Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Christiane Dorst

Kostümbildnerin

* 14. August 1939 in Babelsberg

Biografie

Christiane Dorst

© Filmmuseum Potsdam, Jörg Kristian Leopold

Christiane Dorst kam 1970 zur DEFA und avancierte zu einer der gefragtesten Kostümbildnerinnen des Studios. Sie arbeitete an Filmen von Egon Günther, Frank Beyer, Herrmann Zschoche, Roland Gräf, Jürgen Brauer, Günter Reisch und anderen Regisseuren und prägte sie dank ihrer präzisen, fantasievollen Entwürfe und meisterlichen Ausführungen mit. Dabei gestaltete sie Kostüme sowohl für Gegenwarts- als auch für historische Filme und kleidete auch Gaststars wie Lilli Palmer, Nastassja Kinski und Götz George ein. 

Christiane Dorst wird am 14. August 1939 in Potsdam-Drewitz als Tochter einer am Potsdamer Theater tätigen Orchestermusikerin geboren. Ihr Vater, ein Architekt, ist im Zweiten Weltkrieg vermisst. Nach dem Besuch von Grund- und Oberschule legt sie 1957 das Abitur ab und studiert bis 1962 an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee in der Fachrichtung Szenografie. Zu ihren Lehrern gehören der Bühnenbildner Heinrich Kilger, der Bildhauer und Grafiker Theo Balden und der Maler Arno Mohr. Noch während ihres Studiums entwirft sie Kostüme für Inszenierungen des Hans-Otto-Theaters Potsdam, so für Erwin Strittmatters Stück „Die Holländerbraut“. Nach Ende der Ausbildung wird sie vom Potsdamer Theater engagiert und arbeitet hier von 1962 bis 1968 als Bühnen- und Kostümbildnerin sowohl fürs Schauspiel als auch fürs Musiktheater. Als Vorbilder nennt sie Karl von Appen und Horst Sagert. Zu prägenden Inszenierungen, an denen sie beteiligt ist, werden Gerhard Meyers „Krieg und Frieden“ (Tolstoi/Piscator), Peter Kupkes „Hamlet“ (Shakespeare) und die Richard-Strauss-Oper „Arabella“ in der Regie ihres Mannes Wilfried Serauky. 1968 wechselt sie zu den Städtischen Theatern Leipzig, wo sie Kostümbilder für Schauspiel und Oper entwirft. Für manche Inszenierungen muss sie 250 Mitwirkende einkleiden. Als sie spürt, dass ihre expressiven Entwürfe nicht immer auf Gegenliebe bei den Theaterregisseuren stoßen, sucht sie nach neuen Herausforderungen und bewirbt sich bei der DEFA.

Filmstill zu "Die Schlüssel"

Jutta Hoffmann in der Anfangsszene von DIE SCHLÜSSEL (R: Egon Günther, 1973) Fotograf: Klaus Goldmann

Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Lilli Palmer und Monika Lennartz in LOTTE IN WEIMAR (R: Egon Günther, 1975) Fotografen: Wolfgang Ebert, Ingo Raatzke

1970 beginnt ihre Tätigkeit am DEFA-Studio für Spielfilme Potsdam-Babelsberg. Bereits ihr erster Film ANLAUF, eine Produktion des DDR-Fernsehens, bringt sie mit dem Regisseur Egon Günther zusammen, der fortan immer wieder auf sie zurückgreifen wird: „Ich habe sie gesehen, sofort Ja gesagt und dabei blieb es dann auch.“ (Günther, 2009). Neben Gegenwartsfilmen wie DER DRITTE (1971), DIE SCHLÜSSEL (1973) und STEIN (1991) stattet sie auch seine aufwendigen Literaturverfilmungen LOTTE IN WEIMAR (1974), DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHERS (1975) und die als Gemeinschaftsproduktion von DDR-Fernsehen und Schweizer Fernsehen gedrehte Gottfried-Keller-Adaption URSULA (1977) aus. Die Pullover, die Jutta Hoffmann in der Eröffnungsszene von DIE SCHLÜSSEL vor dem Spiegel anprobiert, gehören ebenso zum Œuvre von Christiane Dorst wie die biedermeierlichen Kleider und Hüte Lilli Palmers in LOTTE IN WEIMAR. Für den in den DEFA-Ateliers gedrehten, in der Bundesrepublik spielenden Fernsehkrimi DAS LETZTE WORT (Wolfgang Luderer, 1971) skizziert sie Typen, die den Regisseur so stark inspirieren, dass er die Besetzung danach aussucht.

