtnerin in Dresden. 1955 zieht sie nach Potsdam, besucht bis 1958 die Arbeiter- und Bauernfakultät und studiert von 1958 bis 1962 Dramaturgie an der Deutschen Hochschule für Filmkunst.

Filmstill zu "Die Schlüssel"

DIE SCHLÜSSEL (R: Egon Günther, 1973) Fotograf: Klaus Goldmann

Filmstill zu "Die Leiden des jungen Werthers"

DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS (R: Egon Günther, 1976) Fotografin: Christa Köfer

Anschließend arbeitet sie als freischaffende Dramaturgin, schreibt Szenarien für populärwissenschaftliche Filme, lernt ihren Kollegen  Egon Günther kennen, den sie bald heiratet und mit dem sie zusammen das Drehbuch für sein Regiedebüt LOTS WEIB (1965) schreibt. Die Geschichte einer Frau, die sich von ihrem Mann scheiden lassen will, der aber nicht in die Scheidung einwilligt, ist auch Schütz‘ Einstand als Szenaristin fiktionaler Filme. Schütz und Günther teilen eine Sympathie für verletzliche Menschen, die sich im Alltag zurechtfinden müssen und die versuchen, mit anderen Menschen zusammenzuleben. Ihre Art zu erzählen ist häufig fragmentarisch, sie pflegt eine „Erzählweise der Auslassung“ (Erika Richter). Lediglich die märchenhafte Komödie WENN DU GROSS BIST, LIEBER ADAM (1965/1966 - 1990) scheint aus dieser Reihe herauszufallen. Der Film handelt von einem Jungen, dem eine Taschenlampe zufällt, die, wenn sie auf einen lügenden Menschen gerichtet ist, diesen zum Schweben bringt. In der Endproduktion wird die Fertigstellung im Zuge des 11. Plenums gestoppt.

Während Schütz die Fragen nach Zusammenleben und Lügen aus der Sicht eines Kindes verhandelt, wendet sie sich in DIE SCHLÜSSEL (1973) wieder Erwachsenen zu. Der Film ist zugleich eine Entdeckung des Nachbarlandes Polen und seiner Kultur, mithin eine Selbsterkundung der Autorin. Schütz, die 1971 mit dem Erzählungsband „Vorgeschichten oder Schöne Gegend Probstein“ als Schriftstellerin debütiert, veröffentlicht 1974 „Polenreise“, eine schreibend-assoziative Entdeckung ihrer Heimat, die inzwischen in Polen liegt. Mit ihrem Mann Günther und ihrer gemeinsamen Tochter Claudia lebt sie zu dieser Zeit in Groß Glienicke.

Filmstill zu "Addio, piccola mia"

ADDIO, PICCOLA MIA (R: Lothar Warneke, 1978) Fotograf: Klaus Goldmann

Filmstill zu "Fallada - Letztes Kapitel"

FALLADA - LETZTES KAPITEL (R: Roland Gräf, 1988) Fotograf: Wolfgang Ebert

Für das Szenarium von DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS (1976) schält sie aus dem Briefroman Goethes erneut die Themen heraus, die sie und Günther umtreiben: das Zusammenleben und die Möglichkeiten der Liebe. Zugleich ist es aber auch eine Künstlervita, wie Schütz sie auch nachfolgend über Georg Büchner mit ADDIO, PICCOLA MIA (1978) von  Lothar Warnekes und für  Roland Gräfs FALLADA LETZTES KAPITEL (1988) über Hans Fallada schreibt. Obgleich sie für diese Filme umfassende Recherchen und Materialstudien unternimmt, sind ihre Filme keine rein historiografischen Biopics, sondern zeichnen sich durch einen Fokus auf gegenwärtige Probleme aus und erweisen sich als Auseinandersetzungen mit der Zerstörung von Kreativität durch gesellschaftliche Verhältnisse. Schütz entwickelt für sich ein hohes Maß an Beobachtungsgabe für den Alltag mit seinen Nebensächlichkeiten und erzählt – sowohl in ihren Romanen als auch in ihren Szenarien – mit einer Aufmerksamkeit, wie in diesem Alltag gelebt wird. Ihre Beschäftigung mit Fallada erfolgt nicht zufällig, da ihr Schreiben viel mit dem Werk des zeit- und milieukritischen Autors zu tun hat.

