Filmstill zu "Mein lieber Robinson"

DEFA-Chronik für das Jahr 1957

 

Januar 1957

1957 wird eine spezielle Kinder- und Jugendfilm-Dramaturgie als selbstständiger Teil der Gesamtdramaturgie unter Leitung Gerda Kohlmeys gebildet. In der Gruppe arbeiten vier Dramaturgen, zwei Assistenten und ein pädagogischer Berater. 1959 wird die Gruppe in die neue Arbeitsorganisation des Spielfilms integriert.

1. Januar

Die DEFA-Zentralstelle für Filmtechnik wird als selbständiges Institut gegründet. Es hat seinen Sitz zunächst in der Berliner Peter-Hille-Straße 111, ab 1962 am Großberliner Damm in Berlin-Johannisthal. Ab 1960 wird das Institut zum wissenschaftlich-technischem Zentrum weiterentwickelt. Erster Direktor ist Albert Meister.
(Kurt Enz: Die Entwicklung des Filmtheaternetzes ..., Manuskript vom 1. Oktober 1978, S. 98; DEFA-Beiträge zur Filmtechnik, Berlin, 1982, Sonderheft; Kleine Enzyklopädie Film, Leipzig, 1966, S. 719)

4. Januar

Die Zeitschrift „Der Film-Agitator“ wird in „Filmkurier“ umbenannt.
(Der Film-Agitator, Dezember 1956, S. 33)

4. Januar

Premiere des DEFA-Spielfilms DIE ABENTEUER DES TILL ULENSPIEGEL, der unter der Regie des französischen Filmstars Gérard Philipe ensteht, der auch die Hauptrolle spielt. Die Dreharbeiten erfolgen bei Bitterfeld, Schweden, den Niederlanden und in Nizza. DIE ABENTEUER DES TILL ULENSPIEGEL ist die erste Co-Produktion der DDR mit Frankreich. Die Zusammenarbeit mit linken französischen Filmemachern, die maßgeblich durch die Vermittlung von Joris Ivens und Wladimir Pozner zustande kommt, wird in den Folgejahren fortgesetzt.
(Deutsche Filmkunst, 3/1957, S. 72-74; Filmspiegel, 2/1957, S. 3; Filmkurier, 1/1957, S. 26; DEFA-Spielfilme 1946-1964, Filmografie, Hrsg.: Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 76; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 93ff; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 114)

15. Januar

Mit Erlass des Ministers für Kultur, Johannes R. Becher, wird den Leitungen der DEFA-Studios die volle Verantwortung für die künstlerische und ideologische Gestaltung der Filme eingeräumt. Zusammen mit der neuen Verantwortung übernehmen diese auch die materielle Haftung für jeden einzelnen Film. Kommissionen sollen die Schluss-Abnahme und Zulassung für den Kinoeinsatz übernehmen. Sie können einen Film ablehnen, „wenn er in seinen Auswirkungen für die Herausbildung eines neuen gesellschaftlichen Bewußtseins schädlich oder von so niedriger künstlerischer Qualität ist, dass er der Bevölkerung unserer Republik nicht zugemutet werden kann.“
(Deutsche Filmkunst, 1/1956, S. 1-4, 2/1957, S. 33, 4/1957, S. 97; ND, 1. Februar 1957, S. 4; Sonntag, Berlin, 3/1957, S. 3 Interview mit Alexander Abusch; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 106f)

Februar 1957

Für den DEFA-Dokumentarfilm bilanziert Chefdramaturg Gustav Wilhelm Lehmbruck einen unzureichenden Entwicklungsstand und Probleme. Viele Filme bleiben hinter der Zeit, Thematik, Aussage sowie in der Gestaltung zurück. Seiner Meinung nach lassen sich wirklich überzeugende Reportagen vom Alltag der DDR nicht mit einer vorher festgelegten Konzeption realisieren. Das politische Weisungsrecht der Filmbehörde wird nicht in Frage gestellt, sondern die mangelnden künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten.