Viele der besten DEFA-Regisseure versichern sich ihrer Mitarbeit, darunter immer wieder Frank Beyer, Herrmann Zschoche, Roland Gräf und Jürgen Brauer. Daraus entwickeln sich langjährige erfolgreiche Arbeitspartnerschaften, in denen Christiane Dorsts konzeptionelles Denken gewünscht ist: „Ich bin keine von denen, die nur treu sich etwas anhört und dann macht. Wenn ich nicht einverstanden bin, halte ich dagegen, bin mit meinen Fragen sicher auch manchmal unbequem. Doch ich kann nur so gut sein wie der Widerspruch.“ (Dorst, 1989). Sie entwirft Kostüme für historische und Gegenwartsfilme. Dafür legt sich Christine Dorst eine private Kostümkunde aus Büchern, Zeitungsausschnitten und Fotos an. Sie sammelt Bildäußerungen von Zeitgenossen, Arbeiten von bildenden Künstlern aus allen Epochen, studiert Zeitgeist und Charaktere. Aus Zeitungen und Zeitschriften schneidet sie Fotos aus, die sie als soziale Porträts erachtet, studiert den Wechsel der Moden. Bei der Erarbeitung der Kostüme arbeitet sie eng mit den DEFA-Werkstätten zusammen und erläutert den Schneiderinnen und Schneidern ihre Vorstellungen: „So gut meine Mitarbeiter sind, so gut ist meine Arbeit.“ (Dorst, 1989). Das gilt auch für die von ihr eingewiesenen Gewandmeister. Am Drehort legt sie gern noch einmal letzte Hand an.

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Lisa Macheiner und Rolf Hoppe in ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Helga Piur als Königin Diana mit Nickelbrille in ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Besondere Fantasie verlangt zum Beispiel die Filmoperette ORPHEUS IN DER UNTERWELT (Horst Bonnet, 1973), in der sie Kleider aus dünnem, fast durchsichtigem weißen Seidenstoff verwendet; dazu trägt die Göttin Diana eine intellektuelle Nickelbrille, Gott Merkur ein Röckchen, und Pluto tritt wie ein moderner Rockstar auf, mit enger lederner Hose, schwarzem Schlapphut, offenem Hemd, Sonnenbrille und einem Fellmantel, auf dem indigene Motive zu sehen sind. Stets hat sie den ganzen Menschen im Blick, nicht nur den Ausschnitt, den die Kamera erfasst. Für Christiane Dorst gilt: „Das Kostüm ist die zweite Haut. Unmittelbar am Menschen dran und drum.“ Das Kostüm gehöre immer „mit einem bestimmten Charakter zusammen, mit Bewegungen, mit Mimik. Manchmal ist bloß ein Stückchen oben sichtbar, und wir haben gefummelt an der Schnalle des Schuhs.“ Während ihrer Arbeit entdeckt sie, dass Schauspieler „richtig gekränkt sind, wenn man sagt, ach, das sieht man sowieso nicht! Die Schauspieler spielen ja auch nicht nur eine Scheibe, sie steigen nicht bloß mit dem Oberkörper in die Rolle, sie sind ganz dabei.“ (Dorst, 1984).

Auf der Suche nach Farblinien, die für jeden einzelnen Film gefunden werden müssen, orientiert sich Christiane Dorst an internationalen Vorbildern. Wichtig werden für sie Filme wie DER LEOPARD (1963) und DER TOD IN VENEDIG (1971) von Luchino Visconti oder AMARCORD (1973) von Federico Fellini. Daran knüpft sie an, wenn sie gemeinsam mit Szenenbildner und Kameramann anstrebt, in JOHANNES KEPLER (Frank Vogel, 1974) die Farbigkeit von alten vergilbten Fotos zu erzielen oder in ADDIO, PICCOLA MIA (Lothar Warneke, 1978) vorwiegend Braun- und Erdtöne einzusetzen: „Wir hatten uns vorgenommen, dass der Film gegen Ende, mit dem Fortlauf des Lebens, immer farbloser wird bis zum Leichentuch, bis zu dieser Schneelandschaft am Schluss und den schwarzen Figuren.“ (Dorst, 1984). Für den romantisch-märchenhaften Kinderfilm GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS (Jürgen Brauer, 1984) taucht sie tief in die Kostümgeschichte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts ein. Vor jedem Film geht Christiane Dorst mit Figurinen, Farbskalen und Materialvorstellungen tagelang auf Einkaufsreisen. Oft ist Improvisation gefragt: Zum Beispiel werden, weil es in der DDR kaum Leinen und Baumwollstoffe gibt, Nessel und leichte Wollstoffe in der Färberei des Studios „umgewidmet“. Viele Kostüme werden in mehreren Filmen verwendet, aber es gibt auch Ausnahmen: „Für ein Biedermeierkleid zum Beispiel benötigt man acht bis zwölf Meter. Wenn es besonders gemustert ist, kann man es nur als Unikat für die Solistin benutzen und später nicht mehr einsetzen.“

