Filmstill zu "Ab heute erwachsen"

Bilder des Jahrhunderts

Eine kleine DEFA-Spielfilmgeschichte von Ralf Schenk

Eingangsbereich

des DEFA-Spielfilmstudios in Potsdam-Babelsberg; © DEFA-Stiftung/Siegfried Skoluda

Draußen war es frisch. Sechzehn Grad, stark bewölkt mit etwas Regen, nicht unbedingt ein freundlicher Maientag. Doch drinnen, im Saal, war das Wetter sofort vergessen. Denn in der Großen Halle des Babelsberger Althoff-Ateliers stand nicht weniger zur Debatte als das sehnsüchtig erwartete Wiederaufleben des deutschen Kinos. Nach zwölf Jahren Befehlsgewalt durch einen ebenso diabolischen wie filmbesessenen Propagandaminister, nach sechs Kriegsjahren und fast einem Jahr Drehpause sollte die erste deutsche Filmgesellschaft aus der Taufe gehoben werden, die alle Facetten vom Spiel- und Dokumentarfilm bis zum Kulturfilm bedienen wollte. Ihr Name: Deutsche Film-A.G., kurz: DEFA.

Die westlichen Alliierten waren 1945/46 zunächst gegen eine neue Filmproduktion auf deutschem Boden. Viele Filmschaffende, so ihre Argumentation, seien zu tief in der Medienlandschaft der Nationalsozialisten verankert gewesen. Zudem stünden für die Umerziehung und Unterhaltung der Deutschen zahlreiche US-amerikanische, englische und französische Filme zur Verfügung. Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) verfolgte indes andere Pläne. Die von ihr etablierte Zentralverwaltung für Volksbildung startete schon im Herbst 1945 einen Aufruf an deutsche Filmschaffende, sich bei ihr zu melden, um an der Wiederaufnahme der Filmproduktion mitzuwirken. Am 29. Oktober 1945 erlaubte Stalin dem Chef der SMAD, Marschall Shukow, eine deutsch-sowjetische Aktiengesellschaft zur Herstellung von Filmen zu gründen. Die neue Arbeitsgruppe »Film-Aktiv« der Zentralverwaltung für Volksbildung rief am 22. November zu einer Zusammenkunft ins Berliner Hotel Adlon ein. Zu den Teilnehmern des Treffens gehörten Regisseure wie Gerhard Lamprecht, Wolfgang Staudte, Peter Pewas und Werner Hochbaum, Autoren wie Friedrich Wolf und Hans Fallada sowie Dr. Kurt Maetzig.

17. Mai 1946: Gründungsveranstaltung der DEFA in den Babelsberger Althoff-Ateliers; © DEFA-Stiftung

Filmstill zu "Die Mörder sind unter uns"

Hildegard Knef und Ernst Wilhelm Borchert in DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (R: Wolfgang Staudte, 1946) Fotograf: Eugen Klagemann

Bald gingen vom »Film-Aktiv« spürbare Aktivitäten aus. Schon am 19. Februar 1946 erschien die erste Wochenschau DER AUGENZEUGE. Erste Synchronisationen von sowjetischen Filmen wurden beauftragt. Am 1. Mai hatte der erste DEFA-Dokumentarfilm EINHEIT SPD–KPD von Kurt Maetzig Premiere. Am 4. Mai begann Wolfgang Staudte mit den Dreharbeiten zum ersten Spielfilm DIE MÖRDER SIND UNTER UNS.

Zu den Rednern auf der Gründungsfeier am 17. Mai gehörte der Präsident der Zentralverwaltung für Volksbildung, Paul Wandel, der aus dem sowjetischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt war. Er forderte die Filmschaffenden auf, Stellung gegenüber den „großen Schicksalsfragen unseres Volkes“ zu beziehen: „Der Film darf nicht mehr Opium des Vergessens sein, sondern soll den breiten Schichten unseres Volkes Kraft, Mut, Lebenswillen und Lebensfreude spenden. Vor allem aber muss das Filmschaffen getragen sein von innerer Ehrlichkeit, die die Wahrheit sucht, die Wahrheit verkündet und das Gewissen wachrüttelt.“ Ähnlich sah der sowjetische Kulturoffizier Sergej Tulpanow den neuen deutschen Film als „eine scharfe und mächtige Waffe gegen die Reaktion und für in der Tiefe wachsende Demokratie“.

Filmstill zu "Irgendwo in Berlin"

Charles Knetschke und Harry Hindemith in IRGENDWO IN BERLIN (R: Gerhard Lamprecht, 1946) Fotograf: Kurt Wunsch

Filmstill zu "Ehe im Schatten"

Paul Klinger und Ilse Steppat in EHE IM SCHATTEN (R: Kurt Maetzig, 1947) Fotograf: Kurt Wunsch

