7. Preisverleihung

Die Preise wurden am 22. November 2007 im Kino Babylon verliehen.

 

Preisträger

Preis für die Verdienste um den deutschen Film

Barbara und Winfried Junge, Eberhard Leupold

Das Leben einer Gruppe von Menschen über einen Zeitraum vom Beginn der Schule bis fast zum Ende der Berufszeit filmisch zu dokumentieren, ist schon einmalig auf der Welt.
Dies mit einer derartigen Einfühlsamkeit, Ausdauer und Genauigkeit im Detail zu tun, kann als Markenzeichen von Barbara und  Winfried Junge als Regisseure des gesamten Werkes über die Kinder von Golzow gekennzeichnet werden.

Der Kameramann Hans-Eberhard Leupold hat auf einer langen Strecke dieses Weges mit exzellenter Kameraführung Akzente gesetzt.

Später haben andere Kollegen wie Harald Klix diese Aufgabe übernommen. Auch an  Karl Gass als Ideengeber ist noch einmal zu erinnern.

45 Jahre Alltag in Deutschland in etwa 2600 Minuten in 20 Filmen zeigen die Entwicklung von Menschen als Einzelpersönlichkeit, als Mitgestalter, verzweifelte, wieder aufstehende und kämpfende, lachende und fröhliche Menschen in einer sehr spannenden Zeit, 16 Jahre nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg bis 16 Jahre nach dem Fall der Mauer.

Eure Filme, liebe Barbara, lieber Winfried, dokumentieren das Leben, lassen uns als Zuschauer mittendrin sein. Es fehlt wohltuend jegliche Belehrung.
Hans Leupold gibt uns das Gefühl, wir wären die Kamera. Wir lachen und wir weinen mit, wir bangen und wir jubeln, weil wir erst unbewusst und dann später mit Klarheit feststellen, das ist ja auch unser Leben, nicht nur immer grau, auch vor 45 Jahren, als die Kamera nur schwarz-weiß zeigte.

Das ist großer Film.

Man ist geneigt zu sagen, Ihr widmet Euer Leben diesem Filmwerk, aber das ist zu wenig. Diese Chronik macht Euch unsterblich, und das Gute ist, Ihr habt es selbst nicht gewollt, in Eurer Bescheidenheit.

Nebenbei habt Ihr meinen Ort Golzow weltweit bekannt gemacht, habt uns eine filmische Chronik eines Teils unserer 700-jährigen Geschichte überlassen, wie ihn kein anderer Ort vorzuweisen hat.

Wir sind stolz darauf, in Winfried Junge einen Ehrenbürger zu haben, der sich nicht nur feiern lässt, sondern auch mitwirkt an der Gestaltung unseres, seines Ortes Golzow.

Ihr drei habt große Verdienste erworben bei der Erklärung, warum wir im Osten gerade so und nicht anders ticken. Und in diesem Rahmen möchte ich auch denjenigen Golzowern danken, die stellvertretend für uns sagten: „Da habt Ihr mein Leben.“ Aber heute feiere ich gern mit Euch Euren Preis für die „Verdienste um den deutschen Film“.

Laudator: Klaus-Dieter Lehmann, Bürgermeister der Gemeinde Golzow

Eberhard Leupold, Barbara und Winfried Junge

Eberhard Leupold, Barbara & Winfried Junge (© Reinhardt & Sommer)

Preis zur Förderung der deutschen Filmkunst

Hans-Christian Schmid

Hans-Christian Schmid

Hans-Christian Schmid

Fotografin: Annett Ahrends

Es ist im deutschen Film sehr üblich geworden, Autoren und Regisseure in Regale zu sortieren, etwa die Berliner Schule, die Münchener Schule, die Pilger nach Hollywood et cetera. Hans-Christian Schmid ist mit solchen Schablonen nicht nahe zukommen. Er kann nur als Hans-Christian Schmid charakterisiert werden.

