Filmstill zu "Jahrgang 45"

Jahrgang 45

Vor rund zwei Wochen, am 8. Juli 2021, wurde der Regisseur und Künstler Jürgen Böttcher 90 Jahre alt. Die ARD-Mediathek bietet Böttchers einzigen Spielfilm JAHRGANG 45 (1966/90) derzeit zum Streamen an. Die Produktion ist auch auf weiteren Kanälen wie filmfriend.de oder alleskino.de abrufbar.

Am Dienstag, 20. Juli 2021, präsentiert die DEFA-Stiftung im Hofkino.Berlin Jürgen Böttchers Dokumentarfilm RANGIERER und den neuen Porträtfilm STRAWALDE. EIN LEBEN IN BILDERN des Filmemachers Johannes Blume.

Kurzinhalt

Filmplakat zu "Jahrgang 45"

JAHRGANG 45

(R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990)

Im Mittelpunkt von JAHRGANG 45 stehen Al (gespielt von Rolf Römer) und Li (Monika Hildebrand). Beide sind Anfang 20, verheiratet und leben im Berliner Prenzlauer Berg. Das Paar hat sich auseinandergelebt und will sich scheiden lassen. Al, ein Automechaniker und Motorradliebhaber, vertraut sich seinem Nachbar Mogul (Paul Eichbaum) an. Er fühlt sich eingeengt. Al nimmt ein paar Tage Urlaub und lässt sich durch die Stadt treiben. Li, die als Krankenschwester arbeitet, ist in ihren Gefühlen verletzt und wartet auf eine Aussprache.

 Hier finden Sie die kompletten Filmdaten.

Verbotsgeschichte

JAHRGANG 45 wurde in Folge des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED im Rohschnitt verboten. Erst mit dem Fall der Berliner Mauer konnte die Produktion fertiggestellt und im Februar 1990 erstmals in der Akademie der Künste und auf der Berlinale aufgeführt werden. Aus heutiger Sicht mag das Verbot überraschen, sucht man doch vergebens nach einer harschen Systemkritik. Hervorstechend ist jedoch die Ästhetik des Films, der gänzlich außerhalb der Babelsberger Ateliers und ausschließlich an Originalschauplätzen Ost-Berlins entstand. Inspiration fand Böttcher beim italienischen Neorealismus und in Werken der tschechischen Neuen Welle. Neben dieser für DEFA-Filme außergewöhnlichen Stilistik missfiel insbesondere die Darstellung des Al und seiner Freunde, die in den Tag hineinleben und nicht das gewünschte Bild einer arbeits- und strebsamen DDR-Jugend vermittelten. In einer Beurteilung des filmischen Rohschnitts im September 1966 heißt es von Seiten der Hauptverwaltung Film, „daß der Film auf falschen Positionen steht.“ Nach dem Abbruch der Arbeiten an JAHRGANG 45, hält die DEFA-Studioleitung im Oktober 1966 abschließend fest: „Es zeigt sich deutlich, dass er [Jürgen Böttcher] noch weit davon entfernt ist, die Verantwortung des Künstlers bei der Gestaltung des sozialistischen Menschenbildes zu begreifen.“ Für den Regisseur waren die Erfahrungen rund um das Verbot äußerst schmerzlich. Böttcher drehte nie wieder einen Spielfilm.

Mehr Hintergründe erfahren Sie in  „Verbotene Utopie. Die SED, die DEFA und das 11. Plenum“.

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Rolf Römer in JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990) Fotograf: Roland Gräf

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Monika Hildebrand in JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990) Fotograf: Roland Gräf

Jürgen Böttcher alias Strawalde

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Jürgen Böttcher und Roland Gräf

bei Dreharbeiten zu JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990)

 Jürgen Böttcher (* 1931) zählt zu den bedeutendsten Künstlern der DDR. An der Hochschule für Bildende Künste Dresden studierte er bis 1953 Malerei. Seine Werke fertigt er unter dem Künstlernamen „Strawalde“. 1955 begann Böttcher ein Regiestudium in Babelsberg, das er 1960 vollendete. 1961 realisierte er seinen ersten DEFA-Dokumentarfilm DREI VON VIELEN, der sogleich verboten wurde und erst seit 1990 in Deutschland gezeigt werden kann. Ein Jahr später gewann Böttcher mit OFENBAUER eine Silberne Taube auf der Leipziger Dokfilmwoche. In seinem weiteren Schaffen folgen zahlreiche weitere erfolgreiche Arbeiterporträts, darunter WÄSCHERINNEN (1972), RANGIERER (1984) und DIE KÜCHE (1986). Berührend ist auch Böttchers Film MARTHA (1978) über eine 68-jährige, frühere Trümmerfrau an ihrem letzten Arbeitstag. 1987 gelang Böttcher mit IN GEORGIEN eine vielschichtige filmische Reise durch das Land im Kaukasus. Die mehrfach ausgezeichnete Produktion DIE MAUER wird 1990 zu Böttchers letztem DEFA-Film. Über die Gemeinsamkeiten des filmischen und malerischen Werks Böttchers hält Ekkehard Körner in seinem Aufsatz „Schreiben im Regen“ im Buch „Verbotene Utopie. Die SED, die DEFA und das 11. Plenum“ fest: „Strawalde malt grundsätzlich ohne Skizze, der Künstler ist sozusagen gleichursprünglich mit seinem Bild, inspiriert sich an der eigenen Pinselbewegung, der eigenen Spur auf der Leinwand. Aus diesem Geist sind – obwohl sie natürlich größere Vorbereitung bedürfen – auch die zum Werk im engeren Sinn zählenden Dokumentarfilme und auch der Spielfilm JAHRGANG 45 gedreht.“ Für sein Schaffen erhielt der Regisseur 1992 das Filmband in Gold verliehen. 2000 ehrte ihn das DOK Leipzig mit einem Ehrenpreis. Im Jahr 2001 folgte das Bundesverdienstkreuz.