Schon im ersten Jahr brachte die DEFA drei Filme in die Kinos, die sich mit der deutschen Gegenwart und unmittelbaren Vergangenheit befassten. DIE MÖRDER SIND UNTER UNS, über Kriegsverbrechen und deutsche Schuld, griff mit seinen schrägen Kameraperspektiven und der Betonung von Licht und Schatten auf Elemente des expressionistischen Kinos zurück. FREIES LAND von Milo Harbich verknüpfte als didaktischer, in aktuelle gesellschaftliche Vorgänge eingreifender Report über die Bodenreform in Mecklenburg dokumentarische Einstellungen mit Spielszenen. Gerhard Lamprecht unterfütterte die realistischen Motive von IRGENDWO IN BERLIN mit melodramatischem Aufbaupathos. 1947 inszenierte Kurt Maetzig mit EHE IM SCHATTEN den ersten deutschen Film über den Holocaust; er wurde in allen vier Sektoren Berlins gleichzeitig uraufgeführt. Erich Engel ging in dem Kriminalfilm AFFAIRE BLUM dem virulenten Antisemitismus in der Weimarer Republik nach. Und Georg C. Klaren inszenierte Georg Büchners Dramenfragment WOZZECK als albtraumhaft-fiebrige Anklage des Militarismus. Filme zum Antifaschismus blieben für das DEFA-Schaffen in allen Jahrzehnten und über alle Generationen hinweg wichtig: melancholische und pathetische, analytische und gleichnishafte. Ein Kino der Aufklärung und Ursachenforschung, der politischen, sozialen und psychologischen Spurensuche. Bedeutende Regisseure wie Konrad Wolf (STERNE, 1959; PROFESSOR MAMLOCK, 1961) oder Frank Beyer (KÖNIGSKINDER, 1962; NACKT UNTER WÖLFEN, 1963; JAKOB DER LÜGNER, 1974; DER AUFENTHALT, 1983) inszenierten Arbeiten, die auch international für Aufmerksamkeit sorgten – bis hin zu Günther Rückers und Günter Reischs DIE VERLOBTE (1980), die den Großen Preis der Filmfestspiele in Karlovy Vary erhielt. Noch die letzte Regiegeneration, die Mitte der 1980er-Jahre bei der DEFA startete, leistete ihren Beitrag mit stilistisch bemerkenswerten, parabelhaften Filmen wie STIELKE, HEINZ, FÜNFZEHN... (Michael Kann, 1986) oder ERSTER VERLUST (Maxim Dessau, 1990).

Die überwiegende Mehrzahl dieser Filme beschrieb Ereignisse aus dem Zeitraum der Naziherrschaft; nur wenige erweiterten den Blick hin zur offiziell unerwünschten Untersuchung über das versteckte Nachleben von NS-Ideologie im DDR-Alltag, so wie in dem suggestiven Drama DAS ZWEITE GLEIS (Joachim Kunert, 1962).

Filmstill zu "Das zweite Gleis"

Albert Hetterle in DAS ZWEITE GLEIS (R: Joachim Kunert, 1962) Fotograf: Max Teschner

Filmstill zu "Wozzeck"

Kurt Meisel in WOZZECK (R: Georg C. Klaren, 1947) Fotograf: Rudolf Brix

Anlässlich von WOZZECK kam es zu ersten ideologischen Kontroversen: Klarens Metaphorik kam bei sowjetischen Beratern, die in der frühen DEFA ein wesentliches Mitspracherecht hatten, nicht gut an. Sie witterten „Formalismus“, ein Begriff, der in der sowjetischen Kulturpolitik häufig dafür benutzt wurde, um Formexperimente, die sich nicht dem Kanon des so genannten „Sozialistischen Realismus“ unterwarfen, zu kritisieren oder gar zu verbieten. Formalismus, das war etwas Fremdes, Bedrohliches, Intellektualistisches, etwas, das der Arbeiterklasse vermeintlich nicht entsprach. Bis zum Ende der DDR erregten Formexperimente bei kulturpolitischen Entscheidungsträgern Misstrauen: Ein DEFA-Film, finanziert aus der Staatskasse, hatte aus ihrer Sicht für jeden verständlich, klar und eindeutig zu sein, keinesfalls vom „elitären“ Kunstwillen geprägt. So ist es zu erklären, dass experimentelle Ansätze bei der DEFA eher selten waren, wobei die Besten dieser Filme heute wie Leuchttürme aus dem Kino ihrer Zeit herausragen: der stark stilisierte DER FALL GLEIWITZ (Gerhard Klein, 1961) über den fingierten Überfall der Nazis auf den Sender Gleiwitz, den Auslöser des Zweiten Weltkrieges; der erzählerisch freie, ungebundene Egon-Günther-Film DIE SCHLÜSSEL (1974) über die tragische Reise eines Liebespaars nach Krakau und das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen; Konrad Wolfs und Wolfgang Kohlhaases episodischer DER NACKTE MANN AUF DEM SPORTPLATZ (1974) über das Verhältnis von Künstler und Gesellschaft; der metaphorische DEIN UNBEKANNTER BRUDER (Ulrich Weiß, 1982) über Verrat und Angst im antifaschistischen Widerstand; oder das symbolisch überhöhte LUFTSCHIFF (Rainer Simon, 1983) über die unheilvollen Verstrickungen eines Erfinders in die Zeitgeschichte.

Filmstill zu "Die Schlüssel"

Jutta Hoffmann in DIE SCHLÜSSEL (R: Egon Günther, 1973) Fotograf: Klaus Goldmann

Filmstill zu "Dein unbekannter Bruder"

Uwe Kockisch und Jenny Gröllmann in DEIN UNBEKANNTER BRUDER (R: Ulrich Weiß, 1981) Fotografin: Christa Köfer

Zum 1. Januar 1953 wurde die DEFA als zentrale „Filmgesellschaft mit beschränkter Haftung“ aufgelöst. Ihr Vermögen ging in die Rechtsträgerschaft von selbstständigen volkseigenen Betrieben über: darunter die DEFA-Studios für Spielfilme und für populärwissenschaftliche Filme in Potsdam-Babelsberg, für Wochenschau und Dokumentarfilme und für Synchronisation in Berlin. Zum 1. April 1955 kam das DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden hinzu. Wer in der DDR Kinofilme machen wollte, musste das in diesen Studios tun: Sie hielten das Monopol inne. Bis zum Ende der DDR entstanden rund 700 Spielfilme und 450 fiktionale Kurzfilme, 950 Animationsfilme, 2.000 Dokumentarfilme und 2.500 Periodika wie Wochenschauen.