Das staatliche Abnahmeverfahren wird studionäher gestaltet und die individuellen Wünsche und Neigungen der Autoren und Künstler werden stärker berücksichtigt. Ein deutlicher Qualitätssprung des DEFA-Dokumentarfilmschaffens zeichnet sich ab.
(Strengere Maßstäbe für unsere Dokumentarfilme. Deutsche Filmkunst. Berlin 1957/Heft 2, S. 45ff. Zitiert nach: Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 62f; Günter Jordan: Film in der DDR, Daten - Fakten - Strukturen, Filmmuseum Potsdam, 2. Überarbeitete Fassung 2013, S. 162)

8. Februar

Premiere des zweiteiligen DEFA-Spielfilms SCHLÖSSER UND KATEN (Teil I: „Der krumme Anton“; Teil II: „Annegrets Heimkehr“) von Kurt Maetzig. Der in der Zeit des Aufbruchs nach dem XX. Parteitag der KPdSU produzierte Film, ist ein großes Zeitbild über Prozesse in der Landwirtschaft nach 1945 und einer der wichtigsten DEFA-Gegenwartsfilme der 1950er-Jahre. Ein harter Schnitt und lebensnahe Darstellungen der Darstellerinnen und Darsteller, besonders  Raimund Schelcher als Krummer Anton, tragen zur Authentizität des Films bei.
(Deutsche Filmkunst, 3/1957, S. 68-71, 84; Filmspiegel, 6/1957, S. 3; Kurt Maetzig: Schlösser und Katen In: Ingrid Poss, Peter Warnecke (Hg.): Die Spur der Filme, Zeitzeugen über die DEFA, Ch. Links Verlag, Berlin 2. Auflage 2006 S. 113f, 115; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 109f, 127; F-B. Habel: Das große Lexikon der Spielfilme, Neuausgabe in zwei Bänden, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017, S. 756ff)

22. Februar

Premiere des DEFA-Spielfilms ALTER KAHN UND JUNGE LIEBE. Nach DER KAHN DER FRÖHLICHEN LEUTE (1950) ist dies der zweite Binnenschifferfilm des Regisseurs  Hans Heinrich. Der spätere westdeutsche Filmstar Götz George gibt hier - nach zwei kleinen Rollen im Alter von 14 Jahren - sein eigentliches Filmdebüt.
(DEFA-Spielfilme 1946-1964, Filmografie, Hrsg.: Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 76f; Ralf Schenk: DEFA 1946-1992. 100 Jahre Studio Babelsberg. Filmmuseum Potsdam, 2012, S. 127)

März 1957

1. März

Die DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“ erscheint nun zweimal wöchentlich in den Filmtheatern. Ausgabe A enthält einen größeren Kulturteil, Ausgabe B beinhaltet Sportberichte.
(Filmspiegel, 6/1957, S. 2; Filmkurier, 2/1957, S. 8)

8. März

Premiere des DEFA-Spielfilms BETROGEN BIS ZUM JÜNGSTEN TAG (R: Kurt Jung-Alsen) nach der Novelle „Kameraden“ von Franz Fühmann. BETROGEN BIS ZUM JÜNGSTEN TAG ist einer der überzeugendsten antifaschistischen DEFA-Filme in den 1950er-Jahren. Der Film läuft 1957 auf den Filmfestspielen in Cannes. Auf Betreiben der Bundesrepublik darf er wegen deren Alleinvertretungsanspruchs nicht im Wettbewerb gezeigt werden. Noch im selben Jahr wird der Film in elf Länder verkauft, darunter nach Großbritannien und Dänemark. Einige Jahre später befürchtet die HV Film, dass BETROGEN BIS ZUM JÜNGSTEN TAG pazifistische Tendenzen in der Bevölkerung stärkt. Auch die Zeichnung der Wehrmacht erscheint nun zu differenziert. Die Frage wird bis 1963 mehrfach beraten, bis Hans Rodenberg, nunmehr Filmminister, entscheidet, dass der Film zugelassen bleibt.
(Deutsche Filmkunst, 4/1957, S. 98-100; Filmspiegel, 18/1956, S. 7, 6/1957, S. 5, 7/1957, S. 3; DEFA-Spielfilme 1946–1964, Filmografie, Hrsg.: Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 91; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 120ff)

