Filmstill zu "Sieben Rechte für den Zuschauer"

Die bunte Welt der Animation

Eine kleine DEFA-Trickfilmgeschichte von Ralf Schenk

Trickfilmstudio

Außenansicht der einstigen Tanz- und Speisegaststätte „Zum Reichsschmied“ in Dresden-Gorbitz; Foto: © DEFA-Stiftung

Ein verfressenes Teufelchen, das Pfannkuchen klaut und ein ganzes Kasperletheater in Alarm versetzt. Der pausbäckige Herr Winter, der vor den ersten Sonnenstrahlen in die Arktis flieht. Das Birnenmädchen, das einen König überlistet. Die alte Schildkröte, die nach Paris reist, um Cancan zu tanzen. Und der geheimnisvolle, bunt schillernde Vogel Turlipan – das sind nur fünf von Tausenden Figuren, die im DEFA-Studio für Trickfilme zum Leben erweckt wurden. Sie erzählen vom Können der Dresdner Animationsfilmkünstlerinnen und -künstler, ihrer Entdeckerfreude, Fantasie und Fabulierlust. Dreieinhalb Jahrzehnte lang wirkten sie in ihrem Studio auf den Gorbitzer Höhen und drehten rund 950 Animationsfilme fürs Kino. Ob als Silhouettenfilm oder im Zeichen-, Lege- und Puppentrickverfahren, ob mit Knet- oder Sandanimationen: Alles geschah in sorgfältiger, oft experimentierfreudiger Handarbeit. Denn gerade als die Computertechnik im Animationsfilm Einzug hielt, wurde das Studio aufgelöst.

Wie es begann...

Am 1. April 1955 trat ein Beschluss des Ministerrates der DDR in Kraft, nach dem in Dresden ein juristisch und ökonomisch selbstständiges „DEFA-Studio für Trickfilme“ seine Arbeit aufnahm. Als Standort wurde die einstige Tanz- und Speisegaststätte „Zum Reichsschmied“ ausgewählt, die in den Jahren 1939/40 von der Firma „Boehner – Reklame und Film“ zu einem Studio umgebaut und erweitert worden war. Nach 1945 hatten die sowjetischen Besatzungsbehörden das Gelände an die DEFA übergeben, die hier eine Außenstelle ihrer Berliner Zentrale installierte und bis 1954 vorwiegend Dokumentar- und populärwissenschaftliche Filme sowie Zuarbeiten zur Wochenschau DER AUGENZEUGE herstellte.

Mit der Gründung eines eigenen Trickfilmstudios betrat die DEFA kein vollkommenes Neuland. Schon 1946 hatte der von der Deutschen Zeichentrick GmbH kommende Gerhard Fieber vier kurze DEFA-Animationsfilme gedreht, darunter das Sujet U-BAHNSCHRECK für die erste Ausgabe des AUGENZEUGEN, eine Satire auf das Gedränge in der Berliner U-Bahn, sowie HANS KLEIN, ein Auftragsfilm zu den Gemeindewahlen für die SED. Nach längerer Pause waren es ab 1952 dann einzelne Regisseure, die sich innerhalb der vorhandenen DEFA-Strukturen um eine Wiederbelebung des Trickfilms bemühten: Kurt Weiler, zurückgekehrt aus englischem Exil, und Johannes Hempel schufen erste Puppentrickfilme. Bruno J. Böttge knüpfte, unter anderem mit dem Silhouettenfilm DER WOLF UND DIE SIEBEN GEISSLEIN (1953), an die spezifisch deutsche Tradition des Scherenschnitts und der Schattenrisskunst, speziell an die Arbeiten der von ihm hochverehrten Lotte Reiniger an. Und Lothar Barke wagte sich mit KATZENMUSIK (1954), einer Groteske über Rock 'n' Roll tanzende Jugendliche, an den Zeichentrick. Als diese Regisseure 1955 gebeten wurden, das neue Studio in Dresden mit aufzubauen, stimmten sie ebenso vorbehaltlos zu wie einige Absolventen der Hallenser Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein. Zur Gruppe gehörten Otto Sacher, Helmut Barkowsky, Katja und Klaus Georgi sowie Christl und Hans-Ulrich Wiemer. Auch der Puppenspieler Günter Rätz, der spätere Vater des Ost-Sandmännchens, Gerhard Behrendt, und der Erfinder des West-Sandmännchens Herbert K. Schulz kamen nach Dresden. Sie alle leisteten Pionierarbeit. Denn Tricktechnik war auf den Gorbitzer Höhen zunächst kaum vorhanden. So wurde getüftelt, geplant und gebaut, bis schon bald die ersten Dresdner Filme in den Kinos anliefen.

Filmstill zu "Der Wolf und die sieben Geisslein"

DER WOLF UND DIE SIEBEN GEISSLEIN (R: Bruno J. Böttge, 1953), Fotograf: Bruno J. Böttge

Filmstill zu "Katzenmusik"