Christine Schorn und Hilmar Eichhorn in ADDIO, PICCOLA MIA (R: Lothar Warneke, 1978) Fotograf: Klaus Goldmann

Filmstill zu "Gritta von Rattenzuhausbeiuns"

Ilja Kriwoluzky und Nadja Klier in GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS (R: Jürgen Brauer, 1984) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten setzt sich Christiane Dorst gegen die Monotonie in Gegenwartsfilmen ein. Obwohl sich deren Geschichten oft gleichen und die Drehorte sich ähneln, beharrt sie auf dem Reiz der Verkleidung, der Erkundung des Charakters und des sozialen Gestus mithilfe des Kostüms. Sie plädiert für sinnfällige Details, die das Besondere im Alltäglichen erkunden. Zugleich beteiligt sie sich durch Typenvorschläge für Rollen an Entscheidungen der Besetzung. Stets sucht sie danach, ihre Vorstellungen einer Figur mit denen der Schauspielerinnen und Schauspieler in Übereinstimmung zu bringen. Das führt mitunter auch zu Enttäuschungen: „Es gibt Schauspieler, denen es völlig egal ist, was sie anziehen. Das finde ich schlimm. Denn wenn ihnen egal ist, was sie anziehen, ist ihnen auch egal, was sie spielen.“ (Dorst, 1984). Aber sie trifft auch immer wieder auf Akteurinnen und Akteure, die mit ihr gemeinsam die Figuren ausloten und aus der Improvisation heraus zu gestalterischen Höhenflügen ansetzen. Als Rolf Hoppes Beinkleider in DIE HOSEN DES RITTERS VON BREDOW (Konrad Petzold, 1975) zu wenig Patina aufweisen, „schmiss sich der Schauspieler zu Boden und suhlte sich so lange im Dreck der Natur, bis er ein echter Ritter war“. Für die historische Parabel UNTERWEGS NACH ATLANTIS (Siegfried Kühn, 1976) verwandelt sie Hoppe sowohl in einen Bauern als auch in einen Säufer und eine feine Dame: „Er konnte stundenlang probieren und kam auch unbestellt zu uns.“ Für FRÜHLINGSSINFONIE (Peter Schamoni, 1983) geht Hoppe mit dem Gehrock auf Tuchfühlung: „Eine Stunde lang stand er vor dem Spiegel, um ein Gefühl für das ungewohnte Kleidungsstück zu bekommen.“ (Dorst, 2009)

Neben vielen Darstellerinnen und Darstellern aus der DDR entwirft sie auch Kostüme für internationale Stars. Sie kleidet Lilli Palmer für LOTTE IN WEIMAR und Nastassja Kinski für FRÜHLINGSSINFONIE ein, entwirft die Kostüme für Götz George und Otto Sander in DER BRUCH (Frank Beyer, 1988). 1986 arbeitet sie am DEFA-Film „Bloody Heart“ von Dean Reed und Günter Reisch über den Aufstand von Native Americans in den USA und fordert die DEFA-Belegschaft auf, private Original-Jeans zur Verfügung zu stellen; der Film bleibt wegen des Suizids von Reed ungedreht. Auch das Projekt „Simplicius Simplicissimus“, das Heiner Carow um 1980 jahrelang vorbereitet und für das Christiane Dorst mehrere Monate lang Kostüme entwirft, kann – offiziell aus Kostengründen – nicht realisiert werden.