Das Spielfilmstudio, das bald mit etwa 2.500 Angestellten zu einem der größten Arbeitgeber Potsdams avancierte, hatte zunächst vor allem auf Personal zurückgegriffen, das schon vor 1945 beim Film tätig war. Sie kannten sich alle: die Regisseure und ihre Kameramänner, die Produktions- und Aufnahmeleiter, Szenenbildner, Tonmeister, Oberbeleuchter, Schnittmeisterinnen. Viele wohnten in West-Berlin. Und bis zum August 1961, als die Grenzen geschlossen wurden, war es nicht schwer, von dort in die Babelsberger Filmstadt zu gelangen. Einen ersten Exodus von künstlerischem Personal musste die DEFA 1948 durch die von den drei Westmächten beschlossene Währungsreform verkraften. Einzelnen gelang es zwar, mit der DEFA Verträge auszuhandeln, die ihnen Honorare in Westmark garantierten, aber zum Präzedenzfall sollte das nicht werden: Die DEFA litt Zeit ihres Bestehens unter Devisenmangel; beim Einkauf moderner Filmtechnik, aber auch bei der Beschaffung von westlichem Farbmaterial oder bei notwendigen Aufnahmen im westlichen Ausland war das ein großes Handicap.

Filmstill zu "Der Untertan"

Werner Peters in DER UNTERTAN (R: Wolfgang Staudte, 1951) Fotograf: Eduard Neufeld

Filmstill zu "Das Beil von Wandsbek"

Willy A. Kleinau und Erwin Geschonneck in DAS BEIL VON WANDSBEK (R: Falk Harnack, 1950) Fotograf: Erich Kilian

Auch ideologisch wirkte sich der Kalte Krieg auf die Arbeit der DEFA aus. Das Produktionsprogramm, das bis 1949 neben politischer Aufklärung auch Spielraum für Unterhaltungsfilme, so von einstigen Ufa-Regisseuren wie Hans Deppe oder Arthur Maria Rabenalt gelassen hatte, wurde mehr auf Parteilinie gebracht. Zwischen 1949 und 1956 wurden sämtliche DEFA-Stoffe langwierigen Prüfungsverfahren durch die SED-Filmkommission und ähnliche Gremien unterworfen, die der Auffassung waren, Kino habe ein verlängerter Arm von Agitation und Propaganda zu sein. Überall lauerten ideologische Fallen; wer sich in ihnen verfing, musste fürchten, politisch zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Kontrollmechanismen ließen die Spielfilmproduktion schrumpfen: Waren 1950 noch zehn DEFA-Filme in die Kinos gekommen, so erschienen 1951 nur acht und 1952 gar nur sechs. Ein Meisterwerk wie Wolfgang Staudtes DER UNTERTAN (1951), eine satirische Studie des deutschen Kleinbürgers und seiner Obsessionen, sah sich von einer Menge an Filmen umgeben, die eher wie die Bebilderung von Leitartikeln wirkten. Im selben Jahr kam es zum ersten Filmverbot: DAS BEIL VON WANDSBEK, das Debüt von Falk Harnack, wurde wenige Wochen nach seiner Premiere aus den Kinos zurückgezogen. Sowjetische Berater glaubten zu erkennen, dass der Film beim Publikum Mitleid mit einem Nazi-Henker hervorrufe. Erst in den 1980er-Jahren kam es, nach einer dringenden Bitte von Hauptdarsteller Erwin Geschonneck, zu einer Wiederaufführung der integralen Fassung.

Im Juli 1952 legte das Politbüro der SED unter dem Titel „Für den Aufschwung der fortschrittlichen deutschen Filmkunst“ Maßstäbe für die Arbeit der DEFA fest. Die parteioffiziellen Ratschläge der darauffolgenden SED-Filmkonferenz betonten, es komme auf das „Typische unserer Zeit“ und die „Darstellung des positiven Helden“ an. Der Kritische Realismus sei zu überwinden; stattdessen müssten die Filme der „Erziehung der arbeitenden Massen im Geiste des Sozialismus“ dienen. Später sprach der Regisseur Richard Groschopp davon, dass mit diesen Beschlüssen „viele schöpferische Funken“ gelöscht worden seien: „Es gab kaum noch Einfälle und demzufolge keine Drehbücher.“ Die Ateliers verwaisten, der diskontinuierliche Produktionsablauf und die Reglementierungen sorgten für Unmut.

Filmstill zu "Die Abenteuer des Till Ulenspiegel"

Gérard Philipe in DIE ABENTEUER DES TILL ULENSPIEGEL (R: Gérard Philipe, 1956) Fotografen: Waltraut Pathenheimer, André Manion

Filmstill zu "Die Hexen von Salem"

Simone Signoret und Yves Montand in DIE HEXEN VON SALEM (R: Raymond Rouleau, 1957) Fotograf: Roger Corbeau

Am 5. März 1953 verstarb Josef Stalin. In den Jahren danach zog von Moskau ein politisches Tauwetter auch zur DEFA. An Stelle der Filmkommission wurde die Hauptverwaltung (HV) Film beim Ministerium für Kultur installiert, mit kürzeren administrativen Wegen, die 1956 der Babelsberger Studiodirektion für wenige Monate sogar erlaubten, selbst über den Drehbeginn von Spielfilmen zu entscheiden. Erst die Abnahme des fertigen Films war der HV vorbehalten. Bis Anfang der 1960er-Jahre stieg die Produktion auf mehr als dreißig Kinofilme jährlich. Verstärkt wurden tradierte Genres bedient: Lustspiele und Satiren, Kriminal- und Agentenfilme, Opernadaptionen, Revuefilme. Zudem öffnete sich das Studio internationalen Produktionspartnern. Für die deutsch-französischen Co-Produktionen DIE ABENTEUER DES TILL ULENSPIEGEL (Gérard Philipe, 1956), DIE HEXEN VON SALEM (Raymond Rouleau, 1957) oder DIE ELENDEN (Jean-Paul Le Chanois, 1958) kamen Gaststars wie Simone Signoret, Yves Montand, Bernard Blier und Jean Gabin nach Babelsberg.

