Filmstill zu "Einfach Blumen aufs Dach"

Gerry Wolff

Schauspieler

* 23. Juni 1920 in Bremen; † 16. Februar 2005 in Oranienburg

Biografie

Filmstill zu "Weiße Wölfe"

Gerry Wolff

in WEISSE WÖLFE (R: Konrad Petzold, 1968)

Der Schauspieler und Sänger Gerry Wolff hat nie eine Schauspielschule besucht, fällt aber als ein vielbeschäftigter Darsteller bei der DEFA besonders durch seine Universalität auf. In mehr als 100 Filmen spielt er größere Neben- und Episodenrollen, gehört zu den klassischen Chargendarstellern, die den kleinsten Rollen mit häufig einseitig vorgezeichneten Charakteren eine eigene Note beimengen. Dabei verbindet er in vielen Fällen das Komische mit dem Sentimentalen.

Gerry Wolff wird als Gerald Wolff am 23. Juni 1920 (einige Quellen nennen auch den 26. Juni 1920) in Bremen geboren. Sein Vater ist der Schauspieler Martin Wolff, der in den 1910er Jahren in Stummfilmen auftritt. Seine Mutter Grete Lilien arbeitet als Soubrette. Zur Familie gehört noch sein Halbbruder Peter Wolff, der später ebenfalls als Schauspieler arbeitet. Die Kinder wachsen in einem jüdischen Haushalt auf. Seit 1931 lebt Gerry Wolff in Berlin bei seiner Großmutter, da seine Eltern verstorben sind. Zum Vormund wird sein Onkel Erich Lilienthal ernannt, der auch ein Kino betreibt. Erich Lilienthals Bruder ist der bekannte Schauspieler Kurt Lilien (1882-1943).

Seine Schulausbildung absolviert Gerry Wolff in einem jüdischen Gymnasium in Berlin. 1935 kann er Berlin durch die Hilfe seines Onkels verlassen. Er wird nach Großbritannien geschickt. In Haslemere besucht er eine deutsch-englische Schule. 1937 lernt er in London den Beruf des Kfz-Mechanikers, arbeitet zwischenzeitlich als Tischler und Gärtner. Nach dem Eintritt Großbritanniens in den Zweiten Weltkrieg wird er als Feind eingestuft und auf der Isle of Man inhaftiert, später nach Kanada verschifft. Hier spielt er erstmals Theater auf der Bühne des Internierungslagers, ist Mitglied einer Jugend-Kulturgemeinschaft. Das Missverständnis um seine Gefangennahme klärt sich auf: Er darf nach Großbritannien zurückkehren. In London meldet er sich als Freiwilliger zur Miliz. Daneben ist er schauspielerisch tätig, spielt in der Kleinen Bühne des Heinrich Heine-Clubs in London.

Filmstill zu "Nackt unter Wölfen"

Erwin Geschonneck und Gerry Wolff in NACKT UNTER WÖLFEN (R: Frank Beyer, 1962) Fotografin: Waltraut Pathenheimer

Filmstill zu "Wenn du groß bist, lieber Adam"

Gerry Wolff und Stephan Jahnke in WENN DU GROSS BIST, LIEBER ADAM (R: Egon Günther, 1965/66-1990) Fotograf: Kurt Schütt

1947 kehrt Gerry Wolff nach Deutschland zurück. Anfangs geht er in den britischen, später in den sowjetischen Sektor. Hier beginnt seine Karriere als Schauspieler. Er spielt im Prater, seit 1949 nach der Wiedereröffnung des Theaters am Schiffbauerdamm dort unter dem Intendanten Fritz Wisten. Als dieser 1956 zur Berliner Volksbühne wechselt, geht der Schauspieler mit. Bis Anfang der 1960er Jahre spielt er auf diesem Podium. 1961 wird Gerry Wolff Mitglied im Schauspieler-Ensemble der DEFA. Erst in den 1990er Jahren steht er wieder im Berliner Theater im Palast (TiP) auf der Bühne.

Ab den 1950er Jahren ist Gerry Wolff in zahlreichen DEFA-Filmen präsent. Als Sprecher in dem Film DIE UNBESIEGBAREN (1953) von  Arthur Pohl übt er eine seiner ersten Tätigkeiten für die DEFA aus. Danach gehört er zu den meistbeschäftigten Darstellern, erhält in den meisten Fällen Neben- und Episodenrollen, die er aber mit Individualität ausfüllt. Ein Höhepunkt seiner Schauspielerkarriere wird die Rolle des Herbert Bochow in NACKT UNTER WÖLFEN (1962) von  Frank Beyer nach dem gleichnamigen Buch von Bruno Apitz. Als Vorsitzender des Internationalen Lager-Komitees organisiert er an der Seite des Lagerältesten Krämer (gespielt von  Erwin Geschonneck) den kommunistischen Widerstand im Konzentrationslager Buchenwald.

