DEFA-Chronik für das Jahr 1972
Februar 1972
10. Februar
Premiere des DEFA-Lustspiels DER MANN, DER NACH DER OMA KAM von Roland Oehme nach der Erzählung „Graffunda räumt auf“ von Renate Holland-Moritz. Der Film wird vom Publikum sehr gut angenommen. Trotz eines herausgehobenen Milieus (ein Schauspieler und eine Sängerin leben – DDR-untypisch – in einer Großraum-Neubauwohnung mit Dachgarten) schafft die Story eine soziale Identifikation, befördert durch hervorragende Darstellerinnen und Darsteller sowie die Neuentdeckung Winfried Glatzeders. Der Film erreicht in den ersten 14 Tagen 250.000 Zuschauer und bleibt ein Dauerrenner.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1971, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 20; Filmspiegel, 4/1972, S. 8; Klaus Wischnewski: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis 1979f. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 223, 246)
März 1972
16. März
Premiere des DEFA-Spielfilms DER DRITTE unter der Regie von Egon Günther nach der Erzählung „Unter den Bäumen regnet es zweimal“ von Eberhard Panitz. Panitz‘ Erzählung beruht auf den realen Erlebnissen Gisela Ufers, Ingenieur-Ökonomin in der PCK-Raffinerie Schwedt. Ein Mädchen (gespielt von Jutta Hoffmann), das aus der Diakonissen-Schule fortgegangen ist und mit zwei Männern auf die Nase gefallen ist, will es wissen: Sie holt sich selbst den richtigen Mann, den „Dritten“. Sie will ein selbstbestimmtes Leben führen und sich nur bedingt den Zwängen der Gesellschaft unterordnen.
Der Film erringt – nach 15 Durstjahren für die DEFA (Im Jahr 1958 erhielt LISSY die Trophäe) – den Hauptpreis bei den Filmfestspielen in Karlovy Vary. DER DRITTE wird außerdem auf dem Filmfest Biennale in Venedig ausgezeichnet. Jutta Hoffmann erhält den Nationalpreis II. Klasse und Egon Günther den Nationalpreis III. Klasse.
Im Vorfeld gibt es massive Einsprüche, u.a. von der Abteilung Kultur und der Abteilung Frauen im ZK der SED. Ein erotischer Kuss zwischen zwei Frauen soll der Schere zum Opfer fallen. Kurt Hager stimmt letztlich im Dezember 1971 einer Aufführung des Films zu: „Alles Für und Wider im Film soll und muss auch öffentlich diskutiert werden“. Egon Günther resümiert später: „Sie hatten den Wunsch und die Illusion: Warum können denn diese Buben nicht einmal einen Film machen, der uns endlich hilft zu regieren, und der deutlich werden lässt, dass wir in der besten aller Welten leben? Sie haben nicht begriffen, […] dass es nicht geht, dass Kunst subversiv sein muss. Kunst muss dagegen sein… Es war ihnen vollkommen klar, dass wir sie nicht mögen…“
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1971, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 15; FWB, 1972, S. 262-276; Aus Theorie und Praxis des Films, 5/1972; Filmspiegel, 6/1972, S. 8, 17/1972, S. 3; Klaus Wischnewski: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis 1979f. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 248f; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 175ff; Jutta Hoffmann/Egon Günther In: Spur der Filme (Hrsg. Ingrid Poss, Peter Warnecke). Ch. Links Verlag Berlin 2. Auflage 2006, S. 280f; Ralf Schenk: DEFA 1946-1992. 100 Jahre Studio Babelsberg. Filmmuseum Potsdam 2012, S.141)
27. März
Im Alter von 62 Jahren verstirbt mit Raimund Schelcher einer der großen Theater- und Filmschauspieler der 1950er-Jahre.