KATZENMUSIK (R: Lothar Barke, 1954) Fotografen: Lothar Barke, Werner Baensch

Laut staatlichem Auftrag sollten achtzig Prozent der im Studio hergestellten Trickfilme im Kinderkino eingesetzt werden. Aus diesem Grunde wurde zunächst die Möglichkeit geprüft, deutsche Sagen und Märchen sowie neue DDR-Kinderbücher zu verfilmen; hinzu kamen selbst entwickelte, meist didaktische Geschichten aus dem Alltag von Kindern und ihren Eltern. Wie überall auf der Welt wurden Tierfiguren genutzt, um menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen vorzuführen, wobei das Vorbild Walt Disneys bisweilen deutlich zu erkennen war: so in Zeichentrickfilmen von Otto Sacher (WER RASTET, DER ROSTET, 1956) oder Lothar Barke (VOM HASEN, DER NICHT LERNEN WOLLTE, 1956). Zu formalen Experimenten kam es zunächst selten. Dem Vorwurf des „Formalismus“ als einem Gegenpol zum „Sozialistischen Realismus“, also der Überbetonung der Form vor dem Inhalt, setzte sich kaum einer der frühen Dresdner Trickfilme aus. Und doch gab es erste Konflikte: Eine Zeitlang wurde der „Kasper“ als dekadente Figur aus dem Repertoire gestrichen. Zudem wurden Märchen der Gebrüder Grimm nach sozialökonomischen oder klassenkämpferischen Aspekten abgeklopft, so wie bei einer geplanten Adaption von „Hänsel und Gretel“, bei der sich Ende der 1950er-Jahre die Dramaturgie daran festbiss, dass die Hexe den Kapitalismus symbolisieren müsse und Hänsel und Gretel das kämpferische Proletariat. Noch in dem 1967 fertiggestellten DORNRÖSCHEN (Katja Georgi) durfte der Prinz die Prinzessin nicht einfach nach Durchbrechen der Dornenhecke in den Arm nehmen, sondern musste sich vorher als Kämpfer gegen einen Drachen „bewähren“. Klaus Georgis Zeichentrickfilm BLAUE MÄUSE GIBT ES NICHT (1957/58), der sich auf verspielte Weise über dogmatische Welt- und Kunstsichten lustig machte, drohte zeitweilig das Verbot. Gleichsam als politischer Gegenentwurf entstand der Flachfigurenfilm ICH SEHE DAS SO! (1958) von Bruno J. Böttge, in dem ein abstrakter Maler als Esel denunziert wird.

Mit einigen als Familienfilm deklarierten Arbeiten wandte sich die DEFA auch aktuellen gesellschaftlichen, politischen und technischen Entwicklungen zu. Walter Späters Handpuppenfilm KRAWALL IM STALL (1960) plädierte zum Beispiel in heiterer Form für Genossenschaften auf dem Lande. Auch die Begeisterung für die Raumfahrt schlug sich in mehreren Produktionen nieder: In dem Puppentrickfilm GLEICH LINKS HINTERM MOND (Günter Rätz, 1959) wird der Weihnachtsmann beauftragt herauszufinden, was ein „Sputnik“ ist; in ABENTEUER IM ALL (Hans-Ulrich Wiemer, 1959) simulieren Puppenkinder mithilfe eines selbst gebauten Raketenmodells einen Weltraumflug; in dem pointiert montierten satirischen Zeichentrickfilm DIE SENSATION DES JAHRHUNDERTS (Otto Sacher, 1959/60) werden die Bemühungen der USA auf die Schippe genommen, der Sowjetunion bei der Mondlandung zuvorzukommen. Und im Puppentrickfilm UNTERNEHMEN PROXIMA CENTAURI (Jörg d’Bomba, 1962) fliegen vier Forscher mit einer Protonenrakete in ein benachbartes Sonnensystem, um ein pflanzliches Wachstumshormon für die irdische Landwirtschaft zu entdecken.

Filmstill zu "Gleich links hinterm Mond"

GLEICH LINKS HINTERM MOND (R: Günter Rätz, 1959) Fotograf: Helmut May

Filmstill zu "Die Sensation des Jahrhunderts"

DIE SENSATION DES JAHRHUNDERTS (R: Otto Sacher, 1959-60) Fotografen: Walter Eckhold, Hans Schöne

Nahezu utopisch mutete Anfang der 1960er-Jahre auch die Idee an, einen aufwendigen Neubau des Trickfilmstudios zu realisieren. Die DDR-Regierung unterstützte dieses Vorhaben auch deshalb, weil sich einige Dresdner Filme als veritable Exportschlager in westliche Länder erwiesen hatten, das vorhandene Gelände aber kaum Produktionserweiterungen zuließ. Geplant wurde ein großzügiges Studio mit Ateliers, Zeichensälen und Schnitträumen, eine Art „Trickfabrik“, in der man auch devisenträchtige Auftragsarbeiten und Fortsetzungsfilme herstellen konnte. Sogar an einen Landeplatz für Hubschrauber wurde gedacht, um das abgedrehte Material schnell ins einzige DDR-Kopierwerk nach Ostberlin und wieder zurück transportieren zu können. Der Plan scheiterte allerdings an den immensen Kosten. So blieb den Trickfilmerinnen und Trickfilmern keine andere Wahl, als ihre angestammten manufakturähnlichen Arbeitsplätze zu optimieren.

Dass es auch unter den Bedingungen einer Manufaktur möglich war, Außergewöhnliches zu leisten, bewies die Entstehung eines ersten abendfüllenden Puppentrickfilms: Johannes Hempel legte 1961, wenngleich mit vielen Querelen und weit überzogenen Kosten verbunden, DIE SELTSAME HISTORIA VON DEN SCHILTBÜRGERN vor, eine epische, insgesamt etwas betuliche Adaption des klassischen Volksbuches. – Nur kurze Zeit später stürzte sich das Studio in eine erste umfängliche Serienproduktion: Nachdem Günter Rätz mit seinen beiden Filmen DER WETTLAUF (1962) und MASS FÜR MASS (1963) Preise auf internationalen Festivals erhalten hatte, bemühten sich französische Geschäftspartner um eine zeitlich befristete Lizenz an gleich vierzig weiteren Filmen mit den beiden pantomimisch agierenden Drahtfiguren „Herr Kurz“ und „Herr Lang“. Die Serie erhielt den internationalen Titel FILOPAT & PATAFIL und beanspruchte bald eine ganze Jahresproduktion des Studios und die Mitarbeit mehrerer Regisseurinnen und Regisseure: Jörg Herrmann, Ina Rarisch, Hans-Ulrich Wiemer, Heinz Steinbach, Werner Krauße, Monika Anderson und andere. 1976/77 entstand als letztes Einzelstück noch der Nachzügler DAS PROBLEM, an dem Günter Rätz gemeinsam mit den zeitweise im Dresdner Studio tätigen chilenischen Exilanten Vivienne und Juan Forch arbeitete.