8. März

Premiere des DEFA-Dokumentarfilms DIE WINDROSE, der in Co-Produktion mit der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) und unter Beteiligung der Regisseure Yannick Bellon, Alberto Cavalcanti, Sergej Appolinarijewitsch Gerassimow, Joris Ivens, Wu Kuo-Yin, Gillo Pontecorvo und Alex Viany gedreht wurde. Erzählt werden fünf einzeln abgeschlossene Episoden, die aktuelle Konflikte und Kämpfe von Frauen in Brasilien, der Sowjetunion, Frankreich, Italien und China beleuchten.
(Deutsche Filmkunst, 3/1957, S. 74-76; Filmspiegel, 6/1957, S. 6-7; Filmkurier, 3/1957, S. 28; Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 71f)

15. März

Premiere des mehrfach international preisgekrönten DEFA-Dokumentarfilms CHINA - LAND ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN von Joop Huisken und Robert Ménégoz, der in Co-Produktion mit Frankreich entsteht. Die Reportage zeigt die sozialistische Gegenwart der Volksrepublik China, wobei das „Heute“ konfrontiert wird mit den Folgen des „Gestern“ - der kolonialistischen Ausbeutung, aber auch den fruchtbaren Traditionen der chinesischen Geschichte.
(Filmspiegel, 14/1957, S. 3; Filmkurier, 5/1957, S. 31; DEFA 1946-1964 Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme FILMOGRAFIE, Henschel Verlag Berlin 1969, S. 75)

22. März

Premiere des DEFA-Dokumentarfilms STAHL UND MENSCHEN (R: Hugo Hermann). Die Studie im Stahl- und Walzwerk Brandenburg ist die zweite Arbeit des österreichischen Regisseurs Hugo Hermann bei der DEFA. Gezeigt werden Produktionsalltag und -beratungen. Es entstehen beeindruckende Aufnahmen der Arbeiter an den Hochöfen beim Bändigen der glühenden Stahlschlangen. Hermann ergreift Partei für die schwer arbeitenden Menschen.
(DEFA 1946-1964 Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme FILMOGRAFIE, Henschel Verlag Berlin 1969, S. 85; Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen In: : Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 63f)

Mai 1957

Filmplakat zu "Mazurka der Liebe"

MAZURKA DER LIEBE

(R: Hans Müller, 1957)

2. Mai

Das Lichtspieltheater „Colosseum“ im Berliner Prenzlauer Berg öffnet nach einem Umbau zum Totalvision-Theater wieder seine Türen. Zu Wiedereröffnung feiert der erste Totalvision-Film MAZURKA DER LIEBE (R: Hans Müller), eine Verfilmung von Carl Millöckers Operette „Der Bettelstudent“, Premiere.
(Deutsche Filmkunst, 6/1957, S. 166)

8. Mai–31. August

Mit der Veranstaltung „Deutschland damals und heute“ eröffnet eine „Saison des deutschen Films“ im National Theatre in London. Präsentiert werden der DEFA-Dokumentarfilm DU UND MANCHER KAMERAD (R: Andrew und Annelie Thorndike, 1956) sowie die Spielfilme DER UNTERTAN (R: Wolfgang Staudte, 1951), DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (R: Wolfgang Staudte, 1946), DAS KALTE HERZ (R: Paul Verhoeven, 1950), AFFAIRE BLUM (R: Erich Engel, 1948) und DER RAT DER GÖTTER (R: Kurt Maetzig, 1950).
(Deutsche Filmkunst, 9/1957, S. 286-287; Filmspiegel, 18/1957, S. 4)