Obwohl die Verbreitung des DEFA-Films in der Bundesrepublik durch Bonner Regierungsentscheidungen, aber auch durch einen immer stärker grassierenden Antikommunismus extrem behindert wurde, mühte sich vor allem das Spielfilmstudio, die Beziehungen zu westdeutschen Filmkünstlerinnen und -künstlern nicht abreißen zu lassen. Mit CAROLA LAMBERTI - EINE VOM ZIRKUS (Hans Müller, 1954) und der E.T.A. Hoffmann-Adaption DAS FRÄULEIN VON SCUDERI (Eugen York, 1955) ermöglichte die DEFA dem Stummfilmstar Henny Porten ein spätes Comeback. Der junge Götz George trat in einem Lustspiel aus dem Milieu der Binnenschiffer, ALTER KAHN UND JUNGE LIEBE (Hans Heinrich, 1957), auf. Rudolf Forster gastierte ebenso bei der DEFA wie Gisela Trowe. Weil deutsch-deutsche Co-Produktionen von Regierungsstellen der BRD torpediert wurden, fungierte der West-Berliner Filmhändler und -produzent Erich Mehl als Mittelsmann und stellte mit Hilfe seiner Stockholmer Firma Pandora Devisen für die Gagen westdeutscher Darstellerinnen und Darsteller zur Verfügung.

Filmstill zu "Das Fräulein von Scuderi"

Henny Porten in DAS FRÄULEIN VON SCUDERI (R: Eugen York, 1955) Fotograf: Eduard Neufeld

Filmstill zu "Alter Kahn und junge Liebe"

Götz George in ALTER KAHN UND JUNGE LIEBE (R: Hans Heinrich, 1956) Fotograf: Heinz Wenzel

Als wichtige Regisseure der 1950er-Jahre gingen Kurt Maetzig und Slatan Dudow in die DEFA-Geschichte ein. Mit DER RAT DER GÖTTER (1950) hatte Maetzig den Versuch unternommen, die Verfilzung des deutschen Großkapitals in die Verbrechen des NS-Regimes filmisch zu fassen. 1954/55 inszenierte er die legendenhaft zum Personenkult überhöhten Haupt- und Staatsfilme ERNST THÄLMANN – SOHN SEINER KLASSE und ERNST THÄLMANN – FÜHRER SEINER KLASSE, farbige Großproduktionen über den 1944 von den Nazis ermordeten Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Zum realistischen Zeitbild geriet ihm dann SCHLÖSSER UND KATEN (1957) über Prozesse in der Landwirtschaft nach 1945. 1959 drehte Maetzig den ersten utopischen Spielfilm der DEFA, DER SCHWEIGENDE STERN, eine Co-Produktion mit Polen.

Maetzig erweist sich womöglich als derjenige DEFA-Regisseur, dessen Schaffen die politischen Wellenbewegungen am deutlichsten spiegelt, denen der Film in der DDR unterworfen war. In Zeiten kulturpolitischer Liberalität, so in den frühen DEFA-Jahren bis 1948, um 1956 und 1964/65, gelangen ihm herausragende Arbeiten. Doch wurden die Schrauben des Dogmas angezogen, fielen seine Filme ästhetisch ab, erwiesen sich als verlängerte Arme der Agitation. Maetzig, ab 1954 auch Gründungsrektor der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg, war klug genug, um dies zu erkennen, und doch immer wieder auch so anpassungsbereit, dass er sich erneut zum Apologeten der Tagespolitik machte. Das macht seine Größe und seine Tragik aus.

Filmstill zu "Der Rat der Götter"

Fritz Tillmann in DER RAT DER GÖTTER (R: Kurt Maetzig, 1950) Fotograf: Gerhard Kowalewski

Filmstill zu "Unser täglich Brot"

Paul Bildt in UNSER TÄGLICH BROT (R: Slatan Dudow, 1949) Fotograf: Erich Kilian

Viel Gewicht besaß auch Slatan Dudow, der aus dem Schweizer Exil als einer der wenigen Remigranten unter den DEFA-Spielfilmregisseuren nach Ost-Berlin zurückkehrte. Viele seiner Filme ließen die Utopie bereits zur Realität gerinnen: Dudows DEFA-Debüt UNSER TÄGLICH BROT (1949) galt fortan als frühes Musterbeispiel des Sozialistischen Realismus. Durch seine integre, kompromisslose Haltung, mit der er den Film als Kunst verteidigte, wirkte Dudow für viele jüngere Regisseure als Vorbild.

Nicht zuletzt wurde in den 1950er-Jahren auch der Grundstein für die facettenreiche, anerkannte Kinderfilmproduktion der DEFA gelegt. Zu ihr gehören sowohl eine Vielzahl fantasievoller, trickreicher Märchenfilme als auch Arbeiten, die sich der deutschen Geschichte und gegenwärtigen Problemen des Kindseins und Erwachsenwerdens widmeten. Neben Publikumslieblingen wie Wolfgang Staudtes DIE GESCHICHTE VOM KLEINEN MUCK (1953), Siegfried Hartmanns DAS FEUERZEUG (1958), Walter Becks KÖNIG DROSSELBART (1965) oder Václav Vorlíčeks DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL (1974) überzeugten immer wieder sensible Alltagsbeobachtungen. Eine Reihe von Regisseurinnen und Regisseuren widmete sich engagiert dem Kino für Kinder, darunter Helmut Dziuba mit SABINE KLEIST, 7 JAHRE ... (1982), Rolf Losansky mit MORITZ IN DER LITFASSSÄULE (1983) oder Hannelore Unterberg mit ISABEL AUF DER TREPPE (1983). Die ästhetisch anspruchsvolle Erziehung der Gefühle mit den Mitteln des Films brachte bleibende Werke für jüngere Zuschauer hervor.