Filmstill zu "Der Wettlauf"

Filopat & Patafil: DER WETTLAUF (R: Günter Rätz, 1962) Fotograf: Helmut May

Filmstill zu "Kasper lernt zaubern"

Aus der Kasper-Serie: KASPER LERNT ZAUBERN (R: Hans-Ulrich Wiemer, 1974) Fotograf: Karl-Hermann Kootz

Während FILOPAT & PATAFIL eher für ein erwachsenes Publikum konzipiert war, wurden viele der späteren Serien für junge Zuschauer entworfen: so unter anderem die KASPER-Serie (1967–1979) von Hans-Ulrich Wiemer, Rudolf Schraps und Katja Georgi, die TEDDY-PLÜSCHOHR-Serie (1971–1973) von Monika Krauße-Anderson, Werner Krauße und Barbara Thieme-Eckhold, die Nilpferd-, Hund- und Igelgeschichten (1973–1979) von Ina Rarisch, die FROSCH-Serie (1979–1985) von Hans-Ulrich Wiemer oder die IGEL-Serie (1984–1987) von Christl Wiemer. In der Serie HEUREKA! (1973–1984) vermittelten Helmut Barkowski, Lothar Barke und Rainer Hempel naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten durch lustige Spielhandlungen. Schon zuvor war eine Serie mit zwei beliebten Figuren aus der Kinderzeitschrift „Frösi“ aufgelegt worden: MÄXCHEN PFIFFIG UND SEIN FREUND TÜTE (Otto Sacher, Helmut Barkowsky, Hans-Ulrich und Christl Wiemer, Klaus Georgi, 1959–1970): zwei pfiffige Jungen, die einer betrunkenen Sonne begegnen, einen Massensturz bei der Friedensfahrt verursachen oder mit einem chaotischen Roboter zu kämpfen haben. Eine der letzten im -DEFA-Studio für Trickfilme hergestellten Serien präsentierte schließlich die Abenteuer der Katze Mausi und des Hundes Kilo: MAUSI UND KILO (1988/89, Hans-Ulrich Wiemer, Lutz Stützner, Christian Biermann) entstand als Koproduktion mit der Tschechoslowakei.

Ein Ausnahmeregisseur: Kurt Weiler

Mitte der 1960er-Jahre fand Kurt Weiler, der im Streit um ästhetische Fragen aus dem Dresdner Studio ausgeschieden war und eine Zeitlang für die Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft (DEWAG) gearbeitet hatte, ein eigenes Refugium im DEFA-Studio für Kurzfilme Potsdam-Babelsberg. Gewissermaßen als „Exot“ unter den dortigen Dokumentarfilmern ließ er sich sowohl inhaltlich als auch ästhetisch immer wieder auf Wagnisse ein. Bereits 1954 hatte er sich in der Zeitschrift „Deutsche Filmkunst“ für mehr Mut zur Metaphorik und Verfremdung im Animationsfilm ausgesprochen: „Mimik und Bewegungen der Puppe sind stilisiert und konzentriert. Wenn man in Gestalt und Führung der Puppe naturalistisch wird, dann hört die Berechtigung des Puppenfilms auf.“ [1] Das suchte er nun konsequent praktisch umzusetzen. Für seine Puppentrickfilme, die er zum Teil auch als Gast in Dresden realisierte, versicherte er sich namhafter Verbündeter. Sie unterstützten ihn darin, unkonventionelle, nicht-naturalistische Wege zu gehen. So zog er den am Berliner Ensemble ausgebildeten, von Bertolt Brecht beeinflussten Achim Freyer zu szenografischen Arbeiten heran. In Filmen wie EIN BAUER UND DIE GENERÄLE (1960), FERDINAND (1964), DAS TAPFERE SCHNEIDERLEIN (1964) oder HEINRICH DER VERHINDERTE (1965) radikalisierten Weiler und Freyer „die Verwendung von Materialien: Eisenspäne, Nägel, überhaupt viel Metallisches, das auf dem körnigen, wenig empfindlichen ORWO-Farbfilm verblüffend exotisch und seltsam wirkte“. [2]

 

Filmstill zu "Das tapfere Schneiderlein"

DAS TAPFERE SCHNEIDERLEIN (R: Kurt Weiler, 1964) Fotograf: Erich Günther

Filmstill zu "Heinrich der Verhinderte"

