Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Bürgermeister Anna

Im März 1950 fragt eine Filmkritik anlässlich der Premiere des DEFA-Spielfilms BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950): „Ist vielen heute der Gedanke an eine Frau Bürgermeister nicht noch befremdlich?“ Mehr als 70 Jahre später sind Frauen als Bürgermeisterinnen, Ministerpräsidentinnen, Bundesministerinnen und als Kanzlerin in Deutschland kein Novum mehr. Dennoch ist die gleichrangige Besetzung von Frauen in Führungspositionen in einer männerdominierten Politik und Wirtschaft auch heute ein viel diskutiertes Thema.

BÜRGERMEISTER ANNA war einer der ersten veritablen Beiträge der DEFA zur Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft. Mit Mitteln aus dem Förderprogramm Filmerbe wurde die Produktion im Auftrag der DEFA-Stiftung hochwertig digital restauriert. Im Berliner Kino Toni feiert die digitalisierte Fassung am 26. April 2023, 18:00 Uhr, ihre Erstaufführung. Eine Woche später ist BÜRGERMEISTER ANNA in der DEFA-Sektion des Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin zu sehen.

Kurzinhalt

Filmplakat zu "Bürgermeister Anna"

BÜRGERMEISTER ANNA

(R: Hans Müller, 1950)

Ein märkisches Dorf in der Nachkriegszeit. Anna Drews (gespielt von Eva Rimski) – von allen nur Anne genannt – wird Bürgermeisterin des Ortes. Ihr aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrter Jugendfreund Jupp (Reinhard Kolldehoff) kann die neue berufliche Tätigkeit seiner Freundin nicht akzeptieren und fordert sie auf, das Amt niederzulegen. Einen Feind hat Anne in ihrem Amtsvorgänger, dem Großbauern Lehmkuhl (Arno Paulsen). Als Anne trotz fehlender Genehmigung einen Schulneubau im Dorf umsetzt, informiert Lehmkuhl den Landrat (Reinhold Bernt). Anne droht die Absetzung als Bürgermeisterin...

 Hier finden Sie die vollständigen Filmdaten.

Produktionsnotizen

BÜRGERMEISTER ANNA wurde zwischen dem 24. November 1949 und dem 22. Januar 1950 in den Studios in Berlin-Johannisthal nach einem gleichnamigen Volksstück des Schriftstellers Friedrich Wolf gedreht. Für die Uraufführung wurde ein besonderes Konzept gewählt: Sie fand am 7. März 1950 am Vorabend des 40. Internationalen Frauentags bei freiem Eintritt in 22 Kinos der DDR statt. Die offizielle Filmpremiere folgte am 24. März 1950 zeitgleich im Berliner Kino Babylon und im DEFA-Filmtheater in der Kastanienallee.

Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Eva Rimski und Reinhard Kolldehoff bei der Premiere von BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950) im Berliner Kino Babylon. Foto: DEFA-Stiftung

Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Premiere von BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950) im Berliner Kino Babylon. Foto: DEFA-Stiftung

Bürgermeisterinnen und Landleben in der Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in allen Teilen Deutschlands einen Männermangel. Die Wahl von Frauen in politische Ämter war kein Einzelfall. Autor Friedrich Wolf trug im Zuge seiner Recherchen zum Bühnenstück „Bürgermeister Anna“ Informationen zu deutschen Bürgermeisterinnen zusammen: Er wusste um Margarete Winkler, die ab August 1945 das Bürgermeisteramt in der 600-Einwohner-Gemeinde Gösslitz (Thüringen) antrat, aber auch um die junge Bürgermeisterin Ursula Suckstorff im ‚Neubauerndorf’ Herren Steinfeld bei Schwerin oder um die 21-jährige Susanne Hanschmann aus Oberpickenhain bei Borna (Leipzig) – die jüngste deutsche Bürgermeisterin. Weiterhin sammelte Wolf Meldungen des Neuen Deutschlands und der Täglichen Rundschau über Probleme auf dem Land, über bürokratische Hürden bei Schulneubauten, Brandstiftungen, Diebstähle, Geheimlager und Großbauern, die Neu-Siedler ausnutzen. All diese Themen finden sich in BÜRGERMEISTER ANNA wieder.