23. Mai

Der Sekretär des ZK der SED, Paul Wandel, erklärt der Leitung der DEFA und der HV Film in Anwesenheit von Kulturminister Johannes R. Becher, dass die laufende Produktion des Spielfilmstudios bis auf wenige Ausnahmen abwegig sei. Er konstatiert, dass neue, aktuell entstehende DEFA-Filme „Randfragen, z.T. auch mit extremen Seiten“ behandeln (BERLIN - ECKE SCHÖNHAUSER..., EIN MÄDCHEN VON 16 ½, TATORT BERLIN, VERGESST MIR MEINE TRAUDEL NICHT, SPUR IN DIE NACHT, SHERIFF TEDDY). Dem Eindringen kleinbürgerlicher Ideologie würde Tür und Tor geöffnet (DIE SCHÖNSTE). Westdeutsche Autoren seien mit Gegenwartsstoffen aus der DDR befasst, die sie gar nicht genügend kennen könnten (MEINE FRAU MACHT MUSIK). Und an manchen Drehbüchern sei nicht erkennbar, wohin die Gesamtkonzeption überhaupt ginge (WO DU HINGEHST, SCHLÖSSER UND KATEN, DAS SINGENDE, KLINGENDE BÄUMCHEN, DIE ELENDEN). Aus Angst vor „Revisionisten und Liquidatoren des Sozialistischen Realismus“ (Anton Ackermann) werden die Zensurschrauben erneut angezogen. Alle bis auf den später verbotenen Film DIE SCHÖNSTE hier beanstandeten Filme kommen in die Kinos, zum Teil aber mit größeren Eingriffen. Verschiedene fertige Drehbücher werden aufgrund des Verdikts nicht verfilmt.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 114f)

30. Mai

Premiere des DEFA-Spielfilms LISSY. Der Film gilt als erster bedeutender Film des Regisseurs Konrad Wolfs. Er gestaltet überzeugend die Denkweise des deutschen Kleinbürgers, der zum Mitläufer und Handlanger Hitlers wurde. Mit der Gestalt des arbeitslosen Angestellten und späteren SA-Sturmbannführers Fromeyer (gespielt von Horst Drinda) gelingt Wolf ein Porträt eines jener Millionen Deutschen, die sich von der NSDAP Teilhabe am Wohlstand versprachen.
(Deutsche Filmkunst, 6/1957, S. 163-165, 8/1957, S. 233-235; DEFA-Spielfilme 1946-1964, Filmografie, Hrsg.: Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 95; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 115)

Die Hochschule für Filmkunst Potsdam-Babelsberg wird korrespondierendes Mitglied des „Centre International de Liaison des Ecoles de Cinéma et de Television“ (CILECT).
(Deutsche Filmkunst, 8/1958, S. 239-240)

Juni 1957

18. Juni

Der Heinrich-Greif-Preis 1957 wird durch den ersten Stellvertreter des Ministers für Kultur, Alexander Abusch, im Berliner Colosseum verliehen.

(Deutsche Filmkunst, 7/1957, S. 193-194; ND, 20. Juni 1957, S. 4)

28. Juni

Premiere des DEFA-Spielfilms ZWEI MÜTTER (R: Frank Beyer). Beyer dreht mit ZWEI MÜTTER seinen Debütfilm. Das Drehbuch schreibt Jo Tiedemann, die später unter dem Pseudonym Leonie Ossowski als sozialkritische Schriftstellerin in der BRD Bekanntheit erlangt. Der Film über ein neugeborenes Kind und seine zwei Mütter beruht auf einem wahren Fall aus dem Zweiten Weltkrieg nach Art des „Kaukasischen Kreidekreises“. Beyer dreht den leisen eindringlichen Film unpathetisch mit betont einfachen Mitteln als Anklage gegen den Krieg. Mit der Figur eines US-amerikanischen Offiziers, der in tiefer Sorge um das Kind ist, beweist der Film eine von aktuellen ideologischen Zwängen ungetrübte, humanistische Grundhaltung. Anton Ackermann wirft dem Regisseur deswegen eine „heillose Verwirrung“ vor. Die Figur muss geändert werden.
(Deutsche Filmkunst, 7/1957, S. 198-199; Filmspiegel, 16/1957, S. 3; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 146; F.-B. Habel: Das große Lexikon der Spielfilme, Neuausgabe in zwei Bänden, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017, S. 1074f)