HEINRICH DER VERHINDERTE (R: Kurt Weiler, 1965) Fotograf: Erich Günther

Zu den künstlerischen Mitarbeitern des Regisseurs zählten fortan einige Avantgardisten der DDR-Kultur: Für FLOH IM OHR (1970), einen ironischen Kommentar zur Konvergenztheorie, schuf Friedrich Goldmann eine experimentelle Musik. An der Puppengestaltung für DAS GESCHENK – EINE BEINLICHE GESCHICHTE (1974), einen Exkurs in die Historie der Hohenzollern, mit dem Weiler gegen die Kriegsertüchtigung junger Leute polemisierte, beteiligte sich der Bühnenbildner, Theaterregisseur und Dichter Einar Schleef: Er schuf Köpfe, die aufgeklappt und entrümpelt werden konnten. Und für DER LÖWE BALTHASAR (1970), eine Tierparabel, baute Werner Frischmuth einen kompletten Zoo aus leeren Schachteln und Verpackungsmaterial. So wie seine großen tschechischen Vorbilder Jiří Trnka und Jan Švankmajer arbeitete Weiler mehr für Erwachsene als für Kinder und bewegte sich gern auf philosophischem Terrain: Im Puppentrickfilm NÖRGEL UND SÖHNE (1967) reflektierte er über Entstehung und Rolle des Geldes; in DER APFEL (1969) verdichtete er die Historie der Menschheit von der Urgesellschaft bis zum kommunistischen Zeitalter zu einer zwingenden Parabel. - REKONSTRUKTION EINES BERÜHMTEN MORDFALLES (1975), die als Flachfiguren-Collage erzählte biblische Kain- und Abel-Geschichte, brachte ihn mit dem Bühnenbildner Ezio Toffolutti zusammen, der im Theater gerade mit Benno Besson Triumphe feierte. - DIE GESCHICHTE VOM KALIF STORCH (1982/83) nach dem gleichnamigen Märchen von Wilhelm Hauff verstand Weiler, der inzwischen wieder ins Dresdner Studio zurückgekehrt war, als filmisches Warnsignal an die Mächtigen der DDR: Er porträtierte eine Herrscherfigur, die vor keiner Gefahr zurückscheut, um die Sorgen und Wünsche ihres Volkes kennenzulernen. Mit ERINNERUNG AN EIN GESPRÄCH (1984) ließ er die Figuren des Pergamonaltars lebendig werden.

Zum vielleicht schönsten Film Kurt Weilers avancierte DIE SUCHE NACH DEM VOGEL TURLIPAN (1976) nach einem Gedicht von Peter Hacks und mit der Musik von Claude Debussy. Erzählt wird die Legende eines Wissenschaftlers, der nach einem sagenumwobenen Vogel sucht, ihn zwar nicht findet, aber auf seiner Reise zahllose andere Entdeckungen macht. Dieses Plädoyer für Abenteuerlust und Weltoffenheit wurde mithilfe von Alltagsgegenständen inszeniert: Zahn- und andere Bürsten stehen für einen Wald, Porzellanscherben für glitzernde Bodenschätze; der Held erhebt sich durch einen Himmel voller rosafarbener Luftballons, der auch erotische Assoziationen ermöglicht. Die Entdeckerlust der Hauptfigur entspricht der Fantasie des Regisseurs.

Filmstill zu "Die Geschichte vom Kalif Storch"

DIE GESCHICHTE VOM KALIF STORCH (R: Kurt Weiler, 1982-83) Fotograf: Rolf Hofmann

Filmstill zu "Erinnerung an ein Gespräch"

ERINNERUNG AN EIN GESPRÄCH (R: Kurt Weiler, 1984) Fotograf: Rolf Hofmann

Wagnisse und Verbote

Auch das Dresdner Studio hielt ab Mitte der 1960er-Jahre neben den gewohnt liebevollen, oft aber etwas konventionellen Trickfilmen manche ästhetische Überraschung parat. So konnte hier, wenn auch unter Schwierigkeiten, ein künstlerischer Eigenbrötler wie Heinz Nagel Fuß fassen, der an der Prager Filmhochschule FAMU studiert und 1964 mit dem Flachfigurenfilm VOM FRÖSCHLEIN UND SEINEM REIFEN debütiert hatte. Zu sehen waren keine naturalistischen Figuren, sondern Linien, Kringel und Kreise, deren Zusammenspiel ein poetisches Faszinosum ergab. Von nun an erschuf Nagel, zeitweise ausgebremst, aber dennoch unbeirrt, sein eigenes Universum: Unter anderem animierte er mithilfe farbiger Stifte drei MUSIKALISCHE ARABESKEN (1979–1982), in denen er Stücke wie Robert Schumanns „Träumerei“ oder die Suite Nr. 4 der DDR-Rockgruppe „Bayon“ durch abstrakte Farb- und Lichtspiele sinnlich-optisch erfahrbar machte. Nagels Kunst knüpfte an deutsche Trick-Klassiker wie Oskar Fischinger und Walther Ruttmann an, fand einen kleinen, eingeschworenen Kreis von Liebhabern, wurde aber im Kinoeinsatz eher stiefmütterlich behandelt: Sie entsprach zu wenig den konventionellen Sehgewohnheiten.

Der Trickfilm für Erwachsene nahm schon in den 1960er-Jahren an Fahrt auf, der Formenkanon wurde peu à peu erweitert. So imaginierte der Flachfigurenfilm GUTEN TAG, HERR H. (Katja und Klaus Georgi, 1965) mit collagiertem Material aus Fotos, Zeitungsausrissen und gemalten Figurinen, was wohl geschehen würde, wenn Adolf Hitler nach dem Verjährungstermin für NS-Verbrechen wieder in der Bundesrepublik auftauchte: eine bitterböse Satire. – In einer ersten Koproduktion zwischen der DEFA und dem Moskauer Trickfilmstudio Sojusmultfilm entstand, ebenfalls als Flachfigurenfilm, EIN JUNGER MANN NAMENS ENGELS – EIN PORTRÄT IN BRIEFEN (Klaus und Katja Georgi, Fjodor Chitruk, Wadim Kurtschewski, 1970), der auf Briefen, Tagebuchsplittern und Zeichnungen des jungen Friedrich Engels beruht und den „Klassiker“ als ungestümen, liebenden und seine Umgebung genau beobachtenden Zeitgenossen vom Denkmalssockel holt. Auch mit der italienischen Firma Corona Cinematografica wurden formvollendete Koproduktionen realisiert: SPINDEL, WEBERSCHIFFCHEN UND NADEL (Katja Georgi, 1973), DIE PRINZESSIN UND DER ZIEGENHIRT (Bruno J. Böttge, 1973) und GLÜCKSKINDER (Klaus Georgi, 1974/75). Der chilenische Emigrant Juan Forch, später hochrangiger Wahlkampfmanager in Lateinamerika, brachte in dem Flachfigurenfilm EINE REPORTAGE FÜR DIE WELTGESCHICHTE – USA 200 (1975/76) das Verhältnis von US-Politik und Waffenlobby auf den Punkt. Gemeinsam mit Jörg Herrmann, Michael Börner und Lothar Barke schuf er mehrere agitatorische Kurzfilme gegen den faschistischen Pinochet-Putsch in Chile sowie zwei Adaptionen lateinamerikanischer Legenden: LAUTARO (1977) oder ROSAURA (1978).