Zugleich muß er ein Kind vor der SS-Mannschaft verbergen. Die zwei unterschiedlichen Aufgaben bringen ihn in Selbstzweifel, die er durch Härte überbrücken will. Zahlreich sind die Rollen des Gerry Wolff in antifaschistischen DEFA-Filmen. Dabei gelingen dem Darsteller glaubwürdige Verkörperungen, die ihre Authentizität aus den eigenen Lebenserfahrungen ziehen. Dazu zählen unter anderem seine Darbietungen in STÄRKER ALS DIE NACHT (1954) von Slatan Dudow, wo er einen Häftling spielt, und die Verfilmung des Dimitroff-Prozeßes DER TEUFELSKREIS (1955) von  Carl Balhaus. Hier werden die Vorgänge um den Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 geschildert.

Filmstill zu "Tödlicher Irrtum"

Armin Mueller-Stahl, Hans Klering und Gerry Wolff in TÖDLICHER IRRTUM (R: Konrad Petzold, 1969) Fotografen: Horst Blümel, Klaus Groch

Filmstill zu "Orpheus in der Unterwelt"

Gerry Wolff als Jacques Offenbach in ORPHEUS IN DER UNTERWELT (R: Horst Bonnet, 1973) Fotograf: Herbert Kroiss

Eine weitere wichtige Rolle erhält er vom Regisseur Egon Günther. In WENN DU GROSS BIST, LIEBER ADAM (1965/66 - 1990) wird auf spielerisch-philosophische Art vom 10-jährigen Adam erzählt, der in den Besitz einer Lampe gerät, die jeden, der lügt, in die Luft schweben lässt. Gerry Wolff spielt den nachdenklich-fröhlichen Sepp Tember, den Vater des Jungen, der ihn anfangs bestärkt, die Taschenlampe auszuprobieren. Dann entwickeln sich Zweifel, ob es sinnvoll ist, immer zu wissen, ob jemand lügt oder die Wahrheit spricht. Letztlich legt er die Lampe zu vielen anderen, so dass sie unauffindbar wird. Der Regisseur inszeniert die Geschichte mit vielen komischen Einfällen, geht überaus leicht und ironisch mit dem Thema um. Aber eine Diskussion um Wahrheit und Ehrlichkeit will die Hauptverwaltung Film nicht. Der Film wird in Folge des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED verboten. Erst 1990 ist er zu sehen.

In fast allen Filmgenres ist der Darsteller zu Hause. Er engagiert sich für Musikverfilmungen, spielt unter anderem in REVUE UM MITTERNACHT (1962) von Gottfried Kolditz und agiert in der zentralen Rolle des Jacques Offenbach in dem Operettenfilm ORPHEUS IN DER UNTERWELT (1973) von Horst Bonnet. In einigen DEFA-Indianerfilmen wird er besetzt. Sein Josuah McGrave in WEISSE WÖLFE (1968) organisiert tanzend und singend die Feste im Salon. Als Ben verkörpert er in TÖDLICHER IRRTUM (1969) den kleinen Mann, der über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden verfügt. In OSCEOLA (1971) - alle drei Filme inszeniert von  Konrad Petzold - tritt er als schneidiger Gouverneur auf. An klassischen und modernen Literaturverfilmungen ist der Darsteller ebenfalls beteiligt. So sehen ihn die Zuschauer als Hauptmann in DIE WAHLVERWANDSCHAFTEN (1973) von  Siegfried Kühn und in einer kleinen Rolle in LEVINS MÜHLE (1980) unter der Regie von  Horst Seemann nach dem Stoff von Johannes Bobrowski. Besonderes Augenmerk legt der Darsteller auch auf den Kinderfilm. Als Schuster Friedberg DIE JAGD NACH DEM STIEFEL (1962) von Konrad Petzold nimmt er sich der Rotschlipse an. An den Märchenfilmen DER SPIEGEL DES GROSSEN MAGUS (1980) und DER PRINZ HINTER DEN SIEBEN MEEREN (1982) ist er ebenfalls beteiligt.

