Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Gustav von Wangenheim

Dramaturg, Regisseur

* 18. Februar 1895 in Wiesbaden; † 5. August 1975 in Berlin

Biografie

Filmstill zu "Gefährliche Fracht"

Gustav von Wangenheim

bei den Dreharbeiten zu GEFÄHRLICHE FRACHT (R: Gustav von Wangenheim, 1954) Fotograf: Herbert Kroiss

Gustav von Wangenheim entstammt einer alten adligen Familie, wird nach dem Ersten Weltkrieg Mitglied der KPD und später der SED, entdeckt sein Interesse für das Agitprop-Theater und inszeniert in der Weimarer Republik „rote Revuen“ und Massenspiele. Zudem spielt er in einigen der wichtigsten deutschen Stummfilmklassikern mit. Er ist Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur und lebt nach 1945 in der DDR. Wie seine DEFA-Filme zeigen, erblickt Gustav von Wangenheim im Kommunismus die Lösung gesellschaftlicher Widersprüche.

Gustav von Wangenheim wird als Ingo Clemens Gustav Adolf Freiherr von Wangenheim am 18. Februar 1895 in Wiesbaden geboren. Sein Vater ist der Schauspieler Eduard von Winterstein, seine Mutter die Schauspielerin Minna Mengers. Er wächst in Berlin auf, besucht dort ein Gymnasium und geht während der Obersekunda (entspricht der 11. Klasse) ab. Danach beginnt er eine landwirtschaftliche Lehre. Nach seiner militärischen Ausbildung beim Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiment Nr. 1 besucht er von 1912 bis 1914 die Max Reinhardt-Schauspielschule am Deutschen Theater. Kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges wird Gustav von Wangenheim eingezogen und dient als Soldat an der Westfront. 1915 wird er am Auge verletzt und danach ausgemustert. Zurück in Berlin steht er auf der Bühne des Deutschen Theaters und 1916 auf der des Wiener Burgtheaters.

In Berlin schreibt Gustav von Wangenheim für die Zeitschrift „Die Aktion“ erste Texte. Außerdem entstehen Dramen, wie „Der Mann Fjodor“ (1917) und „Lausbub Franz“ (1918). Die Berliner Kabarettszene unterstützt er mit Texterei für das Kabarett „Schall und Rauch“. Er engagiert sich politisch, wird nach der Novemberrevolution 1918 Mitglied im Rat der Geistesarbeiter und tritt der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) bei. Nach deren Spaltung 1922 wechselt er in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Hier ist er im Bereich des proletarischen Laienspiels sehr aktiv. 1923 wird er Leiter des Zentralen Sprechchors der KPD. Er verfasst unter anderen den „Chor der Arbeit“. Seine „Massenpantomime gegen den Krieg“ wird verboten. 1924 gründet er die Arbeiterspieltruppe des Bundes der Kriegsopfer und tourt mit ihr durch Deutschland. Zahlreich sind seine Aktivitäten: er schreibt Agitprop-Stücke, die er mit seinen verschiedenen Theatergruppen („Kollektiv Rote Schauspieler“, „Die Roten Blusen“ und „Truppe 31“) an Berliner Bühnen inszeniert.

Filmstill zu "Und wieder 48"

UND WIEDER 48 (R: Gustav von Wangenheim, 1948) Fotograf: Heinz Czerwonski

Filmstill zu "Heimliche Ehen"

HEIMLICHE EHEN (R: Gustav von Wangenheim, 1955) Fotograf: Eduard Neufeld

Bereits 1916 kommt Gustav von Wangenheim erstmals mit dem Film in Kontakt. Er debütiert in Passionels TAGEBUCH (1916) unter der Regie von Louis Ralph vor der Kamera. Danach ist er in Filmen von Rudolf Biebrach, Otto Rippert sowie Lupu Pick zu sehen und spielt vor allem in einigen der wichtigsten deutschen Filmklassiker mit. Zweimal arbeitet er mit dem Regisseur Ernst Lubitsch zusammen, verkörpert in dessen erfolgreicher Komödie KOHLHIESELS TÖCHTER (1920) den gewitzten Paul Seppl, der die ‚richtige Liesl‘ für sich erobern kann. In NOSFERATU – EINE SYMBPHONIE DES GRAUENS (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau spielt er den jungen Hutter, einen frisch verheirateten Angestellten einer Maklerfirma, der nach Rumänien reist und sich dort mit einem Vampir auseinandersetzen muss. In dem expressionistischen Meisterwerk SCHATTEN (1923) von Arthur Robison gibt er den Liebhaber der Ehefrau. Unterbrochen wird seine Filmarbeit immer wieder durch Arbeiten am Theater: Gustav von Wangenheim steht am Hoftheater Darmstadt, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und wiederholt am Deutschen Theater Berlin auf der Bühne. Erst Ende der 1920er Jahre steht er unter der Regie von Fritz Lang wieder vor der Kamera, gibt den Flugzeugingenieur Hans Windegger in dem Science-Fiction Film DIE FRAU IM MOND (1929).