Filmstill zu "Vom Fröschlein und seinem Reifen"

VOM FRÖSCHLEIN UND SEINEM REIFEN (R: Heinz Nagel, 1964) Fotograf: Heinz Nagel

Filmstill zu "Ein junger Mann namens Engels - Ein Porträt in Briefen"

EIN JUNGER MANN NAMENS ENGELS - EIN PORTRÄT IN BRIEFEN (R: Katja und Klaus Georgi, Fjodor Hidruk, W. Kurtschewsky, 1970) Fotografen: Manfred Henke, Werner Baensch

Zu den internationalen Großprojekten, auf die sich das Studio einließ, zählte nicht zuletzt eine dreizehnteilige deutsch-tschechische Puppentrickfolge um den Berggeist Rübezahl, die 1976 mit dem Film RÜBEZAHL UND DER SCHUSTER (Stanislav Látal) startete. Ein anderer, von Krátký Film eingebrachter Vorschlag wurde dagegen von der DEFA nicht befürwortet. Die Prager versuchten, ihren Dresdner Kollegen eine Franz-Kafka-Adaption schmackhaft zu machen: „Die Insel der Verbannten“ als Puppentrickfilm. Dafür fuhren die Tschechen schwere Geschütze auf: Der Film solle ein Fanal „gegen die revisionistische Kafka-Interpretation von Goldstücker und seinem Anhang« werden, sich gegen »Renegaten in der ČSSR und der DDR“ engagieren und stehe ganz „im Sinne der Weiterführung der gemeinsamen ideologischen Offensiven auf der Grundlage der Beschlüsse der Ideologiesekretäre der Zentralkomitees der sozialistischen Bruderparteien“. [3] Auf dieses politische Glatteis wollte sich die DEFA allerdings nicht begeben; der Vorschlag blieb in der Schublade.

Bruno J. Böttge und Jörg Herrmann erinnerten in ihrem aus Silhouetten, Flachfiguren und Fotos gebauten Film LIEBER MOHR (1972) an die Freundschaft zwischen Karl Marx und Paul Lafargue. International viel beachtet wurde der Puppentrickfilm LEBEN UND THATEN DES BERÜHMTEN RITTERS SCHNAPPHAHNSKI (1976/77), in dem Günter Rätz nach dem gleichnamigen Buch von Georg Weerth die Biografie eines preußisch-schlesischen Junkers, seinen Verfall und fragwürdigen Triumph verdichtete. Ina Rarisch drehte den farbenprächtigen Puppentrickfilm KLEIN ZACHES, GENANNT ZINNOBER (1977/78) nach E. T. A. Hoffmann. Und Katja Georgi arbeitete in NOVELLE (1974) nach Johann Wolfgang von Goethe mit Puppenhänden und -köpfen, die in der Meißner Manufaktur aus edlem Porzellan extra für die DEFA hergestellt wurden. Ihre Arbeiten DIE SCHÖNE UND DAS TIER (1976), DAS FEUER DES FAUST (1980/81) und ZWERG NASE (1985) avancierten zu Höhepunkten des romantischen Puppentrickfilms, obwohl die Regisseurin bis in die frühen 1970er-Jahre warten musste, um romantische Literatur endlich umsetzen zu dürfen, die in der offiziellen DDR-Literaturgeschichtsschreibung lange als reaktionär galt. Mit DAS MYRTENFRÄULEIN hielt sie 1988 noch einmal ein Plädoyer für die Bewahrung des Natürlichen: Die Schönheit eines Baumes und eines Vogels bringt einen in einer kalten Kunstwelt gefangenen Prinzen zurück ins Leben...

Filmstill zu "Klein Zaches, genannt Zinnober"

KLEIN ZACHES, GENANNT ZINNOBER (R: Ina Rarisch, 1977-78) Fotograf: Rolf Hofmann

Filmstill zu "Feuer des Faust"

DAS FEUER DES FAUST (R: Katja Georgi, 1980-81) Fotograf: Peter Pohler

Vom Verbot betroffen war der suggestive Zeichentrickfilm ... UND BEDENKT DAS ENDE (Lothar Friedrich, 1981–1983), in dem zwei um die Erde wandelnde Festungstürme die Natur verschlingen und alles Leben zerstören. Dieses Motiv, das sich auf beide Weltsysteme bezieht und kompromisslos auf eine drohende Apokalypse hinweist, war den Kulturfunktionären der DDR in seiner ideologischen Zielrichtung zu ungenau: Friedrichs Arbeit kam erst 1990, nach dem Freitod des Regisseurs, ins Kino. Verschollen sind dagegen die Materialien zu Otto Sachers DIE BOMBE (1963), der wegen seiner pazifistischen Tendenz – allgemein gegen die Atombombe gerichtet – abgebrochen wurde. Und auch Günter Rätz hatte Erfahrungen mit der Zensur machen müssen: Der Flachfigurenfilm MISTER TWISTER, eine antirassistische Satire, wurde im Januar 1962 verboten, und das Studio musste die vom Filmverleih vorausgezahlten Kosten von 90.000 Mark wieder zurückzahlen. Die Geschichte einer reichen, weißen US-amerikanischen Familie, die auf einer Urlaubsreise in die Sowjetunion mit People of Color konfrontiert wird, gab laut Urteil der Einsatzkommission die Verhältnisse in der UdSSR nicht realistisch wieder und enthalte massive politische Fehler.

