Filmstill zu "Mein lieber Robinson"

DEFA-Chronik für das Jahr 1956

 

Januar 1956

Anton Ackermann, Leiter der HV Film, veröffentlicht in der Monatszeitschrift „Deutsche Filmkunst“ den Artikel „Ideologische Klarheit und höhere Leistungen“. Darin macht er Vorschläge zum Abbau bürokratischer Entscheidungswege. Es geht um eine radikale Verkürzung der Instanzenwege. Ackermanns Vorschläge münden nach einem Jahr in das wegweisende Gesetz „Anweisungen über die erweiterten Rechte und Pflichten der DEFA-Studios“, das zu einer Aufbruchsphase in der Filmproduktion führt.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 106f)

1. Januar

Die Lichtspieltheater und Landspielstellen werden den Abteilungen für Kultur der Räte der Kreise unterstellt.
(Deutsche Filmkunst, 10/1956, S. 300-302)

3. Januar

Start des offiziellen Fernsehprogramms der DDR unter der Bezeichnung „Deutscher Fernsehfunk“. Anton Ackermann schreibt anlässlich dieses Ereignisses einen Grundsatzartikel, dass die Filmwirtschaft der DDR das Fernsehen nicht als Konkurrenz betrachtet.
(Deutsche Filmkunst, 12/1956, S. 353-355; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 105)

10. Januar

Die mexikanisch-US-amerikanische Schauspielerin Rosaura Revueltas, die eine Hauptrolle in dem unabhängig produzierten US-amerikanischen Streikfilm SALZ DER ERDE (OT: SALT OF THE EARTH, R: Herbert Biberman, 1954) gespielt hat, tritt bei der DEFA vor die Kamera. Unter der Regie von Gustav von Wangenheim spielt sie eine Hauptrolle als Landarbeiterin im Spielfilm LIED ÜBER DEM TAL. Nach 19 Drehtagen wird das Projekt gestoppt. Erst 1957 wird die literarische Vorlage von August Hild „Lied über dem Tal“ unter dem Titel REIFENDER SOMMER (R: Horst Reinecke) neu verfilmt.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 106)

Februar 1956

10. Februar

Premiere des DEFA-Dokumentarfilms MEIN KIND von Joris Ivens. Der Film stellt einen Aufruf der Internationalen Demokratischen Frauenföderation gegen einen neuen Krieg dar, durch den alle Mütter der Welt zum Schutz ihrer Kinder aufgerufen werden. Der Agitationsabteilung des ZK gefällt Ivens pazifistischer Ansatz nicht, sie toleriert den Film aber.
(DEFA 1946-1964 Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme FILMOGRAFIE, Henschel Verlag Berlin 1969, S. 70; Günter Jordan: Unbekannter Ivens, Schriftenreihe DEFA-Stiftung 2018, S. 164ff)

März 1956

Festwoche des DEFA-Films in Hanoi (Vietnam). Präsentiert werden die Produktionen KEIN HÜSUNG (R: Artur Pohl, 1954), ALARM IM ZIRKUS (R: Gerhard Klein, 1954), DIE GESCHICHTE VOM KLEINEN MUCK (R: Wolfgang Staudte, 1953), CAROLA LAMBERTI - EINE VOM ZIRKUS (R: Hans Müller, 1954), ERNST THÄLMANN - SOHN SEINER KLASSE und ERNST THÄLMANN - FÜHRER SEINER KLASSE (beide R: Kurt Maetzig, 1954/55).
(Deutsche Filmkunst, 3/1956, S. 96)

8. März

Premiere des DEFA-Spielfilms BESONDERE KENNZEICHEN: KEINE (R: Joachim Kunert). Berta Waterstradt schreibt ein untypisches Szenarium: keine Heldengestalt, kein „Sieger der Geschichte“. Im Mittelpunkt steht eine Berlinerin, deren Mann in Russland gefallen ist und die ihre beiden Kinder allein großziehen muss. In der einfachen, vom Leben gebeutelten, zeitweilig resignierenden Frau können sich viele Zuschauerinnen wiederfinden. BESONDERE KENNZEICHEN: KEINE hat am Internationalen Frauentag Premiere.
(Deutsche Filmkunst, 4/1956, S. 100-103, 117; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 113)