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 verlässt der Künstler Deutschland, emigriert zunächst nach Paris, geht später nach Moskau. Hier leitet er bis 1935 das „Deutsche Theater Kolonne Links“. Gemeinsam mit anderen deutschen Emigranten – Lotte Loebinger, Gregor Gog, Fritz Erpenbeck, Hedda Zinner, Heinrich Vogeler und dem jungen Konrad Wolf – dreht er nach einer Idee von Alfred Kurella den Film KÄMPFER (1936). Eine Geschichte über den zunächst politisch passiven Arbeiter Fritz Lemke, der sich aber nach dem spektakulären Prozess gegen Georgi Dimitroff in Leipzig dem kommunistischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten anschließt. Kurz nach der Uraufführung des Films verschwinden die ersten Beteiligten in den Gulags. Die „Säuberungen“ unter Stalins eisener Hand haben begonnen, in deren Folge auch Gustav von Wangenheim in die Mühlen des sowjetischen Geheimdienstes gerät. Einige Tage verbringt er im Gefängnis des „Volkskommissariats für innere Angelegenheiten“. Danach passt er sich dem russischen Regime weitgehend an, nimmt sogar 1940 die sowjetische Staatsbürgerschaft an. Bis 1945 ist er schriftstellerisch tätig und lebt mit seiner Familie zeitweise in Kasan, Chistopol und Taschkent. Als Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland verfasst er Texte für dessen eigenen Radiosender und spricht deutsche Formate im Radio Moskau.

Im Sommer 1945 kehrt Gustav Wangenheim nach Deutschland in die sowjetisch besetzte Zone zurück. Als Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) leitet er für kurze Zeit das Theater am Schiffbauerdamm, später das Deutsche Theater. Hier arbeitet er als Regisseur, inszeniert Klassiker wie „Hamlet“ von William Shakespeare und moderne Stücke wie „Stürmischer Lebensabend“ von Leonid Rachmanow. Ab Mitte der 1950er Jahre arbeitet er als Regisseur und Schauspieler am Theater in Altenburg und tritt zudem als Gast an der Volksbühne in Berlin auf. 1970 wird Gustav von Wangenheim Mitglied der Sektion „Darstellende Künste“ der Akademie der Künste.

Filmstill zu "Gefährliche Fracht"

Gustav von Wangenheim bei den Dreharbeiten zu GEFÄHRLICHE FRACHT (R: Gustav von Wangenheim, 1954) Fotograf: Herbert Kroiss

Filmstill zu "Heimliche Ehen"

Dreharbeiten zu HEIMLICHE EHEN (R: Gustav von Wangenheim, 1955) Fotograf: Eduard Neufeld

Die DEFA arbeitet seit 1948 mit dem Künstler als Regisseur und Drehbuchautor zusammen. Unter seiner Regie entsteht der historische Film UND WIEDER 48 (1948), einer der wenigen deutschen Spielfilme, der sich mit der Märzrevolution von 1848 auseinandersetzt. Hier nimmt eine Gruppe von Studenten als Statisten an einem Film über die besagte Revolution teil. Sie reflektieren über die Zeit vor 100 Jahren und mahnen den Regisseur im Film zur Wahrheit. Gustav von Wangenheim konzentriert sich auf die Geschichte des Studenten und Barrikadenkämpfers Gustav Adolf Schlöffel und verbindet die Zeiten 1848 und 1948 miteinander, um eine „unvollendete“ Revolution abzuschließen. Der Film wird mit großem Aufwand produziert, unter anderem wurde das Innere der Frankfurter Paulskirche im Atelier nachgebaut.