Juli 1957

10. Juli

Nicht zuletzt aufgrund der gelockerten Abnahmeprozeduren für Szenarien und Drehbücher vermerkt das Protokoll einer Direktionssitzung im DEFA-Spielfilmstudio die bisher noch nie dagewesene Situation, dass in den Ateliers zu schnell und zu viel gedreht wird. Die Jahre 1957 bis 1962 sind die produktivsten des DEFA-Spielfilmstudios überhaupt: 1957 gibt es 22 DEFA-Premieren; 1958 sind es 18, 1959 sogar 27. 1960 folgen 24 Premieren; 1961 und 1962 sind es jeweils 25.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 115)

12. Juli

Premiere des DEFA-Films DER FALL DORA BERGER (R: Heinz Fischer). Der fiktionale Lehrfilm ist ein Beitrag zur „Demokratisierungsdiskussion“. Interessant ist das sonst nie thematisierte Sujet: Nach einer wahren Begebenheit schildert der Film die Umstände einer fristlosen Entlassung einer Verkäuferin. Wegen eines Fehlbetrags in der Kasse wird sie fristlos gekündigt und geht nach West-Berlin. Als der Staatsanwalt ihre Unschuld feststellt, kehrt sie in ihr Heimatdorf zurück.
(Deutsche Filmkunst, 12/1957, S. 369; Filmspiegel, 10/1957, S. 3; Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen. In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 71)

August 1957

Filmplakat zu "Berlin - Ecke Schönhauser..."

BERLIN - ECKE SCHÖNHAUSER...

(R: Gerhard Klein, 1957) Grafiker: Hans Adolf Baltzer

30. August

Premiere des DEFA-Spielfilms BERLIN - ECKE SCHÖNHAUSER... von Regisseur Gerhard Klein und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. Der Film ist das Resultat langjähriger Bemühungen von Klein und Kohlhaase, junge Menschen im geteilten Berlin wahrheitsgetreu darzustellen. Die Filmemacher sind beide eng mit der Stadt verbunden und kommen aus proletarischen Verhältnissen.

Realistisch und genau erzählen Klein und Kohlhaase ihre Geschichte unter dem Eindruck des italienischen Neorealismus. Ihr dritter gemeinsamer Berlin-Film findet begeisterte Befürworter und harsche Kritiker. Die HV Film geht mit diesem Film hart ins Gericht. Das Leben unter Ost-Berliner Jugendlichen sei viel zu negativ dargestellt. Der Film sei ein Musterbeispiel einer neuen Form des Dogmatismus. Man ist überzeugt, dass BERLIN - ECKE SCHÖNHAUSER... schädlich auf die Menschen wirken wird. Die Zulassung soll nicht erteilt und keine Testvorführungen gestattet werden. Nach einer Vorführung im Zentralrat der FDJ vor Hans Modrow, Joachim Herrmann und Günter Stahnke wendet sich das Blatt. Sechs Tage später lässt die HV Film BERLIN - ECKE SCHÖNHAUSER... widerwillig zu. Der Film erweist sich in kurzer Zeit als Publikumsmagnet und ist heute einer der großen Klassiker der DEFA.
(Deutsche Filmkunst, 9/1957, S . 264-266; Filmspiegel, 19/1957, S. 3; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 127ff; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 117; Wolfgang Kohlhaase: Ecke Schönhauser In: Ingrid Poss, Peter Warnecke (Hg.): Die Spur der Filme, Zeitzeugen über die DEFA, Ch. Links Verlag, Berlin 2. Auflage 2006 S. 120ff)

September 1957

1. September

Premiere des DEFA-Dokumentarfilms URLAUB AUF SYLT (R: Andrew und Annelie Thorndike) aus der Reihe „Archive sagen aus“.