Die Möglichkeit, das aktuelle Zeitgeschehen mit gesellschaftskritischen und polemischen Stoffen zu kommentieren, so wie im polnischen, tschechoslowakischen und vor allem jugoslawischen Animationsfilm, war bei der DEFA über lange Zeit eher eingeschränkt. Die ideologische Kontrolle wurde, besonders in den ersten Jahrzehnten, im Studio sehr ernst genommen; zudem musste jeder Film die staatliche Abnahme in Berlin passieren. So beschränkte sich Kritik thematisch oft auf einzelne „negative“ Zeitgenossen wie Arbeitsbummelanten oder Trunkenbolde. Systemische Konflikte darzustellen führte zu Schnittauflagen, wie im Fall von Herbert Löchners Handpuppenfilm STEINZEITLEGENDE (1965), der sich über die Ämterbürokratie lustig machte. Rätz‘ Projekt „Der Posthilfsbote Säbelein“ (1964), eine Satire gegen Bürokratie, wurde kurz vor Drehstart gleich ganz ad acta gelegt.

Nicht unbedingt erwünscht war es auch, ökonomische Engpässe aufs Korn zu nehmen. In einer Folge der beliebten Zeichentrickserie VATER UND FAMILIE (Sieglinde und Will Hamacher, Lothar Barke, Werner Kukula, Otto Sacher, Klaus Georgi, Karl-Heinz Hofmann, Christian Biermann, Hans-Ulrich Wiemer, 1969–1977) wurde gezeigt, wie ein Familienvater zum Ausbau seines Kleingartens immer mal wieder Dinge von seiner Arbeitsstelle stiehlt, die es im Handel nicht zu kaufen gibt. Satirischer Höhepunkt sollte sein, dass die Hauptfigur einen riesigen Strommast nach Hause schleppt. Doch das war zu viel. Der Mast schrumpfte zur kleinen Hängelampe.

Filmstill zu "...und bedenkt das Ende"

... UND BEDENKT DAS ENDE (R: Lothar Friedrich, 1981-82) Fotograf: Helmut Krahnert

Filmstill zu "Steinzeitlegende"

STEINZEITLEGENDE (R: Herbert Löchner, 1965) Fotograf: Wolfgang Bergner

Einmart, Fridolin und andere

Vor allem der ab Mitte der 1970er-Jahre in Dresden tätigen Dramaturgin Marion Rasche, die seit 1981 auch als Chefdramaturgin fungierte, war es zu danken, dass Leute „von außen“, die nicht zum Kern des Studios gehörten, die Möglichkeit erhielten, auf den Gorbitzer Höhen zu arbeiten. So schuf der Leipziger Maler und Grafiker Lutz Dammbeck einige herausragende DEFA-Zeichentrickfilme. Besonders sein EINMART (1980/81) wurde in DDR-Filmclubs und unter Intellektuellen zum Geheimtipp: Dammbeck entwarf hier, orientiert an Roland Topors und René Laloux' gelegentlich auch in der DDR gezeigtem LA PLANÈTE SAUVAGE (1973), eine von Kratern übersäte Zukunftswelt, in der mutierte Menschenwesen von einem riesigen schwarzen Ungeheuer beherrscht und an jedem Versuch gehindert werden zu fliegen. EINMART mit seinen gewaltigen, in die Landschaft gestellten Ohren und gefährlichen Ganglien, die aus dem Boden schnellen, beschwor die Gefahr eines Überwachungsstaats, in dem die Individuen ihre Utopien bestenfalls im Traum ausleben können. Dass Dammbeck damit nicht nur auf die realsozialistische Gesellschaft zielte, sondern die Menschheit schlechthin meinte, wurde von den Zuschauern damals nahezu übersehen und der Film fast ausschließlich als Parabel auf die DDR interpretiert.

Das Motiv des Fliegens und des Scheiterns hatte Dammbeck bereits 1979 in seinem im Potsdamer Dokumentarfilmstudio gedrehten Zeichentrickfilm DER SCHNEIDER VON ULM genutzt. Auf der Basis des gleichnamigen Brecht-Gedichts porträtierte der Regisseur einen Menschen, der gegen die Weisungen der Mächtigen aufbegehrt und den Versuch unternimmt, sich vom Boden zu lösen. Nach einigen weiteren Arbeiten, darunter DIE ENTDECKUNG (1982/83) und DIE FLUT (1986), verließ Dammbeck im Februar 1986 die DDR. Im Gepäck hatte er neben seinen „offiziellen“ auch einige frei hergestellte Super-8-Produktionen wie METAMORPHOSEN I (1978) und HOMMAGE À LA SARRAZ (1981), in denen er noch wesentlich radikaler als in seinen DEFA-Filmen mit dem Material spielte, auf eine konventionelle Fabel verzichtete und eine Assoziationsmontage aus überlieferten, verfremdeten sowie neu gedrehten Teilen vorlegte. Dammbecks „offiziell“ angemeldetes DEFA-Projekt einer Zeichentrick-Verfilmung der klassischen Herakles-Sage konnte in der DDR nicht verwirklicht werden; es entstand unter dem Titel HERAKLES HÖHLE (1990) als Experimentalfilm fürs westdeutsche Fernsehen.