16. März

Premiere des DEFA-Dokumentarfilms FRIEDRICH SCHILLER (R: Max Jaap). Für den abendfüllenden Dokumentarfilm kann das Team auch Szenen in Marbach am Neckar in der BRD drehen.
(DEFA 1946-1964 Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme FILMOGRAFIE, Henschel Verlag Berlin 1969, S. 67; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 107; Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen In: : Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 54)

29. März

Premiere des DEFA-Spielfilms JUNGES GEMÜSE (R: Günter Reisch). Es ist der erste Spielfilm von Günter Reisch als Regisseur, Günter Rücker als Autor und Alfred Hirschmeier als Szenenbildner. Das Lustspiel mit frechen Dialogen über Dramaturgen, Verwaltungen und Borniertheit muss an 16 Stellen entschärft werden. Der Leiter der HV Film Anton Ackermann erkennt sich im Bürokraten Amann wieder, interveniert aber nicht. Der Film wird vom Publikum freundlich aufgenommen.
(DEFA-Spielfilme 1946-1964, Filmografie, Hrsg.: Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 81; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 113f; Günter Reisch: Junges Gemüse In: Ingrid Poss, Peter Warnecke (Hg.): Die Spur der Filme, Zeitzeugen über die DEFA, Ch. Links Verlag, Berlin 2. Auflage 2006 S. 108f)

April 1956

1. April

Die DEFA startet die ersten Produktionen in Totalvision. Im DEFA-Dokumentarfilmstudio wird der Versuchsfilm WIR BAUEN UNSER TOR ZUR WELT (R: Heinz Reusch, 1958) über den Bau des Rostocker Überseehafens als Vierkanal-Magnetton-Breitbildfilm im DDR-eigenen CinemaScope-Verfahren Totalvision hergestellt. Im Spielfilmstudio entstehen SPIELBANK-AFFÄRE (R: Artur Pohl, 1957) und der Operettenfilm MAZURKA DER LIEBE (R: Hans Müller, 1957) als erste Produktionen in Totalvision.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 107)

1. April

Hans Rodenberg scheidet aus der DEFA aufgrund zweijähriger Erkrankung als Hauptdirektor aus. Sein Nachfolger als Hauptdirektor (neue Bezeichnung ab 9. Juli 1958: „Studiodirektor“) wird der langjährige Technische Direktor Albert Wilkening.
(vgl. Michael Grisko: Albert Wilkening- Der Gentleman der DEFA. Peter Lang GmbH, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Neuausgabe 2011, S. 131, 227; Günter Jordan: Film in der DDR, Daten - Fakten - Strukturen, Filmmuseum Potsdam, 2. überarbeitete Fassung 2013, S. 134; Biografie: Albert Wilkening , Filmmuseum Potsdam, Abruf: 15. September 2023)

22. April

Die Zeitschrift für das Amateur-Filmschaffen „Film für alle“ erscheint erstmals. Ab 1962 trägt sie den Namen „Fotokino-Magazin“. Chefredakteur ist Richard Groschopp. Die Zeitschrift erscheint alle zwei Monate im Wilhelm-Knapp-Verlag.
(Film für alle, 1/1956, S. 1; ND, 22. April 1956, S. 10)

25.–27. April

Zwischen dem Club der Filmschaffenden der DDR, STATIF der VR Polen und der Gewerkschaft der Kulturschaffenden der Tschechoslowakischen VR wird ein Vertrag über den Austausch, die Zusammenarbeit und Weiterentwicklung der Filmkunst geschlossen.
(Deutsche Filmkunst, 6/1956, S. 192)

26. April

Das erste Abkommen über kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und der DDR auf Regierungsebene wird durch den Volksbildungsminister der DDR, Fritz Lange, und den stellvertretenden Außenminister der UdSSR, Wladimir Semjonow, geschlossen. Fritz Lange betont, dass die DDR jetzt aus der Phase tritt, wo sie von der UdSSR überwiegend profitiert hat. Sie hat jetzt kulturell etwas zu bieten.
(ND, 27. April 1956, S. 2)