Er ist, um im Bilde zu bleiben, sein eigenes Klassenzimmer! Seine Filme – seine dokumentaren Arbeiten nicht zu vergessen! – bewegen sich in einem ganz eigenen Beziehungssystem filmischer Reflexionen der „Condition humaine“, wobei jeder neue Film zugleich einem Schritt in bislang unbetretenes Terrain gleicht. REQUIEM als Beispiel: REQUIEM erinnert an den Hochschulabschlussfilm DIE MECHANIK DES WUNDERS, ist aber auch eine Art Spiegelgeschichte zum Film 23, aber eben vor allem und letztlich ein neuer filmischer Kontinent, ein Psychodrama mit akuten Fragestellungen zu menschlichen Irrwegen und Zerstörungen.

Eine Vokabel wie DAS BEOBACHTEN ist für Hans-Christian Schmid etwas ganz Besonderes, der genaue Blick zum Finden des Besonderen im Alltäglichen. Ein schöner Gedanke sei zitiert: „Ich versuche, den Figuren nahe zu kommen, mich im wirklichen Leben zu bewegen, ich will den Figuren auf den Fersen bleiben.“ Spricht man ihn auf künftige Entwicklungen an, so antwortet er meist: „Ich will auf den Punkt kommen...“

Wir sind weiter sehr gespannt darauf!

Laudator: Fred Gehler

Preis zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses

Sung Hyung Cho

Sung Hyung Cho

Sung Hyung Cho

Fotografin: Annett Ahrends

Ganz ehrlich und Hand aufs Herz, was wussten wir vor FULL METAL VILLAGE schon von Kalb, Kuh, Jungtier, Ochse und Bulle? Wussten wir, dass die Abnahme der Milch nur bei besten fettfreien Trockenmasse-Werten, möglich ist? Wussten wir, dass der Mais um so besser wächst, wenn der Bauer oft zur Kirche geht, und man dem Geld nur entgegen laufen muss, da es doch auf der Straße liegt? Mit einer ruhigen Kamerafahrt nimmt uns Sung-Hyung Cho mit nach Wacken, einem kleinen Holsteiner Dorf, um dort diese und andere Fragen zu stellen. Sung-Hyung Cho ist glaubhaft und charmant an all dem interessiert. Und wir als Zuschauer merken amüsiert und erstaunt, dass uns dieses Nest und seine Bewohner zu interessieren beginnen.

Was aber veranlasste die Regisseurin überhaupt, auf Entdeckungsreise in die Provinz zu gehen? Es war eine Zeitungs-Foto-Meldung mit braven, an der Edeka-Kasse anstehenden Metal-Fans während des im August stattfindenden und inzwischen weltweit größten Metal-Festivals. Der Südkoreanerin, die seit fast 20 Jahren in Deutschland lebt, öffneten sich die sonst eher spröden Holsteiner auf fast rührende, verblüffende Art. Fast als hätten sie auf Sung-Hyung Cho gewartet, plaudern sie vor der Kamera erfrischend direkt und unbekümmert.

Der fremde Blick, der ja bekanntlich genauer ist, richtet sich auf den Zusammenprall zweier Kulturen. Und jeder von uns hätte vor diesem Film gewiss von unvereinbaren Welten gesprochen. Allein die wunderbare Szene, in der die Wackener und die hauptsächlich in Schwarz gekleideten Metal-Fans zur Blasmusik der freiwilligen Feuerwehr Polonaise tanzen, reicht aus, um uns eines Besseren zu belehren. Der von der Regisseurin verwendete, ironisch gemeinte Untertitel Heimatfilm zielt provokativ und gleichzeitig spielerisch auf deutsche Filme der 1950er-Jahre, die ungebrochen gesellschaftliche Kontinuität und heile Naturromantik beschwören und den Begriff bis heute negativ besetzen.

Mit FULL METAL VILLAGE gelang der Regisseurin eine launige, gewitzt und elegant montierte, ethnographische Filmarbeit, die das Genre des Heimatfilms rehabilitiert. Ihr Film reiht sich ein in den seit einigen Jahren fest zu machenden Dokumentarfilm-Boom, allerdings ohne dass sie Pinguine oder Fußballspieler bemühen muss.