Mit dem pathetischen Werk DER AUFTRAG HÖGLERS (1949) ruft der Regisseur zur Wachsamkeit gegenüber Industriespionage des Westens auf. Im konkreten Fall geht es um die Luisenhütte und deren neuem Verfahren der Stahlherstellung. Der Alteigentümer Högler will vom nunmehr volkseigenen Werk – mittels Bestechung, Spionage und Verleumdung – unbedingt die für ihn vorteilhafte Neuerung erhalten, wird aber entlarvt. In GEFÄHRLICHE FRACHT (1954) streiken westdeutsche Hafenarbeiter: Sie wollen keine Napalmbomben entladen. Der Film zeigt deutlich, wo der Platz der ‚richtigen Arbeiter‘ ist. Der letzte DEFA-Film des Regisseurs wird eine Komödie: HEIMLICHE EHEN (1955) spielt im Milieu des ostdeutschen Bauwesens. Ein Chefarchitekt hintertreibt aus Eigennutz die Pläne für den Neuaufbau eines Dorfes. Erst eine junge Mitarbeiterin durchschaut das üble Spiel. Seine Filmkarriere beendet Gustav von Wangenheim Mitte der 1950er Jahre mit Arbeiten für das Fernsehen.

1931 heiratet Gustav von Wangenheim die Schauspielerin und Schriftstellerin Inge von Wangenheim, geb. Franke. Ihr gemeinsamer Sohn Friedel Freiherr von Wangenheim (geb. 1939) wird später als Autor, Dramaturg, Regisseur und Schauspieler arbeiten. Der vielseitige Künstler stirbt am 5. August 1976 in Berlin.

Verfasst von Ines Walk. (Stand: August 2006)

Filmstill zu "Und wieder 48"

UND WIEDER 48 (R: Gustav von Wangenheim, 1948) Fotograf: Heinz Czerwonski

Filmstill zu "Der Auftrag Höglers"

DER AUFTRAG HÖGLERS (R: Gustav von Wangenheim, 1949) Fotograf: Heinz Czerwonski

Auszeichnungen

  • 1950: Nationalpreis III. Klasse
  • 1955: Vaterländischer Verdienstorden in Silber
  • 1957: Ernst Moritz Arndt-Medaille
  • 1968: Medaille "Kämpfer gegen den Faschismus"
  • 1959: Erich-Weinert-Medaille
  • 1960: Orden Banner der Arbeit
  • 1966: Vaterländischer Verdienstorden in Gold
  • 1966: Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität zu Berlin
  • 1975: Ehrenspange des Vaterländischen Verdienstordens in Gold

Literatur

Literarische Werke:

  • 1917: Mann Fjodor Schauspiel
  • 1918: Lausbub Franz Komödie
  • 1923: Chor der Arbeit Chor
  • 1924: 7000 Chor
  • 1924: Zehn Jahre Krieg Massenspiel
  • 1926: Das Feuer Drama
  • 1928: Erinnert Euch Massenspiel
  • 1929: Chorwerk über den 8-Stundentag Chor
  • 1931: Die Mausfalle Komödie
  • 1932: Da liegt der Hund begraben Drama
  • 1932: Wer ist der Dümmste Komödie
  • 1933: Das Urteil Drama
  • 1934: Helden im Keller Bühnenstück
  • 1938: Volksfreund Komödie
  • 1938: Die Friedensstörer Bühnenstück
  • 1940: Olympisches Ziel Erzählung
  • 1941: Fährmann wohin Erzählung
  • 1946: Die fromme Martha Schauspiel
  • 1948: Die Maus in der Falle Bühnenstück
  • 1950: Du bist der Richtige Komödie
  • 1950: Auch in Amerika... Drama
  • 1951: Wir sind schon weiter Drama
  • 1959: Studentenkomödie Komödie
  • 1960: Die vertauschten Brüder Drama
  • 1960: Hier muß ein Mann ins Haus Komödie

Eigene Texte:

  • Gustav von Wangenheim: Chor der Arbeit, Vereinigung internationaler Verlagsanstalten Berlin 1924.
  • Gustav von Wangenheim: Helden im Keller. Schauspiel, Staatsverlag der nationalen Minderheiten der USSR Kiew, Charkow 1935.
  • Gustav von Wangenheim: Olympisches Ziel. Erzählung, Meshdunarodnaja Kniga Moskau 1940.
  • Gustav von Wangenheim: Fährmann, wohin? Novelle, Meshdunarodnaja Kniga Moskau 1941.
  • Gustav von Wangenheim: Humanismus als Grundgedanke. Zum Wiederaufbau des deutschen Theaters, in: Tägliche Rundschau, 01.01.1946.
  • Gustav von Wangenheim: In memorian Max Reinhardt, in: Theater der Zeit 01/1946.
  • Gustav von Wangenheim: Die Maus in der Falle, Henschel Verlag Berlin 1947.
  • Gustav von Wangenheim: Kollektive Meinungsbildung, in: Tägliche Rundschau, 10.12.1950.
  • Gustav von Wangenheim: Du bist der Richtige, Verlag Neues Leben Berlin 1950.
  • Gustav von Wangenheim: Auch in Amerika, Henschel Verlag Berlin 1950.
  • Gustav von Wangenheim: Mit der Zeit werden wir fertig, Verlag Neues Leben Berlin 1958.
  • Gustav von Wangenheim: Die vertauschten Brüder, Henschel Verlag Berlin 1959
  • Gustav von Wangenheim: Hier muß ein Mann ins Haus, Henschel Verlag Berlin 1960
  • Gustav von Wangenheim: Im Kampf geschrieben, Verlag Tribüne Berlin 1962
  • Gustav von Wangenheim: Nach 30 Jahren neu entdecken, in: Junge Welt, 23.02.1963
  • Gustav von Wangenheim: Ein paar Meter reichten nicht, in: Junge Welt, 27.02.1963
  • Gustav von Wangenheim: Jeder fand seinen Platz, in: Junge Welt, 09.03.1963
  • Gustav von Wangenheim: Im Hause des Dichters, in: Junge Welt, 27.03.1963
  • Gustav von Wangenheim: Ungewöhnliche Sitzung, in: Junge Welt, 30.03.1963
  • Gustav von Wangenheim: Da liegt der Hund begraben und andere Stücke, Rowohlt Verlag Reinbek 1974.

Fremde Texte:

  • o. A.: Max Ophüls an Gustav von Wangenheim, in: Das Wort, Moskau 01/1936.
  • o. A.: Gustav von Wangenheim, in: Sonntag 44/1948.
  • Inge von Wangenheim: Auf weitem Feld. Erinnerungen einer jungen Frau, Henschel Verlag Berlin 1954.
  • Victor Weimar: Gustav von Wangenheim, in: Sonntag 11/1959
  • Georg Lukacs: Gustav von Wangenheim – ein bedeutender, aber unbekannter deutsche Dramatiker, alternative 84-85/1972, Berlin-West.
  • Klaus Pfützner: Mitschöpfer unserer neuen Theaterkunst. Zum 80. Geburtstag Gustav von Wangenheims am 18. Februar, in: Neues Deutschland, 17.02.1975
  • Rainer Kerndl: Ein Genosse, ein Freund ist gestorben ... Zum Tode von Gustav von Wangenheim, in: Neues Deutschland, 07.08.1975.
  • Günter Maschuff: Bühnen- und Drehbuchautor, Theater- und Filmregisseur, Schauspieler - Zum 10. Todestag Gustav von Wangenheims, in: Wahrheit 05.08.1985.
  • Jörg Schönig: Gustav von Wangenheim, in: cinegraph, Loseblattsammlung. 
  • Ernst Schumacher: Der Freiherr mit Monokel und FDJ-Hemd- Gustav von Wangenheim, dem ersten Nachkriegsintendanten des Deutschen Theaters, zum 100. Geburtstag, in: Berliner Zeitung, 17.02.1995.
  • Horst Knietzsch: Linker Agitator für die Einheitsfront. Erinnerung an Gustav von Wangenheim zu seinem 100. Geburtstag, in: Neues Deutschland, 20.02.1995
  • Ralf Schenk: Ein einig Vaterland ... - Die Märzrevolution als Filmthema: Das Debattierstück und Zeitdokument UND WIEDER 48, in: film-dienst 05/1998.
  • Adolf Heinzelmeier, Berndt Schulz (Hrsg.): Gustav von Wangenheim, in: Lexikon der deutschen Film- und TV-Stars, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2000.
  • Günter Agde: Don Quichote und Kommunist. Vor 25 Jahren starb Gustav von Wangenheim, in: Neues Deutschland, 05.08.2000.
  • Claus Löser: Gustav von Wangenheim: KÄMPFER, in: film-dienst 05/2001.

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

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