Mai 1956

Drei Monate nach der Geheimrede Nikita Chruschtschows „Der Personenkult und seine Folgen“ vor ausgewählten Delegierten des XX. Parteitags der KPdSU über die Verbrechen in der Stalinzeit finden im DEFA-Studio für Spielfilme außerordentliche Parteiversammlungen und Leitungssitzungen statt. Anton Ackermann, Leiter der HV Film, hält in einer Aktennotiz fest, die DEFA „sei außer Rand und Band“. Später sagt er: „Es ist sehr schwer in einen Betrieb zu gehen, wenn einem die Leute aus dem Weg gehen und sich jeder Bühnenarbeiter mit Verachtung umdreht, wenn er merkt, dass das einer aus der HV Film ist. So sind die Zustände, und die sind nicht zum Nutzen der Partei, die nutzen dem Feind.“

Spielfilmregisseur  Herbert Ballmann spricht in einer der Parteiversammlungen vielen aus der Seele: „Wenn man unsere Filme sieht, so ist es doch so, als gingen sie vorher durch eine bestimmte Reinigung. (…) Selbstverständlich werde ich nicht aufhören, den menschenfeindlichen Krieg anzugreifen, deshalb aber nicht vergessen, das, was bei uns unmenschlich und inhuman ist, anzuklagen. Wir müssen das gute Gewissen unseres Volkes sein.“

Ab der zweiten Jahreshälfte 1956 sind die DEFA-Studioleitungen befugt, eigenverantwortlich und ohne Vorabkontrolle durch die HV Film darüber zu entscheiden, welche Stoffe ins Atelier gehen.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 108)

13.–19. Mai

Die DEFA veranstaltet eine Festwoche anlässlich ihres 10-jährigen Bestehens. Erstmals aufgeführt werden EINE BERLINER ROMANZE (R: Gerhard Klein), THOMAS MÜNTZER (R: Martin Hellberg) und ZAR UND ZIMMERMANN (R: Hans Müller). In der Staatsoper findet eine Festveranstaltung statt. Außerdem montiert Bruno Kleberg DER VORFILM LÄUFT als Überblick über das Schaffen der DEFA-Studios mit Ausschnitten aus DEFA-Filmen. Selbstkritisch werden auch die weniger erfolgreichen Filme mit viel Humor beleuchtet und ein Ausblick auf die kommenden technischen Neuerungen gegeben.
(ND, 11. Februar 1956, S. 4; Filmspiegel, 9/1956, S. 6-7)

Anton Ackermann, Leiter der HV Film, schreibt für den Filmspiegel den Bericht „10 Jahre DEFA“. Darin würdigt er die Arbeit des Studios und lobt die quantitative Steigerung der fertiggestellten Spielfilme pro Jahrgang sowie die Rentabilität der Filme. Ackermann übt jedoch auch Kritik: Trotz „internationaler Spitzenleistungen“ sei das „ideologisch-künstlerische Durchschnittsniveau der DEFA-Filme nicht genügend“.
(Filmspiegel, 10/1956, S. 3)

Im Rahmen der Festwoche wird auch der Heinrich-Greif-Preis 1956 durch den stellvertretenden DDR-Kulturminister Alexander Abusch verliehen.

  • I. Klasse: An das Filmkollektiv des populärwissenschaftlichen Films UNSER ERZGEBIRGE um Erich Barthel (Regisseur), Günter Biedermann (Kameramann) und Hans-Hendrik Wehding (Komponist).
  • II. Klasse: An Albert Venohr (Regisseur), Gisela Reißmann (Schauspielerin) und Lothar Blumhagen (Schauspieler) für die Synchronisation des französischen Films ROT UND SCHWARZ (OT: LE ROUGE ET LE NOIR, R: Claude Autant-Lara, 1954).
  • III. Klasse: An das Filmkollektiv des Dokumentarfilms VIETNAM um Jochen Hadaschik (Regisseur), Hans Dumke (Kameramann) und Ella Ensink (Chefschnittmeisterin).