Herzlichen Glückwunsch!

Laudator: Ralf Schenk

Programmpreise

Leokino in Innsbruck

Dietmar Zingl

Dietmar Zingl

Fotografin: Annett Ahrends

Mitten in Innsbruck, unweit der Universität, steht das Leokino, ein Haus mit zwei Sälen und vielfältigen technischen Möglichkeiten, von 8-mm bis 70-mm, von Stummfilm-Vollbild bis THX. Tagtäglich werden hier cinéastische Impulse abseits des Mainstream gesetzt. Das Leokino zeigt künstlerisch wertvolle Filme aus aller Welt, veranstaltet ein viel beachtetes Filmfestival mit Arbeiten vor allem aus Lateinamerika, Afrika und Asien, fördert den Low-Budget-Film und taucht hin und wieder auch in die Geschichte der DEFA ein. Wobei „hin und wieder“ eine Untertreibung ist: Denn die ostdeutsche Filmgeschichte wird hier doch sehr viel regelmäßiger gepflegt als in den meisten anderen österreichischen Kinos.

Die erste DDR-Filmreihe gab es schon im Oktober 1984, damals liefen unter anderem Warnekes Beunruhigung und Zschoches Bürgschaft für ein Jahr, das war keine schlechte Wahl. In den Jahren danach schlossen sich Simons Die Frau und der Fremde und Till Eulenspiegel an, auch viele Kinderfilme, und gleich nach der Wende natürlich Spur der Steine und Die Mauer.

Und heute? Das Leokino hat, übrigens ohne jede Zuwendung aus Berlin, eine Filmschau zu Konrad Wolf und eine fast komplette Kohlhaase-Retro auf die Beine gestellt. Aber Dietmar Zingl, der Chef des Hauses, hat auch für schräge Vorschläge immer ein offenes Ohr. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich selbst konnte hier bereits die Zensurfassungen des 1950er-Jahre-Films Die Schönste präsentieren, oder die satirischen Stacheltiere. Für die Aufklärungsfilme made in DDR mussten wir aus dem kleinen Saal mit 83 Plätzen in den großen Saal mit 202 Plätzen umziehen. Es kamen Stammgäste und Neugierige, Altlinke und pure Cinéasten. Unbedingt zum Leben im Leokino gehört, dass auch nach den Programmen und offiziellen Diskussionen das Interesse nicht abebbt. Dafür gibt es dann den umlagerten Tresen draußen im Kinofoyer.

Danke, Innsbruck!

Laudatorin: Maren Liese

Deutsches Institut für Animationsfilm (DIAF)

Sabine Scholze und Angela Klemm

Sabine Scholze

Mitgründerin und Geschäftsführerin des DIAF. Fotografin: Annett Ahrends

Als im Juni 1992 auf den Gorbitzer Höhen in Dresden das DEFA-Studio für Trickfilme endgültig geschlossen wurde, wanderte fast seine ganze Hinterlassenschaft in den Müllcontainer. Dekorationen, Phasenzeichnungen, Fotos, Skizzen, Protokolle, Drehbücher. Besenrein sollten die Räume sein, die Eigentümer der Immobilie hatten mit der alten DEFA nichts im Sinn. Ein paar früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern blutete da das Herz. Sie bargen, was zu bergen war, bauten eine Sammlung auf, legten ein Archiv an. Und gründeten im November 1993 das Deutsche Institut für Animationsfilm, kurz DIAF genannt, als gemeinnützigen Verein.