1910 im damaligen Kolonialland Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) geboren, lebt er erst ab seinem 14. Lebensjahr in Deutschland. Nach einer Schaulspielausbildung spielt er ab 1930 Theater, ab 1938 unter dem legendären Heinrich George am Berliner Schillertheater. 1939, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, wird Schelcher aufgrund seiner freimütigen Äußerungen über die Verhältnisse in Nazideutschland von der Gestapo verhaftet. In einem Strafbataillon wird er an die Ostfront geschickt und gelangt schließlich in sowjetische Kriegsgefangenschaft. 1949 wird er entlassen. Ab 1950 lebt und wohnt der Schauspieler in Ost-Berlin, gehört zum Ensemble des Deutschen Theaters. 1954 holt ihn Bertolt Brecht zum Berliner Ensemble.Ab Ende der 1940er-Jahre spielt er auch wieder im Film, zunächst prägnante Charaktere in Nebenrollen. So z.B. in DER UNTERTAN (1951), GEHEIMAKTEN SOLVAY (1952) oder Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse (1955). Nach einer Auseinandersetzung mit Brecht kann Kurt Maetzig Schelcher 1957 in SCHLÖSSER UND KATEN in einer Hauptrolle besetzen, die die Rolle seines Lebens wird: Der Knecht, der Krumme Anton. Aufgrund seiner Alkoholsucht kann Schelcher in den 1960er-Jahren nicht mehr im Film besetzt werden.
(Deutsche Filmkunst, 5/1957, S. 135-138; Klaus Wischnewski: Raimund Schelcher. In „Vor der Kamera. Fünfzig Schauspieler in Babelberg“ (Hg. Ralf Schenk). Filmmuseum Potsdam & Henschel Verlag Berlin. 1. Auflage 1995, S. 205; F.-B. Habel, Volker Wachter: „Lexikon der DDR-Stars“, Verlag Schwarzkopf&Schwarzkopf, 1999, S. 291)
30. März
Premiere des DEFA-Politkriminalfilms Leichensache Zernik von Helmut Nitzschke. Der Film beruft sich auf wirkliche Ereignisse aus dem Jahr 1948: Ein Frauenmörder nutzt die Sektorengrenzen und die schwierige Zusammenarbeit der Polizei für sein Versteckspiel.
Die DDR-Filmkritik befindet, dass es sich um den einzigen ernstzunehmende Kriminalfilm der DEFA seit vielen Jahren handelt. Ursprünglich war das Projekt von Regisseur Gerhard Klein geplant worden, der jedoch während der Dreharbeiten 1970 stirbt. Helmut Nitzschke, der bisher in dieser Produktion als Regieassistent tätig war, dreht den Film in einem neuen Anlauf 1971/72 mit neuem Stab und neuer Besetzung.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1972, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 21; Klaus Wischnewski: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis 1979f. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 246; Filmspiegel, 7/1972, S. 15, 9/1972, S. 8)
April 1972
6. April
Verleihung des Heinrich-Greif-Preises 1972.
- I. Klasse: An das Schöpferkollektiv der publizistischen Fernsehreihe „Entdeckungsreisen“.
- II. Klasse: An das Kollektiv der Trickfilmserie TEDDY PLÜSCHOHR UND SEINE FREUNDE um Monika Anderson, Werner Krauße, Horst J. Tappert und Hannelore Holz
- II. Klasse: An das Filmkollektiv ZEIT DER STÖRCHE um Regisseur Siegfried Kühn, Szenaristin Regine Kühn, Kameramann Erich Gusko und Dramaturg Gerhard Hartwig.
(Filmspiegel, 9/1972, S. 3)
10.–14. April
In Stockholm werden DDR-Filmtage ausgerichtet. Teil des Programms sind die DEFA-Produktionen: KLK AN PTX - DIE ROTE KAPELLE (R: Horst E. Brandt, 1970), GOYA (R: Konrad Wolf, 1971), ICH WAR NEUNZEHN (R: Konrad Wolf, 1967), ABSCHIED (R: Egon Günther, 1968), OSCEOLA (R: Konrad Petzold, 1971) und DIE BESTEN JAHRE (R: Günther Rücker, 1965).
Außerdem finden im Jahr 1972 weitere Filmwochen der DEFA im nichtsozialistischen Ausland bzw. in der DDR - Filmwochen nichtsozialistischer Länder statt:
- im Mai: 4. Filmwoche der DDR in Damaskus (Syrien) mit den Filmen: HE, DU! (R: Rolf Römer, 1969), ANFLUG ALPHA 1 (R: János Veiczi, 1971), SIGNALE - EIN WELTRAUMABENTEUER (R: Gottfried Kolditz, 1970), DU UND ICH UND KLEIN-PARIS (R: Werner W. Wallroth, 1970), OSCEOLA (R: Konrad Petzold, 1971). Zudem wird eine Ausstellung über die Entwicklung und den aktuellen Stand der DDR-Filmproduktion ausgerichtet.