Der Film enthüllt den Westerlander Bürgermeister Heinz Reinefarth als SS-Offizier im Zweiten Weltkrieg. Durch Mehrfachbelichtung überlagern sich die Bilder der Gegenwart und Vergangenheit. Die „Deckungsgleichheit“ der Systeme soll somit nicht nur eine politische These und rhetorische Metapher sein, sondern für den Zuschauer erfahrbar werden. Der Film hat Konsequenzen für die westdeutschen Kameraleute, die der DEFA zu diesem Coup verhalfen. Wegen Spionagetätigkeit verhaftet, verbringen sie mehrere Monate im Gefängnis.
(Deutsche Filmkunst, 12/1957, S. 369; DEFA 1946-1964 Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme FILMOGRAFIE, Henschel Verlag Berlin 1969, S. 109; Matthias Steinle: Deutsch-deutsche Feindbilder: Die gegenseitige Darstellung von BRD und DDR im Dokumentarfilm der 1950er Jahre. DEFA-Jahrbuch 2005, S. 99f)

Filmplakat zu "Spielbank-Affäre"

SPIELBANK-AFFÄRE

(R: Arthur Pohl, 1957)

13. September

Premiere des DEFA-Spielfilms SPIELBANK-AFFÄRE (R: Artur Pohl). Der Film ensteht 1956/57 als Co-Produktion zwischen der DEFA und der Pandora-Film Stockholm. Tatsächlich ist es eine verdeckte ost-westdeutsche Produktion, die von dem Münchner Filmkaufmann Erich Mehl co-finanziert wird. Die HV Film hat im Vorfeld der Freigabe des Films große Bauchschmerzen mit der Darstellung attraktiver Mode, schnellen Autos und schönen Landschaften im Westen Deutschlands.

Als die DEFA ohne Einverständnis des Regisseurs Änderungen vornimmt und entscheidet, dass der Film in der DDR nicht in der Farbversion, sondern in Schwarzweiß und in Normalformat gezeigt wird, ziehen Regisseur, Kameramann und andere Beteiligte ihre Namen zurück. Weil sie ihre Namen aus dem Vorspann gestrichen haben wollen, läuft SPIELBANK-AFFÄRE anonym. Die Macher bleiben der Premiere fern. In der Folge beendet Pohl, als letzter West-Regisseur, seine über zehn Jahre währende Arbeit für die DEFA. Im Westen dreht er nie wieder einen Kinofilm.

Die vollständige Fassung in Farbe und Totalvision ist weder in der DDR noch in der BRD zu sehen. Erst 2016 erschien sie restauriert auf DVD. In der Bundesrepublik lief eine gekürzte Fassung in Normalformat unter dem Titel „Parkplatz zur großen Sehnsucht“.
(Die Weltbühne, 41/1957, S. 1309; ND, 24. September 1957, S. 4; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 137ff)

13. September

Premiere des DEFA-Dokumentarfilms FRITZ CREMER - SCHÖPFER DES BUCHENWALD-DENKMALS von  Hugo Hermann. In der filmisch unkonventionellen Studie zeigt der Regisseur den Bildhauer und das umstrittene Kunstwerk in den verschiedenen Fassungen. Im Zuge der Formalismus-Debatte war Fritz Cremer zeitweise in Ungnade gefallen, da seine um Freiheit kämpfenden Gefangenen „zu wenig siegesbewusst und optimistisch“ seien.
(Deutsche Filmkunst, 2/1958, S. 42; DEFA 1946-1964 Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme FILMOGRAFIE Henschel Verlag Berlin 1969, S. 99; Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen In: : Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 81)

Oktober 1957

Filmplakat zu "Die Hexen von Salem"

DIE HEXEN VON SALEM

(R: Raymond Rouleau, 1957) Grafiker: Bert Heller

4. Oktober

Premiere des DEFA-Spielfilms DIE HEXEN VON SALEM, der als Co-Produktion mit Frankreich unter der Regie von Raymond Rouleau nach dem Schauspiel „Hexenjagd“ von Arthur Miller entsteht. Die Zusammenarbeit mit weltbekannten Darstellern wie Simone Signoret und Yves Montand befördert das Selbstbewusstsein und das internationale Renommee der DEFA. Die HV Film ist vom Drehbuch Jean-Paul Satres, einer Parabel auf die McCarthy-Ära, jedoch wenig begeistert. Kritisiert werden ebenfalls der mangelnde Einsatz von DDR-Schauspielern und die fehlende Sichtbarkeit des DDR-Anteils bei der internationalen Auswertung des Films.
(Deutsche Filmkunst, 11/1957, S. 324-326; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 93ff)

6. Oktober

Der Nationalpreis für Kunst und Literatur 1957 wird verliehen.