Filmstill zu „Die Wahlverwandtschaften“

Gerry Wolff und Beata Tyszkiewicz in DIE WAHLVERWANDTSCHAFTEN (R: Siegfried Kühn, 1973) Fotograf: Klaus Goldmann

Filmstill zu "Levins Mühle"

Gerry Wolff in der Literaturverfilmung LEVINS MÜHLE (R: Horst Seemann, 1980) Fotograf: Dieter Jaeger

Auch im Fernsehen der DDR sind die Rollen des Gerry Wolff zahlreich. Er spielt den Familienvater im TV-Film FAMILIE RECHLIN (1980/81). In der Rolle des alten Schusters Botte Schulz in der TV-Serie KIEZGESCHICHTEN (1987) vergöttert ihn das Publikum, er wird zum Volksschauspieler. Nach dem Zusammenbruch der DDR im November 1989 übernimmt der Schauspieler Rollen im gesamtdeutschen Fernsehen. Zahlreich sind seine Gastauftritte in TV-Serien wie TATORT, PRAXIS BÜLOWBOGEN, DER HAVELKAISER, FÜR ALLE FÄLLE STEFANIE. Außerdem ist er in dem ZDF-Mehrteiler LIEBESAU - EIN DEUTSCHES DORF IM OSTEN zu sehen. Auch das Kino bietet dem Darsteller Auftrittsmöglichkeiten. Nochmals arbeitet Frank Beyer mit ihm. In WENN ALLE DEUTSCHEN SCHLAFEN (1994/95) erzählt er als Jude Herr Tenzer dem kleinen Marek und seinen Freunden die schönsten Märchen. Eine seiner letzten Rollen spielt er in der Komödie JETZT ODER NIE: ZEIT IST GELD (2000) von Lars Büchel. Als Erwin Kischke gibt er einen verwegener Autofahrer, der drei alte Damen bei einem Banküberfall unterstützt.

Neben seiner Arbeit als Schauspieler bei Film und Fernsehen macht der Darsteller besonders als Sprecher auf sich aufmerksam. Beim Rundfunk und für das DEFA-Studio für Dokumentarfilme spricht er zahlreiche Dokumentationen ein. Er ist ein vielbeschäftigter Synchronsprecher, leiht seine Stimme unter anderem der Figur Yoda in den STAR WARS-Filmen. Außerdem tritt er als Sänger auf, interpretiert zahlreiche Chansons und singt den Blues. Überdies veranstaltet er Lesungen mit jüdischen Texten. Im Fernsehen ist er auch als Moderator, zum Beispiel in VON MELODIE ZU MELODIE zu sehen.

Der Schauspieler heiratet in zweiter Ehe Mirjam Asriel. Sein Sohn Thomas Nero Wolff (geb. 1951) arbeitet ebenfalls als Darsteller und Synchronsprecher. Mehrfach stehen Vater und Sohn gemeinsam vor der Kamera. Gerry Wolff stirbt, fast erblindet, am 16. Februar 2005 in Oranienburg.

Verfasst von Ines Walk. (Stand: August 2005)

Trailer zu REVUE UM MITTERNACHT (R: Gottfried Kolditz, 1962)

Auszeichnungen

  • 1961: Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus
  • 1964: NACKT UNTER WÖLFEN - Heinrich Greif Preis I. Klasse (im Kollektiv)
  • 1966: Festival Sopot: Preis der internationalen Presse für das Chanson "Die Rose war rot"
  • 1971: Kunstpreis der DDR
  • 1974: Vaterländischer Verdienstorden in Gold mit Ehrenspange
  • 1987: Goethe-Preis

Literatur

  • o. A.: Gerry Wolff, in: Unsere Filmsterne, Berlin 1962.
  • Wolfgang Carlé: Gerry Wolff, in: Renate Seydel (Hrsg.): Schauspieler von Theater, Film und Fernsehen, Henschel Verlag Berlin 1966.
  • Gesine Walters: Gerry Wolff, in: Filmspiegel, 15/1978.
  • Sylvia Wulff: Sechzig Kerzen ... und fünf mehr, in: Der Morgen, 25.06.1985.
  • Helga Schwarz-Stötzer: Die Reise nach Hause, in: FF dabei, 1989.
  • Frank-Burkhard Habel: Gerry Wolff, in: cinegraph, Loseblattsammlung.
  • Ralf Schenk: Gerry Wolff, in: film-dienst 06/2005.

DEFA-Filmografie

Eine erweiterte Filmografie können Sie unter filmportal.de einsehen.

menu arrow-external arrow-internal camera tv print arrow-down arrow-left arrow-right arrow-top arrow-link sound display date facebook facebook-full range framing download filmrole cleaning Person retouching scan search audio cancel youtube instagram