- im Juni: Tage des DDR-Trickfilms im Rahmen der I. Internationalen Trickfilmausstellung in Zürich. Veranstalter ist das Kunstgewerbemuseum Zürich.
- im Oktober: DDR-Filmwoche in Helsinki mit sechs DEFA-Filmen.
- im Oktober DDR-Filmwoche in Rom und Mailand mit den DEFA-Filmen: GOYA (R: Konrad Wolf, 1971), ICH WAR NEUNZEHN (R: Konrad Wolf, 1968), DER DRITTE (R: Egon Günther, 1971), ABSCHIED (R: Egon Günther, 1968) und MEIN LIEBER ROBINSON (R: Roland Gräf, 1970).
- im Oktober: DDR-Filmwoche in Algier. Veranstalter sind die Cinémathèque Algier zusammen mit der deutsch-arabischen Gesellschaft der DDR. Gezeigt werden die Dokumentarfilme: SONG INTERNATIONAL (R: Jürgen Böttcher, 1971) sowie DER LACHENDE MANN (R: Walter Heynowski & Gerhard Scheumann, 1965/66) und die Spielfilme: DIE BESTEN JAHRE (R: Günther Rücker, 1965) sowie ZEIT ZU LEBEN (R: Horst Seemann, 1969).
- im November: DDR-Filmwoche in Bagdad (Irak) mit den Spielfilmen: OSCEOLA (R: Konrad Petzold, 1971), SIGNALE - EIN WELTRAUMABENTEUER (R: Gottfried Kolditz, 1970), ANFLUG ALPHA 1 (R: János Veiczi, 1971) und weiteren.
- im Dezember: Tage des DDR-Films in Brazzaville (Republik Kongo).
- im Dezember: Zweite Woche des französischen Films in der DDR mit sieben Filmen in Berlin, Dresden, Leipzig, Rostock und Erfurt.
(Filmspiegel, 10/1972, S. 2; Filmspiegel, 13/1972, S. 2, 14/1972, S. 2; Filmspiegel, 16/1972, S. 3; Filmspiegel, 21/1974, S. 2; Filmspiegel, 22/1972, S. 2-3; Filmspiegel, 24/1972, S. 3; Filmspiegel, 26/1972, S. 3; Filmspiegel, 25/1972, S. 4-8, 1/1973, S. 2; Treffpunkt Kino, L/1972, S. 5-9)
14. April
Der DEFA-Dokumentarfilm Montage adé... - Ein Brigadier erzählt läuft in den Kinos an. Regisseur Ulrich Weiß porträtiert einen nachdenklichen Arbeiter, der über seine Arbeit und seine Umwelt reflektiert, wobei die Landschaft bewusst einbezogen wird. Daraus ergibt sich ein authentisches Gespräch in der Arbeitsumgebung.
Arbeit und Ruhe strukturieren den Film. Licht und Farbe sind so gewählt, dass sie Bewegung und Schönheit vorwiegend im Szenischen deutlich werden lassen. Die Leute haben Zeit, sich zu bewegen, sich durch ihre Rede zu äußern. Diese Haltung gegenüber der Wirklichkeit ist zu dieser Zeit im DEFA-Dokumentarfilm kaum üblich.(Filmbibliografischer Jahresbericht 1966, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 42; Eduard Schreiber: Zeit der verpassten Möglichkeiten. In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 135)
30. April
Eröffnung des Filmtheaters „Studio Camera“ - ein Repertoire-Theater im ehemaligen Kino OTL am Oranienburger Tor in Berlin. Leiter wird Willi Lindner.
(Sonntag, 30. April 1972; Filmspiegel, 13/1972, S. 10-11)
Mai 1972
8. Mai
Alexander Graf Stenbock-Fermor (1902–1972), „Der rote Graf“ und Widerstandskämpfer in der NS-Zeit, stirbt. Bei der DEFA war als Autor beteiligt an: Grube Morgenrot (1948), Semmelweis – Retter der Mütter (1950), Karriere in Paris (1952), Das Fräulein von Scuderi (1958), Tilman Riemenschneider (1958), Der schweigende Stern (1960) und Mord ohne Sühne (1962).