(Deutsche Filmkunst, 6/1956, S. 162)

17. Mai

Premiere des DEFA-Spielfilms EINE BERLINER ROMANZE von Gerhard Klein nach einem Drehbuch von Wolfgang Kohlhaase. Der zweite Film des Duos Klein/Kohlhaase orientiert sich in der Stilistik nicht mehr an der UFA-Tradition, sondern am italienischen Neorealismus. Er zeigt die geteilte Stadt Berlin mit den Augen eines Paares, sie eine 17-jährige Verkäuferin aus Ost-Berlin, er ein wenig älterer West-Berliner Autoschlosser. Trotz politisch korrekter Entscheidung des Paares für den Ostteil der Stadt traut die HV Film nicht der Überzeugungskraft der Fabel und fürchtet, dass der Film zur Aufforderung verstanden werden kann, nach dem Westen zu gehen.
(Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 130; Annekathrin Bürger: Eine Berliner Romanze. In: Ingrid Poss, Peter Warnecke (Hg.): Die Spur der Filme, Zeitzeugen über die DEFA, Ch. Links Verlag, Berlin 2. Auflage 2006, S. 110ff)

Juni 1956

Das DEFA-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme richtet in Hamburg eine Vertretung für die Bundesrepublik ein. Dieses „Büro Hamburg“ soll die Interessen des DEFA-Studios in der Bundesrepublik wahrnehmen.
(Katholische Film-Korrespondenz, 2. Jg., Nr. 7, 10. Mai 1956, S. 11 In: Jeanpaul Goergen: Chronik des deutschen Dokumentarfilms 1945-2005 . 2018. Abruf: 5. Februar 2024)

9. Juni

Im Spielfilmstudio gehen Gerüchte um, dass die UFA neu gegründet wird und DEFA-Leute mit großen finanziellen Anreizen abwerben will. Im Gespräch der Kaderleiterin Lore Wulf mit dem Tontechniker Gutschmidt erklärt dieser, dass er das Angebot annehmen würde, da er in sehr schlechten Wohnverhältnissen lebt. Das MfS empfiehlt, sich mit circa 60 unverzichtbaren Fachkräften zu unterhalten, um zu erfahren, ob auch bei anderen Personen solche Schwierigkeiten vorhanden sind. Die Aussprachen sollen erreichen, dass die Kaderabteilung einen Überblick bekommt, wie die Fachkräfte wohnen und welche Sorgen sie haben, damit nicht durch eine Verärgerung Fachkräfte die Arbeitsstelle zur UFA wechseln.
(Sonderinformation – Betrifft: Spielfilmstudio DEFA – Babelsberg [Information Nr. M127/56] , Abruf: 27. März 2023)

22. Juni

Premiere des DEFA-Dokumentarfilms STAPELLAUF (R: Alfons Machalz). In bisher nicht gekannter Freimütigkeit werden selten thematisierte gesellschaftliche Sachverhalte und Probleme am Beispiel der Volkswerft Stralsund gezeigt: Von Fehlern des leitenden FDJ-Sekretärs, über Schwierigkeiten bei der Integration eines früheren Fremdenlegionärs, bis zu Alkoholproblemen.
(DEFA 1946-1964 Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme FILMOGRAFIE, Henschel Verlag Berlin 1969, S. 85; Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen. In: : Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 63)

August 1956

Die Filmklubbewegung der DDR wird auf der Generalversammlung der „Fédération Internationale des Ciné-Clubs“ (FICC) in Marly le Roi bei Paris als provisorisches Mitglied in die Vereinigung aufgenommen. Gezeigt wird der DEFA-Film DER TEUFELSKREIS (R: Carl Balhaus) in Anwesenheit des Hauptdarstellers Jochen Brockmann.
(Filmspiegel, 18/1956, S. 12)