  • II. Klasse: An das Filmkollektiv DER HAUPTMANN VON KÖLN um Regisseur Slatan Dudow sowie die Autoren Henryk Keisch und Michael Tschesno-Hell
  • II. Klasse: An den Regisseur  Erich Engel für fortschrittliche Entwicklung der deutschen Theater- und Filmkunst.
  • III. Klasse: An den Schriftsteller Franz Fühmann für den Film BETROGEN BIS ZUM JÜNGSTEN TAG (R: Kurt Jung-Alsen) nach der Novelle „Kameraden“.

(Filmspiegel, 22/1957, S. 2)

18. Oktober

Der beliebte DEFA-Schauspieler  Willy A. Kleinau stirbt im Alter von 49 Jahren bei einem Autounfall. Kleinau war der einzige bedeutende DDR-Schauspieler, der auch im bundesdeutschen Film zahlreiche Hauptrollen spielte. Im Deutschen Theater findet am 25. Oktober eine bewegende Trauerfeier statt, auf der Albert Wilkening für die DEFA spricht. Anschließend wird Kleinau auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt.

Der Film REIFENDER SOMMER, zweiter Anlauf des Projekts „Lied über dem Tal“, das 1956 abgebrochen wurde, kommt dadurch erneut in Schwierigkeiten. Kleinaus Szenen sind zum Zeitpunkt des Todes noch nicht vollständig abgedreht. Die weibliche Hauptdarstellerin Christa Gottschalk, die mit Kleinau verunglückt aber überlebt, kann monatelang nicht arbeiten. Der Regisseur  Horst Reinecke hat anschließend andere Verpflichtungen, so dass  Walter Beck den Film zu Ende führt.
(Filmspiegel, 22/1957, S. 2, 12/1959, S. 3; ND, 20. Oktober 1957, S. 2; ND, 26. Oktober 1957, S. 2; F.-B. Habel: Das große Lexikon der Spielfilme, Neuausgabe in zwei Bänden, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017, S. 710f)

23.–24. Oktober

Kulturkonferenz des ZK der SED in Berlin. Alexander Abusch, Staatssekretär im Ministerium für Kultur, spricht über den ideologischen Kampf in der Kulturpolitik, über Aufweichung und Agententätigkeit. Er referiert, dass Theorien wie die von Georg Lukács in Ungarn dem Feind in die Hände arbeiten und dass diese zur Vorbereitung der blutigen Tragödie im letzten Herbst (gemeint ist der Ungarnaufstand) beigetragen haben. Einen dritten Weg gäbe es nicht, weil der Feind da ist, wo wir nicht sind. In der Diskussion kommen auch Filmleute zu Wort darunter Kurt Maetzig. Die Thesen „Für eine sozialistische Kultur“ werden verabschiedet.
(ND, 20. September 1957, S. 4, 24. Oktober 1957, S. 2, 25. Oktober 1957, S. 4, 7. Dezember 1957, S. 11; Deutsche Filmkunst, 12/1957, S. 353-359, 1/1958, S.10-11, 4/1960, S. 123-124; Filmspiegel, 23/1957, S. 3, 8/1958, S. 11; Zur sozialistischen Kulturrevolution, Dokumente 1957-1959, Berlin, 1960, Bd. I, S. 246-249, Bd. II, S. 279-316; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 142f)

November 1957

Filmplakat zu "Vergeßt mir meine Traudel nicht"

VERGESST MIR MEINE TRAUDEL NICHT

(R: Kurt Maetzig, 1957)

15. November

Premiere des DEFA-Spielfilms VERGESST MIR MEINE TRAUDEL NICHT (R: Kurt Maetzig).