(FWB, Sonderband, 1/1981, S. 356-364; Der rote Graf. Autobiographie. Verlag der Nation, Berlin 1973)
21. Mai
Der Spielfilm Der kleine Prinz von Regisseur Konrad Wolf nach Antoine de Saint-Exupérys gleichnamiger Erzählung wird einmalig im Fernsehen der DDR ohne jegliche Vorankündigung ausgestrahlt. Konrad Wolf inszeniert die Geschichte des kleinen Prinzen, eines Kindes, das durch seinen naiven Blick die Schwächen der Menschen von Eitelkeit, Geldgier und Kriegslust offenlegt, eng an der literarischen Vorlage.
1965 wurde entschieden, dass Der kleine Prinz der Einstiegsfilm für ein künftiges Farbfernsehen der DDR werden soll. 1966 mit hohen Kosten produziert, kann er aber nicht regulär aufgeführt werden, da die an der Produktion Beteiligten es versäumt haben, vor Drehbeginn die Rechte an der literarischen Vorlage und der deutschen Übersetzung zu erwerben. Eine Auswertung des Films war damit nach international geltendem Urheberrecht nicht möglich.
Die Ausstrahlung am 21. Mai 1972 um 20:00 Uhr im Zweiten Programm des DDR-Fernsehens bleibt zwar ohne rechtliche Folgen, doch das Risiko, juristisch belangt zu werden, wird vom DFF nie wieder eingegangen. Erst 50 Jahre später – seit dem 1. Januar 2015 – kann die DEFA-Produktion öffentlich gezeigt werden, da die Schutzfrist der literarischen Vorlage von Antoine de Saint-Exupéry abgelaufen ist.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1966, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 21; Steffi Prutean: Der kleine Prinz aus Babelsberg. Alter Defa-Film wird wieder gezeigt. Tagesspiegel vom 24. April 2015; Mitteldeutscher Rundfunk: Der Kleine Prinz und die fehlende Lizenz. DIE KURIOSE GESCHICHTE EINER DDR-FARBFERNSEHPRODUKTION [11. April 2017])
Juni 1972
23. Juni
Der Dokumentarfilm Versuch über Schober von Regisseur Richard Cohn-Vossen über Hans Schober, Meister im Großforschungszentrum Leuna und vielfach als „Vorzeigemensch“ in den DDR-Medien propagiert, kommt in die Kinos. Cohn-Vossen will nicht das plakatierte Bild Schobers untermalen, sondern sucht seinen eigenen Zugang. Er will wissen, was für ein Mann Schober ist. Es wird deutlich, dass Irrtümer möglich sind.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1971, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 45; Eduard Schreiber: Zeit der verpassten Möglichkeiten. In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 132ff)
25. Juni
Mit Günther Simon stirbt einer der meistbeschäftigten und beliebten Schauspieler der DEFA nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 47 Jahren. Obwohl Simon bis heute als erstes mit den beiden Thälmann-Filmen von Kurt Maetzig in Verbindung gebracht wird, erinnern sich andere auch an seine Charakterdarstellungen, wie in SONNENSUCHER (R: Konrad Wolf, 1958) oder Rollen in Filmen der leichteren Art, wie etwa MEINE FRAU MACHT MUSIK (R: Hans Heinrich, 1958).
(Filmspiegel, 15/1972, S. 10-11; DEFA-Blende, 13/1972; Prisma - Kino - und Fernseh - Almanach 4, Berlin, 1972, S. 101-108)
Juli 1972
1. Juli
Auf der Freilichtbühne Grünau findet die Premiere DEFA-Abenteuerfilms TECUMSEH von Hans Kratzert statt. In der Reihe der DEFA-Indianerfilme ist es der ehrgeizigste Versuch, die tragische Ausweglosigkeit indianischer Selbstbehauptung als historischen Film zu gestalten.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1972, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 26; Filmspiegel, 17/1972, S. 18; Klaus Wischnewski: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis 1979. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 222f)
August 1972
18. August
Premiere der DEFA-Märchenverfilmung SECHSE KOMMEN DURCH DIE WELT von Rainer Simon. In der Hauptrolle gastiert der tschechische Regisseur Jiří Menzel, der wegen kritischer Filme während des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei ein Berufsverbot erhielt. Die DEFA besetzt ihn ohne Auflagen.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1972, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 25; Filmspiegel, 19/1972, S. 8; Klaus Wischnewski: Träumer und gewöhnliche Leute 1966 bis 1979. In: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. Potsdam 1994, S. 250; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 174; Ralf Schenk: DEFA 1946-1992. 100 Jahre Studio Babelsberg. Filmmuseum Potsdam 2012, S. 139)
September 1972
9. September
Wolfgang Kernicke wird zum Direktor des DEFA-Studios für Kurzfilme berufen (1972 - 1975), unter Beibehaltung seiner Funktion als Direktor des DEFA - Studios für Trickfilme (1969 - 1980). Monika Anderson, Regisseurin, wird in das Amt des Künsterlischen Leiters eingeführt. Verabschiedung des bisherigen Direktors Hans Wrede, Berufung zum Direktor der DEFA - Kopierwerke.