Ab den späten 1970er Jahren ist Schütz sowohl in der DDR als auch in der BRD primär als Schriftstellerin erfolgreich. Nach der gemeinsamen Keller-Adaption URSULA verlässt Egon Günther die DDR und Schütz arbeitet kaum mehr für die DEFA. Für den Saarländischen Rundfunk schreibt und realisiert sie TV-Dokumentationen über Dresden, Erfurt und Rostock. STEIN (1991) ist nach dem Mauerfall ihre letzte DEFA-Arbeit, die sie gemeinsam mit Egon Günther realisiert. Doch ist es für Schütz kein Finale als Künstlerin. Seit 1993 arbeitet sie als Professorin für Drehbuchschreiben an der Filmhochschule Babelsberg. Zudem schreibt sich an ihrem umfangreichen Erzählwerk.

Verfasst von Stephan Ahrens. (Stand: Mai 2017)

Trailer zu LOTS WEIB (R: Egon Günther, 1965)

Auszeichnungen

  • 1969: Heinrich-Greif-Preis
  • 1973: Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR für „Vorgeschichten oder Schöne Gegend Probstein)
  • 1974: Theodor-Fontane-Preis der Stadt Potsdam
  • 1991: Stadtschreiberpreis des ZDF und der Stadt Mainz
  • 1991: Ehrengabe zum Andreas-Gryphius-Preis
  • 1991: Literaturpreis des Landes Brandenburg
  • 1996: Preis der Deutschen Schillerstiftung
  • 2003: Hermann-Hesse-Stipendium
  • 2018: Preis der DEFA-Stiftung für das filmkünstlerische Lebenswerk

Literatur

Eigene Schriften:

  • Vorgeschichten oder schöne Gegend Probstein, Aufbau Berlin 1971.
  • Das Erdbeben bei Sangerhausen und andere Geschichten, Aufbau Berlin 1972.
  • Festbeleuchtung, Berlin Aufbau 1974.
  • Jette in Dresden, Berlin Aufbau 1977.
  • Julia oder Erziehung zum Chorgesang, Berlin Aufbau 1980.
  • Martin Luther. Eine Erzählung für den Film, Berlin [u. a.] 1983
  • In Annas Namen, Aufbau Berlin 1986.
  • Heimat süße Heimat, Aufbau Berlin 1992.
  • Vom Glanz der Elbe, Aufbau Berlin 1995.
  • Grenze zum gestrigen Tag, Aufbau Berlin 2000,
  • Knietief im Paradies, Aufbau Berlin 2005.
  • Sepia, Roman, Aufbau Berlin 2012.
  • Die Kirschendiebin, Aufbau Berlin 2017.

Fremde Schriften:

  • Helga Schütz. In: Puknus, Heinz (Hg.): Neue Literatur der Frauen, Beck München 1980, S. 171 - 174.
  • Jürgen Serke: Helga Schütz. In: Ders.: Frauen schreiben, Fischer Frankfurt am Main 1982.
  • Christel Hildebrandt: Helga Schütz. In: Dies. (Hg.): Zwölf schreibende Frauen in der DDR. Zu den Schreibbedingungen von Schriftstellerinnen in der DDR in den 70er Jahren, Hildebrandt Hamburg 1984. S. 123 – 134.
  • Wolfgang Gabler: Helga Schütz. In: Literatur der Deutschen Demokratischen Republik. Einzeldarstellungen, Volk und Wissen Berlin 1987, S. 369–385.
  • Dodds, Dinah: „Die Mauer stand bei mir im Garten.“ In: Women in German Yearbook: Feminist Studies in German Literature and Culture, 7 (1991), S. 137 - 149.
  • Christel Gräf: Helga Schütz – Schreiben für den Film. In: Film und Fernsehen, 3,4, 1999, S. 48 – 53.
  • Erika Richter: Nähe und Distanz. Notizen zu Film und Prosa von Helga Schütz. In: Ralf Schenk, Erika Richte, Claus Löser (Hg.) Apropos, Film: Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Das Neue Berlin, 2005.
  • Ralf Schenk: Abbilder des Lebens. Von der Kunst, Drehbücher zu schreiben: Jurek Becker und Helga Schütz: In: Filmdienst 20, 2007, S. 16f.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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