14. August

Mit Bertolt Brecht stirbt einer der wichtigsten deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts im Alter von 58 Jahren. Er wird mit einem Staatsakt geehrt, auf dem unter anderem der Minister für Kultur, Johannes R. Becher, und der stellvertretende Ministerpräsident, Walter Ulbricht, Trauerreden halten. Die DDR-Regierung und künstlerische Institutionen sind sich einig, dass Brechts Werk für die Zukunft bewahrt werden muss, darunter auch die Inszenierungen des Berliner Ensembles. So werden in den folgenden Jahren durch die DEFA die Theateraufführungen „Die Mutter“, „Katzgraben“ und „Mutter Courage und ihre Kinder“ abgefilmt.
(Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 109ff)

Filmplakat zu "Du und mancher Kamerad"

DU UND MANCHER KAMERAD

(R: Andrew Thorndike, Annelie Thorndike, 1956) Grafiker: John Heartfield

31. August

Premiere des DEFA-Dokumentarfilms DU UND MANCHER KAMERAD (R: Andrew und Annelie Thorndike). Der Film ist die bis dahin aufwendigste Produktion des Ehepaars. Es wird versucht, das historische Verständnis der DDR in einem breit angelegten Entwurf zu illustrieren.

DU UND MANCHER KAMERAD baut auf der Grundthese auf, dass beide Weltkriege von Interessengruppen der Wirtschaft angezettelt wurden, um neue Absatzmärkte zu erobern. Dazu zieht der Film einen großen Bogen vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die NS-Diktatur bis ins Jahr 1955. Um die personelle Kontinuität zu belegen, werden in Film- und Fotodokumenten Offiziere mit Hitler und anderen NS-Größen gezeigt und durch weiße Pfeile im Standbild hervorgehoben. Anschließend werden sie in aktuellem Wochenschaumaterial als Bundeswehrgenerale mit Adenauer vorgeführt. DU UND MANCHER KAMERAD begründet die Tradition des „Archivfilms“ mit stilbildendem Einfluss auf die DEFA, insbesondere die Arbeiten von Karl Gass sowie Heynowski und Scheumann (H&S).

Mithilfe von zum Teil unbekanntem Filmmaterial werden 50 Jahre deutsche Geschichte rekapituliert. In zweijähriger Arbeit sichten die Dokumentaristen über eineinhalb Millionen Meter Archivfilm, von denen letztendlich knapp 3.000 Meter ausgewählt werden. Die Regisseure nutzen auch nachgestelltes Filmmaterial. Aufgrund fehlender Original-Aufnahmen greifen sie für die Illustration des Reichstagbrands vom 27. Februar 1933 auf eine Szene aus dem kürzlich fertiggestellten DEFA-Spielfilm DER TEUFELSKREIS (R: Carl Balhaus) zurück. Für die Spielfilmproduktion wurde ein maßstabgetreues Modell des Reichstags in Brand gesetzt. Durch nachträgliches Zerkratzen und optische Verfremdungen lassen die Thorndikes das Material authentisch aussehen. Die Aufnahmen werden international als authentisch interpretiert und finden Eingang in das kulturelle Gedächtnis.

In der DDR sehen DU UND MANCHER KAMERAD vier Millionen Zuschauer, zum Teil in organisierten Kinobesuchen. Er wird in über 50 Länder exportiert. Es entstehen englisch- und französischsprachige Filmfassungen.
(Deutsche Filmkunst, 4/1956, S. 97-98, 8/1957, S. 236-240; DEFA 1946-1964 Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme FILMOGRAFIE, Henschel Verlag Berlin 1969, S. 77; Matthias Steinle: Deutsch-deutsche Feindbilder: Die gegenseitige Darstellung von BRD und DDR im Dokumentarfilm der 1950er Jahre. DEFA-Jahrbuch 2005, S. 98ff; Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen. In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 73f; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 111; Andreas Kötzing: Ist das etwa die Sache mit der Brandstiftung? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Mai 2023; S. 14)

September 1956

In der September-Ausgabe der Filmzeitschrift „Deutsche Filmkunst“ veröffentlicht Kurt Maetzig den Artikel „Die Zeit ist reif“, in dem er die Bildung von freiwilligen Produktionsgruppen vorschlägt, um die Filmproduktion der DDR qualitativ und quantitativ zu steigern. Erster Schritt soll die Schaffung eigener Dramaturgien sein, dann die wirtschaftliche und künstlerische Selbständigkeit. In seinen Thesen ist zu lesen:

  1. Das Verhältnis des Staates zu den Filmkünstlern muss geändert werden. Es muss an der Spitze der Produktionsgruppen einen künstlerisch und politisch verantwortlichen Leiter geben, dem vom Staat ausgedehnte Vollmachten gegeben werden. Er muss bevollmächtigt sein, Filmprojekte anzunehmen oder abzulehnen, das Produktionsprogramm seiner Gruppe zu bestätigen und die Filme ohne Einmischung von außen bis zur Vorführung in der Abnahmekommission zu produzieren. (…)
  2. Die Gruppen brauchen wirtschaftliche Freiheit. (…) Die Produktionsgruppen sollen frei sein, nicht nur die Dienste des DEFA Studios für Spielfilme, sondern beliebig anderer Betriebe in Anspruch nehmen zu können, wenn diese ihnen bessere Bedingungen gewähren. (…)
  3. In den Produktionsgruppen soll die Bezahlung der Künstler nach dem Leistungsprinzip erfolgen, d.h. a.) nach dem künstlerischen und ideologischen Wert des produzierten Filmes, b.) nach dem Einspielerlös im In- und Ausland und c.) nach den Ersparnissen gegenüber den durchschnittlichen Filmkosten eines Filmes gleicher Kategorie im Studio. (…)
    Bei der Gründung der Produktionsgruppen muss das Prinzip der vollen Freiwilligkeit gewahrt bleiben. Es wäre höchst schädlich, das Dogma des zentralisierten Bürokratismus durch ein neues Dogma zu ersetzen. (…)
    Bei der Abnahme der Filme soll es ganz bestimmte Ablehnungsgründe geben, z.B. sollen nur Filme, die gegen den Frieden, gegen die Völkerfreundschaft, gegen die Demokratie oder gegen den Sozialismus gerichtet sind, zurückgewiesen werden. Die Abnahme, die natürlich eine Zensur einschließt, darf der Gruppe nicht die Verantwortung aus der Hand nehmen und soll nicht eine ideologische und künstlerische Bevormundung fortsetzen. In der Abnahmekommission sollen Vertreter des Staates, der Partei, der Studioleitung und der Künstler zusammenwirken. Die Abnahme soll in Gegenwart der verantwortlichen Künstler stattfinden. Gegen die Entscheidung der Abnahmekommission muss es ein Berufungsrecht an den Minister für Kultur geben, der für diesen Fall eine kleine Kommission aus den befreundeten Kulturpolitikern und Künstlern zusammenruft. (…)

(Kurt Maetzig: Filmarbeit Henschelverlag Berlin 1987, S. 265ff - Zitierter Auszug in: Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 111f)

9.–16. September

Auf dem XII. Kongress der Fédération Internationale des Archives du Film (FIAF) in Dubrovnik wird das Staatliche Filmarchiv der DDR ordentliches Mitglied der FIAF.
(Deutsche Filmkunst, 10/1956, S. 319)

September

In Bulgarien findet eine deutsche Filmwoche statt. Gezeigt werden die DEFA-Filme Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse (R: Kurt Maetzig, 1955), Genesung (R: Konrad Wolf, 1955) und Eine Berliner Romanze (R: Gerhard Klein, 1956).

Im Oktober zeigt die DEFA in Korea auf einer Filmwoche der DDR die Filme DER TEUFELSKREIS (R: Carl Balhaus, 1955) und MEIN KIND (R: Joris Ivens, Alfons Machalz und Vladimir Pozner, 1955).