(in: Filmspiegel, 20/1972, S. 2)
21. September
X. Kongress der UNIATEC (Internationale Vereinigung der Filmtechniker - Verbände) in Berlin. Thema: “Einflüsse neuer Übertragungs - , Verbreitungs- und Speicherungsverfahren von Bild - und Toninformationen auf die gegenwärtige und künftige Struktur der Technik in Film, Fernsehen und anderen Massenmedien”. Eröffnung mit der Premiere des DEFA - Films „Eolomea”, RE: Herrmann Zschoche
(in: Filmspiegel, 20/1972, S. 2, 21/1972, S. 3; DEFA - Blende, 19/1972)
Oktober 1972
Der Hamburger Kameramann und Regisseur Arthur (seltener: Artur) Killus stirb im Alter von 48 Jahren. Killus arbeitete als Kameramann ab den 1950er-Jahren für den DEFA-„Augenzeugen“ in Westdeutschland sowie für Projekte von DEFA-Regisseuren wie Andrew Thorndike, Karl Gass, Joop Huisken, Joachim Hadaschik und anderen.
(Filmspiegel, 13/1956, S. 2, 23/1972, S. 3; ND, 26. November 1970, S. 5)
5. Oktober
Das Kurz- und Dokumentarfilmkino „Kino am Berliner Fernsehturm“ mit 110 Sitzen eröffnet. Das Kino soll den Dokumentarfilm aus seiner untergeordneten Rolle als Beifilm holen und gleichzeitig Ort für Filmdiskussionen zu werden. Außerdem ist geplant, interessanten Amateurfilmen eine Spielstätte zu bieten. Als Regisseur realisierte er u.a.: BAUER AUFSTEHEN (für das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR) und BILANZ EINES JAHRES (1970) über die DKP.
(Filmspiegel 22/1972, S. 3; ND, 7. Oktober 1972, S. 8; Berliner Zeitung, 6. Oktober 1972, S. 1)
6. Oktober
Verleihung des Nationalpreises für Kunst und Literatur 1972.
- I. Klasse: An das Kollektiv um Regisseur Martin Eckermann, Chefkameramann Hans-Jürgen Heimlich, Dramaturgin Helga Korff-Edel und Schriftsteller Helmut Sakowski für die Gestaltung des Fernsehfilms DIE VERSCHWORENEN.
- II. Klasse: An die Schauspielerin Jutta Hoffmann für beispielgebende Menschengestaltung auf der Bühne sowie im Film und Fernsehen, besonders in Werken der sozialistischen Gegenwartsdramatik.
- II. Klasse: An den Schauspieler Armin Mueller-Stahl für seine großen schauspielerischen Leistungen, insbesondere des Kurt Lindow im Fernsehfilm DIE VERSCHWORENEN.
- III. Klasse: An den Regisseur Egon Günther für seine Leistung als Filmemacher in Film und Fernsehen.
(Filmspiegel, 22/1972, S. 2; ND, 7. Oktober 1972, S. 5f)
November 1972
10. November
Der DEFA-Dokumentarfilm WÄSCHERINNEN von Jürgen Böttcher läuft in den DDR-Kinos an.