Filmszene aus JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990)

Monika Hildebrand und Rolf Römer

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Monika Hildebrand und Rolf Römer

in JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990) Fotograf: Roland Gräf

Die beiden Hauptrollen besetzte Jürgen Böttcher mit Monika Hildebrand (* 1941) und Rolf Römer (1935–2000). Für die 1941 geborene Hildebrand war es nach dem Schauspielstudium in Potsdam-Babelsberg die erste Kinohauptrolle. Aufgrund des Verbots von JAHRGANG 45 blieb ihr eine große DEFA-Laufbahn verwehrt. Sie kehrte in ihre Heimatstadt Dresden zurück und etablierte sich dort zur gefragten Darstellerin am Theater der Jungen Generation und tritt auch als Chansonsängerin in Erscheinung. Eine weitere DEFA-Hauptrolle spielte sie 1975 in Ralf Kirstens Literaturverfilmung EINE PYRAMIDE FÜR MICH.

Rolf Römer beendete sein Schauspielstudium 1960 und war in der Folge am Senftenberger Theater engagiert, wirkte jedoch parallel immer wieder in kleineren Rollen bei DEFA-Produktionen mit. Römers erstes größeres Kino-Engagement in Richard Groschopps Kriminalfilm DIE GLATZKOPFBANDE (1962) wurde ein voller Erfolg an den DDR-Kinokassen. Neben JAHRGANG 45 war 1965/66 auch WENN DU GROSS BIST, LIEBER ADAM (R: Egon Günther), mit Römer in einer wichtigen Nebenrolle, von einem Verbot betroffen. In der Folge spielte Römer, der mit der beliebten Schauspielerin Annekathrin Bürger verheiratet war, in mehreren populären DEFA-Indianerfilmen mit. Ab 1970 trat er auch als Regisseur in Erscheinung. Für die DEFA entstanden HE, DU! (1970) und HOSTESS (1976). Mit dem Protest Römers gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns endete seine Regie- und Schauspiellaufbahn bei der DEFA. Bis zur Wende trat er in vielen Animationsfilmen des DEFA-Studios für Trickfilme als Sprecher in Erscheinung, geriet beim Publikum jedoch zunehmend in Vergessenheit.

Eine Rolle für einen Freund und Nachbarn

Den Nachbarn Mogul, die dritte tragende Rolle des Films, besetzte Böttcher entgegen aller Erwartungen nicht mit einer gestandenen Schauspieler-Persönlichkeit, sondern mit dem Laien Paul Eichbaum. Eichbaum und Böttcher waren Nachbarn. Während Eichbaum im zweiten Hinterhof wohnte, lebte Böttcher im dritten. Eichbaum, der in der Nazizeit inhaftiert war und in der DDR in der Komischen Oper arbeitete, war im Wohnhaus eine Art Obmann, der auch für das Einsammeln der Mieten zuständig war. Da Eichbaum als Hobbymaler tätig war, lernten sich Böttcher und er näher kennen und es kam zum Engagement Eichbaums in JAHRGANG 45. Aufgrund des Filmverbots sah Eichbaum den Film nie.

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Rolf Römer und Paul Eichbaum in JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990) Fotograf: Roland Gräf

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Paul Eichbaum und Rolf Römer in JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Gedreht in Ost-Berlin

JAHRGANG 45 fängt die Ost-Berliner Atmosphäre der 1960-er Jahre gekonnt ein. Gedreht wurde überwiegend im Prenzlauer Berg: in den Hinterhöfen der Christinenstraße 30 und im Modehaus Pappelallee. Das Wohnhaus in dem Al, Li und Mogul leben, ist die Kollwitz-Straße 40. Weitere Szenen spielen in Berlin-Mitte in der Studenten-Clubszene in der Linienstraße, auf der Museumsinsel, in der U-Bahnstation Alexanderplatz, in der Sophienstraße und am Gendarmenmarkt.

verfasst von Philip Zengel. (Juli 2021)

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Kameramann Roland Gräf bei den Dreharbeiten zu JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Jürgen Böttcher und Rolf Römer bei den Dreharbeiten zu JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

DVD-Box mit zehn DEFA-Verbotsfilmen

Bei ICESTORM erschien 2016 die DVD-Edition „Verboten!“. Die Box enthält zehn DVDs mit DEFA-Filmen, die im Zuge des 11. Plenums des ZK der SED verboten wurden.

die Edition bei jpc

Lektüretipp: Verbotene Utopie

Die Autorinnen und Autoren des Bandes schildern anhand der einzelnen Verbotsfilme den künstlerischen Aufbruch der DEFA und analysieren zugleich dessen Scheitern. Was verband die Filme des »Jahrgangs 65« miteinander?

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