Filmstill zu "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel"

Libuše Šafránková in DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL (R: Václav Vorlíček, 1973) Fotograf: Jaromír Komárek

Filmstill zu "Moritz in der Litfaßsäule"

Dirk Müller in MORITZ IN DER LITFASSSÄULE (R: Rolf Losansky, 1983) Fotograf: Klaus Zähler

Die Stilistik vieler DEFA-Filme war lange von Ufa-Traditionen geprägt. Einen Bruch wagten Gerhard Klein und Wolfgang Kohlhaase, die sich für ihre Berlin-Filme ALARM IM ZIRKUS (1954), EINE BERLINER ROMANZE (1956) und BERLIN – ECKE SCHÖNHAUSER ... (1957) an den Prinzipien des italienischen Neorealismus orientierten. Sie gingen aus den Ateliers auf Straßen und Plätze, engagierten Laiendarsteller und arbeiteten mit grobkörnigem Wochenschau-Material, um ihren Spielfilmen einen dokumentarischen und authentischen Look zu geben. Klein und Kohlhaase brachten Mitte der 1950er-Jahre gemeinsam mit Konrad Wolf, Heiner Carow, Günter Reisch, Frank Vogel und Frank Beyer frischen Wind ins Studio. Diese Regisseure der zweiten DEFA-Regiegeneration orientierten sich am jungen Kino in der UdSSR oder in Polen, nahmen Anleihen beim britischen Free Cinema und französischen Cinéma vérité auf, nutzten moderne, offene Erzählstrukturen anstelle traditioneller Dramaturgien. Ausgebildet im DEFA-Nachwuchsstudio oder an renommierten Filmschulen in Moskau oder Prag, kümmerten sie sich vor allem um eine filmische Gestaltung des alltäglichen Lebens in der DDR, legten aber auch bemerkenswerte antifaschistische Filme vor.

Mitten in jene Zeit, in der sich die zweite Regiegeneration etablierte, fiel die Zweite Filmkonferenz der SED. Im Juli 1958 las die Parteiführung der DEFA erneut die Leviten. Diesmal standen „unverbindliche“ Filme wie die Revue MEINE FRAU MACHT MUSIK (Hans Heinrich, 1958) oder SPIELBANK-AFFÄRE (Arthur Pohl, 1957) am Pranger. Märchenfilmen wie DAS SINGENDE, KLINGENDE BÄUMCHEN (Francesco Remani, 1957) wurden bürgerlich-idealistische Konzeptionen vorgeworfen. Das störte die jungen DEFA-Regisseure nicht: Auch sie hielten diese Filme für überflüssig und spießig. Hellhörig mussten sie jedoch werden, als im Umfeld der Filmkonferenz auch Konrad Wolfs SONNENSUCHER (1958) über Lebensschicksale von Arbeiterinnen und Arbeitern im Uranbergbau der DDR auf Druck sowjetischer Behörden unaufgeführt blieb.

Filmstill zu "Berlin - Ecke Schönhauser..."

Ilse Pagé in BERLIN - ECKE SCHÖNHAUSER... (R: Gerhard Klein, 1957) Fotografen: Siegmar Holstein, Hannes Schneider

Filmstill zu "Sonnensucher"

Ulrike Germer in SONNENSUCHER (R: Konrad Wolf, 1958) Fotograf: Herbert Kroiss

Dass die DEFA an die kurze Leine der Partei genommen wurde, wiederholte sich in über vierzig Jahren mehrfach und stets nach ähnlichem Muster. Der Ersten und Zweiten Filmkonferenz folgte im Dezember 1965 das verhängnisvolle 11. Plenum des ZK der SED, in dessen Folge insgesamt zwölf DEFA-Spielfilme verboten wurden und auch die Kontrollen bei Dokumentar- und Trickfilm zunahmen. Im November 1981 reichte der fingierte Leserbrief eines Erfurter Arbeiters, der in der Kommentarspalte des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ abgedruckt wurde, um unliebsame politisch-ästhetische Tendenzen der Spielfilmproduktion zu bremsen. Unter der Überschrift „Was ich mir mehr von unseren Filmemachern wünsche“ war dort unter anderem zu lesen: „Ich spüre zu wenig Stolz auf das, was die Arbeiterklasse und ihre Partei im Bunde mit allen Werktätigen unseres Landes an großem vollbracht hat. Wo sind die Kunstwerke, die das – ich nenne es so – Titanische der Leistung bewusst machen, die in der Errichtung, im Werden und Wachsen unseres stabilen und blühenden Arbeiter-und-Bauern-Staates besteht?“

Solche Formeln belegen, dass starke Kräfte innerhalb der SED-Parteiführung den Film nach wie vor weniger als Kunst denn als Mittel der parteipolitischen Agitation betrachteten. Es wäre jedoch falsch zu schlussfolgern, dass auf der einen Seite der Barrikade dogmatische SED-Funktionäre, auf der anderen Seite aber mehr oder weniger mutige, widerständige, gar subversive Filmschaffende gestanden hätten. Es war komplizierter: Denn Angepasste und Mutige gab es auf beiden Seiten; selbst in der Brust des Einzelnen tobten nicht selten zwei Seelen. Nur so erklärt sich, warum die Leitungen der DEFA und der HV Film auch Filmen den Weg bahnten, die in ihrer Analyse gesellschaftlicher Zustände und Befindlichkeiten durchaus Wagnisse eingingen. Jene DEFA-Filme, die 1965/66 verboten wurden, entstanden in einem politischen Klima, das bis in höchste SED-Kreise von einer zunehmend offenen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und Gegenwart gekennzeichnet war. Dass es den Alt-Stalinisten immer wieder gelang, Ansätze eines „demokratischen Sozialismus“, eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu unterdrücken, gehört zur Tragik der DDR wie der DEFA.