Solche Filmwochen finden in den folgenden Jahren bilateral in unregelmäßiger Folge in allen sozialistischen Ländern statt. Sie werden jeweils von einer DEFA-Delegation (bzw. Delegation des entsendenden Landes) begleitet, die für Diskussionen zur Verfügung steht.
(Filmspiegel, 21/1956, S. 2; Der Film-Agitator, Oktober 1956, S. 1-2; Filmspiegel, 21/1956, S. 3; Deutsche Filmkunst, 10/1956, S. 297-299; Der Augenzeuge 1956/43)

23.–29. September

In Wien findet der 10. Kongress der Internationalen Vereinigung für den wissenschaftlichen Film über Fragen der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen durch den Film und der Verbreitung des Wissens mit Hilfe des populärwissenschaftlichen Films statt. Die DDR nimmt mit 15 Filmen teil. Die Delegation wird von Reinhard Stier, Direktor des DEFA-Studios für populärwissenschaftliche Filme, angeführt.
(Deutsche Filmkunst, 11/1956, S. 352)

Oktober 1956

Die Sektion „Wissenschaftlicher Film“ beim Club der Filmschaffenden in Berlin konstituiert sich. Die DDR wird Mitglied der „Internationalen Vereinigung für den wissenschaftlichen Film“ (International Scientific Film Association, ISFA).
(Deutsche Filmkunst, 8/1956, S. 253-254)

6. Oktober

Der Nationalpreis für Kunst und Literatur 1956 wird verliehen.

  • II. Klasse: An das Filmkollektiv DU UND MANCHER KAMERAD. Dazu gehören Karl Eduard von Schnitzler und Günther Rücker als Autoren, Paul Dessau als Komponist sowie Annelie und Andrew Thorndike als Regisseure.
  • III. Klasse:  Ernst Kunstmann wird für sein Gesamtschaffen als Trickfilmkameraman ausgezeichnet.

(Filmspiegel, 22/1956, S. 2; ND, 7. Oktober 1956, S. 7)

23.-28. Oktober

Auf den III. Westdeutschen Kulturfilmtagen (ab 1959: „Kurzfilmtage“) in Oberhausen laufen zum ersten Mal Filme der DEFA. Im Gegensatz zu Filmen aus dem Westen, zu dem auch Jugoslawien gezählt wird, muss die Vorführung von Filmen aus den sozialistischen Ländern von den Bonner Ministerien zuvor genehmigt werden. Nach dem Selbstverständnis des Interministeriellen Ausschusses ist seine Funktion keine Zensur, sondern Verwaltungstätigkeit auf dem Sektor der Zoll- und Einfuhrgesetze. Der Zoll habe bei der Einfuhr die sogenannten Verbringungsverbote zu beachten, darunter solche, die Verstöße gegen die westdeutschen Verfassungs- und Strafgesetze beträfen. Elf verschiedene Formulare sind zur Erlangung der sogenannten Einfuhrerlaubnis für einen ‚Ostblockfilm‘ auszufüllen. Die DEFA reichte sechs Filme ein, von denen fünf präsentiert werden konnten, darunter DIE BILDER VON DRESDEN (R: Joachim Hellwig, 1955) und LEBENDES EISEN (R: Berthold Beißert, 1955). Nicht gezeigt werden durfte VOM LEBENSWEG DES JAZZ (R: Wolfgang Bartsch und Peter Ulbrich, 1956).
(Dietrich Kuhlbrodt: DEFA-Filme in Oberhausen Rückblick auf fünfzig Jahre. DEFA-Jahrbuch 2005, S. 106f; ND, 4. November 1956, S. 6)

November 1956

4.–10. November

Die Leipziger Kultur- und Dokumentarfilmwoche findet zum ersten Mal mit internationaler Beteiligung statt. Es ist die zweite derartige Filmwoche. Zum Abschluss der Veranstaltung wird von den Journalisten des In- und Auslands ein „Wanderpreis für die drei am besten misslungenen Filme“ gestiftet. Eine Aufforderung an Studios, Regisseure und Veranstalter künftig kritischer bei der Herstellung der Filme und bei der Zusammenstellung des Programms zu sein. Der „Gesamtdeutsche Gartenzwerg ersten Grades“ ging an GELBE KÖRNER AUS MEXIKO (R: Johannes Weiße, 1956), eine Auftragsproduktion des DEFA-Studios für populärwissenschaftliche Filme für das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR.
(Deutsche Filmkunst, 12 /1956, S. 370-372; Filmspiegel, 24/1956, S. 5; Thomas Heimann: Von Stahl und Menschen In: : Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 61; Günter Jordan: Film in der DDR, Daten - Fakten - Strukturen, Filmmuseum Potsdam, 2. überarbeitete Fassung 2013, S. 397f)