 

 

 

 

Filmproduktion im Eiltempo

Da BÜRGERMEISTER ANNA zwingend zum Frauentag am 8. März 1950 fertiggestellt sein sollte, stand die Produktion unter großem Zeitdruck. Das Drehbuch schrieb der Routinier  Richard Nicolas nach Friedrich Wolfs Vorlage in gerade einmal drei Wochen und die Dreharbeiten erfolgten – sehr zum Ärger von Wolf – im Studio. In einem Brief an seinen Sohn Konrad Wolf machte er seinem Ärger Luft: „Ein Dorffilm muss natürlich nach Mist und Getreide und Heu riechen; aber bei uns wurde im November/Dezember (Planerfüllung) alles im Atelier gedreht; so riecht es für den Kenner nach Pappe.“ Auch die rasche Besetzung der Hauptrolle mit Eva Rimski stieß bei Wolf auf Unverständnis: „Auch wollte ich eine ganz andere Anna... einen wirklich dörflichen Typ und so vieles mehr.“ Das Publikum strömte trotz dieser Einwände in die Kinos und BÜRGERMEISTER ANNA erreichte mehr als 3,7 Millionen Menschen.

 

 

Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Gustav Püttjer und Eva Rimski in BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950) Fotograf: Erich Kilian

Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Reinhard Kolldehoff und Eva Rimski in BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950) Fotograf: Erich Kilian

Echo

Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Edith Hancke

in BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950) Fotograf: Erich Kilian

Die Presse nahm BÜRGERMEISTER ANNA zunächst überwiegend positiv auf. So schrieb der renommierte Kritiker Herbert Ihering in der Berliner Zeitung: „Nach dem Stück und Entwurf von Friedrich Wolf ist ein wirklicher Film entstanden. Er zeigt, daß Arbeit und Alltag durchaus Themen für eine spannende und humoristische Handlung sein können.“ (28. März 1950) und die Neue Zeit berichtete „von einem vergnüglichen, lebenswahren und menschlich echten DEFA-Film“ (28. März 1950). Aus der Riege der Schauspielenden wurde insbesondere die junge Edith Hancke herausgehoben. Das Neue Deutschland lobte den Film zwar als wichtigen Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau, kritisierte aber, dass der Film vermittle, dass jedes Dorf eine eigene Schule brauche, die in Zeiten des Lehrermangels zwangsläufig eine Einklassenschule ohne Trennung der Jahrgänge sein müsse: „Fortschrittliche Pädagogen fordern schon lange berechtigt, die Zentralschule für Landbezirke, was die Organisation von Anfahrtsmöglichkeiten oder Internaten einbeziehen würde (...) Man hat diese Fragen für den Film offensichtlich nicht genügend durchdacht“ (28. März 1950).

Wochen später begann sich der Ton gegen BÜRGERMEISTER ANNA in der Presse deutlich zu verschärfen. Gerügt wurden neben den Darstellungen des Landratsamts und der kommunalpolitischen Arbeit auch die fehlende Rolle der FDJ und der Maschinen-Traktoren-Stationen (MAS). Eine ‚Erna Fleischer‘ tadelte unter der Überschrift ‚Kritik in kritischer Beleuchtung’ im Neuen Deutschland vom 19. April 1950 die guten Besprechungen des Films und kam zu dem Schluss: „Wenn ein Textbuch veraltet ist – was umso schneller der Fall sein wird, je aktueller der Stoff ist – kann man eben keinen Film danach drehen.“ Gegen die Anfeindungen setzte sich Friedrich Wolf zur Wehr und intervenierte bei Otto Grotewohl, Alexander Abusch und Arnold Zweig. Immer wieder verwies Wolf, der zu dieser Zeit DDR-Botschafter in Polen war, auf den historischen Charakter seines Stücks. Versprochene Gegendarstellungen blieben ungedruckt. Die Geschehnisse um BÜRGERMEISTER ANNA führten zu der Anweisung, dass im Vorfeld der Produktion von DEFA-Gegenwartsfilmen „die Abteilungen des zentralen Parteiapparates zu konsultieren seien“ (vgl. Heimann, ‚DEFA, Künstler und SED-Kulturpolitik', 1994).