Durch Böttchers Film bekommt der Zuschauer einen lebendigen, aber keinen romantisierenden Zugang in die Welt einer Wäscherei. Die jungen Auszubildenden, die Böttcher bei ihrer schweren, schmutzigen und eintönigen Arbeit beobachtet, verrichten sachgerecht ihre Arbeit, erhalten dabei aber ihre Ansprüche an das Leben aufrecht. Man spürt die Sympathie Böttchers zu den Mädchen, der die Individualität einer jeden Wäscherin achtet. Die Frauen halten nicht mit ihren Vorstellungen von der Zukunft zurück. WÄSCHERINNEN erhält 1973 ein Ehrendiplom der Kurzfilmjury auf dem VIII. Internationalen Filmfestival in Moskau.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1972, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 49; Filmspiegel, 14/1972, S. 14; Eduard Schreiber: Zeit der verpassten Möglichkeiten. In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 136f; Ralf Schenk: Eine kleine Geschichte der DEFA. Daten, Dokumente, Erinnerungen. DEFA-Stiftung 2006, S. 177)
18.–25. November
Die XV. Internationale Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche für Kino stellt die Retrospektive unter das Thema: „Film im Freiheitskampf der Völker – Lateinamerika“. Die Kurz- und Dokumentarfilme aus Chile, Brasilien, Argentinien, Venezuela, Kolumbien, wurden überwiegend privat finanziert und gelangen unter großen Schwierigkeiten nach Leipzig.
(Protokoll der XV. Leipziger Woche 1972; ND, 21. November 1972, S. 4)
21. November
Auf der XVII. Generalkonferenz der UNESCO wird die Mitgliedschaft der DDR in der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization; UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) einstimmig beschlossen.
In den folgenden Tagen unterzeichnet der stellvertretende Außenminister der DDR, Ewald Moldt, in London die UNESCO-Verfassung und überreicht die vom Vorsitzenden des Ministerrates der DDR Willi Stoph unterzeichnete Urkunde über die Annahme der Verfassung der UNESCO durch die DDR. Damit ist die Aufnahme der DDR in die UNESCO rechtskräftig. Die UNESCO ist die erste UNO-Organisation, der die DDR angehört.
Nach vielen direkten internationalen Kontakten und Mitgliedschaften von Künstlern und DEFA-Gruppierungen in NGOs (Nichtregierungsorganisationen) ist damit die Basis für eine neue Qualität der Zusammenarbeit von Filmorganisationen geschaffen.
(ND, 22.November 1972, S-1; 25. November 1972, S. 1; Kultur-Politisches Wörterbuch, Berlin, 1978, S. 540)
Dezember 1972
15. Dezember
Der DEFA-Dokumentarfilm HEUWETTER startet in den DDR-Kinos. Regisseurin Gitta Nickel blickt auf die LPG Hohenselchow im Oderbruch mit vergangenen und heutigen Problemen. Dazu greift sie neben ihren eigenen aktuellen Aufnahmen auf Filmmaterial von 1963, die Zeit nach dem „Sozialistischen Frühling“ zurück, das unter anderem von Karl Gass gedreht wurde und damals nicht veröffentlicht werden durfte. Die Gegenwartsebene wird durch die Erinnerungen der Kälberzüchterin Frida Franz bereichert, so verbinden sich Zeitereignisse mit persönlicher Erzählung. Der Film erhält zahlreiche Auszeichnungen im In- und Ausland.
(Filmbibliografischer Jahresbericht 1972, Staatliches Filmarchiv der DDR, S. 44; Die Weltbühne, 45/1972; Eduard Schreiber: Zeit der verpassten Möglichkeiten. In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 153)
21. Dezember
Der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“ wird im Ministerratsgebäude der DDR in Berlin unterzeichnet. Darin verpflichten sich beide deutsche Staaten „normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung“ zu entwickeln und sich dabei von den Zielen und Prinzipien, „die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind, insbesondere der souveränen Gleichheit aller Staaten, der Achtung der Unabhängigkeit, Selbständigkeit und territorialen Integrität, dem Selbstbestimmungsrecht, der Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung“ leiten zu lassen.
Nach dem Viermächteabkommen über Berlin im Jahr 1971 folgt mit dem Grundlagenvertrag ein weiterer Schritt der Entspannungspolitik zwischen Ost- und Westdeutschland. Der Vertrag stellt keine diplomatische Anerkennung der DDR dar. Es werden keine Botschaften eingerichtet, aber Ständige Vertretungen.
(Eduard Schreiber: Zeit der verpassten Möglichkeiten. In: Schwarzweiß und Farbe, DEFA-Dokumentarfilme 1946-92. Filmmuseum Potsdam 1996, S. 129)