Filmstill zu "Der geteilte Himmel"

Eberhard Esche und Renate Blume in DER GETEILTE HIMMEL (R: Konrad Wolf, 1964) Fotograf: Werner Bergmann

Filmstill zu "Das Kaninchen bin ich"

Alfred Müller und Angelika Waller in DAS KANINCHEN BIN ICH (R: Kurt Maetzig, 1965) Fotograf: Jörg Erkens

Nach dem Bau der Berliner Mauer überwog bei der DEFA, ähnlich wie in der DDR-Literatur, die Ansicht, man könne jetzt vergleichsweise offen über die Probleme im eigenen Land reflektieren. Stoffe wurden gefördert, die sich zunehmend souveräner mit Entwicklungen in der DDR befassten. Bei grundsätzlicher Zustimmung zum sozialistischen Weg legten die Filmschaffenden Wert auf die Aufdeckung kritikwürdiger Details: BESCHREIBUNG EINES SOMMERS (Ralf Kirsten, 1962) beschrieb die Einflussnahme der Partei aufs Privatleben ihrer Mitglieder; DER GETEILTE HIMMEL (Konrad Wolf, 1964) reflektierte die Gründe dafür, dass junge Leute die DDR bis zum Mauerbau in Scharen verlassen hatten. In DAS KANINCHEN BIN ICH (1965) kritisierte Kurt Maetzig den politischen Opportunismus von Richtern und Staatsanwälten. Gemeinsam mit Frank Vogels DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE (1965) über einen Abiturienten, der sich am Gängelband einer dogmatischen Schulpolitik sieht, wurde DAS KANINCHEN BIN ICH den Delegierten des 11. ZK-Plenums vorgeführt und sofort verboten. Zu den Filmen, die in den darauffolgenden Monaten ebenfalls verboten wurden, zählen Arbeiten von Herrmann Zschoche (KARLA), Egon Günther (WENN GROSS BIST, LIEBER ADAM), Gerhard Klein (BERLIN UM DIE ECKE), Jürgen Böttcher (JAHRGANG 45), Kurt Barthel (FRÄULEIN SCHMETTERLING) und Frank Beyer (SPUR DER STEINE), der ebenso wie Günther Stahnke (DER FRÜHLING BRAUCHT ZEIT) aus dem Studio entlassen wurde.

Wie jedes Mal nach solchen Attacken waren die Künstlerinnen und Künstler der DEFA eine Zeitlang zutiefst verunsichert. Die inkriminierten Filme von 1965/66 blieben bis 1989 verboten und wurden tabuisiert, kaum jemand erwähnte sie öffentlich.

Filmstill zu "Denk bloß nicht, ich heule"

Peter Reusse und Herbert Köfer in DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE (R: Frank Vogel, 1965) Fotograf: Jörg Erkens

Filmstill zu "Jahrgang 45"

Monika Hildebrand und Rolf Römer in JAHRGANG 45 (R: Jürgen Böttcher, 1966 - 1990) Fotograf: Roland Gräf

Die dritte DEFA-Generation tendierte zu Gegenwartsgeschichten, die nicht mehr den gesellschaftskritischen Panoramablick wie in den vom 11. Plenum inkriminierten Arbeiten anstrebten, sondern ihr kritisches Potential aus der Beschäftigung mit Alltag und Familie, der Selbstverwirklichung des Individuums zogen. Diese Filme widmeten sich moralisch-ethischen Fragen des Zusammenlebens: Herrmann Zschoches LEBEN ZU ZWEIT (1968), Ingrid Reschkes KENNEN SIE URBAN? (1971), Roland Gräfs MEIN LIEBER ROBINSON (1970), Lothar Warnekes LEBEN MIT UWE (1974), Siegfried Kühns ZEIT DER STÖRCHE (1971) oder Rainer Simons halbstündige Episode GEWÖHNLICHE LEUTE des Films AUS UNSERER ZEIT (1969).

Simon legte mit TILL EULENSPIEGEL (1975) wenig später eine subversive Parabel auf das Verhältnis von Macht und Gewalt vor. Nach dem Verbot seines Gegenwartsfilms JADUP UND BOEL (1981), der um die Wahrhaftigkeit des Erinnerns kreiste und die Selbstgenügsamkeit politischer Funktionäre infrage stellte, drehte er mit Filmen wie DIE FRAU UND DER FREMDE (1984) und DIE BESTEIGUNG DES CHIMBORAZO (1989) vielschichtige historische Gleichnisse über das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Roland Gräf inszenierte 1982 die Satire MÄRKISCHE FORSCHUNGEN und wandte sich ebenso der ambivalenten Biografie des Dichters Hans Fallada zu (FALLADA - LETZTES KAPITEL, 1988). Siegfried Kühn legte die Groteske DAS ZWEITE LEBEN DES FRIEDRICH WILHELM GEORG PLATOW (1973) vor, die nur in kleineren DDR-Studiokinos aufgeführt werden durfte und Exportverbot erhielt, oder DIE SCHAUSPIELERIN (1988) über das jüdische Theater in Berlin zur NS-Zeit. Iris Gusner und Evelyn Schmidt verglichen in Filmen wie ALLE MEINE MÄDCHEN (1980) und DAS FAHRRAD (1982) Anspruch und Wirklichkeit weiblicher Emanzipation in der DDR. Zum größten Publikumserfolg avancierte Lothar Warnekes EINER TRAGE DES ANDEREN LAST (1987), in dem Vertreter unterschiedlicher Weltanschauungen in einen friedvollen Disput treten.