Filmstill zu "Einmart"

EINMART (R: Lutz Dammbeck, 1980-81) Fotograf: Hans Schöne

Filmstill zu "Die Flut"

DIE FLUT (R: Lutz Dammbeck, 1986) Fotograf: Lutz Kleber

Auch andere DDR-Künstler, die in ihren privat hergestellten Experimentalfilmen den Formenkanon durchbrachen, wurden von Marion Rasche ans Dresdner DEFA-Studio verpflichtet: Der Maler Helge Leiberg etwa schuf hier den Zeichentrickfilm FRIDOLIN, DER SCHMETTERLING (Co-R: Alexander Reimann, 1982), der sich sowohl als Insektenmärchen wie als Sexualfantasie und Allmachtstraum eines alten Mannes entpuppte. Leiberg stellte auch die Collagefiguren für SIRENEN (Klaus Georgi, 1983/84) her: Fabelwesen mit Vogelkörpern und Frauenköpfen, die an der Umweltverschmutzung zugrunde gehen. Sein frühes DEFA-Filmprojekt „Herr Schulze“ (1981) wurde allerdings nicht erlaubt: Hauptfigur sollte ein Mann sein, der von seiner Frau und seinem Chef drangsaliert wird, sich betrunken in einen Hahn verwandelt und endlich aufbegehrt. Auch der Zeichentrickfilm JUCHU (Klaus Georgi, 1983), an dem Leiberg als Gestalter mitarbeitete, wurde nicht zugelassen und kam in veränderter Form und unter dem neuen Titel LOGISCHE FOLGE erst 1988 in die Kinos. Zu erleben war, wie ein Mann in sich steigernder Euphorie alles niederschießt, was er in Wald und Flur antrifft. Dass nur noch er selbst als einziges Ziel seines Amoklaufs übrig bleibt, erschien den Filmverantwortlichen der DDR als zu pessimistisch. – Leiberg verließ die DDR schon zwei Jahre vor Dammbeck.

Immerhin brachten solche „unruhigen jungen Leute“, zu denen auch die Malerin Gudrun Trendafilov (LAUFBAHN, 1982–1984), der Karikaturist Rainer Schade (SITIS, 1989), der Foto-Grafiker Ulrich Lindner (ZEITVERLÄUFE, 1989), der Berliner Maler Wolfgang Mond (MIT MENSCHEN, 1979) und Thomas Stephan (KUBUS IM ROCK, 1988/89) gehörten, neue Farben und Formen in den Dresdner Trickfilm-Kanon. Nicht zuletzt überraschte die langjährig im Studio angestellte Sieglinde Hamacher mit kurzen, frechen Parabeln auf menschliche Schwächen und gesellschaftliche Missstände (u. a. EIN FRIEDLICHER TAG, 1984/85; DIE LÖSUNG, 1987/88; LEBENSBEDÜRFNIS ODER: ARBEIT MACHT SPASS, 1988/89). Otto Sacher, der – wie etwa auch Kurt Weiler und Günter Rätz – vielen jungen Leuten als Mentor zur Seite stand, versuchte sich an malerischen Filmen wie AM FENSTER (1978) oder DER LÖWE UND DER VOGEL (1982). Günter Rätz drehte mit ANGST (1981/82) eine eindrucksvolle Studie über die Judenverfolgung in der NS-Zeit. Und Horst J. Tappert ließ in HANS MEIN IGEL (1984/85) klassische Silhouettenfiguren vor abstraktem farbigen Hintergrund agieren. Für die 1980er-Jahre galt, dass die Dresdner Trickfilme längst thematisch vielseitiger und formal mutiger geworden waren.

Filmstill zu "Sitis"

SITIS (R: Rainer Schade, 1989) Fotograf: Helmut Krahnert

Filmstill zu "Die Lösung"

DIE LÖSUNG (R: Sieglinde Hamacher, 1987-88) Fotografin: Brigitte Schönberner

Und endlich kamen auch wieder programmfüllende Filme fürs große Publikum aus dem Studio. Besonderen Erfolg hatte der Puppentrickfilm DIE FLIEGENDE WINDMÜHLE (1978–1981) von Günter Rätz, eine ironische Science-Fiction-Fabel, die mit Musical-Elementen verknüpft ist und einprägsame Figuren wie das Mädchen Olli, den Hund Pinkus, das Krokodil Susi und das sprechende Pferd Alexander zu einem pointierten Reigen zusammenbringt. Hinzu kommen bizarre Tableaus wie der Tanz der Frösche oder die Spiegeleier spuckenden Pflanzen. Rätz erzählt von einer Reise mit einer Windmühle ins Weltall, von der das Mädchen Susi, das zuvor ein schlechtes Zeugnis nach Hause gebracht hatte, geläutert auf die Erde zurückkehrt. Die Vielzahl an Farben und Formen, die Handlungsumschwünge und der spielerische Umgang mit den Drahtpuppen ließen den Film zum Publikumsliebling werden; er erhielt Preise beim Geraer Kinderfilmfestival „Goldener Spatz“ und beim Kinderfilmfestival Wien. Danach drehte Rätz die abendfüllende Karl-May-Adaption DIE SPUR FÜHRT ZUM SILBERSEE (1985–1989) und begann mit der Vorbereitung des Projekts „Der Geist des Llano Estacado“, ebenfalls nach Karl May. Im Frühjahr 1990 starteten die Dreharbeiten mit der Aufnahme der Dialoge und eines Songs des bewährten Komponisten Arndt Bause. Doch nachdem bereits rund 600 Meter abgedreht waren, folgte das Aus. Die Studioleitung verfügte den Abbruch der Arbeiten und verwendete rund 600.000 Mark aus dem Budget des Films zur „Schuldenfreimachung“ im Zuge der Währungsunion.