1957 dreht Maetzig diese Tragikomödie um ein junges Mädchen ohne Bleibe und zwei rivalisierende junge Männer. Der Film vereint leichte, komische und ernste Momente und wird zum Kinoerfolg. Eva-Maria Hagen debütiert in der Hauptrolle.

Für den sowjetischen Filmregisseur Michael Romm war jedoch die Grenze zur Pornografie überschritten, weil Eva-Maria Hagen in einer Szene nur mit einem Handtuch bekleidet ist. Auf Kritik der Kulturbürokratie stößt außerdem die unkonventionelle, nicht immer gesetzestreue Arbeitsweise eines verliebten jungen Mannes, eines Volkspolizisten.
(Deutsche Filmkunst, 12/1957, S. 360-361; Filmspiegel, 26/1957, S. 3; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 134; Kurt Maetzig: Vergeßt mir meine Traudel nicht In: Ingrid Poss, Peter Warnecke (Hrg.): Die Spur der Filme, Zeitzeugen über die DEFA, Ch. Links Verlag, Berlin 2. Auflage 2006 S. 124; F.-B. Habel: Das große Lexikon der Spielfilme, Neuausgabe in zwei Bänden, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017, S. 993f)

24. November

Premiere des DEFA-Spielfilms SHERIFF TEDDY (R: Heiner Carow). Carows Debütfilm fügt sich in die von seinem Lehrer Gerhard Klein begründete Berlin-Reihe ein. Der Film, der sich realistisch mit Menschen im Berlin der offenen Grenze auseinandersetzt, wird von Filmleuten und Publikum gelobt. Auf der 2. Filmkonferenz 1958 wird Heiner Carows erster Spielfilm hart kritisiert als ein Film der sogenannten „grauen Serie“, der sich den Schattenseiten des Alltags zuwendet und einen negativen Helden in den Mittelpunkt stellt.
(Deutsche Filmkunst, 12/1957, S. 361-363, 7/1958, S. 202-204, 211; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 93ff; F.-B. Habel: Das große Lexikon der Spielfilme, Neuausgabe in zwei Bänden, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017, S. 809ff)

Dezember 1957

Filmplakat zu "Das singende, klingende Bäumchen"

DAS SINGENDE, KLINGENDE BÄUMCHEN

(R: Francesco Stefani, 1957) Grafiker: Werner Klemke

13. Dezember

Premiere des DEFA-Spielfilms DAS SINGENDE, KLINGENDE BÄUMCHEN (R: Francesco Stefani).

Das Märchen um eine hartherzige Prinzessin, die durch einen Bären ihr Herz wiederfindet und mutig ihren Prinzen befreit, ist bis heute einer der erfolgreichsten DEFA-Märchenfilme. Die Besonderheiten des Films liegen in der Trickgestaltung von Ernst Kunstmann und den Bauten Erich Zanders. Ganz im Atelier gedreht, vermittelt das Szenenbild einen märchenhaften Zauber. Haupdarstellerin Christel Bodenstein, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch Studentin an der Filmhochschule Babelsberg, brilliert als Prinzessin und wird bis heute mit der Rolle identifiziert.

DAS SINGENDE, KLINGENDE BÄUMCHEN wird auf der 2. Filmkonferenz im Juli 1958 stark kritisiert. Ihm werden eine „verlogene Monarchenromantik“, „Idealismus“ und „Flucht in die kleinbürgerliche Idylle“ vorgeworfen.
(Deutsche Filmkunst, 1/1958, S. 2-4; Filmspiegel, 13/1957, S. 12; DEFA-Spielfilme 1946-1964, Filmografie, Hrsg.: Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 101; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 133; Ralf Schenk: DEFA 1946-1992. 100 Jahre Studio Babelsberg. Filmmuseum Potsdam, 2012, S. 133)

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