Filmstill zu "Die Schauspielerin"

Corinna Harfouch und Michael Gwisdek in DIE SCHAUSPIELERIN (R: Siegfried Kühn, 1988) Fotograf: Norbert Kuhröber

Filmstill zu "Das Fahrrad"

Anke Friedrich und Heidemarie Schneider in DAS FAHRRAD (R: Evelyn Schmidt, 1981) Fotograf: Dietram Kleist

Daneben drehte die DEFA, oft in Co-Produktion mit anderen osteuropäischen Filmstudios, rund ein Dutzend Indianerfilme wie SPUR DES FALKEN (Gottfried Kolditz, 1968) oder TÖDLICHER IRRTUM (Konrad Petzold, 1970). Der Regisseur Roland Oehme probierte sich immer wieder an Lustspielen und Komödien aus; hinzu kamen respektable Künstlerbiografien und Literaturverfilmungen wie Horst Seemanns BEETHOVEN – TAGE AUS EINEM LEBEN (1976) oder LEVINS MÜHLE (1980). In den 1980er-Jahren geriet die DEFA aber auch wiederholt unter politischen Druck: so mit den Jugendfilmen INSEL DER SCHWÄNE (Herrmann Zschoche, 1983) und ERSCHEINEN PFLICHT (Helmut Dziuba, 1984), die eine größere Ehrlichkeit im Umgang der Generationen anmahnten und ihren jugendlichen Helden einen eigenen Weg ins Leben abseits vorgeschriebener Gleise zubilligten, aber dafür stark kritisiert wurden. Angesichts dieser Erfahrungen kleideten viele Filmschaffende ihre kritische Haltung zur Gegenwart in ein historisches Gewand, wie Michael Gwisdek bei seinem Regiedebüt TREFFEN IN TRAVERS (1989) über eine Revolution, die in Lethargie und Mutlosigkeit erstarrt.

Wie früher die Arbeiten Slatan Dudows, so ragten in den 1970er- und 1980er-Jahren die Werke seines Schülers Heiner Carow aus dem Gros der DEFA-Produktion heraus. Seine ebenso poetische wie anarchistische LEGENDE VON PAUL UND PAULA (1973), damals wie heute ein Kultfilm, aber auch IKARUS (1975) und COMING OUT (1989), der erste und einzige Spielfilm der DEFA, der sich mit den gesellschaftlichen Problemen Homosexueller befasste, plädierten für ein selbstbestimmtes Leben – ein Thema, das auch erfolgreiche Frauenporträts wie DER DRITTE (Egon Günther, 1972), SABINE WULFF (Erwin Stranka, 1979), SOLO SUNNY (Konrad Wolf, 1980) und BÜRGSCHAFT FÜR EIN JAHR (Herrmann Zschoche, 1981) aufnahmen.

Filmstill zu "Spur des Falken"

Gojko Mitić in SPUR DES FALKEN (R: Gottfried Kolditz, 1968) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

 Filmstill zu "Solo Sunny"

Renate Krößner in SOLO SUNNY (R: Konrad Wolf, 1978 - 1979) Fotograf: Dieter Lück

Trotz dieser Vielfalt an Kinomomenten prägte der Autor und Regisseur Günther Rücker einmal das Bonmot, die eigentliche Geschichte der DEFA bestehe aus ihren nicht realisierten Projekten. Rücker spielte damit auf die Unzahl von Filmvorschlägen hin, die aus verschiedenen, keineswegs nur politischen Gründen nicht zur Drehreife gebracht werden konnten. Schon in den frühen Jahren war beispielsweise Hans Fallada beauftragt worden, den Stoff „Die Quangels“ („Jeder stirbt für sich allein“) als Filmprojekt zu erarbeiten. Jahrelang war von einer opulenten „Schönen Helena“ nach Jacques Offenbach die Rede, nach der Vorlage von Peter Hacks, Regie: Egon Günther. Der Chefdramaturg Klaus Wischnewski reiste 1965 nach Paris, um über eine Adaption von Jorge Sempruns legendärem KZ-Roman „Die große Reise“ zu verhandeln. Zwei Großprojekte Heiner Carows wurden nicht realisiert: „Die Nibelungen“ und „Simplicissimus“, beide Male nach Drehbuchentwürfen des Dichters Franz Fühmann. Auch Kurt Maetzigs über zwanzig Jahre lang verfolgter Plan, Heinrich Manns „Henri IV.“ für die DEFA zu adaptieren, blieb unausgeführt, um nur einige wenige spektakuläre Stoffe zu nennen. – Rücker wollte sein Bonmot freilich nicht auf einzelne Filmvorschläge heruntergebrochen wissen, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass beim Nachdenken über die DEFA auch das über Jahrzehnte Gedachte von Belang und Bedeutung ist. Denn nur in der Zusammenschau von Gedrehtem und Gedachtem kommt der Chronist der intellektuellen und ästhetischen Potenz der Studios wirklich nahe.