Filmstill zu "Die fliegende Windmühle"

DIE FLIEGENDE WINDMÜHLE (R: Günter Rätz, 1978-81) Fotograf: Helmut May

Filmstill zu "Die Spur führt zum Silbersee"

DIE SPUR FÜHRT ZUM SILBERSEE (R: Günter Rätz, 1985-89) Fotograf: Rudolf Uebe

Das Ende des Studios

1990/91 wurde das Dresdner Studio, das neben den Kinotrickfilmen auch Hunderte Auftragsarbeiten fürs DDR-Fernsehen und andere Auftraggeber hergestellt hatte, abgewickelt. In der DDR hatte es, als nahezu alleiniger Anbieter von Trickfilmen, eine exponierte Stellung. Nun sahen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einem internationalen, hart umkämpften Markt ausgesetzt. Es gab Vorschläge, das Studio durch technische Aufrüstung bei gleichzeitiger massiver Reduzierung von Arbeitsplätzen zu retten. Doch alle solche Pläne blieben Makulatur: Viele der rund 240 fest angestellten Regisseurinnen und Regisseure, Dramaturginnen und Dramaturgen, Animatoren, Schnittmeisterinnen oder Kameraleute wurden in die Arbeitslosigkeit geschickt. Einige gingen in die Rente, wenige in eine neue Anstellung. Ihre letzten Filme, die noch unter dem Signum „DEFA“ herauskamen, blieben zunächst weithin unbekannt.

Doch auch manche dieser filmischen Spätwerke machen die Atmosphäre ihrer Zeit auf kunstvolle Weise transparent, so wie Sieglinde Hamachers Zeichentrickfilm OKKUPATION (1990), in dem sich ein dicker Mann in der Wohnung eines dünnen einrichtet und diesen aus den eigenen vier Wänden vertreibt. In DIE PANNE (Klaus Georgi, Lutz Stützner, 1989) zieht ein kleines Auto Marke „Trabant“ einen ganzen Staatskordon samt Limousinen, Panzern und Motorradstaffeln aus einem Schlagloch auf der Autobahn. In MONUMENT (Klaus Georgi, Lutz Stützner, 1989) jubeln die Massen einem Denkmal zu, ganz gleich, ob es in die eine oder in die andere Richtung zeigt. In C’EST LA VIE (Christian Biermann, 1988/89) winkt eine schöne Frau einen Liebhaber zu sich heran, erweist sich aber beim Biss in dessen Hals als veritabler Vampir. Thomas Stephans Flachfigurenfilm NOAH (1990) beschreibt die biblische Legende als zeitlose Parabel: Indem sich die Titelfigur eine Arche baut, hebt sie sich aus der Menge der passiven Mitbürger heraus und kann ihr Leben während der unerwartet einsetzenden Flut retten. Gabor Steisingers QUICK ANIMATION (1989) führte dann schon zu Pop und Rap und in die animatorische Moderne. Digitale Technik statt Handarbeit – dieser Sprung ins neue Zeitalter blieb dem DEFA-Studio jedoch versagt.

Filmstill zu "C'est la vie"

C'EST LA VIE (R: Christian Biermann, 1988-89) Fotograf: Steffen Nielitz

Filmstill zu "Monument"

MONUMENT (R: Lutz Stützner, Klaus Georgi, 1989) Fotograf: Helmut Krahnert

Als letzte Produktion des DEFA-Trickfilmstudios gilt das Flachfigurenmärchen DER WOLF UND DIE SIEBEN GEISSLEIN (1990), das Otto Sacher, einer der Gründerväter des Studios, in bewährter Weise in Szene setzte. Heute werden die Hinterlassenschaften des Studios vom Deutschen Institut für Animationsfilm (DIAF) liebevoll gepflegt. Untergebracht in einem einstigen Fabrikgebäude der Firma Ernemann in Dresden, sind hier Tausende Exponate – Fotos, Zeichnungen, Skizzen, Puppen, Kulissen, Drehbücher, ja ganze Nach- und Vorlässe – aufbewahrt. Zahlreiche Erinnerungen einstiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden digital aufgezeichnet. Durch Ausstellungen, Filmabende und Publikationen trägt das DIAF, oft im Verbund mit der DEFA-Stiftung, dazu bei, die Dresdner Trickfilme lebendig zu halten. Weil viele dieser Filme inzwischen auch in digitalisierter Form vorliegen, steht ihrem Einsatz in Kinos und im Fernsehen, auf Streaming-Plattformen und auf DVD nichts im Wege.

verfasst von Ralf Schenk. (Dezember 2021)

Einzelnachweise

  1. Kurt Weiler: Gedanken zum Puppentrickfilm. Eine Anregung zur Diskussion. In: Deutsche Filmkunst, Berlin/DDR, Nr. 5/1954, S. 17–19.
  2. Günter Agde: Kurt Weiler: Trick- und Werbefilme aus zwei Jahrzehnten. In: Filmblatt, Berlin, Nr. 7, Frühling/Sommer 1998, S. 8–10.
  3. Vgl. Volker Petzold: Zwischen Friedrich Engels und Berggeist Rübezahl. In: Ralf Schenk, Sabine Scholze (Red.): Die Trick-Fabrik. DEFA-Animationsfilme 1945–1990. Berlin 2003, S. 306. – Eduard Goldstücker (1913–2000) war ein tschechischer Literaturhistoriker, Publizist und Diplomat, der sich für politische Reformen einsetzte und 1968 nach Großbritannien emigrierte.
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