Filmausschnitt aus dem DEFA-Spielfilm BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950)

Regie: Hans Müller

Als Gast aus dem Westen drehte  Hans Müller (1909–1977) zwischen 1948 und 1957 fünf publikumsstarke Unterhaltungsfilme am DEFA-Studio für Spielfilme. 1948 debütierte er mit 1-2-3 CORONA, dem ersten Spielfilm auf dem ehemaligen Ufa-Gelände in Babelsberg nach Kriegsende. In Folge der Auseinandersetzungen um seine nächste DEFA-Produktion BÜRGERMEISTER ANNA kam es für Müller zu einer mehrjährigen Schaffenspause bei der DEFA. 1954 kehrte er mit dem Zirkusfilm CAROLA LAMBERTI – EINE VOM ZIRKUS (1954) und der Stummfilm-Ikone Henny Porten in einer Hauptrolle nach Babelsberg zurück. Ein Jahr später inszenierte Müller die Opernverfilmung ZAR UND ZIMMERMANN (1955) nach Albert Lortzing mit dem Österreicher Bert Fortell. Mit einem weiteren Musikfilm endete Müllers Laufbahn bei der DEFA, die zunehmend auf die Dienste westdeutscher Filmschaffender verzichtete. MAZURKA DER LIEBE (1957) nach Carl Millöckers „Der Bettelstudent“ ging als erste DEFA-Produktion im neuen Totalvision-Verfahren in die Filmgeschichte ein. Auch wenn es zu keiner weiteren Zusammenarbeit mit der DEFA kam, rissen Müllers Kontakte in die DDR nie ganz ab. Bis zu seinem Tod stand er mit dem DEFA-Regisseur  Gottfried Kolditz, der ihn für seine DEFA-Musikfilme musikalisch beraten hatte, in regem Briefkontakt.

Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Micaëla Kreißler udn Eva Rimski in BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950) Fotograf: Erich Kilian

Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Reinhard Kolldehoff, Lutz Moik und Arno Paulsen in BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950) Fotograf: Erich Kilian

Eine vergessene Hauptdarstellerin: Eva Rimski

Filmstill zu "Bürgermeister Anna"

Eva Rimski

als BÜRGERMEISTER ANNA (R: Hans Müller, 1950) Fotograf: Erich Kilian

Die Titelrolle in BÜRGERMEISTER ANNA übernahm Eva Rimski (1922–unbekannt), eine heute weitgehend in Vergessenheit geratene Schauspielerin, die in den Nachkriegsjahren in West-Berlin lebte und zwischen 1947 und 1956 öffentlich in Erscheinung trat.

Biografische Daten über Eva Rimski sind rar. Ihr Filmdebüt gab sie vermutlich – unter dem Namen Eva Preuß – mit einem kleinen Auftritt in der Verwechslungskomödie HERZKÖNIG (R: Helmut Weiss, 1947). Es folgte eine Nebenrolle in ANONYME BRIEFE (1948/49) unter der Regie von Arthur Maria Rabenalt, bevor sie mit BÜRGERMEISTER ANNA, ihrer einzigen DEFA-Produktion, die größte Rolle ihrer Filmkarriere spielte. Im Anschluss an die Premiere war sie mit der Produktion in der neugegründeten DDR unterwegs. Belegt ist eine Filmvorführung mit anschließendem Gespräch mit Arbeiterinnen in einem Werk in Magdeburg. Im Neuen Deutschland wird Rimski am 13. April 1950 im Zuge des Besuchs mit den Worten zitiert: „In meiner Unterhaltung mit den beiden Aktivistinnen habe ich feststellen müssen, dass alles Lug und Trug ist, was die westlichen Zeitungen über die Arbeiterinnen in den Fabriken der Deutschen Demokratischen Republik schreiben.“ Ob die Aussage tatsächlich so gefallen ist, darf zumindest angezweifelt werden.

Parallel war Rimski bis in die früheren 1950er-Jahre in Nebenrollen an verschiedenen Theaterbühnen West-Berlins zu sehen, darunter das Renaissance-Theater, die Tribüne, die Komödie am Kurfürstendamm sowie die Freie Volksbühne. Sie spielte für namhafte Regisseure wie Kurt Raeck, Viktor de Kowa, Axel von Ambesser, Erik Ode und Malte Jaeger. Auf der Kinoleinwand war sie u.a. die Renate Frank an der Seite von Barbara Rütting und Lutz Moik in CHRISTINA (R: Fritz Eichler, 1953). Mit Auftritten im ersten Teil des Episodenfilms PAROLE HEIMAT (Hans F. Wilhelm, 1955) und in ZU BEFEHL, FRAU FELDWEBEL! (R: Georg Jacoby, 1956) endete Rimskis Filmkarriere. In beiden Produktionen wirkte der Schauspieler Michael Cramer (1930–2000) mit, der ihr Ehemann wurde.

Verfasst von Philip Zengel. (April 2023)

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