20. November

Der bundesdeutsche interministerielle Filmausschuss gibt seine Zulassung für den DEFA-Spielfilm DER UNTERTAN von Wolfgang Staudte in der BRD. Der Film, der 1951 nach Heinrich Manns Roman gedreht wurde, gilt inzwischen als Meisterwerk und wird mit diversen internationalen Preisen bedacht. Die westdeutsche Zeitschrift „Der Spiegel“ schreibt: „Seit fünf Jahren ist dieser deutsche Film mit außergewöhnlich großem Erfolg in mehreren europäischen Ländern, noch niemals jedoch offiziell in der Bundesrepublik gezeigt worden, obwohl sich der Geschäftsführer der Berliner »Ideal Film G.m.b.H.«, der Filmkaufmann Erich Mehl, seit drei Jahren darum bemüht. (…) Seit neuestem aber kann der Ausschuss nur dann noch ablehnen, wenn ein Film nachweislich gegen den Paragraphen 93 des Strafgesetzbuches („Herstellung verfassungsverräterischer Publikationen“) verstößt. »Der Untertan« wurde als erster Film unter diesem Gesichtspunkt geprüft und notgedrungen freigegeben.“
(n.n.: Plädoyer für den Untertan . In: Der Spiegel Nr. 47/1956 vom 20. November 1956, Abruf: 7. März 2023; Ralf Schenk: DEFA 1946-1992. 100 Jahre Studio Babelsberg. Filmmuseum Potsdam, 2012, S. 129)

Dezember 1956

Filmplakat zu "Der Hauptmann von Köln"

DER HAUPTMANN VON KÖLN

(R: Slatan Dudow, 1956) Grafiker: Adolf Baltzer

7. Dezember

Premiere des DEFA-Spielfilms DER HAUPTMANN VON KÖLN (R: Slatan Dudow). Der Film ist eine stilistisch konsequente antifaschistische Satire und zeichnet eine Karikatur über die Rückkehr alter Nazi-Eliten auf Schlüsselpositionen in der Bundesrepublik.
(Deutsche Filmkunst, 1/1957, S. 6-8, 2/1957, S. 38-40, 4/1957, S.114-115, 5 /1957, S. 147; Filmspiegel, 1/1957, S. 3; Ralf Schenk: DEFA 1946-1992. 100 Jahre Studio Babelsberg. Filmmuseum Potsdam 2012, S. 131; Ralf Schenk: Mitten im kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 118)

23. Dezember

Premiere des DEFA-Spielfilms DIE FAHRT NACH BAMSDORF (R: Konrad Petzold). Petzold, der in Prag Filmregie studierte und ehemals Schauspieler am Kinder- und Jugendtheater war, gibt mit diesem Kinderfilm sein Regiedebüt. Der Film um die Abenteuer zweier Geschwister, auf dem Weg in die Ferien zu ihrer Großmutter, wird ein großer Publikumserfolg. Das in der DDR bekannte Kinderlied „Wohin soll denn die Reise geh’n?“ stammt aus DIE FAHRT NACH BAMSDORF. Ein Jahr später wird aufgrund des Erfolgs eine Fortsetzung gedreht. Beide Filme werden 1958 auf der Filmkonferenz als zu idyllisch kritisiert. Auch das Fehlen der Pionierorganisation wird kritisch angemerkt.
(Deutsche Filmkunst, 2/1957, S. 36-38; ND, 22. Dezember 1956; S. 6; F.-B. Habel: Das große Lexikon der Spielfilme, Neuausgabe in zwei Bänden, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017, S. 1091; Ralf Schenk: Mitten im Kalten Krieg 1950 bis 1960. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 133)

31. Dezember

Als letzte Maßnahme im Zuge der Reorganisation des Lichtspielwesens wird der VEB Filmtheater (ehemalige Sovexport-Theater) aufgelöst.
(Wolfgang Harkenthal, Stellv. des Leiters der HV Film, über „Neue Aufgaben des Lichtspielwesens“. In: Deutsche Filmkunst, 10/1956, S. 300-302)

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