Heute, 14 Jahre später, ist das DIAF aus dem Dresdner Kulturleben nicht mehr wegzudenken. Die über 2.000 Verleihkopien, die hier lagern, erwachen regelmäßig zu neuem Kinoleben. Dresdner Trickfilmleute wissen ihr Lebenswerk in besten Händen, trugen mit Schenkungen zum Wachsen und Erblühen des DIAF bei. So entstehen schöne Ausstellungen, mit originalen Puppen und Zeichnungen, Silhouetten und Filmtechnik. Sie gelten einzelnen Regisseuren, aber auch den verschiedenen Gattungen des Animationsfilms, die einst allesamt in Dresden gepflegt wurden. Zur Berlinale gab es einen viel beachteten, inzwischen durch die Welt tourenden Einblick in die Depots, und regelmäßig ist das DIAF auch zur Leipziger Dokumentarfilmwoche zu Gast.

Die Arbeit des rührigen kleinen Teams um Sabine Scholze hat sich herumgesprochen. Nicht zuletzt durch das Buch „Die Trick-Fabrik“, das vor vier Jahren die Geschichte des DEFA-Trickfilms zusammenfasste, und das den Norman McLaren-Preis für das weltweit beste Buch zum Animationsfilm erhielt. Gestiftet wurde er vom Filmboard Canada. Selbst in solchen fernen Gegenden ist das DIAF also ein Begriff. Und ein Synonym für die Energie, die aus Dresden kommt.

Laudatorin: Maren Liese

Ö-Filmproduktion – Löprich & Schlösser GmbH

Der Programmpreis der DEFA-Stiftung heißt deshalb Programmpreis, weil er Kinos, Vereine und Institutionen ehren soll, die ein herausragendes Programm gestalten. Doch bevor ein solches Programm gemacht werden kann, muss es dafür erst einmal die entsprechenden Filme geben. So war es nur eine Frage der Zeit, bis der Programmpreis auch einmal an einen Produzenten geht, der diese Filme überhaupt zuwege bringt.

Genauer gesagt handelt es sich um zwei Produzenten: Katrin Schlösser und Frank Löprich, deren beider Familiennamen der Buchstabe „ö“ ziert und die ihre Firma deshalb „Ö-Film“ nannten. In den vergangenen siebzehn Jahren entstanden hier rund siebzig Film- und Fernsehproduktionen, Spielfilme, Dokumentarfilme und Doku-Serien, die auf mehr als 450 internationalen Festivals mit Nominierungen und Preisen vertreten waren.

Und was hat das alles mit DEFA zu tun? Ganz einfach: Löprich und Schlösser, die selbst aus dem DEFA-Stall kommen, versuchten von Anfang an, Autorinnen und Autoren, Regisseurinnen und Regisseure an sich zu binden, deren bis dato ostdeutsches Lebenswerk auch nach der deutschen Vereinigung nicht einfach abbrechen sollte. Bei „Ö-Film“ drehten Thomas Heise und Volker Koepp, Gerd Kroske und Andreas Kleinert, Jürgen Böttcher, Helke Misselwitz, Jörg Foth und andere. Zugleich öffnet sich „Ö-Film“ auch Künstlern, die im Westen sozialisiert wurden. Eins aber sollten alle Filmstoffe haben, die von Schlösser und Löprich favorisiert und oftmals bis an den Rand der physischen und psychischen Kräfte durchgeboxt wurden: Sie sollten eigenwillig sein, wahr und authentisch über gesellschaftliche Entwicklungen reflektieren, so wie STAU (R: Thomas Heise, 1992), WEGE IN DIE NACHT (R: Andreas Kleinert, 1999), MONTAG KOMMEN DIE FENSTER (R: Ulrich Köhler, 2006), KARGER (R: Elke Hauck, 2007), um nur einige Titel zu nennen.

Hinter „Ö-Film“ liegen kämpferische Jahre, das lässt sich denken. Und mit DDU BIST NICHT ALLEIN (R: Bernd Böhlich, 2007) gelang nach SONNENALLEE (R: Leander Haußmann, 1999) auch wieder ein schöner starker Kinoerfolg. Der Preis steht also für politischen Mut und künstlerische Sensibilität, für Stehvermögen, Idealismus, Teamgeist, Neugierde, Vertrauen. Er steht für ein Leben, das dem innovativen deutschen Film gewidmet ist.

Laudatorin: Maren Liese

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