Natürlich hätte die DEFA viel Kraft aufbringen müssen, um Großprojekte wie „Simplicissimus“ in die Tat umzusetzen. Dass so etwas nicht unmöglich war, ist mehrfach bewiesen worden, zum Beispiel, als es in den 1960er-Jahren gelang, eine eigene, vom Ausland unabhängige 70-mm-Produktion auf die Beine zu stellen. Damit war die DDR das einzige Land neben den USA und der UdSSR, das über eine komplette Fertigungsstrecke für diese Technologie verfügte. Insgesamt wurden acht 70-mm-Spiel- und zwei Dokumentarfilme gedreht, darunter das farbenprächtige Abenteuerspektakel HAUPTMANN FLORIAN VON DER MÜHLE (Werner W. Wallroth, 1968), die Künstlerbiografie GOYA (Konrad Wolf, 1970), die Operette ORPHEUS IN DER UNTERWELT (Horst Bonnet, 1974) und die politisch-poetische Liebeserklärung an die DDR DU BIST MIN – EIN DEUTSCHES TAGEBUCH (Annelie und Andrew Thorndike, 1969). Diese Filme sollten das Kino attraktiver machen – nicht zuletzt, weil viele Zuschauerinnen und Zuschauer inzwischen zum heimischen Bildschirm abgewandert waren. Dem Fernsehen verschließen konnte und wollte sich die DEFA allerdings nicht. Seit den frühen 1960er-Jahren wurden, um die Ateliers auszulasten und Geld einzunehmen, jährlich mehr als 20 Fernsehfilme realisiert. Hin und wieder öffnete sich das Studio auch Auftragsarbeiten aus der Bundesrepublik, die dem Staat (nicht aber dem Studio) Devisen einbrachten: Den HEIDEN VON KUMMEROW (Werner Jacobs, 1966) folgten so u. a. FRÜHLINGSSINFONIE (Peter Schamoni, 1983) und DIE GRÜNSTEIN-VARIANTE (Bernhard Wicki, 1985), die in Babelsberg inszeniert wurden.

Filmstill zu "Hauptmann Florian von der Mühle"

Manfred Krug in HAUPTMANN FLORIAN VON DER MÜHLE (R: Werner Wolfgang Wallroth, 1968) Fotograf: Heinz Wenzel

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Rolf Hoppe in ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Ende 1989, nach dem Fall der Mauer, lehnte sich das technische und ökonomische Personal des DEFA-Studios für Spielfilme erstmals in über vierzig Jahren gegen Filmvorhaben auf, die, so hieß es, nicht mehr in die Zeit passten. Bühnenarbeiter, Dekorateure und Beleuchter forderten eine „unabhängige Kommission, deren Mitglieder von der Belegschaft demokratisch gewählt werden sollen“ und die die geplanten Filme beschließt. Projekte sollten nach marktwirtschaftlichen Maßstäben beurteilt werden. Im Frühjahr 1990 wurde erkennbar, dass eine staatliche Alimentierung der Studios künftig nicht mehr stattfinden würde – selbst die schöne Idee des im April 1991 von einem Heckenschützen ermordeten Treuhandchefs Detlev Rohwedder, die DEFA als kulturellem Leuchtturm der DDR noch eine mehrjährige Übergangszeit lang durch Bundesmittel zu fördern, war chancenlos. Als einer der letzten DDR-Filme hatte DIE ARCHITEKTEN (Peter Kahane, 1990) Premiere, eine schonungslose Abrechnung der damals 40-Jährigen, die kaum eine Chance hatten, sich in dem Land zu verwirklichen, in das sie hineingeboren worden waren. DIE ARCHITEKTEN geriet zum Schlüsselfilm der vierten und letzten DEFA-Regiegeneration, die nach dem Studium angetreten war, „etwas Säure auf das polierte Gruppenbild des ,real existierenden Sozialismus‘ zu spritzen“ (Kahane), aber viel zu selten zum Zuge kam.

Mit Beginn der Wirtschafts- und Währungsunion erhielt die von der DDR-Regierung installierte Treuhandanstalt die Aufgabe, auch die DEFA-Studios von volkseigenen Betrieben in die Marktwirtschaft zu überführen. Große Teile des künstlerischen Personals wurden entlassen. Dank Zuschüssen des letzten DDR-Kulturministeriums und ab Oktober 1990 auch der neu etablierten Ländergremien konnten noch letzte Filmprojekte auf den Weg gebracht werden. Beim Spielfilm etwa drehten Jörg Foth das Clownsspiel LETZTES AUS DER DA DA ER (1990) und Herwig Kipping die politische Farce DAS LAND HINTER DEM REGENBOGEN (1991). Außerdem wurden einige Filmschaffende gefördert, denen sich die DEFA moralisch verpflichtet fühlte: Egon Günther, Ulrich Weiß, Frank Beyer, Roland Gräf, Helmut Dziuba, Evelyn Schmidt oder Heiner Carow.

Filmstill zu "Die Architekten"

Kurt Naumann in DIE ARCHITEKTEN (R: Peter Kahane, 1990) Fotografin: Christa Köfer

Filmstill zu "Letztes aus der Da Da eR"

Steffen Mensching und Hans-Eckardt Wenzel in LETZTES AUS DER DA DA ER (R: Jörg Foth, 1990) Fotograf: Thomas Plenert

Keiner dieser „letzten Filme“ wurde seinerzeit ein Publikumserfolg. Doch nach und nach entdeckte man ihren Wert als Zeitdokumente und Schlüsselwerke von verlorener Utopie und traumatischem Umbruch. Heute ist das DEFA-Konvolut, das immer auch ein Spiegel der Ideengeschichte, der Politik und Ethik, der Zwänge und Ambivalenzen seiner Zeit war, unzweifelhafter Bestandteil des deutschen Film- und Kulturerbes und wird von der DEFA-Stiftung in all seinen Facetten bewahrt und ans Publikum gebracht.

verfasst von Ralf Schenk. (Mai 2021)

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