Filmstill zu "Die Hosen des Ritters von Bredow"

Rolf Hoppe in DIE HOSEN DES RITTERS VON BREDOW (R: Konrad Petzold, 1973) Fotograf: Dieter Jaeger

Filmstill zu "Der Bruch"

Rolf Hoppe und Otto Sander in DER BRUCH (R: Frank Beyer, 1988) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Besonders produktiv ist für Christiane Dorst das Jahr 1987; sie arbeitet sowohl an Lothar Warnekes Parabel EINER TRAGE DES ANDEREN LAST... über die Begegnung eines jungen Volkspolizisten und eines jungen Vikars in den frühen Jahren der DDR als auch an Roland Gräfs FALLADA – LETZTES KAPITEL über die letzten Lebensjahre des Dichters Hans Fallada; dazu beginnen die Vorarbeiten für DER BRUCH, eine Komödie aus der Nachkriegszeit. Zu ihren letzten DEFA-Produktionen gehören Gegenwartsfilme wie DIE ARCHITEKTEN (Peter Kahane, 1990) und DIE SPUR DES BERNSTEINZIMMERS (Roland Gräf, 1991/92). Für die Kostüme in Gräfs Christoph-Hein-Adaption DER TANGOSPIELER (1990), der in den 1960er-Jahren spielt, wählt sie vor allem gedeckte Töne, mit denen die Tristesse der Zeit zum Ausdruck gebracht wird. Zwischen 1980 und 1986 erhält Christiane Dorst mehrere Preise, so 1980 den Kunstpreis der DDR und 1980 sowie 1986 Preise für Kostümgestaltung beim Nationalen Spielfilmfestival in Karl-Marx-Stadt.

1990 wird Christiane Dorst Leiterin des Kostüm- und Maskenstudios der DEFA Studio Babelsberg GmbH. Nach dem Ende der DEFA 1992/93 verliert sie wie zahlreiche andere künstlerische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Festanstellung. 1992 gestaltet sie die Kostüme für Frank Beyers und Klaus Poches Fernsehfilm DAS GROSSE FEST, ein Gleichnis auf die deutsche Vereinigung. 1994 arbeitet sie an Günter Meyers Gegenwartsmärchen SHERLOCK HOLMES UND DIE SIEBEN ZWERGE mit. Ihre letzte Filmarbeit sind die Kostüme für Egon Günthers DIE BRAUT über Goethes Ehefrau Christiane Vulpius. Dabei kann sie, nach eigenem Bekunden, aus dem Vollen schöpfen: „Wir bestellten in London Stoffe, so schön wie Träume.“ (Dorst, 2009). – Horst Bonnet, mit dem sie beim DEFA-Film ORPHEUS IN DER UNTERWELT zusammengearbeitet hat, verpflichtet sie für mehrere Theaterinszenierungen, so für „Das Glas Wasser“ (1995) am Berliner Renaissance-Theater und für die Offenbachiade „Geliebter Jacques“ (1995) in Augsburg. 2001 stattet sie noch einmal eine Inszenierung von ORPHEUS IN DER UNTERWELT am Theater Halle aus und zieht sich danach in den Ruhestand zurück. Sie liest, malt, züchtet Kakteen und sieht sich Filme an.

Filmstill zu "Einer trage des anderen Last"

Manfred Möck und Jörg Pose in EINER TRAGE DES ANDEREN LAST... (R: Lothar Warneke, 1987) Fotograf: Norbert Kuhröber

Filmstill zu "Fallada - Letztes Kapitel"

Jörg Gudzuhn und Katrin Sass in FALLADA - LETZTES KAPITEL (R: Roland Gräf, 1988) Fotograf: Wolfgang Ebert

Im August 2009 veranstaltet das Filmmuseum Potsdam, in dessen Archiv eine Sammlung von Figurinen Christiane Dorsts aufbewahrt ist, eine Ausstellung zu ihrem Lebenswerk; die Laudatio zur Eröffnung hält Egon Günther.

Christiane Dorst lebt in Potsdam.

Verfasst von Ralf Schenk. (August 2021)

Literatur

  • Christiane Dorst – Kostümbildnerin. In: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, Hamburg 1984ff., Lg. 27.
  • Regine Sylvester: Nähen kann sie nicht... Porträt der Kostümbildnerin Christiane Dorst. In: Horst Knietzsch (Hg.): Prisma – Kino und Fernsehalmanach, Bd. 16, Henschelverlag Berlin/DDR 1985, S. 41-54.
  • Jana Brandt: „Ich bin so gut wie der Widerspruch...“. Die Kostümbildnerin Christiane Dorst. In: Filmspiegel, Berlin/DDR, Heft 4/1989, S. 12-13.
  • Heidi Jäger: So schön wie Träume. In: Potsdamer Neueste Nachrichten, 11.8.2009.
  • Jana Haase: Glanz & Glamour. In: Potsdamer Neueste Nachrichten, 13.8.2009.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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